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Ein merkwürdiger Zug kommt nach Sellanraa herauf, vielleicht als Zug ein bißchen lächerlich, aber doch nicht nur lächerlich: es sind drei Männer mit ungeheueren Lasten auf dem Rücken, mit Säcken, die ihnen über die Brust und den Rücken herunterhängen. Sie gehen im Gänsemarsch und rufen einander Scherzworte zu, aber sie haben schwer zu tragen. Der kleine Ladendiener Andresen geht als erster im Zug, übrigens ist es auch sein Zug; er hat sich selbst, Sivert von Sellanraa und einen dritten, Fredrik Ström von Breidablick, zu diesem Zug ausgerüstet. Ein verfluchter kleiner Kerl, dieser Ladendiener Andresen, seine Schultern sind fast bis zur Erde gebeugt und seine Jacke ist ihm vom Hals heruntergezerrt, aber er schleppt, er schleppt seine Last.
Er hat nicht einfach Storborg und den Kaufladen gekauft, dazu hat er kein Geld, lieber wartet er eine Weile und bekommt dann vielleicht alles umsonst. Andresen ist kein unbrauchbarer Mensch, er hat einstweilen Storborg gepachtet und betreibt den Handel weiter.
Er hat den ganzen Warenvorrat durchgesehen und da eine Menge unverkäuflicher Sachen vorgefunden, von Zahnbürsten an bis zu gestickten Tischläufern, ja, bis zu kleinen Vögeln auf Drähten, die »Piep« sagten, wenn man sie an der richtigen Stelle klemmte.
Mit all diesen Waren ist er jetzt auf die Wanderschaft gezogen, er will sie an die Grubenarbeiter jenseits des Berges verkaufen. Er hat von Aronsens Tagen her Erfahrung darin, daß Grubenarbeiter mit Geld in der Hand alles in der Welt kaufen. Jetzt ärgert er sich nur darüber, daß er sechs Schaukelpferde, die Eleseus auf seiner letzten Reise nach Bergen eingekauft hatte, zurücklassen mußte.
Die Karawane kommt in den Hofraum von Sellanraa herein, und die Männer legen ihre Lasten ab. Sie ruhen nicht lange; nachdem sie Milch zu trinken bekommen und zum Spaß ihre Waren allen Leuten auf dem Hof angeboten haben, nehmen sie ihre Lasten wieder auf und gehen weiter. Sie sind nicht bloß zum Scherz ausgezogen. In südlicher Richtung durch den Wald schwanken sie mit ihrer Last weiter.
Sie gehen bis zur Mittagszeit, essen zu Mittag und wandern dann weiter, bis es Abend wird. Dann machen sie ein Feuer an, lagern sich und schlafen eine Weile. Sivert schläft sitzend auf einem Stein, den er seinen Polsterstuhl nennt. Ja, Sivert versteht sich auf das Leben im Ödland, die Sonne hat den ganzen Tag auf den Stein gebrannt und es ist gut darauf zu sitzen und zu schlafen. Seine Kameraden sind nicht so erfahren und nehmen auch keinen guten Rat an, sie legen sich ins Heidekraut und wachen frierend und niesend auf. Dann frühstücken sie und gehen weiter.
Jetzt fangen sie an, die Ohren zu spitzen, ob sie keine Schüsse hören, und sie hoffen, im Laufe des Tages auf Leute zu stoßen und an die Gruben zu kommen. Die Arbeit kann inzwischen wohl von der See her weit in der Richtung auf Sellanraa zu vorgerückt sein. Sie hören keinen Schuß. Sie gehen bis zur Mittagszeit und begegnen keinem Menschen, aber sie kommen von Zeit zu Zeit an großen Löchern in der Erde vorbei, die die Leute zur Probe gegraben haben. Wie hängt das zusammen? Es muß wohl so sein, daß das Erz auf dieser Seite des Berges ganz überaus reich ist, es wird also im reinen, schweren Kupfer gearbeitet, und die Arbeiter rücken von der See her kaum vor.
Nachmittags stoßen sie auf noch mehr Gruben, aber immer noch auf keine Menschen; sie gehen weiter bis zum Abend und erblicken schon das Meer unter sich, sie wandern durch ein Ödland von verlassenen Gruben und vernehmen keinen einzigen Schuß. Das ist doch gar zu merkwürdig, aber sie müssen noch einmal ein Feuer machen und sich wieder für die Nacht lagern. Sie beraten: Ist die Arbeit hier zu Ende? Sollen sie mit ihren Lasten wieder umkehren? Kein Gedanke! sagt der Ladendiener Andresen.
Am nächsten Morgen kommt ein Mann an ihr Lager, ein blasser und vergrämter Mann, der die Brauen runzelt, die Leute betrachtet, sie mustert. Bist du das, Andresen? fragt er. Es ist Aronsen, der Kaufmann Aronsen; er hat nichts dagegen von der Karawane Kaffee und etwas zu essen zu bekommen, und läßt sich bei den Männern nieder. Ich hab euern Rauch gesehen und wollte ergründen, was das sei, erklärt er. Ich dachte: du wirst sehen, sie nehmen Vernunft an und beginnen wieder mit der Arbeit! Und nun seid nur ihr es! Wo wollt ihr hin? – Wir wollen hierher. – Was habt ihr in euren Säcken? – Waren! – Waren? schreit Aronsen. Wollt ihr hier Waren verkaufen? Hier wohnt niemand. Sie sind am Samstag abgezogen. – Wer ist abgezogen? – Alle miteinander. Hier ist alles leer und verlassen. Und außerdem hab ich Waren genug; den ganzen Laden voll. Ihr könnt bei mir kaufen.
Ach, nun ist der Kaufmann Aronsen wieder übel daran, mit dem Grubenbetrieb ist es zu Ende!
Sie beruhigen ihn mit noch etwas mehr Kaffee und fragen ihn dann aus.
Aronsen schüttelt ganz zerschmettert den Kopf: Es ist nicht zu sagen, es ist ganz unbegreiflich! sagt er. Alles war sehr gut gegangen, er hatte Waren verkauft und viel Geld eingenommen, das ganze Kirchspiel rund umher blühte und konnte sich weiße Grütze, ein neues Schulhaus und Lampen mit Prismen dran und städtisches Schuhwerk leisten. Da fanden die Herren plötzlich, daß es sich nicht mehr lohne und sie machten Schluß. Lohnte es sich wirklich nicht mehr? Es hatte sich doch seither gelohnt, nicht wahr? Kam denn nicht das Kupfererz bei jeder Sprengung zutage? Das war einfach Betrug. Und sie bedenken nicht, daß sie damit einen Mann wie mich in die größten Ungelegenheiten bringen, sagte Aronsen. Aber es ist wohl so, wie behauptet wird, daß der Geißler wieder an allem schuld ist. Er ist genau in dem Augenblick gekommen, als die Arbeit stillgelegt wurde; es ist gerade, als ob er es gerochen hätte!
Ob er hier ist! Er gehört erschossen! Er kam eines Tages mit dem Postschiff an und fragte den Ingenieur: Nun, wie geht's? – Gut, soviel ich weiß, antwortet der Ingenieur. Aber der Geißler fragte nur noch einmal: So, es geht also gut? – Ja, könnte nicht besser gehen, soviel ich weiß! erwiderte der Ingenieur. Na, ich danke! Als die Post geöffnet wurde, war ein Brief und ein Telegramm an den Ingenieur dabei, daß sich die Arbeit nicht mehr lohne, er solle Schluß machen.
Die Teilnehmer der Karawane schauen einander an; aber der Führer, der schlaue Kerl Andresen, hat den Mut augenscheinlich noch nicht verloren. – Kehrt nur wieder um! rät Aronsen. – Das tun wir nicht, sagt Andresen und packt den Kaffeekessel ein. – Aronsen starrt alle drei einen nach dem andern an. Ihr seid verrückt! sagt er.
Seht, der Ladendiener Andresen kümmert sich nicht sehr um seinen früheren Herrn, jetzt ist er selbst Herr, er hat diesen Zug in ferne Gaue ausgerüstet, er würde an Ansehen einbüßen, wenn er hier auf dem Berge umkehrte. – Aber wo wollt ihr denn hin? fragt Aronsen erbittert. – Das weiß ich nicht, sagt Andresen. Aber er hat doch wohl seine Absicht, er denkt vielleicht an die Eingeborenen: daß er hier drei Mann stark mit Glasperlen und Fingerringen herkommt. – Kommt, wir wollen gehen! sagt er zu seinen Kameraden.
Nun hatte sich Aronsen eigentlich diesen Morgen länger draußen aufhalten wollen; da er einmal unterwegs war, wollte er vielleicht nachsehen, ob wirklich alle Gruben verlassen seien, ob es wahr sei, daß alle Menschen fort waren. Aber da diese Hausierer so eigensinnig sind und weiter wollen, wird er eigentlich an seinem Vorhaben gehindert, er muß ihnen immer und immer wieder von ihrem Weitermarsch abreden. Aronsen ist rasend, er geht vor der Karawane her den Berg hinunter, er dreht sich immer im Kreise und schreit ihnen zu, hält sie auf, er verteidigt sein Gebiet. So kommen sie zu der Barackenstadt hinunter.
Da sieht es leer und trostlos aus. Die wichtigsten Geräte und Maschinen sind unter Dach gebracht, aber Balken, Bretter, zerbrochene Wagen, Kisten und Fässer liegen überall herum. An einigen Häusern prangt ein Plakat, das den Zutritt verbietet.
Da seht ihr! ruft Aronsen. Nirgends ein Mensch! Wo wollt ihr denn hin? Und er droht der Karawane mit großem Unheil und mit dem Lensmann; er selbst wolle sie Schritt für Schritt begleiten und zusehen ob sie nicht ungesetzliche Waren verkauften. Darauf stehe Zuchthaus und die Galeeren, bom konstant.
Plötzlich wird Sivert von jemand angerufen. Die Stadt ist also doch nicht völlig verlassen, nicht ganz ausgestorben. Ein Mann an einer Hausecke winkt ihnen. Sivert schwankt mit seiner Last auf ihn zu und erkennt sofort, wer es ist: Es ist Geißler.
Ein merkwürdiges Zusammentreffen! sagt Geißler. Er hat ein blühend rosiges Gesicht, aber seine Augen scheinen in der hellen Frühlingssonne Schaden gelitten zu haben, denn er trägt einen grauen Zwicker. Er spricht lebhaft wie immer. Ein glückliches Zusammentreffen! sagt er. Das spart mir den Weg nach Sellanraa, ich habe soviel zu besorgen. Wie viele Ansiedlungen sind jetzt dort auf der Allmende? – Zehn. – Zehn Ansiedlungen? Das gefällt mir, da bin ich zufrieden. Zweiunddreißigtausend solche Männer wie dein Vater sollten im Lande sein, ich hab es ausgerechnet! sagt er und nickt dazu.
Kommst du, Sivert? ruft die Karawane. – Geißler horcht auf und antwortet rasch: Nein! – Ich komme nach! ruft Sivert und legt seine Last ab.
Die beiden setzen sich und reden zusammen; über Geißler ist der Geist gekommen, und er schweigt nur, so oft Sivert eine kurze Antwort gibt, dann legt er wieder los: Ein ganz einzigartiges Zusammentreffen! Ich komme gar nicht davon weg! Meine ganze Reise ist so ausgezeichnet verlaufen, und nun treffe ich dich auch noch hier und kann mir den Umweg über Sellanraa sparen! Wie geht's zu Hause? – Dank der Nachfrage. – Habt ihr schon den Heuboden auf dem steinernen Stallgebäude aufgeschlagen? – Ja. – Ja, ich bin sehr überlastet, die Geschäfte wachsen mir allmählich über den Kopf. Sieh dir doch einmal an, wo wir jetzt sitzen, lieber Sivert? Auf der Ruine einer Stadt. Die haben nun die Menschen ihrem eigenen Vorteil gerade entgegen aufgebaut. Eigentlich bin ich die Ursache von dem allem, das heißt, ich bin einer der Vermittler in einem kleinen Komödienspiel des Schicksals. Es hat damit angefangen, daß dein Vater im Gebirge einige Steine fand und dich damit spielen ließ, als du noch ein Kind warst. Damit hat es angefangen. Ich wußte ganz genau, daß diese Steine nur den Wert hatten, den die Menschen ihnen beilegten; gut, ich setzte einen Preis dafür fest und kaufte sie. Von da an gingen die Steine von Hand zu Hand und plünderten die Leute aus. Die Zeit verging. Vor einigen Tagen bin ich hier heraufgekommen, und weißt du, was ich hier will? Die Steine wieder zurückkaufen!
Geißler schweigt und schaut Sivert an. Dabei fällt ihm auch der große Sack in die Augen und er fragt plötzlich: Was hast du da? – Waren, antwortet Sivert. Wir wollen damit hinunter ins Kirchspiel.
Geißler bezeugt keine besondere Teilnahme für diese Antwort, er hat sie vielleicht gar nicht gehört, er fährt fort: Ich will also die Steine zurückkaufen. Das letztemal ließ ich meinen Sohn verkaufen, der ist ein junger Mann deines Alters und weiter nichts. Er ist der Blitz in der Familie, ich bin der Nebel. Ich gehöre zu denen, die das Rechte wissen, aber es nicht tun. Er ist der Blitz, zur Zeit hat er sich in den Dienst der Industrie gestellt. Er hat das letztemal in meinem Namen verkauft. Ich bin etwas, aber er ist nichts, er ist nur der Blitz, der rasche Mann der Gegenwart. Aber der Blitz als solcher ist unfruchtbar. Nehmen wir einmal euch Leute auf Sellanraa. Ihr seht alle Tage blaue Berge vor euch; das sind keine erfundenen Dinge, das sind alte Berge, die stehen da seit alter grauer Vorzeit, aber sie sind eure Kameraden. So geht ihr zusammen mit Himmel und Erde, seid eins mit ihnen, seid eins mit dieser Weite und seid bodenständig. Ihr braucht kein Schwert in der Faust, ihr geht unbewehrten Hauptes und mit unbewehrter Faust durchs Leben, umgeben von großer Freundlichkeit. Sieh, da ist die Natur, sie gehört dir und den Deinen. Der Mensch und die Natur bekämpfen einander nicht, sie geben einander recht, sie treten nicht in Wettbewerb, laufen nicht um die Wette irgendeinem Vorurteil nach, sie gehen Hand in Hand. Mitten drin geht ihr Leute auf Sellanraa und gedeiht. Die Berge, der Wald, die Moore, die Matten, der Himmel und die Sterne – ach, das alles ist nicht armselig und karg zugemessen, das ist ohne alles Maß! Hör auf mich, Sivert, sei zufrieden mit deinem Los! Ihr habt alles, was ihr zum Leben braucht, alles, wofür ihr lebt, ihr werdet geboren und erzeugt neue Geschlechter, ihr seid notwendig auf der Erde. Das sind nicht alle, aber ihr seid es: notwendig auf der Erde. Ihr erhaltet das Leben. Bei euch folgt ein Geschlecht dem andern, wenn das eine stirbt, tritt das nächste an seine Stelle. Das eben ist unter dem ewigen Leben zu verstehen. Und was habt ihr dafür? Ein Dasein in Recht und Gerechtigkeit, ein Dasein in wahrer und aufrichtiger Stellung zu allem. Was habt ihr weiter dafür? Nichts unterjocht und beherrscht euch Leute von Sellanraa, ihr habt Ruhe und Macht und Gewalt, ihr seid umschlossen von der großen Freundlichkeit. Das habt ihr dafür. Ihr liegt an einem warmen Busen und spielt mit einer weichen Mutterhand und trinkt euch satt. Ich denke an deinen Vater, er ist einer von den zweiunddreißigtausend. Was ist so mancher andere? Ich bin etwas, ich bin der Nebel, ich bin hier und ich bin dort, ich woge hin und her, zuweilen bin ich der Regen auf einer dürren Stätte. Aber die anderen? Mein Sohn ist der Blitz, der eigentlich nichts ist, ein nutzloses Aufleuchten, er kann Handel treiben. Mein Sohn ist der Typus des Menschen unserer Zeit, er glaubt aufrichtig an das, was die Zeit ihn gelehrt hat, was der Jude und der Janker ihn gelehrt haben; ich jedoch schüttle den Kopf dazu. Aber ich bin nichts Geheimnisvolles, nur in meiner eigenen Familie bin ich der Nebel, da sitze ich und schüttle den Kopf. Die Sache ist die, mir fehlt die Gabe zu einem reuelosen Handeln. Hätte ich diese Gabe, dann könnte ich selbst der Blitz sein. So bin ich der Nebel.
Plötzlich kommt Geißler gleichsam wieder zu sich und fragt: Habt ihr den Heuboden auf eurem steinernen Stallgebäude aufgeschlagen? – Ja. Und der Vater hat auch noch ein Wohnhaus gebaut. – Noch ein Wohnhaus? – Ja, für den Fall, daß jemand kommt, sagt er, für den Fall, daß der Geißler kommt, sagt er. – Geißler denkt darüber nach und erklärt: Dann muß ich gewiß kommen. Doch, dann komm ich, sag das deinem Vater. Aber ich habe so viele Geschäfte. Jetzt bin ich hier heraufgekommen und habe zu dem Ingenieur gesagt: Grüßen Sie die Herren in Schweden und sagen Sie, ich sei Käufer. Und nun müssen wir sehen, was daraus wird. Mir ist es einerlei, ich habe keine Eile. Du hättest den Ingenieur sehen sollen! Er hat hier den Betrieb im Gang gehalten mit Menschen und Pferden und Geld und Maschinen und allem Zeug, er glaubte, das Rechte zu tun, er wußte es nicht anders. Er meint, je mehr Steine er zu Geld mache, desto besser sei es und er tue etwas Verdienstvolles damit, daß er dem Kirchspiel, daß er dem Lande Geld verschafft, es rast mit ihm immer mehr dem Untergang entgegen und er merkt es nicht. Nicht Geld braucht das Land, das Land hat Geld mehr als genug. Solche Männer, wie dein Vater einer ist, davon hat es nicht genug. Wenn man bedenkt, daß sie das Mittel zum Zweck machen und stolz darauf sind! Sie sind krank und verrückt, sie arbeiten nicht, sie kennen den Pflug nicht, sie kennen nur den Würfel. Haben sie denn keine Verdienste, sie reiben sich ja auf mit ihrer Narretei? Sieh sie an, setzen sie denn nicht ihr alles ein? Der Fehler dabei ist nur, daß dieses Spiel nicht Übermut ist, nicht einmal Mut, es ist Schrecken. Weißt du, was Glücksspiel ist? Es ist Angst, die einem den Schweiß auf die Stirne treibt, das ist es. Der Fehler ist, daß sie nicht im Takt mit dem Leben schreiten wollen, sie wollen rascher gehen als das Leben, sie jagen, sie treiben sich selbst wie Keile ins Leben hinein. Aber dann sagen ja ihre Flanken – halt, es knackt, such einen Ausweg, halt inne, die Flanken! Dann zerbricht sie das Leben, höflich, aber bestimmt. Und dann beginnen die Klagen über das Leben, das Toben gegen das Leben. Jeder nach seinem Gefallen, einige haben wohl Grund zur Klage, andere nicht, aber niemand sollte gegen das Leben toben. Man sollte das Leben nicht hart und streng und gerecht beurteilen, man sollte barmherzig gegen es sein und es verteidigen: bedenke doch, mit welchen Mitspielern das Leben sein Spiel spielen muß!
Geißler kommt wieder zu sich und sagt: Wir wollen das auf sich beruhen lassen. Er ist augenscheinlich müde, er gähnt. Willst du hinunter? fragt er. – Ja. – Das eilt nicht. Du bist mir noch einen weiten Gang über die Berge schuldig, lieber Sivert, weißt du noch? Ich erinnere mich noch an alles und jedes. Ich erinnere mich noch, wie ich anderthalb Jahre alt war: Da stand ich schwankend auf der Scheunenbrücke auf dem Hof Garmo in Lom und roch einen bestimmten Geruch. Diesen Geruch kenne ich immer noch. Aber wir wollen auch das auf sich beruhen lassen. Wir hätten jetzt den Gang über die Berge machen können, wenn du nicht den Sack da tragen müßtest. Was hast du in dem Sack? – Waren. Andresen will sie verkaufen. – Ich bin also ein Mann, der das Richtige weiß, aber es nicht tut, sagt Geißler. Das ist buchstäblich zu verstehen. Ich bin der Nebel. An einem der nächsten Tage kaufe ich vielleicht den Berg wieder, das ist gar nicht unmöglich. Aber in diesem Falle stelle ich mich nicht hin, schaue in die Luft und sage: Luftbahn, Südamerika! Das ist etwas für Glücksspieler. Die Leute hier meinen, ich sei der leibhaftige Teufel, weil ich wußte, daß es hier einen Krach geben werde. Aber es ist nichts Geheimnisvolles an mir, die ganze Sache ist sehr einfach: die neuen Kupferlager in Montana. Die Yankees sind schlauere Spieler als wir, die schlagen uns mit ihrem Wettbewerb in Südamerika tot. Unser Erz ist zu arm. Mein Sohn ist der Blitz, er hörte ein Vögelchen davon singen, da bin ich hergeschwommen. So einfach ist es. Ich war nur den Herren in Schweden ein paar Stunden voraus, das ist alles.
Geißler gähnt wieder, steht auf und sagt: Wenn du hinunter willst, so wollen wir jetzt gehen.
Sie gehen miteinander den Berg hinunter, Geißler stapft hinterdrein und ist schlapp und müde. Die Karawane hat am Landungsplatz haltgemacht, der muntere Fredrik Ström ist dabei, Aronsen steigen zu lassen. Ich habe keinen Tabak mehr, habt ihr Tabak? – Ich werd dir Tabak geben! ruft Aronsen. – Fredrik lacht und tröstet ihn: Nehmt es doch nicht so schwer, Aronsen! Wir wollen jetzt nur diese Waren vor Euren Augen verkaufen, dann gehen wir wieder heim. – Halt deinen ungewaschenen Mund! ruft Aronsen erbost. – Hahaha, nein, Ihr sollt nicht so aufgeregt umherlaufen, Ihr sollt wie eine ruhige Landschaft sein!
Geißler ist müde, sehr müde, nicht einmal der graue Zwicker hilft mehr, die Augen wollen ihm in dem hellen Frühlingsschein zufallen. Leb wohl, lieber Sivert! sagt er plötzlich. Nein, ich kann diesmal doch nicht nach Sellanraa kommen, sag das deinem Vater. Ich habe so viel zu besorgen. Aber sag ihm, daß ich später einmal komme. –
Aronsen spuckt hinter ihm aus und sagt noch einmal: Er gehört totgeschossen!
In drei Tagen verkauft die Karawane ihre Säcke leer und bekommt gute Preise. Es wurde ein glänzendes Geschäft. Die Leute des Kirchspiels hatten noch herrlich viel Geld trotz des Krachs und waren in bester Übung, es auszugeben; sie brauchten diese Vögel auf Draht notwendig, sie stellten sie auf ihre Kommoden und kauften auch schöne Papiermesser, um ihre Kalender damit aufzuschneiden. Aronsen tobte: Als ob ich nicht gerade so schöne Sachen in meinem Laden hätte!
Der Kaufmann Aronsen war in großer Not, er wollte ja dabei sein und diese Hausierer bewachen, aber die trennten sich, und jeder ging allein seines Wegs, und er hätte sich in Stücke reißen müssen, um allen dreien nachzulaufen. So gab er zuerst Fredrik Ström auf, der das ungewaschenste Mundwerk hatte, dann Sivert, der ihm niemals auch nur ein einziges Wort erwiderte, sondern nur immer verkaufte. Aronsen zog vor, seinem alten Ladendiener Andresen nachzulaufen und in den Häusern gegen ihn zu arbeiten. O, aber der Ladendiener Andresen kannte ja seinen alten Herrn und dessen Unwissenheit in Beziehung aufs Geschäft und auf verbotene Waren. So, englischer Faden ist nicht verboten! fragte Aronsen und stellte sich kundig. – Doch, erwidert Andresen. Ich habe aber auch keine einzige Fadenrolle hier. Die kann ich im Ödland auch verkaufen. Ich habe keine einzige Fadenrolle, da seht selbst! – Das ist schon möglich. Aber du siehst, ich weiß auch, was verboten ist, da machst du mir nichts weis.
Einen Tag lang hielt es Aronsen aus, dann gab er auch Andresen auf und ging heim. Die Hausierer hatten jetzt keine Aufsicht mehr.
Und von nun an ging alles ausgezeichnet. In jenen Tagen trugen die Frauen falsche Haarzöpfe und der Ladendiener Andresen war ein Meister darin, solche Zöpfe zu verkaufen, ja, im Notfall verkaufte er helle Zöpfe an schwarzhaarige Mädchen und bedauerte nur, daß er nicht noch hellere Zöpfe habe, oder graue, die die teuersten seien. Jeden Abend kamen die drei jungen Männer an einem vorher bestimmten Platz zusammen und erstatteten Bericht und halfen einander mit nicht ausverkauften Sachen aus, und Andresen setzte sich dann gerne mit einer Feile in der Hand hin und feilte eine deutsche Fabrikmarke auf einer Jagdflinte aus oder entfernte den Namen Faber von den Bleistiften. Andresen war und blieb ein Teufelskerl.
Sivert dagegen war eine Enttäuschung. Nicht als ob er faul gewesen wäre und keine Waren abgesetzt hätte, oho, er setzte sogar die meisten ab. Aber er bekam zu wenig Geld dafür. Du sprichst nicht genug, erklärte Andresen.
Nein, Sivert hielt keine langen Reden, er war ein Ödlandbauer, war wortkarg und gelassen. Was war da lange zu schwatzen? Außerdem wollte Sivert bis zum Sonntag fertig sein und wieder nach Hause gehen, es gab gar viel Arbeit auf dem Ödland. – Die Jensine zieht ihn, behauptete Fredrik Ström. – Derselbe Fredrik hatte übrigens selbst die Frühjahrsbestellung zu besorgen und wenig Zeit zu verlieren, aber trotzdem mußte er am letzten Tag noch zu Aronsen gehen und eine Weile mit ihm streiten. Ich will ihm die leeren Säcke verkaufen, sagte er.
Andresen und Sivert gingen wieder hinaus und warteten auf ihn. Sie hörten den herrlichsten Wortwechsel aus dem Kaufladen herausdringen und ab und zu auch Fredriks Gelächter. Dann machte Aronsen seine Ladentür auf und wies den Gast hinaus. O, aber Fredrik kam nicht, nein, er ließ sich Zeit und redete in einem fort, das letzte, was sie hörten, war, daß er den Versuch machte, die Schaukelpferde an Aronsen zu verhandeln.
Dann zog die Karawane heimwärts, drei junge Männer voll Jugendlust und Gesundheit. Sie sangen, während sie dahinschritten, schliefen eine Weile im Gebirge und wanderten dann weiter. Als sie am Montag in Sellanraa ankamen, hatte Isak mit dem Säen begonnen. Es war das richtige Wetter dazu: feuchte Luft, dann und wann drang die Sonne durch, und ein ungeheurer Regenbogen spannte sich über den Himmel hin.
Die Karawane löste sich auf: Leb wohl, leb wohl! ...
Dort schreitet Isak übers Feld und sät, er ist ein Mühlengeist von Gestalt, ein Klotz. Er trägt hausgewebte Kleider, die Wolle stammt von seinen eigenen Schafen, die Stiefel stammen von seinen eigenen Kälbern und Kühen. Er geht nach frommer Sitte barhaupt, während er sät, auf dem Wirbel ist er kahl, sonst aber überaus haarig, ein ganzer Kranz von Haar und Bart steht um seinen Kopf. Das ist Isak der Markgraf.
Er wußte selten das genaue Datum, wozu hätte er es wissen sollen? Er hatte keine Papiere einzulösen. Die Kreuze im Kalender zeigten an, wann jede Kuh kalben sollte. Aber er wußte, daß bis zum Sankt Olafstag im Herbst alles Heu hereingebracht sein mußte, und er wußte, wann im Frühjahr der Viehmarkt war und daß drei Wochen danach der Bär aus seiner Höhle ging. Da mußte die Saat in der Erde sein. Das Notwendige wußte er.
Er ist Ödlandbauer bis in die Knochen und Landwirt vom Scheitel bis zur Sohle. Ein Wiedererstandener aus der Vorzeit, der in die Zukunft hinausdeutet, ein Mann aus der ersten Zeit des Ackerbaus, ein Landnamsmann, neunhundert Jahre alt und doch auch wieder der Mann des Tages.
Nein, er hatte nichts mehr übrig von dem Geld für den Kupferberg, das war in alle Winde verflogen. Und wer hatte jetzt noch etwas davon, da der Berg wieder verlassen war? Aber die Allmende liegt da und trägt zehn Neusiedlungen und wartet auf weitere Hunderte.
Wächst und gedeiht hier nichts? Hier wächst und gedeiht alles, Menschen und Tiere und die Früchte des Feldes. Isak sät. Die Abendsonne bescheint das Korn, er streut es im Bogen aus seiner Hand, und wie ein Goldregen sinkt es auf die Erde. Da kommt Sivert und eggt, nachher walzt er, dann eggt er wieder. Der Wald und die Berge stehen da und schauen zu, alles ist Macht und die Hoheit, hier ist ein Zusammenhang und ein Ziel.
Klingeling! sagen die Kuhglocken auf den Halden, sie kommen näher und näher, das Vieh zieht seinem Stalle zu. Es sind fünfzehn Kühe und fünfundvierzig Stück Kleinvieh, im ganzen sechzig Stück Vieh. Da gehen die Frauen mit ihren Melkkübeln dem Sommerstall zu, sie tragen sie am Joch über den Schultern, es ist Leopoldine, Jensine und die kleine Rebekka. Alle drei gehen barfuß. Die Markgräfin, Inger selbst, ist nicht mit dabei, sie ist im Haus, sie kocht das Abendessen; hoch und stattlich schreitet sie durch ihr Haus, eine Vestalin, die das Feuer in einem Kochherd unterhält. Nun, Inger ist auf das weite Meer hinausgesegelt, sie ist in der Stadt gewesen, jetzt ist sie wieder daheim. Die Welt ist weit, es wimmelt auf ihr von Punkten, Inger hat mitgewimmelt. Sie war beinahe ein Nichts unter den Menschen, nur ein einzelner unter ihnen.