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Siebenundvierzigstes Kapitel

Die Nachforschungen ergaben, daß die Fässer in dem Schiffsraum vollkommen heil waren und daß man das Leck an einer entfernteren Stelle suchen mußte.

In dieser Zeit geschah es, daß mein armer heidnischer Kamerad und treuer Busenfreund, mein Queequeg, vom Fieber gepackt wurde, das ihn fast aufs Sterbebett brachte.

Bei dem Beruf der Walfischfänger sind Drückposten unbekannt. Würde und Gefahr gehen Hand in Hand, bis man Kapitän wird. Je höher man steigt, um so schwerer ist auch die Arbeit. So mußte der arme Queequeg als Harpunier nicht nur die Wut des lebendigen Wales aushalten, sondern sich auch in die rollende See hinauswagen. Bis er schließlich in den düsteren Kielraum hinunter mußte, wo er den ganzen Tag in dem unterirdischen Gefängnis in einem fort schwitzte und die dicken Fässer mit fester Hand anfassen und verstauen mußte.

Armer Queequeg! Da kroch der tätowierte Wilde, der bis auf das wollene Wams ausgezogen war, in dem feuchten Dreck herum, wie eine Eidechse mit grünen Flecken unten in einem Brunnen. Hier zog er sich, so merkwürdig es ist, wegen des heißen Schweißes eine schreckliche Erkältung zu, die mit einem Fieber endete. Und schließlich mußte er sich nach einigen Tagen in die Hängematte legen, und seine Krankheit brachte ihn bis dicht an den Rand des Grabes. In den wenigen Tagen verfiel er so, daß von ihm nur die Knochen und die Tätowierungen übrigblieben. Aber als alles bei ihm dünner wurde, und die Backenknochen ganz schmal geworden waren, schienen seine Augen immer größer zu werden. Und es ging von ihnen ein seltsamer, weicher Glanz aus. Ein milder, aber tiefer Blick schaute einen aus dem kranken Körper an, der ein wunderbarer Zeuge für seine unverwüstliche Gesundheit war. Und wie die Kreise im Wasser schwächer werden, wenn sie sich ausdehnen, so erweiterten sich seine Augen, wie die Kreise der Ewigkeit. Und ein Gefühl der Ehrfurcht beschlich einen, wenn man an der Seite des dahinwelkenden Wilden saß und solche seltsamen Dinge in seinem Gesicht erblickte, wie sie die Umstehenden erlebt haben müssen, als Zarathustra starb.

Was bei einem Menschen wirklich ein Wunder und ein Schrecken ist, ist noch niemals in Büchern zur Sprache gebracht worden. Und die unmittelbare Nähe des Todes, die alles gleichmacht, verschafft einem auch die letzte Enthüllung von Dingen, die nur ein Autor aus dem Totenreiche richtig darstellen könnte. So hatte denn kein sterbender Chaldäer oder Grieche erhabenere und heiligere Gedanken als die, deren geheimnisvolle Schatten nun über das Gesicht des armen Queequeg krochen, der ruhig in seiner baumelnden Hängematte lag. Wie die rollende See ihn sanft in den letzten Schlaf schaukelte und die unsichtbare Flut des Ozeans ihn höher und höher gen Himmel trug.

Alle von der Mannschaft gaben ihn auf. Was seine eigenen Gedanken waren, konnte man aus einem erbetenen merkwürdigen Gefallen ersehen. Als es grauer Morgen war und der Tag gerade anbrach, faßte er einen bei der Hand und sagte, daß er in Nantucket kleine Kanus aus schwarzem Holz gesehen hätte, die dem prächtigen Holz für Kriegsgeräte aus seiner Heimatinsel ähnlich wären. Er hätte erfahren, daß alle Walfischer, die in Nantucket stürben, in dieselben dunkelfarbigen Kanus gelegt würden und daß diese Vorstellung ihm so gut gefallen hätte. Fast genau so wäre die Sitte seines eigenen Stammes, der einen toten Krieger einbalsamierte, ihn darauf in sein Kanu legte und ihn in die sternbedeckte Inselwelt hinaustreiben ließ. Sie haben nämlich den Glauben, daß die Sterne Inseln sind und daß in der Ferne jenseits der Horizonte die milden Meere, in denen es kein Festland gibt, mit dem blauen Himmel zusammenfließen. Ferner sagte er, daß ihn ein Schrecken überkäme, wenn er sich vorstellte, daß er in der Hängematte, wie es auf See üblich wäre, bestattet würde und er wie ein Verbrecher in den Todesrachen der gefräßigen Haifische hineingestoßen würde. Er erbäte sich ein Kanu genau wie die von Nantucket, was ihm angemessener wäre, da er nun mal ein Walfischer wäre.

Als diese merkwürdige Geschichte am Achterdeck bekannt wurde, bekam der Zimmermann sofort den Befehl, Queequegs Bitte zu erfüllen und ihm auch sonst behilflich zu sein. Man hatte heidnisches, altes Bauholz von der Farbe des Sarges an Bord, das auf einer früheren Reise mal aus den uralten Wäldern der Lackaday-Inseln abgehauen war. Aus diesen dunklen Brettern sollte der Sarg gemacht werden. Kaum hatte der Zimmermann den Befehl bekommen, als er das Lineal nahm und sich mit der gleichgültigen Bereitwilligkeit seines Charakters sofort ans Werk begab. Er ging zur Vorderkajüte und nahm Queequeg mit großer Genauigkeit das Maß. Und wenn er das Lineal verschob, machte er regelmäßig an dem Körper Queequegs ein Zeichen.

»Ach, du armer Kerl! Nun muß er sterben!« stieß der Matrose von Long Island hervor. Der Zimmermann ging nun an seine Hobelbank und übertrug, weil es bequemer war, die genaue Länge des Sarges auf diese. Dann machte er an den beiden Enden zwei Einschnitte. Als das geschehen war, besorgte er sich die Bretter und die Werkzeuge, und ging an die Arbeit.

Nachdem der letzte Nagel eingeschlagen und der Deckel aufgesetzt war und paßte, nahm er den Sarg auf die Schulter, ging damit los und erkundigte sich, ob man schon soweit wäre. Queequeg überhörte die entrüsteten Rufe, wenn sie auch halb humoristisch gemeint waren, womit die Leute an Deck den Sarg wegbeförderten. Er befahl zu jedermanns Entsetzen, daß man ihn sofort herbringen sollte. Es war auch nicht möglich, ihm etwas abzuschlagen, da von allen Menschen die Sterbenden manchmal die größten Tyrannen sind. Und da sie uns bald darauf kaum noch stören werden, so sollte man die armen Kerls mit Nachsicht behandeln.

Queequeg beugte sich in der Hängematte nach der Seite und betrachtete den Sarg sehr aufmerksam. Dann verlangte er seine Harpune, ließ den Holzschaft abziehen und legte die Eisenspitze mit einem Paddelruder seines Bootes der Länge nach in den Sarg. Dann wurde auch auf seine Bitte Schiffszwieback dazwischengelegt, ebenso eine Flasche mit frischem Wasser, die an das Kopfende gelegt wurde, und ein kleiner Beutel mit Holzerde, die im Kielraum abgekratzt war und an das Fußende kam. Dann wurde ein Stück Segeltuch als Kissen zusammengerollt, und Queequeg ließ sich in das letzte Ruhebett tragen, um zu sehen, ob es auch recht bequem wäre.

So blieb er einige Minuten liegen, ohne sich zu rühren. Dann mußte ihm einer aus seinem Seesack den kleinen Gott Yojo bringen. Darauf kreuzte er die Arme über der Brust, nachdem Yojo dazwischen lag, und ließ den Sargdeckel über sich schließen. Dieser war an einen Lederriemen gebunden. Und so lag denn Queequeg mit zufriedenem Ausdruck in dem Sarge. »Rarmai« (er ist leicht), murmelte er schließlich, und gab dann ein Zeichen, daß man ihn wieder in die Hängematte legen sollte.

Aber bevor dies geschehen war, drängte sich Pipp, der alles mit angehört hatte, an ihn heran und nahm ihn unter sanftem Schluchzen bei der Hand. In der anderen Hand hielt er sein Tambourin.

»Armer Wanderer, wirst du denn niemals Ruhe haben von diesem mühsamen Wandern? Wo gehst du jetzt hin? Wenn die Strömung dich nach den lieblichen Antillen trägt, wo der Strand voll von Wasserlilien ist, willst du mir da wohl einen kleinen Gefallen tun? Sieh nach, ob du nicht einen gewissen Pipp findest, der seit langem vermißt wird. Ich glaube, er muß in den entfernten Antillen sein. Wenn du ihn findest, tröste ihn; denn er muß sehr traurig sein. Denn siehe, er hat sein Tambourin zurückgelassen. Ich hab' es gefunden. Rig-a dig, dig, dig! Jetzt kannst du sterben, Queequeg, und ich will dir deinen Sterbemarsch schlagen!«

»Ich habe gehört,« brummte Starbuck, und sah die Schiffsluke hinab, »daß die Menschen bei heftigem Fieber unbewußt in alten Sprachen reden. Und wenn man das Geheimnis erforscht, so zeigt es sich, daß sie in ihrer völlig vergessenen Kindheit diese Sprachen gesprochen haben, wie es von großen Gelehrten bezeugt ist. So ist auch nach meiner Lieblingsvorstellung der arme Pipp in dieser seltsamen Lieblichkeit seines Wahnsinns der Zeuge von unserer himmlischen Heimat. Wo kann er das nur herhaben, wenn nicht von dort? Horch, er fängt wieder an zu sprechen, aber nun ist es ein wilderer Tonfall!«

»Vereinige zwei und zwei! Wir wollen einen General aus ihm machen. Wo ist denn seine Harpune? Sie lag hier quer über ihm. Rig-a dig, dig, dig, hurra! Queequeg stirbt mutig! Merkt euch das! Queequeg stirbt mutig! Beachtet das wohl! Queequeg stirbt mutig!! Ich sage, mutig, mutig, mutig! Aber der gemeine kleine Pipp starb wie ein Feigling, starb mit einem Schauder. Hör' mal, wenn du Pipp findest, so sag' den ganzen Antillen, daß er ausgerissen ist. Und daß er ein Feigling, ein großer Feigling ist! Sag' ihnen, daß er aus einem Walboot gesprungen ist! Ich würde niemals mein Tambourin über den gemeinen Pipp schlagen und ihn als General begrüßen, wenn er noch einmal sterben sollte. Nein, alle Feiglinge sollen verflucht sein! Sie sollen wie Pipp ertrinken, der aus einem Walboot gesprungen ist. Pfui! Pfui!!«

Währenddem lag Queequeg mit geschlossenen Augen da, als ob er träumte. Pipp wurde davongeführt, und den kranken Mann kriegte man wieder in die Hängematte.

Als Queequeg sich augenscheinlich in jeder Weise auf den Tod vorbereitete, und der Sarg wirklich gut paßte, erholte er sich mit einem Male. Bald schien er den Kasten des Zimmermanns nicht mehr nötig zu haben. Als einige darüber hocherfreut waren und sich dementsprechend aussprachen, sagte er, daß seine plötzliche Genesung folgenden Grund hätte. Im kritischen Augenblick wäre ihm eine kleine Verpflichtung eingefallen, die er an Land noch nicht erfüllt hätte. Er hätte daher seine Absicht, zu sterben, aufgegeben, und könnte noch nicht sterben. Darauf wurde er denn gefragt, ob das Leben und Sterben eine Sache des persönlichen Willens und Vergnügens wäre. Er antwortete, daß das wirklich der Fall wäre. Es war die Ansicht Queequegs, daß, wenn jemand entschlossen wäre, zu leben, die Krankheit ihn allein nicht töten könnte. Das vermöchte auch kein Wal, kein Gewittersturm und keine heftige willkürliche, widersinnige Lebenszerstörerin dieser Art.

Soviel ist sicher, daß zwischen Wilden und Zivilisierten ein wichtiger Unterschied besteht. Während ein kranker zivilisierter Mensch sechs Monate zur Genesung braucht, ist ein kranker Wilder beinahe in einem Tage wieder auf den Beinen. Queequeg kam daher nach einer gewissen Zeit wieder zu seinen Kräften. Als er einige Tage lang untätig auf dem Ankerspill gesessen hatte (wobei er aber mit kräftigem Appetit aß!), sprang er plötzlich auf, streckte Arme und Füße aus, gähnte ein wenig, stürzte sich darauf vorn in das hochgezogene Boot und schwang mit den Händen eine Harpune, wobei er erklärte, daß er zum Kampf gerüstet wäre.

In einem Anfall von wildem Übermut benutzte er seinen Sarg nun als Seekiste. Er leerte seinen Kleidersack darin und legte alles zurecht. Dann verbrachte er viele Stunden damit, daß er den Deckel mit den merkwürdigsten Zahlen und Zeichnungen ausschnitzte. Und es schien so, als ob er in seiner rauhen Art den Versuch machte, Stücke von der komplizierten Tätowierung seines Körpers zu kopieren. Diese Tätowierung rührte von einem verstorbenen Propheten und Seher seiner Insel her, der durch diese Hieroglyphen auf seinem Körper eine vollständige Theorie des Himmels und der Erde und eine mystische Abhandlung über die Kunst, der Wahrheit nahezukommen, niedergeschrieben hatte. Somit war Queequeg in seiner eigenen Person ein Rätsel!

Aber er war nicht imstande, die Geheimnisse desselben selbst zu lesen, obwohl sein eigenes lebendiges Herz dagegenschlug. Diese Geheimnisse waren daher dazu bestimmt, schließlich mit dem lebendigen Pergament zu zerfallen, auf das sie geschrieben waren; sie konnten daher bis zur letzten Stunde nicht gedeutet werden.

Dieser Gedanke mußte auch Ahab gekommen sein, als er sich eines Morgens von dem Anblick des armen Queequeg mit dem wilden Ausruf abwandte: »Welch teuflische Versuchung der Götter!«


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