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Es ist Mittag. Der Steward, der junge Bursche, steckt sein bleiches Gesicht durch die Kajütenluke und sagt seinem Herrn und Meister das Mittagessen an. Der Herr sitzt in einem Achterdeckboot auf der Leeseite und hat gerade eine Sonnenmessung vorgenommen. Er rechnet die Breite auf dem glatten Täfelchen mit dem Medaillon aus, das für den täglichen Gebrauch oben auf seinem künstlichen Bein liegt. Er gibt anscheinend gar nicht mal acht auf die Meldung, und man könnte meinen, der düstere Ahab hätte gar nichts gehört. Aber dann faßt er an die Kreuzwanten und schwingt sich auf Deck und sagt mit gleichmütiger unfreundlicher Stimme: »Essen, Starbuck.« Damit verschwindet er in der Kabine.
Als das letzte Geräusch von dem Schritt des Sultans verklungen ist und Starbuck, sein erster Emir, die Gewißheit hat, daß der Alte Platz genommen hat, erwacht er aus seiner Gleichgültigkeit, geht ein paarmal auf den Planken hin und her, sieht noch mal nach dem Kompaß und sagt ziemlich freundlich: »Essen, Stubb!« und geht auch in die Kajüte.
Der zweite Emir kommt schlendernd auch aus der Takelage hervor, packt die Brasse, um zu sehen, ob auch alles in Ordnung ist, nimmt die alte Last auf und folgt mit der Aufforderung: »Essen, Flask!« den anderen nach.
Nun kommt sich auch der dritte Emir, als er auf dem Achterdeck allein ist, merkwürdig erleichtert vor. Er winkt nach allen Richtungen freundlich um sich, stößt die Schuhe von den Füßen und läßt mit der Hornpfeife einen scharfen Ton gerade über dem Kopf des Sultans ertönen. Dann befestigt er die Mütze oben an den Kreuzmars und geht ausgelassen nach unten. Aber bevor er in die Tür der Kajüte eintritt, bleibt er einen Augenblick stehen und setzt ein neues Gesicht auf. Dann tritt der sonst so unabhängige muntere kleine Flask vor den König Ahab in der Haltung von Abjectus, seines Sklaven. Unter den vielen Seltsamkeiten der erkünstelt wirkenden Seemannsbräuche ist auch zu erwähnen, daß die Offiziere auf dem freien Deck ihre Haltung gegenüber dem Kommandanten wahren und ihm Trotz bieten, wenn sie herausgefordert werden. Aber es ist zehn zu eins zu wetten, daß sie demütig und unterwürfig ihm gegenübertreten, wenn sie im nächsten Augenblick in die Kajüte des Kommandanten hinuntergehen und ihre gewöhnliche Mahlzeit mit ihm einnehmen, und er oben am Tische sitzt. Das ist eine wunderbare und manchmal reichlich komische Geschichte.
Ahab saß an dem Tisch, der mit Walfischbein ausgelegt war, wie ein stummer Seelöwe mit Mähne am weißen Korallenstrand im Kreise seiner kriegerischen, wenn auch ehrfurchtsvollen Jungen. Jeder Offizier wartete, bis er drankam. Vor Ahab waren sie wie kleine Kinder, und doch war bei ihm nicht die Spur einer Überhebung zu entdecken. Sie waren alle eines Sinnes, und ihre Blicke hingen an dem Messer des Alten, als er ihnen das Fleisch auf der Schüssel zuschnitt. Der Teller von Starbuck wurde ihm gereicht, und der Maat bekam sein Stück Fleisch wie ein Almosen. Er schnitt es sorgfältig in kleine Stücke und wurde etwas nervös, wenn das Messer auf dem Teller knirschte. Er kaute es, ohne zu schwatzen und schluckte es herunter mit einer gewissen Andacht. Wie der Deutsche Kaiser beim Krönungsmahl in Frankfurt mit den sieben Kurfürsten in aller Ehrfurcht zu Tisch saß, so ging es auch bei diesen Mahlzeiten in der Kajüte sehr feierlich und ernst zu. Der alte Ahab verbot zwar nicht die Unterhaltung, aber er selbst war so gut wie taub. So war es denn dem abgeschreckten Stubb eine Erleichterung, als sich unten im Schiffsraum plötzlich eine Ratte zu schaffen machte.
Am wenigsten zu sagen hatte der kleine Flask. Er war der jüngste Sohn und in dieser ernsten Familie ein kleiner Knirps. Er bekam die Knochen des eingesalzenen Rindfleisches, und er hätte doch die Oberschenkel haben müssen. Man durfte nicht annehmen, daß Flask sich hätte selbst bedienen können. Das wäre ja so viel gewesen, wie der allerschwerste Diebstahl. Wenn er sich bei Tisch selbst bedient hätte, hätte er unter den anständigen Leuten nicht mehr den Kopf aufrechthalten dürfen. Es war merkwürdig, daß Ahab ihm nie ein Verbot erteilte. Und wenn Flask sich selbst bedient hätte, so hätte es Ahab möglicherweise gar nicht einmal bemerkt. Am allerwenigsten wäre es Flask eingefallen, Butter aufzustreichen. Wie er dazu kam, kann man nicht recht sagen. Vielleicht glaubte er, die Besitzer des Schiffes verwehrten es ihm, oder seine helle und sonnige Gesichtsfarbe könnte dadurch entstellt werden. Oder aber es geschah darum, weil er annahm, daß die Butter im Ozean, wo es keine Märkte gab, eine Prämie vorstellte und einem Mann im subalternen Dienstverhältnis nicht zukam. Jedenfalls nahm der arme Flask keine Butter!
Dann noch etwas anderes: Flask mußte als letzter zu Tisch gehen und als erster aufstehen. Dadurch war ihm die Zeit arg beschnitten. Starbuck und Stubb standen zuerst auf, und sie durften sich auch aufs Ohr legen. Wenn Stubb, der nur ein klein wenig mehr als Flask war, zufällig nur wenig Appetit hatte, und es ihm einfiel, mit dem Essen aufzuhören, so mußte Flask sich beeilen und bekam nur sehr wenig zu essen; denn es widersprach einem geheiligten Brauch, daß Stubb vor Flask auf Deck ging.
Seit Flask zur Würde eines Offiziers aufgestiegen war, wußte er, was richtiger Hunger war. Wenn er etwas aß, so war er nicht gesättigt und schleppte einen ewigen Hunger mit sich herum. Frieden und Ruhe, dachte Flask, kennt mein Magen nicht mehr. Ich bin Offizier, aber wie gern möchte ich in der Vorderkajüte ein gehöriges Stück Rindfleisch der alten Sorte essen, wie ich es früher zu tun pflegte, als ich noch vor'm Mast war. Das hat man von der Beförderung. Das ist der Ruhm mit seiner Eitelkeit und das ist der Irrsinn des Lebens!
Ahab und seine drei Maate gehörten zum sogenannten ersten Tisch in der Kabine. Wenn sie gingen, wobei sie sich in umgekehrter Reihenfolge wie bei der Ankunft aufstellten, wurde das Tischtuch aus Segelleinwand gesäubert oder auf eilige Anforderung von dem bleichen Steward wieder gebrauchsfähig gemacht. Darauf wurden die drei Harpuniere zur Tafel gebeten.
Im merkwürdigen Gegensatz zu dem schwer zu ertragenden Zwang und unsichtbaren Despotentum am Tisch des Kapitäns stand die ungenierte Freiheit und Behaglichkeit der niedergestellten Burschen, der Harpuniere. Während ihre Herren vor dem Geräusch ihrer eigenen Gaumen Angst zu haben schienen, kauten die Harpuniere ihr Essen mit einer Wollust, daß es ein Vergnügen war. Sie saßen wie Lords zu Tisch. Sie füllten ihre Bäuche wie die Schiffe in Indien, die den ganzen Tag Gewürze laden. Queequeg und Tashtego hatten solch blendenden Appetit, daß der bleiche Schiffsjunge verschiedene Male ein großes Lendenstück, das man anscheinend aus dem besten Teil eines mächtigen Ochsen herausgeschnitten hatte, heranschaffen mußte, um die leeren Räume, die von der früheren Mahlzeit zurückgeblieben waren, auszufüllen. Einmal fiel es Daggoo ein, dem Gedächtnis des Jungen dadurch etwas nachzuhelfen, daß er ihn anpackte und ihn mit dem Kopf gegen eine große leere Tonne stieß. Und Tashtego zeichnete mit dem Messer den Kreis ab, wo er ihn skalpieren wollte. Der bleiche Junge war reichlich nervös, und man konnte diesem Milchgesicht leicht einen Schrecken einjagen: dieser Mischung von bankerottgegangenem Bäcker und Krankenschwester! Sein ganzes Leben lang war er in ständiger Aufregung, er mußte den schrecklichen Ahab ertragen und ebenso die lärmenden, regelmäßig auf Besuch kommenden drei Wilden. Wenn er sah, daß die Harpuniere alles hatten, was sie brauchten, entwich er ihren Schlingen und kroch in die kleine Pantry nebenan. Von dort aus schaute er dann hinter den Vorhängen der Tür angstvoll hervor, bis alles vorbei war.
Es war ein prächtiger Anblick, Queequeg Tashtego gegenüber sitzen zu sehen, wie er seine gefeilten Zähne denen des Indianers gegenüberhielt. Schräg gegenüber saß Daggoo auf dem Boden; denn eine Bank würde für seinen Kopf mit der schwarzen Feder schlecht gepaßt haben. Bei jeder Bewegung mit den kolossalen Gliedern wurde die niedrige Kabine in Erschütterung versetzt, als ob ein afrikanischer Elefant als Passagier aufs Schiff gegangen wäre.
Aber trotz alledem war der große Neger unglaublich mäßig, wenn nicht gar bescheiden. Es schien beinahe unmöglich, daß man bei so wenig Essen einen so breiten, herrenhaften und prächtigen Menschen am Leben erhalten könnte. Aber ohne Zweifel sog der edle Wilde die Luft in großen starken Zügen ein. Durch seine weiten Nasenlöcher schlürfte er das herrliche Leben dieser Welt in vollem Maße. Mit Fleisch oder Brot kann man keine Riesen schaffen oder ernähren.
Queequeg schmatzte beim Essen auf barbarische Weise mit den Lippen – es hörte sich schrecklich an –, so daß der ängstliche Schiffsjunge hinsah, ob auch nicht ein Abdruck von seinen Zähnen in seinen mageren Armen zu sehen wäre. Und wenn er hörte, wie Tashtego nach ihm langte, um seine Kunststücke zu zeigen, so hätte der einfältige Steward beinahe das Geschirr in seiner Speisekammer zerschlagen bei einem plötzlich auftretenden Ohnmachtsanfall. Die Harpuniere hatten für ihre Lanzen und sonstige Waffen Schleifsteine in den Taschen. Wenn es ihnen einfiel, bei Tisch in besonders auffälliger Weise die Messer zu schleifen, so war der knirschende Laut nicht dazu angetan, dem armen Küchenjungen Vertrauen einzuflößen. Wie konnte auch Queequeg vergessen, daß er früher, als er noch auf der Insel war, von dem Messer auf ganz besondere Weise Gebrauch gemacht hatte! Ja, armer Küchenjunge, man hat es als weißer Kellner schwer, wenn man Menschenfresser bedienen soll! Er hätte nicht eine Serviette auf dem Arm haben sollen, sondern einen Schild!