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Achtundvierzigstes Kapitel

Als wir an den Baschi-Inseln vorbeiglitten, tauchten wir schließlich in die erhabene Südsee. Wäre es nicht aus anderen Gründen geschehen, so hätte ich meinen lieben Pazifischen Ozean mit unendlichem Dank begrüßen können. Nun war ein lang verspürter Drang meiner Jugend erfüllt. Der heitere Ozean rollt tausend Meilen ostwärts von mir seine blauen Wogen.

In diesem Meer ist – man weiß nicht wie – ein süßes Geheimnis verborgen. Sein sanftes, wenn auch furchtbares Gewoge scheint von einer verborgenen Seele zu reden, so, wie die märchenhaften Wellen des Rasens von Ephesus über den begrabenen heiligen Johannes dahinrollen. Es ist ganz in der Ordnung, daß die Wellen über jene Meeresweiten und Wasserwiesen, die in die Weite rollen, steigen und fallen, und in fortlaufendem Wechsel Ebbe und Flut aufeinanderfolgt. Hier haben sich Millionen von Schatten, von ertränkten Träumen und Vorstellungen von Nachtwandlern miteinander verbunden. Alles, was wir Leben und Seelen nennen, liegt im Traum immer noch da; es stößt sich, wie die Schlafenden in ihren Betten; die ewig rollenden Wellen ließen das in ihrer Ruhelosigkeit geschehen.

Dem beschaulichen, wandernden Magier muß der heitere Stille Ozean, wenn er ihn sieht, das Meer seiner Wahl sein. Er wälzt die mittelsten Meere der Welt, und der Indische wie der Atlantische sind nur seine Arme. Dieselben Wellen, die die Molen der neu angelegten Städte Kaliforniens bespülen, Städte, die erst gestern von dem jüngsten Menschengeschlechte gegründet sind, berühren auch die eintönig gewordenen, wenn auch immer noch gewaltigen Ränder der Länder Asiens, Länder, die älter sind als Abraham. Während zwischen ihnen die Milchstraßen der Korallen-Inseln, die niedrige, endlose und unbekannte Inselwelt und das unerforschbare Japan treiben, so umfaßt der geheimnisvolle, göttergleiche Stille Ozean den Rumpf der ganzen Welt.

Alle Küsten sind wie eine einzige Bucht dazu. Er scheint mit seinen klopfenden Fluten das Herz der Erde zu sein. Von dem ewigen Wellenschlag emporgehoben, fühlt man sich notgedrungen dem verführerischen Gott ausgeliefert, und man beugt ehrfurchtsvoll vor Pan das Haupt. Aber Ahabs Gehirn wurde kaum von dem Gedanken an Pan bewegt, wie er, einer Statue aus Erz vergleichbar, neben dem Takelwerk am Kreuzmast an gewohnter Stelle stand. Mit dem einen Nasenflügel sog er gedankenlos den zuckersüßen Moschusduft von den Baschi-Inseln ein (in deren lieblichen Wäldern wohl sanfte Liebespaare wandelten!); während er mit dem anderen Nasenflügel bewußt den Salzgeruch des neuen Meeres einatmete, in dem der verhaßte weiße Wal sich zu dieser Zeit herumtreiben mußte.

Als er nun schließlich in diese Gewässer stürzte und in das japanische Kreuzgebiet hineinglitt, stand dem alten Mann das Ziel mit verstärkter Macht vor Augen. Die festen Lippen begegneten sich wie die Lippen eines Verbrechers. Das Delta seiner Adern auf der Stirn schwoll an wie ein Bach während der Flut. Und sogar im Schlaf dröhnte sein lauter Ruf durch das gewölbte Schiff: »Alle an Achterdeck! Der weiße Wal spritzt dickes Blut!«


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