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Siebzehntes Kapitel

Kurz nachdem die Sache mit der Pfeife passiert war, bald nach dem Frühstück, ging Ahab, wie es seine Gewohnheit war, über das Fallreep an Deck. Die meisten Kapitäne machen dann gewöhnlich ihren Spaziergang, wie die Landjunker in entsprechender Gewohnheit ein paarmal im Garten auf und abgehen.

Man hörte bald seinen lauten Gang mit dem künstlichen Bein. Er marschierte auf den Planken mit dem allen so vertrauten Tritt, daß die Bretter die merkwürdige Spur seines Weges wie ein geologisches Gestein aufzeichneten. Wer schon mal aufmerksam auf seine durchfurchte Stirn gesehen hatte, konnte auch merkwürdige Gangeindrücke darin feststellen. Die Eindrücke, die sein unruhiger, in fortwährender Bewegung befindlicher Geist darin abgezeichnet hatte.

»Haben Sie es bemerkt, Flask?« flüsterte Stubb. »Das Küken im Ei pickt schon an der Schale. Bald wird es auskommen!«

Die Stunden schleppten sich so dahin. Ahab schloß sich wieder in seine Kajüte ein, und als er dann von neuem auf Deck kam, hatte sein Blick dieselbe zweckbewußte Starrheit.

Bis zum Ende des Tages zog es sich hin. Plötzlich blieb er am Schiffsrumpf stehen und steckte sein künstliches Bein in das eingebohrte Loch in der Schiffsplanke. Faßte mit einer Hand ein Stück Segel und befahl Starbuck, alles auf das Achterdeck zu schicken.

»Kapitän!« sagte der Maat. Er war über einen Befehl erstaunt, der selten oder nie, höchstens in einem außergewöhnlichen Falle an Bord eines Schiffes gegeben wurde.

»Jedermann soll an Achterdeck!« wiederholte Ahab. »Von den Masten soll alles 'runterkommen!«

Als die ganze Gesellschaft vom Schiff versammelt war, sahen ihn neugierige und verständnislose Gesichter an. Ahab sah aus wie der Horizont, wenn ein Sturmwetter heraufzieht. Nachdem er schnell einen Blick über das Schiffsgerüst geworfen und die Augen auf die Mannschaft gerichtet hatte, verließ er seinen gewöhnlichen Standort. Als ob kein Mensch bei ihm wäre, nahm er seinen schweren Rundgang auf Deck wieder auf. Mit gebeugtem Kopf und in den Nacken gezogenem Hut ging er weiter und achtete nicht auf das erstaunte Geflüster der Leute. Da flüsterte Stubb Flask heimlich zu, daß Ahab sie nur herbeibefohlen hätte, um ihnen das Schauspiel eines Fußmarsches zu geben. Aber es dauerte nicht lange, da blieb er stehen und schrie mit lauter Stimme: »Was tut ihr, wenn ihr einen Wal seht, Leute?«

»Wir melden ihn an«, war die unmittelbare Antwort von einem Haufen massiger Stimmen.

»Gut!« rief Ahab und gab durch den Ton seine Zufriedenheit zu erkennen. Er hatte die freudige Lebhaftigkeit bemerkt, in die die unerwartete Frage sie so magnetisch versetzt hatte.

»Und was tut ihr dann?«

»Wir lassen die Boote 'runter, und dann geht's an ihn!«

»Und in welchem Takt rudert ihr dann, Leute?«

»Ein toter Wal oder ein zerschelltes Boot!«

Bei jedem Zuruf nahm die Miene des Alten immer mehr einen seltsamen und ungewöhnlich erfreuten Ausdruck als Zeichen der Zustimmung an. Indes sahen sich die Matrosen neugierig an, als ob sie sich darüber wunderten, daß sie über so selbstverständliche Fragen in Erregung gerieten.

Aber die Erregung wuchs, als Ahab sich wieder mit seinem künstlichen Bein in das Loch in der Schiffsplanke zurückzog, sich mit der einen Hand am Segel gerade aufrichtete und sich folgendermaßen an sie wandte:

»Ihr Leute vom Mast habt früher schon gehört, daß ich Befehle wegen eines weißen Wals gegeben habe. Aufgepaßt! Seht ihr diese spanische Goldunze?« – und damit hielt er eine große glänzende Münze in die Sonne – »es ist ein Sechzehndollarstück, Leute. Seht ihr sie? Starbuck, reichen Sie mir mal den Topphammer!«

Als der Maat den Hammer holte, rieb Ahab, ohne ein Wort zu sprechen, das Goldstück an seinen Rockschößen, als ob er den Glanz verstärken wollte. Ohne ein Wort zu sagen, brummte er etwas vor sich hin und brachte einen unartikulierten Ton hervor, der das mechanische Geräusch der Räder seiner Lebenskraft zu sein schien.

Dann ging er mit dem von Starbuck gereichten Hammer auf den Hauptmast zu, hielt das Goldstück mit der anderen Hand und rief mit erhobener Stimme: »Wer mir einen Wal mit einem weißen Kopf meldet, der eine gerunzelte Stirn und einen eingedrückten Unterkiefer hat, wer mir den Wal mit dem weißen Kopf meldet, dem an der Steuerbordflosse drei Löcher eingebohrt sind – hersehen! Wer von euch mir diesen weißen Wal meldet, soll dieses Goldstück haben, Jungens!«

»Hurra!« riefen die Matrosen und bejubelten den Vorgang, wie das Goldstück an den Mast genagelt wurde.

»Es ist ein weißer Wal, hört ihr!« schloß Ahab, als er den Hammer herunternahm. »Ein weißer Wal. Habt ihn wohl im Auge! Wenn ihr etwas Weißes im Wasser seht, paßt besonders auf! Wenn ihr nur eine Schwanzflosse seht, so meldet es.«

Tashtego, Daggoo und Queequeg hatten mit größerem Interesse und Staunen zugesehen als die übrigen. Als von der gerunzelten Stirn und dem eingedrückten Unterkiefer die Rede war, waren sie vor Schrecken aufgefahren, als ob jeder durch eine besondere Erinnerung in Aufregung versetzt worden wäre.

»Kapitän Ahab«, sagte Tashtego. »Der weiße Wal muß derselbe sein, den einige Moby-Dick nennen.«

»Moby-Dick?« rief Ahab. »Kennen Sie denn den Wal, Tash?«

»Fächelt er nicht so merkwürdig mit dem Schwanz, wenn er untertaucht?« sagte der Mann von Gay Head bedächtig.

»Und hat er nicht auch eine merkwürdige Fontäne?« sagte Daggoo, »eine so buschige, und ist er nicht für einen Spermwal unglaublich schnell, Kapitän?«

»Und er haben eins, zwei, drei, sehr viele Eisen in seinem Fell, Kapitän!« rief Queequeg abgerissen aus, »und wie –« er suchte nach einem Wort und machte mit der Hand eine Bewegung, als ob er eine Flasche aufziehen wollte. »Geradeso!«

»Wie ein Korkzieher!« rief Ahab. »Ja, Queequeg. Die zerbrochenen Harpunen stecken in seinem Leibe. Ja, Daggoo, seine Fontäne ist sehr groß, und hat ein Büschel, das wie eine Garbe Weizen aussieht, und ist weiß wie ein Haufen Schafwolle in Nantucket nach der Schafschur im Herbst. Ja, Tashtego, er fächelt mit dem Schwanz wie ein zerrissenes Klüversegel im Sturm. Tod und Teufel, Leute! Es ist Moby-Dick, den ihr gesehen habt! Moby-Dick! Wirklich Moby-Dick!«

»Kapitän Ahab«, sagte Starbuck, der mit Stubb und Flask seinen Herrn mit wachsendem Erstaunen angesehen hatte. Es kam ihm plötzlich ein Gedanke, der das ganze Wunder zu erklären schien.

»Kapitän Ahab, ich habe von Moby-Dick gehört. Aber es war nicht Moby-Dick, der dir das Bein abgerissen hat.«

»Woher weißt du das?« rief Ahab. Und nach einer Pause: »Ja, Starbuck, ja, kommt alle um mich herum, Jungens. Moby-Dick war es, der mir den einen Mast abgerissen hat. Moby-Dick hat mir zu dem schrecklichen Stumpf verholfen, auf dem ich jetzt dastehe. Ja!« rief er mit furchtbarem lauten tierischen Schluchzen, das dem Laute eines todwunden Elches glich. »Ja, ja! Es war der verfluchte weiße Wal, der mir das Bein abrasiert und für immer einen armen Krüppel aus mir gemacht hat.« Dann hob er beide Arme und rief in seiner Erregung die maßlose Verwünschung aus: »Ja, ja. ich will ihn lieber um das Kap der guten Hoffnung herumjagen, um das Kap Horn und um den norwegischen Maelstrom und durch die Flammen der Hölle, als daß ich ihn aufgebe!! Und aus diesem Grunde seid ihr eingeschifft worden, Leute! Und ihr sollt den weißen Wal zu beiden Seiten des Landes und auf der ganzen Erde jagen, bis er schwarzes Blut spuckt und nicht mehr weiter kann! Wollt ihr nun eure Hände an dieses Werk legen? Ihr seht mir tapfer aus!«

»Ja! Ja!« riefen die Harpuniere und Matrosen und liefen dicht an den Kapitän heran, der in Ekstase redete. »Den weißen Wal scharf im Auge behalten! Eine scharfe Lanze für Moby-Dick!«

»Gott segne euch«, sagte er halb unter Schluchzen und halb als ermunternden Zuruf. »Gott segne euch, Leute. Steward, geh und besorge mir ein großes Maß Grog! Was machst du denn für ein langes Gesicht, Starbuck? Willst du den weißen Wal nicht jagen? Ist Moby-Dick nichts für dich?«

»Wenn es sich um seinen eingedrückten Unterkiefer und alle anderen Kiefer des Todes handelt, soweit unser Geschäft damit etwas zu tun hat, mach' ich mit. Ich bin hier, um Walfische zu jagen, aber nicht, um die Rache meines Herrn zu befriedigen! Wieviele Fässer wird dir die Rache einbringen, wenn du ihn kriegst? Auf dem Markt in Nantucket wirst du nicht zuviel dabei herausholen!«

»Auf dem Markt in Nantucket? Pah! Aber komm näher, Starbuck, du verlangst einen weit niedrigeren Anteil. Wenn nach Geld gemessen werden soll und die ganze Welt mit Guineenstücken gespickt ist, dann laß dir gesagt sein, daß meine Rache eine große Prämie herausholen wird!«

»Er wirft sich in die Brust,« flüsterte Stubb, »was soll das heißen? Es klingt wohl sehr laut, aber hohl.«

»Sich an einem stumpfen Tier zu rächen,« rief Starbuck, »das dich in seinem blinden Instinkt niedergeworfen hat, ist Irrsinn! Daß man eines stumpfen Dinges wegen toll wird, kommt einem wie Gotteslästerung vor.«

»Pass' wohl auf, du mit deinem weit niedrigeren Anteil! Alle Dinge, die wir sehen, sind Masken aus Pappe. Bei jedem Ereignis, bei jeder Handlung kommt etwas zum Ausdruck, zu dem die Außenseite nur die Maske bildet. Wenn ein Mann einen Schlag ausführt, so muß er die Maske durchschlagen. Wie kann ein Gefangener entkommen, wenn er nicht durch die Mauer hindurchstößt? Diese Mauer ist für mich der Wal, der mir die Freiheit versperrt. Ich sehe ihn in seiner Stärke und Gefahr. Mit aller Bosheit, die ihm eigen ist. Sprich mir nicht von Gotteslästerung, Mann!! Ich würde nach der Sonne schlagen, wenn sie mir etwas getan hätte. Könnte das die Sonne tun, so stände mir das andere zu.

Wer will mir das verwehren, Mann? Die Wahrheit kennt keine Schranken. Was siehst du mich an? Der Blick eines Tölpels ist unerträglicher als der des Teufels! Du wirst rot und wieder bleich, du scheinst vor meiner Hitze in Zorn geraten zu sein. Aber sieh her, Starbuck! Ich habe dich nicht erzürnen wollen. Was man im Zorn sagt, hebt sich von selbst auf. Die wilden Leoparden, die an nichts denken und vor nichts Respekt haben, sind auch da. Und sie könnten dir keine Gründe angeben, warum sie so heißblütig und wild sind. Denk' an die Mannschaft, Mann! Sind sie nicht mit Ahab wegen des Walfisches verbunden? Sieh dir Stubb an, wie der lacht! Sieh dir den Mann von Chile drüben an, er grinst, wenn er nur daran denkt. Und wenn du bei der allgemeinen Begeisterung gegen mich ankämpfst, Starbuck, was soll denn das heißen? Wenn auf dieser armseligen Fahrt die beste Lanze von ganz Nantucket geworfen werden muß, so wird doch Starbuck nicht zurückstehen, wo jeder am Vordermast seinen Wetzstein gepackt hat?«

»Gott schütze mich und schütze uns alle«, sprach Starbuck langsam vor sich hin.

»Das Maß! Das Maß!« rief Ahab. Man reichte ihm den bis an den Rand gefüllten zinnernen Becher. Ahab wandte sich an die Harpuniere und befahl, die Waffen herzuholen. Er stellte sie bei der Ankerwinde vor sich auf; sie hatten die Harpunen in der Hand, und die drei Maate standen mit ihren Lanzen neben ihm, und die übrige Mannschaft bildete um sie herum einen Kreis. Einen Augenblick stand er da und sah jedem einzelnen scharf ins Auge. Die wilden Augen sahen ihn an, wie die blutunterlaufenen Augen der Präriewölfe ihren Führer ansehen, bevor er mit ihnen auf den Bison losstürmt, um nur zu bald in die verborgene Schlinge des Indianers zu fallen.

»Trinkt und laßt herumgehen!« rief er und reichte das bis an den Rand gefüllte Maß dem nächsten Matrosen. »Die Mannschaft soll allein trinken! Laßt ihn weitergehen! Kurz angesetzt und große Schlucks, Leute! Es geht ja prächtig weiter! Gut gemacht; fast leer! So kam es her und so geht es weiter! Her damit! Nun ist er leer. Ihr kommt mir wie die Jahre vor, Leute! Erst schäumt es so von Leben, und dann ist es auf einmal vorbei. Steward, nochmal füllen!

Kommt nun her, ihr Braven! Ich habe euch alle hierherkommen lassen. Ihr Maate stellt euch mit euren Lanzen um mich herum, und ihr Harpuniere kommt mit euren Eisen, und ihr, wackere Seeleute, bildet einen Ring um mich, daß ich einem alten Seemannsbrauch meiner Väter aufs neue zum Leben verhelfe. Ihr werdet sehen – her mit dem Becher! Kommt her, Maate! Haltet eure Lanzen übereinander! Gut so. Laßt mich die scharfe Schneide berühren!«

Damit faßte er die drei Lanzen an ihren scharfen Spitzen. Zu gleicher Zeit wanderte sein Blick von Starbuck zu Stubb und von Stubb zu Flask. Es schien, als ob er durch eine unbekannte innere Kraft sie in dieselbe Erregung versetzen wollte, wie es durch die Energie einer Leydener Flasche geschieht. Die drei Maate wichen vor seinem starken und mystischen Blick einen Schritt zurück. Stubb und Flask sahen seitwärts, und das ehrliche Auge von Starbuck blickte auf den Boden.

»Vergeblich!« rief Ahab. »Aber vielleicht ist es gut so. Hättet ihr drei den vollen Schlag mitgekriegt, so hätte mein Magnetismus euch vielleicht erschlagen. Vielleicht ist es nicht mal nötig gewesen. Die Lanzen herunter! Und nun, ihr Maate, ich ernenne euch zu den drei Mundschenken der drei heidnischen Herren, meiner tapferen Harpuniere. Weshalb sollte ich den Versuch nicht machen? Hat doch der große Papst die Füße von Bettlern gewaschen und seine Tiara als Wasserkanne benutzt. Schneidet die Riemen ab und streckt die Harpunen vor, ihr Harpuniere!«

Die drei Harpuniere gehorchten stumm seinem Befehl und standen mit freigemachten Schneiden, die ungefähr drei Fuß lang waren, vor ihm.

»Stecht mich nicht mit der scharfen Spitze! Kantet sie! Kennt ihr nicht den Schluß der Zeremonie? Gebt den Becher her! Nun, ihr Mundschenke, vorwärts! Haltet das Eisen her, während ich nachfülle!«

Damit ging er langsam von einem Offizier zum anderen und schüttete das heiße Wasser aus dem Becher über die hohlen Harpunenrücken.

»Da steht ihr nun zu dreien da und laßt euch die mörderischen Kelche gefallen! Der Bund ist nun geschlossen, der unlösbare Bund! Ja, Starbuck, jetzt ist die Handlung vorbei. Trinkt, Harpuniere, trinkt und schwört: ›Tod dem Moby-Dick! Gott soll uns jagen, wenn wir nicht Moby-Dick bis zu seinem Tode jagen!‹«

Man hob die langen ehernen Becher mit der Eisenspitze in die Höhe, und Rufe und Verwünschungen gegen den weißen Wal wurden laut. Unter einem Zischen stürzte man zu gleicher Zeit das heiße Getränk herunter. Starbuck wurde bleich, wandte sich um, und ein Schauder ergriff ihn. Der neugefüllte Becher wurde noch einmal herumgereicht unter der in Ekstase geratenen Mannschaft.

Da erhob Ahab die eine Hand, die er noch frei hatte, worauf sich alle zerstreuten, und er selbst sich in seine Kabine zurückzog.


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