Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Die phantastischen Gestalten stürzten sich auf die andere Seite des Deckes und warfen mit geräuschloser Behändigkeit das Takelwerk und die Seile, an die das Boot gebunden war, los. Dies Boot war immer als Reserveboot gedacht gewesen, obgleich man es als das »Kapitänsboot« bezeichnete, weil es auf der Steuerbordseite hing. Die Gestalt, die nun am Bug des Bootes stand, war groß und dunkelfarbig; ein weißer Zahn ragte ihr auf häßliche Weise über die stahlartigen Lippen. Eine zerknitterte Chinesenjacke von schwarzer Wolle umhüllte den Kerl wie bei einem Begräbnis, und dazu hatte er weite, schwarze Hosen von demselben dunklen Stoff. Um der Seltsamkeit den Gipfel aufzusetzen, trug er einen glitzernden, weißen, zusammengeflochtenen Turban, und das Haar war ihm in Streifen rund um den Kopf gelegt. Seine Gefährten waren wohl nicht so dunkelfarbig, hatten aber dieselbe tigergelbe Hautfarbe, die den Urbewohnern von Manila eigentümlich ist. Eine Rasse, die wegen ihrer verteufelten Verschlagenheit bekannt ist und von ehrlichen weißen Matrosen für bezahlte Spione und geheime Agenten des Teufels, der ihr Herr ist, gehalten wird.

Während die erstaunte Schiffsmannschaft diese Fremdlinge anstarrte, rief Ahab dem Alten an ihrer Seite mit dem weißen Turban zu:

»Alles fertig, Fedallah?«

»Fertig«, war die halb gezischte Antwort. »Runterlassen, hörst du?« rief er über das Deck. »Runterlassen da, sage ich!«

Seine Stimme war so laut, daß trotz der allgemeinen Verwirrung die Leute über die Reling sprangen. Die Rollen wirbelten in den Blöcken, und die drei Boote fielen baumelnd in die See, während die Matrosen mit einer waghalsigen Schnelligkeit, die bei einem anderen Beruf unbekannt ist, wie die Ziegen längsseits des stampfenden Schiffes unten in die hin- und hertanzenden Boote sprangen. –

Kaum waren sie von der Leeseite des Schiffes weggerudert, da kam von der Achterseite ein viertes Boot mit den fünf rudernden Fremden. Ahab, der hinten im Heck in aufrechter Haltung dastand, rief Starbuck, Stubb und Flask laut zu, sie sollten weit auseinanderrudern und eine große Wasserfläche bestreichen. Aber die Insassen der anderen Boote hatten ihre Blicke auf den dunkelfarbigen Fedallah und seine Leute gerichtet und achteten nicht auf den Befehl.

»Kapitän Ahab?« sagte Starbuck.

»Auseinanderrudern!« rief Ahab, »vorwärts alle vier Boote, halt dich mehr an der Leeseite, Flask!«

»Ja, ja, Kapitän!« rief der kleine King-Post und legte sein großes Steuerruder um. »Etwas zurück!« so wandte er sich an seine Leute. »Da! da! wieder dahin! Dort bläst sie! Zurück!«

»Seht nicht nach den gelben Burschen, Archy!«

»Oh, ich seh' nicht dahin, Herr«, sagte Archy. »Ich wußte es schon vorher. Ich hab' sie doch da unten gehört, und habe ich Cabaco nicht davon erzählt? Was sagst du, Cabaco? Das sind blinde Passagiere, Mister Flask.«

»Los, meine lieben Freunde! Feste, Kinder! Feste, meine lieben Jungen!« rief Stubb beschwichtigend seiner Mannschaft zu, die zum Teil schon Zeichen von Unbehaglichkeit an den Tag legte. »Mir scheint, als ob ihr euch den Hals brechen wollt, Jungens? Wo starrt ihr denn so hin? Doch nicht nach diesen Kerlen da unten im Boot? Ruhig, Kinder! Das sind nur fünf Hände mehr für uns. Woher die kommen, soll uns nicht kümmern. Je mehr, um so lieber! Los denn, feste! Kümmert euch nicht um den Drachen. Die gelben Kerle sind trotzdem anständig. So, soweit haben wir es jetzt gebracht! Hurra, Leute, lustig! Ruhig, ruhig! Nicht so hastig. Seid nicht so hastig! Warum legt ihr euch nicht in die Riemen, ihr Schurken? Fest angefaßt, ihr Hunde! So, so, so ist's richtig! Ruhig, ruhig! So ist's richtig – richtig! Lang und kräftig! Vorwärts, nochmals vorwärts! Der Teufel soll euch holen, ihr Lumpenkerle. Ihr schlaft ja alle! Laßt das Schlafen, ihr Träumer! Rudern, rudern! Wollt ihr nicht rudern, könnt ihr nicht? Warum rudert ihr nicht, zum Henker nochmal? Rudern, und wenn die Riemen krachen! Rudern! Die Augen aufgemacht!«

Dann zog er sein scharfes Messer aus der Gürteltasche und sagte: »Jeder Muttersohn von euch – das Messer 'raus und die Klinge zwischen die Zähne genommen, so – so! So wird das gemacht, nun drauflos, meine lieben Jungen, drauflos!«

Stubbs Kommandos sind hier in aller Umständlichkeit wiedergegeben, weil er eine merkwürdige Art hatte, mit seinen Leuten zu reden und den Takt des Ruderns auf eine besondere Art hielt. Aber man darf nicht annehmen, daß seine Mannschaft auf ihn wütend geworden wäre. Das war nicht seine Absicht, und darin bestand seine Eigentümlichkeit. Er wollte seinen Leuten die schrecklichsten Dinge mit einem Tone sagen, der aus Schmerz und Wut seltsam gemischt war, so daß kein Ruderer solche komischen Ermunterungen anhören konnte, ohne wie ein Wilder zu rudern, und doch nur aus Spaß zu rudern.

Außerdem sah er selbst so wenig angestrengt aus, wie er sich an sein Steuerruder hinflegelte und den Mund so weit aufriß, daß der bloße Anblick eines solchen Befehlshabers schon durch den reinen Gegensatz seinen Reiz auf die Mannschaft nicht verfehlte.

Auf ein Zeichen von Ahab hin ruderte nun Starbuck schräg auf das Boot von Stubb zu. Und als dann eine Minute lang die beiden Boote ziemlich dicht aneinander waren, begrüßte Stubb den Maaten.

»Starbuck, das Backbordboot da, hören Sie mal! Ein Wort mit Ihnen, bitte.«

»Hallo!« rief Starbuck zurück und wandte sich nicht einen Zoll breit zur Seite, als er sprach. Im vollen Ernst und mit leiser Stimme erteilte er im bestimmten Tone seinen Leuten die Befehle. Sein Gesicht war starr auf Stubb gerichtet.

»Was halten Sie von den Gelben?«

»Sind irgendwie an Bord geschmuggelt, bevor das Schiff abfuhr.« (»Feste, feste, Jungens!« flüsterte er seinen Leuten zu.) Dann sprach er wieder laut: »Eine faule Sache, Mister Stubb.« (»Fest angefaßt! Feste, Jungens!«) »Aber trotz alledem kann es gut gehen, Mister Stubb. Ihre Leute sollen feste anfassen, mag kommen, was will.« (»In die Riemen, Leute, in die Riemen!«) »Es wird Oxhöfte von Walfischöl geben, Mister Stubb. Deswegen kam man ja auch her.« (»Feste, Jungens!«) »Um Öl handelt es sich? Das ist ja unsere Pflicht. Pflicht und Gewinn, Hand in Hand!«

»Ich dachte das auch«, sagte Stubb vor sich hin, als die Boote auseinanderkamen, »sobald ich sie sah, war ich derselben Ansicht. Ja, und deswegen ging er so oft hinten in den Kiel, wie der Junge es seit langem vermutet hatte. Die waren da unten versteckt! Der weiße Wal hat etwas damit zu tun. Nun mag kommen, was will! Es ist nichts zu machen! Gut denn! Vorwärts, Leute! Heute handelt es sich noch nicht um den weißen Wal, vorwärts!«

Nun hatte das Erscheinen der sonderbaren Fremdlinge in einem so kritischen Augenblick, als die Boote vom Deck heruntergelassen wurden, eine Art abergläubische Verwirrung bei einigen Leuten der Mannschaft hervorgerufen. Die phantastische Entdeckung Archys, der einige Zeit vorher anderen davon erzählt hatte, obwohl er damals keinen Glauben fand, hatte sie bis zu einem gewissen Grade auf das Ereignis vorbereitet. Sie nahm dem Wunder das Überraschende, und so wurden sie dadurch wie auch durch die vertrauensvolle Art Stubbs, seinem Erscheinen Rechnung zu tragen, zur Zeit von abergläubischen Mutmaßungen befreit, wenn auch die Angelegenheit noch nicht völlig geklärt war und die bestimmte Mitwirkung des dunklen Ahab in dieser Angelegenheit von Anfang an sehr zur Kritik herausforderte. Ich dachte im stillen an die geheimnisvollen Schatten, die ich während des trüben Morgens in Nantucket in der Dämmerung an Bord des »Pequod« hatte schleichen sehen, wie an die rätselhaften Andeutungen des unberechenbaren Elias.

Indessen war Ahab, wie man aus dem Verhalten seiner Offiziere, die sich vorn an der Leeseite hielten, entnehmen konnte, immer noch an der Spitze der anderen Boote. Dieser Umstand ließ erkennen, daß die Mannschaft, die ihn ruderte, ausgezeichnet war. Diese Menschen, die gelb wie Tiger waren, schienen alle aus Stahl und Knochen zu bestehen, wie fünf Hämmer gingen sie mit regelmäßig geführten Schlägen auf und nieder und trieben das Boot wie einen Dampfer durch das Wasser. Fedallah, der das Ruder des Harpuniers führte, hatte die schwarze Jacke abgeworfen und ließ seine offene Brust und den übrigen Teil des Körpers über dem Dollbord spielen, der sich von den wechselnden Senkungen des Wasserspiegels klar abhob. Am anderen Ende des Bootes hatte Ahab wie ein Fechter den einen Arm in die Luft geworfen, halb nach der Backbordseite hin, als ob er bei einem etwaigen Schwanken das Boot im Gleichgewicht halten wollte; man sah, wie er das Steuerruder mit männlicher Kraft lenkte, so wie er es tausendmal gemacht hatte, wenn die Boote herabgelassen wurden, ehe der weiße Wal ihm das Bein abgerissen hatte. Da gab der ausgestreckte Arm ein merkwürdiges Zeichen und blieb in ausgestreckter Haltung, worauf die fünf Ruderer zu gleicher Zeit die Ruder einlegten. Boot und Mannschaft saßen bewegungslos auf dem Meere. Zugleich hielten die drei Boote, die sich hinten ausgebreitet hatten, in ihrer Fahrt ein. Die Wale hatten sich in unregelmäßigen Abständen in der blauen See niedergelassen und gaben kein deutliches Zeichen von Bewegung, obwohl Ahab von dichter Nähe aus es hätte bemerken müssen.

»Jeder Mann sieht in die Richtung seiner Ruder!« rief Starbuck. »Queequeg, aufstehen!« Der Wilde sprang auf den dreieckigen aufgerichteten Kasten im Bug, blieb in aufrechter Haltung dort stehen und starrte mit gierigen Augen auf die Stelle, wohin die Jagd ihr Ziel genommen hatte. Starbuck nahm auch an der äußersten Ecke des Bootes, wo eine Stelle in gleicher Höhe mit dem Dollbord dreiecksförmig eingerichtet war, seinen Standort ein und balancierte seinen Körper bei der heftigen Schwankungen seines kleinen Fahrzeuges mit Kaltblütigkeit und Geschick und sah ruhig und gefaßt in die blaue See hinein.

Nicht weit davon lag auch das Boot von Flask in atemloser Stille. Flask stand unruhig oben auf einem im Kiel eingerichteten Untersatz, dem »Loggerhead«, der sich zwei Fuß über dem Achterteil des Bootes erhob. Die Stelle ist dafür da, um die Walfischleine beim Abspulen in der Gewalt zu behalten. Oben ist kaum mehr Platz als auf dem Rücken einer Hand, und als Flask nun auf solch einer Plattform stand, schien es, als ob er auf der Mastspitze eines Schiffes wäre, das schon bis zu den Flaggenknöpfen gesunken ist. Aber King-Post war klein und kurz, und doch war er zugleich von einem um so größeren Ehrgeiz erfüllt, so daß der Standort im Boot ihm keineswegs genügte.

»Ich kann ja keine drei Wellen weit sehen. Lang' mir mal ein Ruder her und laß mich hinauf!«

Darauf kam Daggoo schnell von der Achterseite, faßte mit beiden Händen an das Dollbord, um Halt zu gewinnen, und bot, indem er sich aufrichtete, seine hohen Schultern als Plattform an.

»Das ist ein guter Mast, Herr. Wollen Sie nicht hinaufsteigen?«

»Das soll geschehen, und vielen Dank, mein lieber Junge. Nur wollte ich, du wärest noch fünfzig Fuß größer.«

Daggoo stemmte seine Füße fest gegen die Planken des Bootes, bückte sich ein wenig und hielt dem Fuß Flasks das flache Ruderblatt hin, worauf Flask in das schwarze Haar des riesenhaften Negers faßte und mit einem geschickten Schwung oben auf der Schulter desselben ankam. Da stand nun Flask oben, und Daggoo bot ihm mit dem aufgehobenen Arm eine Art Brustwehr, woran er sich lehnen und festhalten konnte.

Indessen sah der dritte Maat, Stubb, nicht mit so großer Unruhe in die Ferne. Die Wale hätten ruhig untertauchen können, er wäre darüber doch nicht in Schrecken geraten, und wenn so etwas eingetreten wäre, so hätte Stubb in solchen Fällen wohl entschlossen die eintretende Unruhe mit seiner Pfeife gedämpft. Er zog sie aus seiner Hutschnur, wo er sie gewöhnlich wie eine Feder angebracht hatte. Er stopfte sie und vollendete das Stopfen mit dem Daumen, aber kaum hatte er sein Streichholz an dem rauhen Schmirgelpapier seiner Hand angezündet, als Tashtego, sein Harpunier, dessen Augen wie zwei Fixsterne aufleuchteten, plötzlich wie ein Blitz aus seiner aufrechten Haltung aufschoß und in wilder Hast rief: »Die Ruder 'runter, und los! Da sind sie!!«

Ein Landbewohner hätte in diesem Augenblick weder einen Wal noch die geringste Spur von einem Hering gesehen. Es war nichts zu sehen als Schaum von grünlichweißem Wasser, darüber lagerte sich Wasserdampf in dünnen Wolken, der nach der Leeseite fortgetrieben wurde und sich auflöste wie eine verirrte Windwolke vor weißen anrollenden Wellen. Die Luft ringsum fing plötzlich an zu zittern und zu tönen, wie über stark erhitzten Eisenplatten. Unter dieser schwingenden und kräuselnden Luft und einer dünnen Wasserschicht kamen die Wale herangeschwommen. Wenn man die ausgepufften Wolken von Wasserdampf, die allen anderen Erscheinungen vorausgingen, betrachtete, so hätte man sie für vorauseilende Kuriere und vom Gros losgelöste Vorreiter halten können.

Alle vier Boote hatten es nun auf die eine Stelle scharf abgesehen, wo Wasser und Luft in Bewegung waren, aber es war unmöglich, ihnen den Rang abzulaufen. Das flog weiter und weiter, wie ein Haufen Wasserblasen, die sich mischen und in einer schnellen Strömung niedersinken.

»Feste, feste, liebe Jungens!« sagte Starbuck mit einem leisen, aber stark betonten Flüstern zu seinen Leuten. Ein scharfer Blick schoß aus seinen Augen gerade über den Bug, aus Augen, die zwei sichtbaren Kompaßnadeln glichen, die ihres sicheren Weges gewiß sind. Er sagte nicht viel zu seinen Leuten, aber auch diese sagten kaum etwas zu ihm. Die Stille des Bootes wurde nur zeitweilig durch sein eigentümliches Flüstern in markanter Weise durchbrochen, das mal wegen eines Befehls scharf, mal wegen eines Überredungsversuches sanft war.

Der laute kleine King-Post war ganz anders. »Nun sagt doch mal was, ihr lieben Burschen! Gebrüllt und in die Riemen gelegt, ihr Teufelskerle, daß wir an ihre schwarzen Nacken kommen! Wenn ihr mir den Gefallen tut, so will ich euch meine Besitzung in Marthas Vineyard verschreiben lassen, mit Weib und Kind, Jungens! Weiter, feste! Ach, Herr, was soll das noch geben! Ich werde noch vor lauter Hinstarren wahnsinnig! Seht doch her! Seht doch das weiße Wasser!« Und als er das rief, riß er sich den Hut vom Kopf und stieß mit den Füßen darauf. Dann hob er ihn auf, schwenkte ihn weit über die See und ließ sich schließlich, wie ein wildes Füllen von der Prärie, hinten in das Boot fallen.

»Seht euch nur den Kerl an«, sagte Stubb auf seine gelassene philosophische Weise. Er hielt seine kurze Pfeife, die er noch nicht angebrannt hatte, mechanisch zwischen den Zähnen und fuhr gleichsam tropfenweise fort:

»Er bekommt seine Anfälle, dieser Flask. Anfälle? Ja, das ist der richtige Ausdruck, aber munter, Jungens, munter! Es gibt Pudding zum Essen. Ihr wißt ja, munter, ist das richtige Wort. Feste, ihr Lieben! Feste, Kinder! Feste! Aber warum habt ihr es so eilig? Ruhig, langsam und fest durchziehen, Leute! Rudern, immer rudern, weiter nichts! Die Knochen durchdrücken. So! Nehmt es leicht – warum nehmt ihr es denn so schwer? Und wenn die Lunge zum Teufel geht!«

Aber was der unberechenbare Ahab seinen tigergelben Leuten zurief, wird hier am besten nicht erwähnt; denn man lebt ja schließlich in einem gesegneten, zivilisierten Lande. Nur die treulosen Haifische in den wilden Meeren haben vielleicht für solche Worte Verständnis, wie Ahab sie seinen Leuten zurief, als er mit einer Stirn, auf der wilde Sturmwolken saßen, und mit Augen, die von roten Mordgedanken strahlten, und mit Lippen, die von Schaum gefärbt waren, auf seine Beute zusprang.

Inzwischen zogen die Boote weiter. Flask machte seine besonderen Anspielungen auf den Wal und sprach immer von dem »verdammten Wal«. So nannte er das imaginäre Ungeheuer, das, wie er sagte, unaufhörlich den Bug seines Bootes mit seinem Schwanz quälte. Er verstand sich so gut und anschaulich auszudrücken, daß einer oder der andere von seinen Leuten einen furchtsamen Blick über die Schulter warf. Aber das war gegen alle Regeln; denn die Bootsleute müssen ihre Augen außer Betrieb setzen und sich gleichsam einen Spieß durch den Nacken rennen. Der alte Brauch verlangt, daß sie nichts als Ohren haben, und in solch kritischen Augenblicken keine anderen Glieder, als ihre Arme gebrauchen.

Es war ein Anblick, wo Staunen und Entsetzen schnell aufeinander folgen. Das allmächtige Meer wogte in seiner Unendlichkeit. Die Wellen brüllten hohl und rollten an den acht Dollbords vorüber, wie Riesenkugeln auf einer unendlich weiten grünen Ebene. Das Boot saß angstbeklommen auf der messerscharfen Kante der spitzen Wellen und drohte in zwei Teile geschnitten zu werden. Dann tauchte man mal tief in die hohlen Wellentäler, mal mußte man sich mit aller Macht bemühen, den gegenüberliegenden Wellenberg zu erreichen. Dann glitt man, wenn man oben war, wie ein Schlitten auf der anderen Seite wieder herunter. Dann gab es Schreie der Führer und Harpuniere; die Ruderleute sperrten vor Entsetzen den Mund auf, und der »Pequod« sah auf seine Boote mit ausgebreiteten Segeln wie eine erschreckte Henne auf ihre schreienden Jungen. Das war ein schrecklicher Anblick. Nicht der unerfahrene Rekrut, der aus dem Arm der Frau in die Fieberhitze der ersten Schlacht marschiert; nicht der Geist eines Toten, der das erste unbekannte Wesen in der anderen Welt antrifft, kann seltsamere und größere Erschütterungen durchmachen, als der Mann, der sich zum erstenmal in seinem Leben in den geheimnisvollen, schäumenden Strudel des gejagten Pottwales getrieben sieht.

Das schäumende weiße Wasser der Walfischjagd wurde nun dank der wachsenden Dunkelheit von den dichten Schatten der Wolken, die über der See hingen, immer mehr sichtbar. Der Wasserdunst ballte sich nicht mehr zusammen, sondern teilte sich rechts und links. Die Wale schienen ihr Kielwasser voneinander zu trennen. Man ruderte mit den Booten jetzt zur Seite. Starbuck eröffnete die Jagd auf drei Wale. Wir setzten das Segel auf, und mit dem immer stärker werdenden Wind sausten wir durch das Wasser. Das Boot fuhr mit solcher wahnsinnigen Schnelligkeit, daß die Ruder an der Leeseite nur mit Mühe schnell genug gehandhabt werden konnten, ohne von den Ruderklappen abgerissen zu werden.

Bald trieben wir durch einen erstickenden weiten Nebelschwaden. Man konnte weder vom Schiff noch vom Boot etwas sehen. »Macht zu, Leute!« flüsterte Starbuck, und zog weiter an der Schotte des Segels; »wir haben noch Zeit, den Fisch zu töten, bevor die Bö kommt. Da ist wieder weißes Wasser. Ran! Los!«

Bald darauf ließen zwei Schreie, die an jeder Seite von uns kurz aufeinander folgten, erkennen, daß die anderen Boote schnell gefahren waren. Aber kaum waren sie vernommen, als mit blitzartig schnellem Geflüster Starbuck sagte: »Steh auf!«, und Queequeg mit der Harpune in der Hand aufsprang. Obwohl keiner von den Ruderleuten der Todesgefahr, die so nahe war, ins Auge schaute, so erkannten sie doch an dem gespannten Gesichtsausdruck des Bootsmannes hinten im Boot, daß der wichtige Augenblick gekommen war. Sie hörten auch ein ungeheures Poltern, als ob fünfzig Elefanten sich auf ihrer Streu wälzten. Indessen kämpfte sich das Boot durch den Nebel hindurch, und die Wellen heulten und zischten um uns herum wie hochgerichtete rasende Schlangen.

»Da ist der Höcker. Da, da, da, gib's ihm!« flüsterte Starbuck.

Von dem Boot aus erfolgte ein kurzes sausendes Geräusch; es war das Eisen Queequegs. Dann wurde das Boot unter großem Getöse von Achtern mit unsichtbarer Kraft vorwärtsgetrieben, während es vorn an einer Kante aufzuschlagen schien. Das Segel brach mit einem Knall zusammen. Dicht in der Nähe schoß brennender Dampf auf, und unter uns rollte und wirbelte es wie bei einem Erdbeben. Die ganze Mannschaft erstickte beinahe, als sie holterdiepolter in den weißen Schaum der Windbö hineingeriet. Bö, Wal und Harpune waren in eins verschmolzen, und der Wal, der nur vom Eisen geritzt war, entkam.

Obwohl das Boot beinahe voll Wasser gelaufen war, hatte es keinen Schaden erlitten. Wir suchten die umhertreibenden Ruderstangen auf und machten sie am Dollbord fest, worauf wir wieder zu unseren Plätzen taumelten. Da saßen wir nun bis zu den Knien im Wasser, das jede Planke und jede Rippe im Boot bedeckte, so daß für unsere nach unten starrenden Augen das schwebende Fahrzeug ein Korallenboot zu sein schien, das aus der Tiefe des Ozeans herausgekommen war.

Der Wind wurde immer stärker und heulte. Die Wellen schlugen wie Schilde zusammen. Die Bö brüllte, teilte sich zu einer Gabel und krachte um uns herum wie ein weißes Feuer in der Prärie, in dem wir, wenn auch nicht verzehrt, gleichsam brannten, wie im Rachen des Todes. Vergebens riefen wir die anderen Boote an. Man hätte ebensogut von oben etwas zu den glühenden Kohlen im Schornstein eines flammenden Ofens hinunterrufen können; so unmöglich war es, sich im Sturme zu verständigen. Indes wurde die rauschende, neblige Wolkenmasse bei der anbrechenden Nacht immer dunkler, und vom Schiff war keine Spur zu sehen. Die schwere See machte alle Versuche, das Boot auszuschöpfen, zunichte. Die Ruder waren zum Vorwärtsbewegen nutzlos; sie hatten jetzt die Funktion von Lebensrettern übernommen. Starbuck schnitt nun das Band des wasserdichten Feuerzeuges ab, und nach verschiedenen vergeblichen Versuchen gelang es ihm, das Licht in der Laterne anzuzünden. Er steckte sie dann auf einen Flaggenträger und reichte sie Queequeg, der nun zum Bannerträger der verlorenen Hoffnung wurde. Da saß er und hielt die dumme Kerze mitten in der unbezwingbaren Verlassenheit. Da saß er und war ein Symbol für den Menschen, der den Glauben verloren hat und hoffnungslos in der Welt der Verzweiflung die Fahne der Hoffnung aufrechthält.

Bis auf die Knochen durchnäßt und vor Kälte zitternd, ohne Hoffnung auf ein herankommendes Schiff oder Boot, hoben wir unsere Augen auf, als die Dämmerung heranbrach. Dichter Nebel lag ausgebreitet über der See, die Laterne war zerschmettert unten im Boot und ohne Licht. Plötzlich sprang Queequeg auf und hielt die hohle Hand an das Ohr. Wir vernahmen ein schwaches Knirschen, als ob Taue und Rahen von dem Sturm in Bewegung gesetzt würden. Das Geräusch kam immer näher, und die dicken Nebelschwaden wurden durch eine ungeheuer große, aber unbestimmte Form undeutlich aufgeteilt. Entsetzt sprangen wir alle in das Meer, als das Schiff schließlich sichtbar wurde, und in einer Entfernung, die nicht größer war als die eigene Länge des Schiffes, gerade auf uns zukam. Wir trieben auf den Wellen und sahen das aufgegebene Boot. Einen Augenblick wurde es hin- und hergestoßen und schwebte dann unterhalb des Bugs des Schiffes, wie ein Gegenstand unter einem Wasserfall. Dann rollte der große Schiffskörper darüber hinweg, und man sah es nicht wieder, bis es am Heck wieder zum Vorschein kam und sich in den Wellen wälzte. Wir schwammen wieder darauf zu, wurden von den Wellen dagegengetrieben, wurden schließlich aufgenommen und gelangten unversehrt an Bord. Bevor die Bö in unmittelbare Nähe gekommen war, hatten die anderen Boote sich von ihrem Wal getrennt und waren noch rechtzeitig zum Schiff zurückgekehrt. Vom Schiff aus hatte man uns aufgegeben, aber das Schiff kreuzte noch, um vielleicht ein Zeichen unseres Unterganges, ein Ruder oder eine Walfischlanze zu finden.


 << zurück weiter >>