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Sechzehntes Kapitel

Während des angenehmeren Wetters kam ich mit den anderen Matrosen in entsprechender Ablösung mit meiner ersten Mastwache an die Reihe.

Wenn das Schiff den Hafen verläßt, ist es bei den meisten amerikanischen Walschiffen üblich, zugleich die Mastspitzen mit einer Wache zu besetzen. Wenn das Schiff auch fünfzehntausend Seemeilen vor sich hat, bis es an sein Ziel kommt, und es nach einer Fahrt von drei, vier oder fünf Jahren leer heimwärts fährt, so läßt man die Wache auf dem Mast doch bis zuletzt. Bevor nicht die Skisegel unter den Kirchtürmen des Hafens auftauchen, gibt das Schiff die Hoffnung nicht auf, noch einen Walfisch zu fangen.

Die drei Mastspitzen werden von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang besetzt gehalten. Die Matrosen lösen sich gegenseitig ab, und zwar alle zwei Stunden. Bei dem herrlichen Wetter in den Tropen ist der Aufenthalt dort oben ein Vergnügen. Für einen nachdenklichen und für schöne Träume empfänglichen Menschen ist es sogar ein Entzücken. Hundert Fuß über dem stillen Deck stehst du da und schreitest durch die Tiefe, als ob die Masten riesenhafte Stelzen wären. Unter dir und zwischen deinen Beinen schwimmen die größten Ungeheuer des Meeres, wie die Schiffe einstmals zwischen den Beinen der berühmten Kolossalfigur auf Rhodos hindurchsegelten. Da stehst du da und hast den Blick in das unendliche Meer verloren. Das träumerische Schiff rollt lässig durch die Wogen, und die schläfrigen Handelswinde wehen. Alles ist dazu angetan, dich in den Zustand der Faulheit zu versetzen. Bei dem Walfischleben in der tropischen Welt erlebst du meistens eine herrliche Ereignislosigkeit. Du hörst keine Nachrichten, du liest keine Zeitungen, und du brauchst dich nicht durch die abgeschmacktesten Gemeinplätze unnötig aufregen zu lassen. Dich quälen keine in Bankerott geratenen Staatspapiere und keine gefallenen Aktien. Du brauchst dir keine Gedanken darüber zu machen, was du zu Mittag kochen sollst; denn was du für drei Jahre und darüber brauchst, ist aufs angenehmste in Fässern verwahrt, und dein Fahrgeld ist keinen Schwankungen unterworfen.

Wenn man drei oder vier Jahre auf einem Walschiff in der Südsee gefahren ist, so hat man insgesamt wohl mehrere Monate oben am Mast zugebracht. Es ist ja jammerschade, daß man den Ort, an dem man einen guten Teil seines mit der Natur so eng verbundenen Lebens verbringt, so unbehaglich und unwohnlich eingerichtet hat. Es kommt kein gemütliches Gefühl auf, wie es ein Bett, eine Hängematte, eine Sänfte, ein Schilderhaus, ein Pult, eine Kutsche oder wie es so viele kleine und niedliche Vorrichtungen verleihen, in die sich die Menschen zeitweilig vor der Welt zurückziehen. Der gewöhnliche Standort ist die Mastspitze, wo man auf zwei parallel gerichteten Stangen steht. Im Anfang hat man das Gefühl, als ob man auf spitzen Ochsenhörnern stände. Bei kaltem Wetter hat man ja ein Haus in Gestalt des Wachtmantels. Aber der dickste Wachtmantel bedeutet nicht mehr als ein unbekleideter Körper. Wie die Seele in das Gehäuse des Fleisches eingeschlossen ist und keine Bewegungsfreiheit hat, und wenn sie hinaus will, Gefahr läuft, zugrunde zu gehen, wie ein unerfahrener Bergsteiger in den schneebedeckten Alpen zur Winterszeit, so ist ein Wachtmantel nicht mehr als ein Umschlag oder ein Futteral, das einen einschließt.

Es ist sehr schade, daß es an den Mastspitzen eines Walschiffes der Südsee nicht die beneidenswerten kleinen Zelte gibt, die sogenannten Rabennester, in denen die Beobachter eines Grönlandfahrers gegen die Unbilden des kalten Wetters geschützt sind. Es gibt eine Erzählung von Kapitän Sleet mit dem Titel »Eine Fahrt durch die Eisberge zur Aufsuchung des Grönlandwales, mit der besonderen Absicht, die verlorenen Eiskolonien des alten Grönlands wieder zu entdecken.« In diesem prächtigen Buch haben alle Beobachter am Mast ihren Standpunkt in dem kürzlich erfundenen Rabennest des Glacier, wie das Schiff des Kapitäns Sleet hieß. Er nannte es sich selbst zu Ehren Sleets Rabennest.

Sleets Rabennest hat die Form eines großen Fasses. Nach oben hin ist es offen, wo ein beweglicher Seitenschirm angebracht ist, um sich den Kopf gegen den heftigen Sturm zu schützen. Es ist an der Spitze des Mastes, und man muß durch eine Falluke von unten hineinsteigen.

Wenn wir Südsee-Walfischfänger nicht so gemütlich eingerichtet sind wie der Kapitän Sleet und seine Grönlandfahrer, so wird dieser Nachteil durch die im großen Gegensatz dazu stehende Heiterkeit der verlockenden Meere aufgewogen. Wenn ich in völliger Muße die Takelage hinaufkletterte und mich oben einen Augenblick ausruhte, um mit Queequeg oder mit einem anderen, der gerade frei war, ein Gespräch zu führen, dann stieg ich etwas höher und schlug das eine Bein über die Spiere des Toppsegels, genoß die Aussicht über die grüne Meeresfläche und kletterte dann zu meinem höchsten Bestimmungsort hinauf.

Wenn ich mich frei aussprechen darf, so muß ich bekennen, daß ich ein kläglicher Wachtposten war. Wenn einer das Unendlichkeitsproblem wie ich in der Brust trägt, wie konnte ich da meinen Verpflichtungen nachkommen und den ständigen Befehl der Walschiffe ausführen. »Hab' das Wetter im Auge und mach' jederzeit Meldung!«

Laßt mich an dieser Stelle eine Mahnung an euch richten, ihr Schiffsbesitzer von Nantucket. Nehmt keinen jungen Mann mit dünnen Augenbrauen und hohlen Augen auf euren wachsamen Fischereien an! Er ist unfruchtbarem Nachdenken ausgeliefert, und wenn er sich anbietet, hat er den Phädon und nicht die Bugrinne im Kopf. Nehmt euch vor solch einem Kerl in acht. Man muß die Wale gesehen haben, bevor man sie tötet. Solch ein blickverlorener Jünger Platos fährt zehnmal um die Welt und macht euch nicht um eine Pinte Öl reicher. Diese Ermahnungen sind heute wohl angebracht. Die Walfischerei ist heute ein Asyl für viele romantisch veranlagte, melancholische und geistesabwesende junge Leute, die einen Abscheu vor der Last des bürgerlichen Berufes haben und bei Teer und Fischflosse Befriedigung suchen!

»Nun, du Affe,« sagt ein Harpunier zu einem von ihnen, »wir sind nun drei Jahre lang am Kreuzen und du hast noch keinen Wal gemeldet. Wale sind schwer zu finden, wie Stecknadelköpfe, wenn du auf Wache bist!« Vielleicht sind sie es auch; aber er ist in eine opiumähnliche Gleichgültigkeit und leere Träumerei versunken. Zugleich schläfern dem geistesabwesenden Jüngling die betörenden Wellen mit ihrem gleichen Rhythmus die Gedanken ein, so daß er schließlich seine Identität verliert. Er nimmt den geheimnisvollen Ozean zu seinen Füßen für das sichtbare Bild der tiefen blauen und unergründlichen Seele, die den Menschen und die Natur durchdringt. In diesem Zustand ebbt dein Geist dahin zurück, woher er kam und rinnt durch die Schranken von Zeit und Raum.


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