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Einundvierzigstes Kapitel

Bei einem Walschiff ist es nicht üblich, daß alle in die Boote gehen. Einige wenige bleiben zurück, die die Aufgabe haben, die Arbeit auf dem Schiff zu verrichten, während die Boote den Wal verfolgen. Im allgemeinen ist diese »Bordmannschaft« ebenso kühn wie die Leute in den Booten. Aber wenn sich ein ungeschickter, plumper und ängstlicher Kerl auf dem Schiff befindet, so gehört er bestimmt zur Bordmannschaft. So verhielt es sich auf dem »Pequod« bei dem kleinen Neger Pippin, den man kurz »Pipp« nannte. Armer Pipp!

Von außen gesehen, waren Pipp und der Schiffsjunge ein Paar, wie ein schwarzer und ein weißer Pony. Obwohl sie von verschiedener Farbe waren, hatten sie doch dieselbe Entwicklung durchgemacht und gehörten zu demselben exzentrischen Gespann. Aber während der unglückliche Schiffsjunge von Natur aus dumpf und stumpf war, war Pipp, wenn er auch sehr weichherzig war, im Grunde ein heller Kopf und hatte das angenehme, naive, lustige Naturell, das seiner Rasse eigentümlich ist. Zufälligerweise verstauchte sich der Bootsmann am Heck von Stubb die Hand, so daß er eine Zeitlang ganz gelähmt war. Daher mußte Pipp vorübergehend an seine Stelle.

Als Stubb zum erstenmal mit ihm zu Wasser ging, war Pipp sehr nervös. Aber zum Glück kam er mit dem Wal damals nicht in nähere Berührung. Wenn er auch davonkam, ohne seinen Kredit ganz und gar untergraben zu haben. Stubb nahm ihn sich später vor und ermahnte ihn, seinen Mut bis aufs äußerste zu kultivieren; denn der könnte ihm manchmal sehr nützlich sein.

Als man ein zweites Mal die Boote zu Wasser ließ, paddelte das Boot auf den Wal zu. Und als dieser die spitze Harpune bekam, gab es wie gewöhnlich einen Schlag, und der wirkte gerade unter dem Sitz des armen Pipp. Die unwillkürliche Verwirrung des Augenblickes bewirkte es, daß er mit dem Paddelruder in der Hand aus dem Boot sprang. Und zwar so, daß ein Teil der schlaffen Walfischleine ihm gegen die Brust lief und mit ihm über Bord flog, so daß er darin verwickelt wurde und schließlich ins Wasser plumpste. In diesem Augenblick eröffnete der getroffene Wal ein irrsinniges Rennen, die Leine zog sich in einem Nu straff zusammen und der arme Pipp schäumte gegen den Staukeil des Bootes, wobei er von der Leine rücksichtslos mitgezogen wurde, die sich schon verschiedene Male um Brust und Hals gewickelt hatte.

Tashtego stand im Bug; er war auf die Jagd wie versessen; er haßte Pipp, weil er ein Feigling war. Er zog das Bootsmesser aus der Scheide, hielt das scharfe Ende über die Leine und wandte sich an Stubb und fragte: »Abschneiden?« Inzwischen sah ihn Pipp mit seinem blauen Gesicht mit allem Ausdruck des Entsetzens an, als ob er sagen wollte: »Um's Himmels willen, tue es!« Das ging in weniger als einer halben Minute vor sich.

»Verdammt noch mal, abschneiden!« brüllte Stubb.

So ging denn der Wal verloren, und Pipp wurde gerettet. Als sich der kleine arme Neger erholt hatte, wurde er von der Mannschaft mit Zurufen und Schmähungen empfangen. Stubb ließ es in seiner Ruhe zu, daß die Flüche zur Entladung kamen. In seiner klaren, geschäftsmäßigen, wenn auch halbhumoristischen Art schnauzte er Pipp offiziell an, und als das geschehen war, gab er ihm inoffiziell einen gesunden Rat. Es handelte sich darum, daß Pipp niemals aus einem Boot springen sollte, ausgenommen – aber das ließ sich nicht genau sagen, was mal das beste sein kann. Im allgemeinen ist der beste Rat bei der Waljagd: »Halt' dich an das Boot!« Aber manchmal kommt es vor, daß es noch besser ist: »Spring' aus dem Boot!« Als Stubb merkte, daß eine bestimmte gewissenhafte Verhaltungsmaßregel für Pipp unvorteilhaft wäre, ließ er alle Ratschläge fahren und sagte schließlich in einem gebieterischen Kommandoton: »Halte dich an das Boot, Pipp, oder ich hebe dich nicht wieder auf, wenn du nochmals 'runterspringst. Denk' daran! Wir können unmöglich durch Leute wie dich Walfische verlieren. Ein Wal ist dreißigmal soviel wert in Alabama wie du, Pipp. Merk' dir das – und springe nicht noch einmal!« Stubb wollte dadurch indirekt andeuten, daß der Mensch, wenn man auch seinen Nächsten lieb hat, trotzdem ein Geschöpf von einem bestimmten Wert ist.

Aber wir sind nun mal der Macht der Götter preisgegeben, und so fing Pipp wieder an zu springen; es war ein ähnlicher Vorgang wie bei der ersten Vorstellung. Aber diesmal streifte die Leine nicht seine Brust. Als der Wal anfing zu laufen, wurde Pipp im Meer zurückgelassen wie ein Reisekoffer in der Eile. Leider hielt sich Stubb zu eng an sein Bord. Der Tag war herrlich, überwältigend schön und blau. Die See funkelte und war ruhig und kühl. Sie streckte sich lässig ringsum bis zum Horizont, und war platt wie der Goldstreifen eines Goldschmiedes, der bis zum äußersten ausgehämmert ist.

Pipps Kopf, von der Farbe des Ebenholzes, tauchte in der See mal auf, mal nieder, und sah aus, wie die Krone einer Gewürznelke. Man zog kein Bootsmesser, als er so schnell am Heck niedersank. Der Rücken Stubbs war ihm rücksichtslos zugekehrt, und der Wal hatte es sehr eilig. In drei Minuten gab es zwischen Pipp und Stubb einen Zwischenraum von einer ganzen Meile. Der arme Pipp streckte mitten auf dem Meer seinen schwarzen Kopf mit den gekräuselten Locken in die Sonne, die gleichfalls ein vereinsamter Schiffbrüchiger war, nur der höchste und glänzendste.

Wenn die See ruhig ist, so ist es ebenso leicht für einen geübten Schwimmer, im offenen Ozean zu schwimmen, wie in einem Federwagen an Land zu fahren. Aber die Einsamkeit ist scheußlich und unerträglich. Wenn man mit seinem Ich einer solch erbarmungslosen Unendlichkeit preisgegeben ist, so ist das schrecklich. Aber hatte Stubb denn wirklich den armen kleinen Neger seinem Schicksal überlassen? Nein, das hatte er schließlich nicht beabsichtigt. Weil zwei Boote in seinem Kielwasser waren und er zweifellos annahm, daß sie sehr schnell Pipp einholen und ihn aufnehmen würden, hat er sich keine Sorge gemacht. Solche Fälle kommen ziemlich oft vor. Fast überall wird ein Feigling in der Fischerei mit demselben Abscheu behandelt, wie es bei den Kriegsmarinen und den Heeren zu Lande der Fall ist.

Aber es trug sich zu, daß die Boote Pipp nicht sahen und plötzlich dicht in der Nähe auf der einen Seite Wale sichteten, worauf sie kehrt machten und die Jagd eröffneten. Das Boot von Stubb war so weit ab, und er war mit seiner Mannschaft auf den Fisch so versessen, daß Pipps enger Horizont anfing, sich in kläglicher Weise zu erweitern. Als noch die allergeringste Möglichkeit bestand, wurde er schließlich von dem Schiff gerettet. Aber von der Stunde an schlich der kleine Neger wie ein Idiot an Deck herum. Und er war es schließlich auch, wie man sagte.

Das Meer hatte in spöttischer Weise seinen sterblichen Körper aufgehoben, aber seine unendliche Seele ertränkt.


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