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Sechsundfünfzigstes Kapitel

Als der »Pequod« nach der magnetisierten Nadel Ahabs südostwärts steuerte und den zurückgelegten Weg allein mit Hilfe des Logs und der Leine feststellte, nahm er den Kurs in der Richtung des Äquators. Wie er nun durch unbefahrene Meere fuhr, wo er keine Schiffe erblickte, und wie er durch unveränderliche Winde, die für Handelsschiffe günstig sind, seitwärts getrieben wurde, und eintönige und milde Wellen ihn bespülten, war diese merkwürdige Stille ein Vorzeichen für eine Szene voll Aufruhr und Verzweiflung.

Schließlich kam das Schiff gleichsam an die Peripherie der Fischgründe des Äquators, und es segelte in der tiefen Dunkelheit, die der Dämmerung vorhergeht, an einer Gruppe von Felseninseln vorbei. Da wurde die Wache, über die Flask die Aufsicht hatte, von einem wilden, klagevollen und unirdischen Schrei erschreckt, der wie das beinahe unartikulierte Gestöhn der Geister der von Herodes ermordeten unschuldigen Kinder klang. Da schoß alles aus seinem Traum auf, und man stand einige Augenblicke lang da, saß oder lehnte sich starr wie ein römischer Sklave aus Erz mit größter Aufmerksamkeit an, solange der wilde Schrei dauerte. Wer Christ war oder zur zivilisierten Mannschaft gehörte, sagte, es wären Wassernixen, und fuhr zusammen. Aber die heidnischen Harpuniere blieben unbewegt. Und der alte, graue Mann von der Insel Man – der älteste Matrose auf dem Schiff – erklärte, daß die wilden, schrillen Laute die Stimmen von Neuertrunkenen wären.

Ahab hörte unten in seiner Hängematte vor der grauen Morgendämmerung nichts davon. Dann kam er an Deck. Flask meldete ihm, was losgewesen war und verfehlte nicht, dunkle, bedeutungsvolle Winke hinzuzufügen, dabei lachte er hohl und suchte so bedeutungsvoll das Wunder zu erklären.

Die Felseninseln, an denen das Schiff vorbeigefahren war, wurden von großen Mengen Seehunden aufgesucht. Einige junge Seehunde, die ihre Muttertiere verloren hatten, vielleicht waren es auch Muttertiere, die ihre Jungen verloren hatten, gingen in der Nähe des Schiffes in die Höhe und leisteten ihnen Gesellschaft, wobei sie schrien und in der Art der Menschen wehklagten. Das machte auf einige Matrosen einen um so größeren Eindruck, als die meisten den Seehunden ein abergläubisches Gefühl entgegenbringen. Nicht nur, weil sie so merkwürdig schreien; wenn sie in Not geraten, sondern auch weil sie wegen ihrer runden Köpfe und ihres halbintelligenten Gesichtsausdrucks wie Menschen aussehen, wenn man sie, Umschau haltend, längsseits aus dem Wasser auftauchen sieht. Auf der See hat man unter bestimmten Umständen die Seehunde mehr als einmal für Menschen gehalten.

Die Vorahnung der Mannschaft erfüllte sich in dem Schicksal, das einen Matrosen aus ihrer Mitte am Morgen ereilte. Bei Sonnenaufgang ging ein Mann von seiner Hängematte nach dem Mast oben am Vorderdeck. Ob er nun noch halb im Schlafe war – denn die Matrosen gehen manchmal in einem halben Schlafzustand hinauf – oder ob sonst etwas los war, genug, er befand sich noch nicht lange an seinem Sitz, als man einen Schrei und ein Klatschen hörte. Als man aufsah, erblickte man in der Luft eine fallende Erscheinung. Und als man in die See sah, stiegen mehrere weiße Blasen in der blauen See auf.

Die Rettungsboje, eine lange, dünne Tonne war vom Heck gefallen, wo sie immer, eines Federdrucks gewärtig, hing. Keine Hand erhob sich, um sie zu packen. Als die Sonne lange genug auf die Tonne geschienen hatte, war sie zusammengeschrumpft. Langsam füllte sie sich mit Wasser, und das ausgedörrte Holz war bis zu jeder Pore vollgesogen. So kam es denn, daß die eisenbeschlagene Tonne dem Matrosen in die Tiefe nachfolgte, als ob ihm ein weiches Kissen, das sich sehr hart anfühlen mußte, nachgetragen wurde.

So war denn der erste Mann vom »Pequod«, der nach dem weißen Wale vom Maste aus hatte Umschau halten wollen, auf dem eigenen Grunde des weißen Wales in der Tiefe untergegangen.

Man mußte nun für die verlorengegangene Rettungsboje Ersatz schaffen. Starbuck wurde damit beauftragt. Aber da man kein Faß fand, das leicht genug gewesen wäre, und da bei der fieberhaften Tätigkeit in Erwartung der kommenden Krise alle Hände mit großem Eifer an Dinge angelegt wurden, die mit dem Schluß derselben direkt in Verbindung standen (und was das auch für ein Schluß sein mochte!), wollte man am Heck des Schiffes keine Rettungsboje wieder anbringen lassen.

Da wies Queequeg mit seltsamen Handbewegungen auf seinen Sarg hin. »Eine Rettungsboje aus einem Sarg!« rief Starbuck und schoß auf.

»Das kommt mir aber sehr merkwürdig vor«, sagte Stubb.

»Das wird schon gehen,« sagte Flask, »der Zimmermann kann ihn leicht zurechtmachen.«

»Bringt ihn herauf, es ist nichts anderes da«, sagte Starbuck nach einer melancholischen Pause. »Mach' ihn zurecht, Zimmermann; sieh mich nicht an, ich meine den Sarg. Verstehst du nicht, was ich sage? Du sollst ihn zurechtmachen!«


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