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Achtzehnte Predigt.
Jatho II.


Religion und Sittlichkeit.

Der Fall Jatho, welcher in unserer Zeit die Gemüter so stark aufregt, hat verschiedenes Gute zur Folge gehabt. Unter den wertvollen Ergebnissen des aufklärenden Ereignisses erscheint als das höchste und wichtigste der endgültige Nachweis dafür, daß die Religion der Orthodoxen mit der Sittlichkeit nichts zu tun hat. In dem Gange der Erörterungen über die Eignung dieses Predigers, noch ferner seiner Gemeinde ein Führer und Berater, ein Erheber und Tröster zu sein, ist die sittliche Persönlichkeit Jathos niemals, auch von seinen eifrigsten Gegnern nicht, in Zweifel gezogen worden. Es ist im Gegenteil zugegeben worden, daß er in hohem Maße nicht nur die Fähigkeit besitzt, selbst ein reines und frommes Leben zu führen, sondern auch die viel höhere und wichtigere Fähigkeit, ein solches Leben bei seinen Gemeindegliedern zu erwecken und zu stärken, es hervorzurufen, wo es noch nicht bestanden hat, es zu vertiefen, wo seine Anfänge da waren. Wenn alle diese Eigenschaften, welche bei diesem Prediger in ungewöhnlichem Maße vorhanden sind, nicht soviel aufwiegen, als seine abweichenden Auffassungen in bezug auf den Lehrinhalt der konfessionellen Kirche, so geht daraus hervor, daß der Lehrinhalt der konfessionellen Kirche überhaupt nicht damit zusammenhängt, was an sittlichen Werten in dem Betreffenden vorhanden ist, sondern daß er sich auf ein ganz anderes Gebiet bezieht, welches von jenen Werten durchaus trennbar ist, also mit ihnen in keinem genetischen oder kausalen oder sonst sachlichen Verhältnis steht. Es ist also wiederholt auszusprechen: Religion im Sinne der Orthodoxen und Sittlichkeit im Sinne eines guten und edlen Lebens und Handelns haben miteinander nichts zu tun. Die Förderung der einen hat keine Bedeutung für die Förderung der andern, ebensowenig, wie der Verlust der einen eine Bedeutung für den Verlust der andern hat.

Nun ist das Wort Religion, wie die meisten andern Wörter, die wir für unser praktisches Leben benutzen, von großer Vieldeutigkeit. Diese Vieldeutigkeit wird gerade von den Vertretern der Orthodoxie besonders gern und häufig benutzt, um ihren Standpunkt den Gegnern gegenüber zu halten. Somit ist es wichtig festzustellen, daß das Wort Religion zwei wesentlich voneinander verschiedene Bedeutungen hat oder zwei voneinander ganz und gar getrennte Begriffe zu bezeichnen pflegt, welche man auf das sorgfältigste unterscheiden muß, wenn man nicht einer unaufhörlichen Verwirrung anheimfallen will. Die erste Bedeutung des Wortes Religion ist die einer Summe von höhern oder allgemeinen Gütern, an deren Vorhandensein und Wirksamkeit der Mensch glaubt, d. h. durch welche er sein Denken und Handeln, sein ganzes Leben bestimmen läßt. Woher der einzelne Mensch diese Ueberzeugungen und Gefühle gewonnen hat, ist in dieser Bedeutung des Wortes Religion nicht ausgedrückt. Eine Kennzeichnung des Ursprungs einer solchen Religion findet sich indessen am allerdeutlichsten bei Spinoza angegeben durch das Wort: amor intellectualis, welches er für derartige Gefühle für das Höchste, Wertvollste, Maßgebendste, was jeder Mensch in seinem Leben besitzt, geprägt hat. Amor intellectualis, denkende Liebe ist die begeisterte Hingabe an Güter, welche durch den Verstand, durch die Überlegung, durch das Urteil gewonnen sind. Es ist in der Tat die höchste Form der Religion, welche wir gegenwärtig kennen, wie denn auch die Tätigkeit des Geistes in der Wissenschaft die höchste Betätigung des menschlichen Geistes ist, von der wir wissen. Es gibt eine große Klasse von Menschen, welche der Meinung sind, das Gefühl stehe höher, als der sogenannte » kalte Verstand«. Denen gegenüber braucht man nur auf die Tatsache der Entwicklungsgeschichte hinzuweisen, nach denen die Gefühle viel eher vorhanden sind, als der Verstand. Dieser ist natürlich im höchsten, reinsten und klarsten Sinne gemeint und nach dem allgemeinen Gesetz der Entwicklungsgeschichte, daß die höhern, feinern und tiefer greifenden Organe und Eigenschaften immer erst später entstehen, als die einfachern und niedrigeren, muß man schon aus diesem wissenschaftlichen Grunde dem Verstande eine höhere Stellung zusprechen, als dem viel älteren Gefühl. Hierzu kommt noch die weitere Tatsache, die jeder Kenner des menschlichen Lebens leicht wird bestätigen können, daß nämlich die Gefühle zwar an Heftigkeit den Einflüssen des Verstandes überlegen zu sein scheinen (und zwar um so mehr, je unentwickelter der betreffende Mensch in geistiger Beziehung ist), daß aber mit der Heftigkeit der Gefühle auch ihre häufig recht kurze Lebensdauer im Zusammenhange steht. Umgekehrt erweist der Verstand sich in seinen Betätigungen immer dauerhafter, so daß zuletzt doch er, was auch die Poeten Gegenteiliges behaupten mögen, die Gefühle maßgebend bestimmt, sei es, daß er sie rechtfertigt, sei es, daß er zu ihrer Unterdrückung und Abänderung die erforderlichen Grundlagen gibt.

Verstehen wir somit unter Religion in diesem höchsten Sinne die begeisterte Hingabe an dasjenige, was wir nach all unserer Erfahrung und unserem Urteil, nach der Summe unserer Erlebnisse als das Beste, Höchste und Hingebungswürdigste erkannt haben, so sehen wir, daß diese Art der Religion durchaus eine menschliche Schöpfung ist, daß, je höher sich der Mensch als Mensch gesteigert hat, d. h. je höher die spezifisch menschlichen Eigenschaften des schöpferischen Denkens in ihm entwickelt sind, um so stärker auch diese Religion bei ihm bestehen wird. Um so stärker wird insbesondere auch seine Neigung und Fähigkeit, sich über die kleinen persönlichen Ab- und Zuneigungen zu erheben und das Große und Ganze nicht nur in Gedanken, sondern in seiner täglichen Betätigung in erster Linie zu berücksichtigen, bei ihm entwickelt sein. Auf diese Fähigkeit und ganze geistige Beschaffenheit bezieht sich das Wort Goethes: Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, hat auch Religion. Wer mit anderen Worten sich mit den großen und entscheidenden Werten erfüllt hat, welche menschliche Kunst und menschliche Wissenschaft der gesamten Menschheit zur Verfügung gestellt haben, der besitzt auch die Fähigkeit persönlicher Hingabe an diese Werte, welche erst seine Bedeutung für seine Mitmenschen ausmacht.

Goethe fährt dann fort: Wer jene beiden nicht besitzt, der habe Religion. Ersichtlicherweise ist hier das Wort Religion zum zweiten Male in einem ganz anderen Sinne benutzt worden; ja, die beiden Bedeutungen wurden von dem Dichter durchaus in einen Gegensatz gestellt, indem die Religion zweiter Art dort einzutreten hat, wo der Mensch jener höchsten Güter der Menschheit, der Wissenschaft und Kunst, nicht oder nur ungenügend teilhaftig geworden ist. Was ist nun die Religion in diesem zweiten geringeren Sinne? Sie ist ein dogmatisches oder auch mystisches Gerüst, an welchem diejenigen Notwendigkeiten ethischer oder sittlicher Art befestigt sind, welche die niedere Schicht des Volkes unbedingt haben muß, damit sie sich in den allgemeinen Rahmen der sozialen Existenz einzugliedern vermag, ohne unaufhörlich mit den notwendigen Regeln dieser Existenz in Widerspruch zu geraten. Solche niedere Kulturschichten, welche nicht fähig sind, unmittelbar ethisch zu empfinden, zu urteilen und zu handeln, müssen durch ein äußeres Hilfsmittel, welches sich an ihre Gefühle und an ihren unentwickelten Gedankenkreis wendet, zu solchem Handeln veranlaßt werden.

Wer mag zweifeln, daß eine solche Einrichtung nützlich ist? Aber wer wird auch zweifeln, daß sie nur dann und dort nützlich ist, wo der allgemeine Kulturzustand des Volkes noch nicht hoch genug gediehen ist, um die unmittelbare ethische Wertung und Schätzung des sozialen Handelns hervorzubringen!

Nun sind aber gerade mit dieser niedern Form der Religion in der Gegenwart außerordentlich große Gefahren verbunden. Die Erwerbungen der führenden Geister der Menschheit sind schon soweit auch in die breiteren Schichten des Volkes vorgedrungen, daß jenes symbolisch-traditionelle Gerüst, an welche die verschiedenen Formen der christlichen Religion ihre ethischen Forderungen und Regeln zu hängen pflegen, überall durchbrochen, ja zerstört worden ist. Das hat die außerordentlich bedenkliche Folge, daß die daran befestigten ethischen Werte gleichfalls ihren Halt verlieren. Gerade die Vertreter der orthodoxen Religion, d. h. der Religion, die an diesem eben geschilderten Gerüst befestigt ist, klagen unaufhörlich über die zunehmende sittliche Verrohung der Gegenwart, insbesondere der Jugend. Diese sittliche Verrohung, soweit sie vorhanden ist, ist zweifellos die Schuld derer, welche die sittlichen Begriffe mit jenem zerbrechlichen Gerüst theologischer Dogmen und Traditionen im Jugendunterricht so fest verbunden hatten, daß mit der Zertrümmerung des Gerüstes auch die daran befestigte Sittlichkeit in Trümmer geht. Und je mehr die Vertreter des orthodoxen Christentums darauf bestehen, die sittlichen Gesetze nicht ohne das traditionelle dogmatische Gerüst der heranwachsenden Jugend des Volkes zu überantworten, um so mehr setzen sie diese Jugend der eben geschilderten Gefahr aus, mit dem Gerüst auch den Inhalt gleichzeitig zu verlieren, ja um so sicherer zu verlieren, je genauer und enger die ethischen Lebensregeln und das Gerüst als durcheinander bedingt und voneinander nicht trennbar hingestellt worden waren.

Daß aber diese gegenseitige Bedingtheit und diese Untrennbarkeit tatsächlich nicht besteht, ist eine Erfahrungstatsache, welche auch die überzeugten Orthodoxen nicht mehr leugnen können. Es gibt eben zahllose Menschen allerhöchsten ethischen Ranges, die von jenem traditionellen und dogmatischen Gerüst nichts mehr wissen wollen und dennoch als sittliche Menschen höher stehen, als im Durchschnitt die Vertreter der Orthodoxie.

Woraus ist nun dieses Gerüst gebildet, welches den Halt für die niederen Formen der Religion bildet? In früheren Zeiten waren es mystische, unverstandene Zeremonien, mit denen das Volk die Vorstellung besonderer Wirkungen durch den unmittelbaren Eingriff der Götter oder sonstigen höheren Wesen verband. Im Christentum haben sich derartige Erscheinungen noch in der Gestalt der Sakramente erhalten und es ist wohlbekannt, daß schon Luther einen Teil der katholischen Sakramente aufgehoben und damit den Mystizismus, der in der Kirche seiner Zeit noch auf das allerüppigste blühte, bis zu dem Grade beschränkt hat, der seinem Wissen und seinen Vorstellungen von der rationellen Beschaffenheit der Welt und des Lebens entsprach. In unserer Zeit haben die von Luther noch stehen gelassenen Sakramente zunehmend an Bedeutung verloren. Man braucht nur an die beständigen Klagen der Orthodoxen über die abnehmende Teilnahme am Abendmahl zu erinnern. Im Gegensatz zu diesem Zurücktreten und Verschwinden der mystischen Vorgänge hat sich eine zunehmende Wertschätzung der Bedeutung entwickelt, die man der geschichtlichen oder traditionellen Ueberlieferung der sogenannten Heilswahrheiten zuschrieb. Diejenigen Nachrichten, welche das Neue Testament über Jesus und seine Erlebnisse brachte, wurden mehr und mehr als maßgebend für den eigentlichen christlichen Glauben, für den Inhalt der Religion angesehen. Es handelt sich bei dem gegenwärtigen Konflikt zwischen dem Spruchkollegium der preußischen Landeskirche und dem Pfarrer Jatho gerade um das Zusammentreffen dieser besonderen Form der Orthodoxie mit den fortschreitenden Elementen des innern religiösen Lebens. Es ist mit andern Worten ein Konflikt der niederen Art der Religion, welche das Seelenheil an die Annahme bestimmter traditioneller Lehren und geschichtlicher Behauptungen knüpft mit jener höheren Form, bei welcher es sich um ein inneres Erlebnis, ein persönliches Verhältnis des einzelnen zu der Gesamtheit der Welt und Menschheit handelt.

Von welcher Beschaffenheit sind nun jene historisch-traditionellen Berichte, deren Anerkennung maßgebend ist für die Frage, ob ein Prediger innerhalb der preußischen Landeskirche sein Amt behalten kann oder es trotz stärkster und segensreichster persönlicher Wirksamkeit aufgeben muß? Es sind Berichte, die durch anderweitige geschichtliche Dokumente nur sehr unvollständig gestützt sind, die eine große Menge naturwissenschaftlicher Unmöglichkeiten enthalten, da sie aus einer Zeit stammen, in welcher die wissenschaftliche Kritik noch gar nicht existierte und in welcher man deshalb derartige Behauptungen durchaus als möglich, abgesehen von ihrer historischen Wirklichkeit, ansah.

Das Spruchkollegium hat entschieden, daß derjenige, welcher diese im Widerspruch mit der modernen wissenschaftlichen Erkenntnis stehenden Berichte nicht wörtlich zu nehmen vermag oder wenigstens wörtlich zu lehren bereit ist, sich zum Geistlichen in der Landeskirche nicht eignet. Hierbei ist sogar zutage getreten, daß eine Differenz zwischen eigener Ueberzeugung und Lehrvortrag ganz wohl als möglich, ja als zulässig angesehen wurde, daß der Prediger zwar in bezug auf diese Lehren persönlich abweichender Meinung sein könne, jedenfalls aber verpflichtet sei, unabhängig von dieser persönlichen Auffassung im Sinne der orthodoxen »Religion« zu lehren. Die unveränderte Erhaltung jener unhaltbaren Lehren erscheint hiernach als allererste Pflicht des Geistlichen, der gegenüber sowohl die Pflicht der inneren Wahrheit, wie auch die Pflicht der Auseinandersetzung mit den höchsten Ergebnissen geistiger Arbeit der Menschheit durchaus zurückzutreten hat.

Sieht man diese Dinge an, wie sie eben dargestellt worden sind, und wie sie sich tatsächlich verhalten, so kann man ein tiefes Erstaunen über diesen unglaublichen Gegensatz nicht unterdrücken. Was kann denn daran liegen, ob der Geistliche, der für die innere Ehrlichkeit, für die ganze seelische und ethische Entwicklung seiner Gemeindeglieder verantwortlich ist, in bezug auf jene unsicheren Ueberlieferungen den einen oder den anderen Standpunkt einnimmt? Ja, die Orthodoxen haben sich selbst nicht imstande gesehen, unbedingt wörtlich alles das, was in der Bibel steht, als noch gegenwärtig für einen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts annehmbar und glaubbar anzuerkennen; sie haben zugestanden, daß gewisse Äußerungen und Wendungen in der Bibel anders genommen werden müssen, als die Worte selbst besagen, sie haben also eine Modernisierung der Bibelauffassung, allerdings nur im engsten Rahmen und bezüglich der allerdringendsten Erfordernisse, zugestanden. Es kommt also darauf heraus, daß sie das Prinzip der unbedingten Glaubhaftigkeit der unbedingten göttlichen Abstammung der Bibel bereits selbst aufgegeben haben und an die Stelle dieses Prinzips eine persönliche Auffassung dessen, was bezüglich der Bibelkritik notwendig und zulässig ist, eingesetzt haben.

Daß eine solche willkürliche Abgrenzung, die von einem zum andern schon verschiedene Ergebnisse mit sich bringt, für einen derart einschneidenden Schritt, wie die Austreibung eines Pfarrers aus seinem segensreich verwalteten Kirchenamte, maßgebend sein könnte, erscheint so absurd, so außerhalb jedes logischen Denkens liegend, daß man sich von vornherein sagen muß, dieses kann der maßgebende Grund nicht gewesen sein. Es handelt sich notwendig um ein Tiefergehendes, Grundsätzliches, Maßgebendes, was hinter der unbegreiflichen Entscheidung steckt. Und dies läßt sich sehr wohl erkennen: es ist der Gesichtspunkt, der von jeher die Orthodoxen von den fortschrittlich Denkenden geschieden hat und der am deutlichsten und kürzesten in den Versen Schillers ausgesprochen wird: Mut zeiget auch der Mameluk, Gehorsam ist des Christen Schmuck. Jede Priesterschaft hat in ihrem eigenen Interesse, das sie, solange sie ehrlich ist, natürlich mit dem Interesse der von ihr gehüteten Schafe für identisch hält, den Gehorsam gegenüber ihren Befehlen als die allererste Eigenschaft desjenigen angesehen, den sie in ihren Kreis zuläßt. Nicht also die Weigerung des Pfarrers Jatho, jene mit der modernen Kenntnis und Wissenschaft völlig unvereinbaren Dinge als Wirklichkeiten anzusehen, sondern seine Weigerung, in dem Sinne zu predigen, der ihm von seiten der herrschenden Personen der Kirche vorgeschrieben war, ist das eigentliche Vergehen, wegen dessen er vom Amte entsetzt worden ist. Schon in der biblischen Geschichte vom Sündenfall spielt derselbe Gesichtspunkt die maßgebende Rolle; das Essen vom Baume der Erkenntnis war gleichzeitig ein Bruch des Gehorsams, wie auch ein Schritt in jenes gefährlichste Gebiet, von dem aus jeder Priesterschaft der Verlust ihres Einflusses droht, nämlich in das Gebiet eigner, persönlicher Beurteilung der Lebensverhältnisse und Lebensnotwendigkeiten. Der Baum der Erkenntnis ist nichts als die Wissenschaft und jeder Genuß von ihren Früchten hat zur Folge, daß der Schuldige von dem Paradiese des kindlichen Kirchenglaubens ausgestoßen wird. Aber was in frühern Zeiten der Garten Eden war, innerhalb dessen allein Behagen, Sicherheit und Glück möglich war, das ist gegenwärtig nur ein engbegrenztes und für die heutigen Bedürfnisse wenig taugliches Stückchen Land geworden, vergleichbar vielleicht einer alten Stadt, die für den flüchtigen Besucher zwar noch mancherlei Pittoreskes und auch Anmutiges haben mag, die aber für den gegenwärtigen Bewohner durch den großen Mangel bezüglich der hygienischen und kulturellen Bedürfnisse auf die Dauer unerträglich wird. Daß die modernen Menschen in einer solchen Stadt nicht mehr leben wollen, ist so natürlich, daß nur das geschichtliche Trägheitsgesetz ihr Bestehen in unserer Zeit noch erklären kann. Die geistige Oberschicht der Menschheit mag schon längst nicht mehr in diesen dunklen, winkligen Gassen wohnen, welche das freie Sonnenlicht ausschließen und für alle möglichen schädlichen Mikroben einen nur zu fruchtbaren Nährboden bilden. Und das Bedürfnis nach dem strahlenden Lichte der Wissenschaft ist in unserer Zeit in immer breiteren und breiteren Massen aufgetreten, welche alle nicht mehr in den alten engen Verhältnissen existieren wollen, sondern nach Luft und Licht streben. Der Fall des Pfarrers Jatho ist für das Freiwerden solcher Bestrebungen ein überaus wichtiger und nützlicher Anstoß geworden.


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