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Im Frühjahr ereignete sich etwas höchst Unerwartetes und dabei sehr Bedeutungsvolles: der Betrieb in den Kupfergruben sollte wieder aufgenommen werden, Geißler hatte seinen Berg verkauft. War das Unglaubliche geschehen? Ach, dieser Geißler war nun einmal ein unergründlicher Herr, er konnte tun und konnte lassen, verneinend den Kopf schütteln und bejahend nicken. Er konnte ein ganzes Dorf wieder zum Lächeln bringen.
Hatte ihm am Ende doch das Gewissen geschlagen und wollte er den Bezirk, in dem er Lensmann gewesen war, nicht länger mit selbstgebauter Grütze und mit Geldmangel strafen? Oder hatte er gar seine Viertelmillion bekommen? Oder war vielleicht die Sache so, daß Geißler selbst Geld brauchte und den Berg für das, was er eben dafür bekam, verkaufen mußte? Fünfundzwanzigtausend oder fünfzigtausend sind ja schließlich auch ein schönes Geld. Es wurde übrigens behauptet, sein Sohn habe in seinem Namen das Geschäft abgeschlossen.
Jedenfalls aber wurde der Betrieb wieder aufgenommen; derselbe Ingenieur mit verschiedener Arbeiterschaft kehrte zurück, und dieselbe Arbeit fing wieder an. Dieselbe Arbeit ja, aber auf eine ganz andere Weise als früher, gerade umgekehrt.
Alles schien ganz in Ordnung zu sein; die Schweden kamen mit Leuten und Dynamit und Geld, was konnte da noch fehlen? Und auch Aronsen kam wieder, der Kaufmann Aronsen, und wollte durchaus Storborg wieder kaufen. – Nein, erklärte Eleseus, ich verkaufe nicht. – Ihr werdet doch gewiß verkaufen, wenn Ihr Geld genug bekommt? – Nein.
Nein, Eleseus wollte Storborg nicht verkaufen. Die Sache war die, sein Dasein als Kaufmann auf dem Ödland kam ihm nicht mehr gar so elend vor, er hatte eine schöne Veranda mit bunten Glasscheiben, er hatte einen Ladendiener, der die Arbeit tat, er selbst konnte auf Reisen sein. Ja, reisen auf dem ersten Platz, zusammen mit vornehmen Leuten. Wenn er nur einmal ganz bis nach Amerika kommen könnte, daran hatte er schon oft gedacht. Schon allein von diesen Geschäftsreisen in die Städte im Süden, um Verbindungen anzuknüpfen, konnte er nachher immer noch lange zehren. Nicht, als ob er üppig gelebt hätte, mit eigenem Dampfschiff gefahren wäre und Orgien gefeiert hätte. Er und Orgien! Er war eigentlich ein sonderbarer Mensch, um Mädchen bekümmerte er sich gar nicht mehr, er ließ sie links liegen, hatte alles Herz für sie verloren. Nein, aber natürlich war er der Sohn des Markgrafen, der auf dem ersten Platz fuhr und vielerlei Waren kaufte. Er selbst kam jedesmal von seinen Ausflügen ein wenig feiner und vornehmer nach Hause, das letztenmal kam er mit Galoschen an den Füßen zurück. Trägst du zwei Paar Schuhe, wurde er gefragt. – Ja, ich leide an kalten Füßen, erklärte Eleseus. Und da hatte man herzliches Mitleid mit seinen kalten Füßen.
Glückselige Tage, ein Herrenleben und Müßiggang! Nein, er wollte Storborg nicht verkaufen. Sollte er wieder in das Städtchen zurückkehren, von neuem in dem kleinen Bauernkramladen stehen und keinen Ladendiener unter sich haben! Übrigens hoffte er auch darauf, es werde sich von nun an ein ungeheurer Betrieb auf Storborg entwickeln; die Schweden waren zurückgekehrt und würden die Gegend mit Geld überschwemmen, er wäre ein Narr, wenn er verkaufen würde! Aronsen mußte einmal ums andere mit einer Absage seines Weges ziehen und entsetzte sich immer mehr über seine eigene Dummheit, das Ödland verlassen zu haben.
Ach, Aronsen hätte mit seinen Selbstvorwürfen Maß halten und ebenso hätte Eleseus seine großen Erwartungen einschränken dürfen; aber vor allen Dingen hätten die Ansiedler und die Dorfbewohner weniger große Hoffnungen hegen und nicht lächeln und sich die Hände reiben sollen, wie es die Englein tun, weil sie selig sind; nein, das hätten die Ansiedler und Dorfbewohner durchaus nicht tun sollen, denn nun wurde die Enttäuschung gewaltig. Sollte man es glauben, die Grubenarbeit begann zwar ganz richtig, aber sie begann auf der andern Seite des Berges, zwei Meilen weit entfernt, am südlichen Ende von Geißlers Gebiet, weit drinnen in einem anderen Kirchspiel, das die diesseitigen Bewohner nichts anging. Von da aus sollte sich die Arbeit langsam nach Norden zu durchfressen, bis zu der ersten Fundstelle des Kupfers, bis zu Isaks Fundstelle, und ein Segen für das Ödland und das Dorf werden. Das würde im besten Fall viele Jahre dauern, vielleicht Menschenalter.
Diese Erkenntnis kam und wirkte wie die ärgste Dynamitsprengung mit Bewußtlosigkeit und Taubheit. Die Dorfbewohner versanken in Kummer und Sorgen. Einige schimpften auf Geißler: dieser verfluchte Geißler habe ihnen wieder einen Possen gespielt; andere krochen zu einer Versammlung zusammen und schickten eine neue Gesandtschaft von Vertrauensmännern aus, diesmal zu der Grubengesellschaft, zu dem Ingenieur. Dieser Schritt führte zu gar nichts; der Ingenieur setzte ihnen auseinander, daß er mit der Arbeit auf der Südseite beginnen müsse, weil es von dort näher zum Meere sei, dort brauche man keine Luftbahn, dort sei fast gar kein Transport nötig. Nein, die Arbeit müsse aus der Südseite anfangen. Damit basta!
Da reiste Aronsen sofort hinüber auf das neue Arbeitsfeld zu der neuen Goldgrube. Er wollte auch den Ladendiener Andresen mitnehmen: Wozu willst du hier im Ödland bleiben? sagte er. Es ist viel besser für dich, wenn du mit mir .gehst. – Aber der Ladendiener Andresen wollte das Ödland nicht verlassen, es war unbegreiflich, aber es war gerade, als ob ihn etwas hier fesselte, es schien ihm hier zu gefallen, er war hier festgewurzelt. Andresen selbst mußte sich verändert haben, das Ödland hatte sich nicht geändert. Hier waren die Leute und die Verhältnisse noch genau so wie früher: der Bergwerksbetrieb war zwar aus der Gegend verschwunden, aber keiner der Ödlandbewohner hatte darüber den Kopf verloren, sie hatten ihre Landwirtschaft, ihre Ernten und ihren Viehbestand. Bares Geld gab es allerdings nicht so viel bei ihnen, sie hatten alle Lebensbedürfnisse, einfach alle. Nicht einmal Eleseus verzweifelte darüber, daß der Geldstrom an ihm vorüberfloß; das Schlimmste war, daß er in der ersten Begeisterung eine Menge unverkäuflicher Waren angeschafft hatte. Nun, die mußten eben vorläufig lagern bleiben, sie putzten den Laden heraus und dienten ihm zur Ehre.
Nein, der Ödlandbewohner verlor den Kopf nicht. Er fand die Luft nicht ungesund, hatte Bewunderer genug für seine neuen Kleider, er vermißte die Diamanten nicht, und Wein kannte er nur von der Hochzeit zu Kanaan. Der Ödlandbewohner quälte sich nicht wegen der Herrlichkeiten, auf die er verzichten mußte: Kunst, Zeitungen, Luxus, Politik waren gerade soviel wert, als die Menschen dafür bezahlen wollten, nicht mehr. Der Erntesegen aber mußte erarbeitet werden um jeden Preis, das war der Ursprung, die Quelle von allem und jedem.
Was, das Leben des Ödlandbewohners öde und traurig? Hoho, nichts dergleichen! Er hatte seine höheren Mächte, seine Träume, sein Liebesleben, seinen reichen Aberglauben. Eines Abends geht Sivert den Fluß entlang und bleibt plötzlich stehen: im Wasser liegen zwei Wildenten, Ente und Entrich. Sie haben ihn entdeckt, haben den Menschen gesehen und sind scheu geworden, einer der Vögel sagt etwas, er stößt einen kurzen Laut aus, eine Melodie in drei Tönen, und der andere antwortet gleichlautend. Im selben Augenblick heben sie die Flügel und sausen wie zwei kleine Räder einen Steinwurf weit den Fluß hinauf, wo sie sich wieder aufs Wasser niederlassen. Da sagt der eine wieder etwas, und der andere antwortet; es ist dieselbe Sprache, wie das erstemal, aber so innig befreit, daß es eine kleine Seligkeit ist: die Töne sind zwei Oktaven höher gestimmt. Sivert steht da und betrachtet die Vögel, sieht an ihnen vorbei und weit ins Land der Träume hinein. Ein Laut ist in ihm erklungen, eine Süßigkeit in ihm aufgestiegen, er stand da mit einer zarten, feinen Erinnerung an etwas Wildes und Schönes, etwas früher Erlebtes, von dem die Erinnerung in ihm erloschen ist. Stille geht er nach Hause, er spricht nicht davon, plaudert nicht darüber, irdische Worte reichten dazu nicht aus. Es war Sivert von Sellanraa, jung und durchschnittlich ging er eines Tages aus und hatte dieses Erlebnis.
Und das war nicht sein einziges Abenteuer, er erlebte noch andere. Aber er mußte auch das Abenteuer erleben, daß Jensine Sellanraa verließ. Das brachte große Unordnung in Siverts Gemütsleben.
Ja, es kam wirklich soweit, daß Jensine fortging, sie wollte selbst gehen. Ach, Jensine war nicht die erste beste, das konnte niemand behaupten! Sivert hatte ihr einmal angeboten, sie wieder nach Hause zu fahren; bei der Gelegenheit hatte sie leider geweint, später aber hatten ihre Tränen sie gereut, und sie zeigte, daß sie sie bereute, sie kündigte. Jawohl, in aller Ordnung.
Und nichts auf der Welt wäre Inger auf Sellanraa erwünschter gewesen, als daß Jensine ging; Inger hatte angefangen, unzufrieden mit ihrer Magd zu sein. Das war merkwürdig, denn sie hatte nichts an ihr auszusetzen, aber sie schien sie nur mit Überwindung ansehen und ihre Anwesenheit auf dem Hofe kaum noch ertragen zu können. Das hing wohl mit Ingers Gemütszustand zusammen: sie war den ganzen Winter über schwermütig und fromm gewesen und kam nicht darüber hinweg. Du willst gehen? Jawohl, geh nur, sagte Inger. Das war ein Segen, eine Erhörung nächtlicher Gebete. Es blieben trotzdem noch zwei erwachsene weibliche Personen auf dem Hofe, was sollte diese lebensfrische und mannbare Jensine hier? Mit Unwillen betrachtete Inger diese Mannbarkeit, und sie dachte wohl: Gerade wie ich damals!
Ihre große Frömmigkeit ließ nicht nach. Sie war nicht an sich lasterhaft, sie hatte gekostet, jawohl sie hatte genippt, aber sie hatte nicht im Sinn, das bis ins Alter zu treiben, keine Rede davon. Inger wies diesen Gedanken mit Entsetzen von sich. Der Grubenbetrieb hörte auf und alle Arbeiter verschwanden, – lieber Gott, nichts hätte besser sein können! Die Tugend war nicht nur erträglich, sie war notwendig, ein notwendiges Gut, eine Gnade.
Allein die Welt war schlecht. Seht, da war nun Leopoldine, die kleine Leopoldine, ein Fruchtkeim, ein kleines Kind, und war zum Überfließen voll Gesundheit und Sünde. Wenn sich ihr ein Arm um die Mitte legte, so würde sie zusammensinken, pfui! Sie hatte Finnen im Gesicht bekommen, das deutete auf Wildheit im Blute, ach, die Mutter erinnerte sich wohl daran, damit begann die Wildheit im Blute. Die Mutter verdammte die Tochter durchaus nicht wegen dieser Finnen im Gesicht, aber sie wollte ihnen ein Ende machen. Leopoldine sollte damit aufhören. Was hatte auch dieser Ladendiener Andresen an den Sonntagen nach Sellanraa heraufzukommen und mit Isak von der Landwirtschaft zu schwatzen? Bildeten sich denn diese beiden Mannsleute ein, daß die kleine Leopoldine gar nichts merke? O, die Jugend war schon früher verrückt gewesen, vor dreißig, vierzig Jahren, aber jetzt war sie schlimmer geworden.
Ja, wie es nun auch geht! sagte Isak, als sie davon sprachen. Jetzt ist das Frühjahr da, und Jensine ist fort, und wen können wir für die Sommerarbeit bekommen? – Die Leopoldine und ich werden arbeiten, erklärte Inger. Lieber will ich Tag und Nacht arbeiten! rief sie erregt und dem Weinen nahe. – Isak konnte sich diesen heftigen Ausbruch nicht erklären, aber er hatte seine eigenen Ansichten, deshalb ging er mit Hacke und Spaten an den Waldrand und fing an, einen Stein zu bearbeiten. Nein, wahrhaftig, Isak konnte nicht verstehen, daß die Magd Jensine fortgegangen war, sie war doch ein tüchtiges Mädchen gewesen. Er verstand im ganzen nur das Nächstliegende, die Arbeit, gesetzliches und natürliches Tun. Er war von rundem und gewaltigem Körperbau, niemand war weniger astral als er, er aß wie ein rechter Mann, und es bekam ihm gut, deshalb kam er auch höchst selten aus dem Gleichgewicht.
Da war nun also dieser Stein. Es waren noch viele andere Steine da, aber mit einem mußte er nun einmal anfangen. Isak steht den Tag kommen, da er hier ein Häuschen bauen muß, eine Heimstätte für sich und Inger. Er will den Bauplatz ein wenig ebnen, während Sivert drunten auf Storborg ist, sonst muß er seinem Sohn eine Erklärung geben, und das möchte er vermeiden. Natürlich wird der Tag kommen, wo Sivert alle Gebäude auf dem Hofe für sich selbst braucht, dann müssen die Eltern eine Wohnung haben. Sie kamen ja mit dem Bauen auf Sellanraa niemals zu Ende, der große Futterboden auf dem steinernen Stall war auch noch nicht gebaut. Aber die Balken und die Bretter dazu lagen fertig da.
Also da war nun dieser Stein. Was davon aus der Erde hervorragte, sah nicht besonders groß aus, aber er rührte und regte sich nicht, er mußte also doch ein gewaltiger Brocken sein. Isak grub rund darum herum und machte einen Versuch mit dem Spaten, aber der Stein rührte sich nicht. Er grub noch tiefer und versuchte es wieder, – nein. Nun mußte Isak nach Hause und eine Schaufel holen, um die lose Erde wegzuschaffen. Dann grub er wieder und probierte, – nein. Das ist einmal ein Block! dachte Isak in all seiner Geduld. Er grub nun schon eine gute Weile, der Stein reichte immer tiefer in die Erde hinunter, und er konnte ihn nirgends richtig anpacken. Es wäre doch recht ärgerlich, wenn er genötigt wäre, den Stein zu sprengen. Dann wären die Schläge, um das Bohrloch zu machen, weithin zu hören und würden alle Hausbewohner herbeirufen. Isak grub weiter, aber dann holte er eine Hebestange und versuchte es damit, – nein. Er grub wieder. Nun fing Isak doch allmählich an, etwas ärgerlich auf den Stein zu werden, er runzelte die Stirn und schaute ihn an, wie wenn er eben nur gekommen wäre, um die Steine hier ein wenig zu beaufsichtigen, und wie wenn gerade dieser Stein hier besonders dumm wäre. Er kritisierte ihn, er war so rund und dumm, er war nirgends zu fassen, ja, er meinte beinahe, er habe eine ganz verkehrte Form. Sollte er ihn sprengen? Keine Rede davon, wozu auch noch Pulver an ihn verschwenden! Oder sollte er ihn aufgeben, sollte er eine Art von Furcht zeigen, der Stein könnte ihm überlegen sein?
Isak grub. Er mühte sich im Schweiße seines Angesichts, aber was war der Erfolg? Endlich bekam er die Spitze der Hebestange darunter und machte einen Versuch, – der Stein rührte sich nicht. Sachgemäß war an seinem Vorgehen nichts auszusetzen, aber es hatte keinen Erfolg. Was war denn das? Hatte er denn nicht auch sonst schon Steine ausgebrochen? War er alt geworden? Komisch, hehe! Lächerlich. Er hatte ja wohl neulich einmal Anzeichen von abnehmender Kraft bemerkt, das heißt, er hatte es nicht bemerkt, er hatte sich nicht darum gekümmert, es war Einbildung gewesen. Und nun geht er wieder an den Stein, völlig entschlossen ihn zu heben.
O, das war keine Kleinigkeit, wenn Isak sich über eine Hebestange legte und sich schwer machte! Da liegt er vorgebeugt und hebt und hebt, zyklopisch und mit außerordentlicher Kraft, mit einem Oberkörper, der bis zu den Knien zu reichen scheint. Es war ein gewisser Pomp und eine Pracht über ihm, sein Äquator war ungeheuer.
Allein der Stein rührte sich nicht.
Es half alles nichts, er mußte noch tiefer graben. Sollte er den Stein sprengen? Schweig still! Nein, aber er mußte noch tiefer graben. Er wurde sehr eifrig. Der Stein mußte und sollte heraus! Man konnte nicht sagen, es sei in diesem Trieb von seiten Isaks etwas Perverses gewesen; es war die alte Liebe des Ackerbauern zur Urbarmachung des Bodens, aber gänzlich ohne Zärtlichkeit. Es sah ganz närrisch aus, erst umkreiste er den Stein von allen Seiten, ehe er sich dranmachte, dann grub er ringsherum und betastete ihn und schaufelte die Erde mit den bloßen Händen weg, ja, das tat er. Aber das alles waren keine Liebkosungen. Es war ihm heiß geworden, aber heiß vor Eifer. Wie, wenn er es jetzt wieder mit der Hebestange versuchte? Er setzte sie da an, wo er sich am meisten Erfolg versprach, – nein. War das einmal ein merkwürdiger Trotz und Eigensinn von einem Stein! Aber jetzt schien es zu gehen. Isak versucht es noch einmal und bekommt Hoffnung, der Erdarbeiter hatte es im Gefühl, daß der Stein nicht mehr unüberwindlich war. Da glitt die Hebestange ab und warf Isak zu Boden. Verdammt! sagte er. Das fuhr ihm so heraus. Seine Mütze hatte zu gleicher Zeit einen Schubbs gekriegt, und saß nun so schief, daß er ganz spanisch, ganz räubermäßig aussah. Er spuckte aus.
Da kommt Inger dahergegangen. Du mußt jetzt zum Essen kommen, Isak, sagt sie ganz lieb und freundlich. – Ja, gibt er zur Antwort, aber er will nicht, daß sie näher herankommt, und er will kein Gerede. Ach, diese Inger, sie merkte gar nichts, sie kam näher. Was hast du dir jetzt wieder ausgedacht? fragt sie, denn sie möchte ihm damit schmeicheln, daß er sich fast jeden Tag etwas Neues und Großartiges ausdenkt. – Aber Isak ist sehr grimmig, fürchterlich grimmig ist er, er erwidert: Das weiß ich nicht. – Und Inger ihrerseits ist sehr töricht, sie fragt ihn und plaudert ihm noch allerlei vor und geht nicht. – Da du es nun doch einmal gesehen hast, ich will diesen Stein herausheben, sagt er. – So, du willst ihn herausheben? fragt sie. – Ja. – Ich kann dir wohl nicht helfen? – Isak schüttelt den Kopf. Aber es war doch ein hübscher Zug von Inger, daß sie ihm helfen wollte, und er konnte sie nicht länger zurückweisen. Wenn du ein klein wenig warten willst, sagt er und läuft nach Hause, um den Schmiedehammer und einen Meißel zu holen.
Wenn er den Stein an der richtigen Stelle etwas uneben machte, indem er einen Splitter abschlug, so bekam die Hebestange einen besseren Halt. Inger hält den Meißel, und Isak schlägt zu. Ja, es gelingt, ein Splitter fällt ab. – Ich danke dir für die Hilfe, sagt Isak. Und du sollst vorerst mit dem Essen nicht auf mich warten, ich will erst diesen Stein heraushaben.
Allein Inger geht nicht, und im Grunde genommen ist es Isak auch lieb, daß sie stehen bleibt und ihm bei seiner Arbeit zuschaut, das hatte er schon in jungen Tagen gern gehabt. Und siehe da, er findet einen prächtigen Halt für die Hebestange und hebt – der Stein bewegt sich! – Er bewegt sich! sagt Inger.– Du willst mich doch nicht foppen? fragt Isak. – Ich foppen! Er bewegt sich!
Soweit war er gekommen, wahrhaftig der Stein bewegte sich, er hatte den Stein für die Sache gewonnen, jetzt arbeiteten sie zusammen. Isak hebt und wiegt die Stange hin und her, und der Stein bewegt sich ein wenig, aber nicht mehr. Isak macht eine Weile so weiter, allein es führt zu nichts. Plötzlich sieht er ein, daß es sich nicht darum handelt, ob sein Körpergewicht zureicht, er hat nicht mehr die alte Kraft, das ist die Sache, er hat die zähe Biegsamkeit des Körpers eingebüßt. Körpergewicht? Es wäre ja gar nichts gewesen, sich über die schwere Stange zu legen und sie abzubrechen. Aber er hatte an Kraft verloren, so sah es aus. Das erfüllte den duldsamen Mann mit Bitterkeit; wenn nur wenigstens nicht Inger dabei gestanden und zugeschaut hätte!
Plötzlich läßt er die Stange fahren und ergreift den Schmiedehammer. Der Zorn hatte ihn erfaßt, er war in der Stimmung, Gewalt zu gebrauchen. Seht, er hat immer noch die Mütze auf dem Ohre sitzen und sieht räubermäßig aus, jetzt läuft er mit gewaltigen Schritten rundum den Stein herum, als ob er sich selbst dem Stein gegenüber in das richtige Licht setzen wollte, ho, es sah aus, als ob er jetzt diesen Stein als eine Ruine hinter sich zurücklassen wollte. Warum sollte er das nicht tun? Einen Stein, den man tödlich haßt, zu zerschmettern, das ist nur Formsache. Und wenn der Stein Widerstand leistete, wenn er sich nicht zerschmettern ließ? O es würde sich schon zeigen, wer von ihnen beiden der Überlebende sein würde!
Aber jetzt redet Inger ein wenig ängstlich, denn sie merkt wohl, was in dem Manne gärt, sie sagt: Wie wär's, wenn wir uns beide auf den Balken da legten? und mit dem Balken meinte sie die Hebestange. – Nein! rief Isak rasend. Aber nach einem Augenblick des Nachdenkens sagt er: Ja, wenn du doch schon einmal da bist, aber ich begreife nicht, warum du nicht nach Hause gehst. Wir wollen's einmal versuchen!
Und nun gelingt es ihnen, den Stein auf die Kante zu drehen. Es glückt. Puh! sagt Isak.
Allein nun offenbart sich vor ihren Augen etwas Unerwartetes: die Unterseite des Steines ist eine Fläche, eine große schöne Fläche, eben, glatt wie der Fußboden. Der Stein ist also nur die Hälfte eines Steins, die andere Hälfte muß irgendwo in der Nähe liegen. Isak wußte wohl, daß die beiden Hälften eines Steines sehr gut eine verschiedene Lage in der Erde haben konnten, es war wohl der Frost gewesen, der sie im Laufe langer Zeiträume voneinander entfernt hatte. Aber dieser ganze Fund freut ihn außerordentlich. O, dieser Stein ist brauchbar, er gibt eine prächtige Türschwelle. Selbst eine größere Geldsumme würde das Herz des Ödlandbewohners nicht mit solcher Befriedigung erfüllt haben. Das ist eine feine Türschwelle, sagt er stolz, und Inger bricht im guten Glauben in die Worte aus: Ich begreife nur nicht, wie du das hast wissen können! – Hm! sagt Isak. Meinst du, ich hätte für nichts hier in der Erde gegraben?
Sie gehen zusammen nach Hause, Isak hat sich eine unverdiente Bewunderung erschlichen; die schmeckt aber nicht viel anders als die verdiente. Er setzt auseinander, daß er die ganze Zeit über auf der Jagd nach einer ordentlichen Türschwelle gewesen sei, jetzt habe er eine gefunden. Von jetzt an war es auch nicht mehr verdächtig, wenn er auf dem Bauplatz arbeitete, er konnte dort unter dem Vorwand, nach der zweiten Hälfte der Türschwelle zu suchen, roden, soviel er wollte. Und als Sivert nach Hause kam, ließ sich Isak sogar von dem Sohne helfen.
Aber wenn es so weit gekommen war, daß er nicht mehr allein hingehen und einen Stein aus der Erde brechen konnte, dann hatte sich viel geändert, dann sah es gefährlich aus, dann eilte es mit dem Bauplatz. Das Alter hatte Isak eingeholt, er fing an, für die Ausdingstube reif zu werden. Der Triumph, den er sich angeeignet hatte, als er die Türschwelle fand, verglühte im Laufe der Tage, er war unecht und undauerhaft gewesen. Isak fing an etwas gebeugt zu gehen.
War er denn nicht einstmals in seinem Leben aufmerksam und hellhörig geworden, sobald nur jemand Stein oder Graben zu ihm gesagt hatte? Das war noch gar nicht lange her, nur einige Jahre. Und damals mußte sich ja einer, der ein trocken gelegtes Moor nur mit einem schiefen Blick ansah, vor ihm in acht nehmen. Jetzt fing er so langsam und allmählich an, derartiges mit mehr Ruhe aufzufassen, ach ja, Herrgott im Himmel! Nichts war mehr so wie früher, das ganze Ödland hatte sich verändert, dieser breite Telegraphenweg durch den Wald war früher nicht da, die Berge droben am Wasser waren früher nicht gesprengt und durchwühlt gewesen. Und die Menschen? Sagten sie noch Grüß Gott! wenn sie kamen und Behüt dich Gott! wenn sie gingen? Sie nickten nur, und oft das nicht einmal.
Aber früher hatte es auch kein Sellanraa gegeben, nur eine Torfgamme; aber was war es jetzt? Und dann war auch früher kein Markgraf dagewesen.
Ja, und was war der Markgraf jetzt! Nichts als ein trauriger und vertrockneter alter Mann. Was nützte es zu essen und gute Gedärme zu haben, wenn das keine Kraft mehr gab? Jetzt war es Sivert, der Kräfte hatte, und gottlob, daß er sie hatte; aber wie wenn auch Isak selbst sie gehabt hätte! Wozu sollte es gut sein, daß sein Rad anfing sich langsamer zu drehen? Er hatte geschafft wie ein rechter Mann, sein Rücken hatte die Lasten eines Lasttiers getragen, jetzt sollte er Ausdauer darin zeigen, auf einem Hocker herumzusitzen.
Isak ist mißvergnügt, Isak ist schwermütig.
Da liegt ein alter Südwester auf dem Hügel und vermodert. Der Sturm hat ihn hierher an den Waldessaum geweht, oder vielleicht haben ihn auch die Kinder dorthin gebracht, als sie noch klein waren. Da liegt er nun ein Jahr ums andere und vermodert immer mehr, und er war doch einmal ein neuer Südwester gewesen, ein schöner gelber Südwester. Isak erinnert sich noch, wie er damit vom Kaufmann nach Hause kam, und wie Inger sagte, das sei ein schöner Südwester. Ein paar Jahre später ging er damit zum Maler ins Dorf hinunter und ließ ihn glänzend schwarz lakieren und den Schirm daran grün malen. Als er damit nach Hause kam, sagte Inger, er sei jetzt schöner als je. Inger gefiel immer alles ausgezeichnet, ach, das war eine schöne Zeit, er schlug Klafterholz und Inger sah ihm zu, das war seine beste Zeit im Leben gewesen. Und wenn der März und April kam, dann wurden er und Inger verliebt, gerade wie die Vögel und Tiere des Waldes, und wenn der Mai kam, dann säte er Korn und legte Kartoffeln und arbeitete Tag und Nacht. Es gab Schlaf und Arbeit, Liebe und Träumerei, er war wie sein erster großer Stier, und der war ein Wundertier gewesen, groß und glänzend wie ein König, wenn er in seiner Pracht einherschritt. Aber einen solchen Mai bringen die Jahre jetzt nicht mehr, das gibt es nicht mehr.
Einige Tage lang war Isak niedergeschlagen. Das waren dunkle Tage. Er fühlte weder Lust noch Kraft in sich, mit dem Aufbau des Futterspeichers zu beginnen. Das wird einmal Siverts Sache sein, jetzt galt es, das Ausdinghäuschen fertigzustellen. Auf die Dauer konnte er es nicht vor Sivert verborgen halten, daß es ein Bauplatz war, den er hier am Waldrand rodete, und eines Tages offenbarte er die Sache: Das da ist ein guter Stein, wenn wir einmal wieder etwas mauern wollen, sagte er. – Und das da ist auch ein guter Stein, sagte er. – Sivert verzog keine Miene, er erwiderte: Prächtige Grundsteine. – Ja, was meinst du? sagt der Vater. Wir haben nun hier so lange nach der zweiten Türschwelle gegraben, daß ein ganz schöner Bauplatz entstanden ist. Aber ich weiß nicht. – Das wäre wirklich kein dummer Bauplatz, sagt Sivert und läßt seinen Blick über den Platz hingleiten. – So, meinst du? Wir könnten ja hier ein kleines Häuschen bauen für Besuche, wenn jemand kommt. – Ja. – Es müßte wohl eine Stube und eine Kammer sein? Du hast ja gesehen, wie es war, als die schwedischen Herren das letztemal hier waren, und jetzt haben wir keinen Neubau für sie. Aber was meinst du, eine kleine Küche müßte doch auch dabei sein, falls sie kochen wollten? – Ja, ohne eine kleine Küche könnten sie nicht sein, sie müßten uns ja auslachen, sagt Sivert. – So, meinst du?
Der Vater schwieg. Aber der Sivert war doch ein wunderbarer Junge, wie schnell er begriff und einsah, was schwedische Herren alles notwendig brauchten; nicht eine einzige Frage stellte er, er sagte nur: Wenn ich du wäre, so würde ich an die Nordwand eine kleine Scheune anbauen. Es wäre sehr bequem für sie, wenn sie eine Scheune hätten, falls sie einmal nasse Kleider zum Trocknen aufhängen wollten.
Der Vater fällt sofort ein: Da hast du recht!
Nun schweigen beide und arbeiten an ihren Steinen weiter. Nach einer Weile fragt der Vater: Ist Eleseus noch nicht heimgekommen? – Sivert erwidert ausweichend: Er kommt jetzt bald.
Die Sache mit Eleseus war die, er war so sehr häufig fort, wollte beständig reisen. Hätte er denn die Waren nicht auch schriftlich bestellen können, statt selbst hinzureisen und sie einzukaufen? Er bekam sie allerdings viel billiger, aber wieviel kosteten die Reisen! Er hatte eine so merkwürdige Art zu denken. Und was wollte er denn mit noch mehr Baumwollstoff und seidenen Bändern für Taufhäubchen und schwarzen und weißen Strohhüten und langen Tabakspfeifen? Derartiges kaufte doch kein Ödlandbewohner, und die Kunden aus dem Dorf kamen nur nach Storborg herauf, wenn sie kein Geld hatten. Eleseus war in seiner Art recht tüchtig, o, man mußte nur einmal sehen, wie geschickt er auf Papier schrieb oder mit der Kreide rechnete! Wenn ich nur deinen Kopf hätte! sagten die Leute bei solchen Gelegenheiten. Das alles war ganz richtig, aber er hatte zuviel Geld ausstehen. Diese Dorfleute bezahlten ja niemals, was sie schuldig waren, und selbst so ein Bettelmann wie Brede Olsen war im Winter nach Storborg gekommen und hatte Baumwollstoff und Kaffee und Sirup und Kerzen auf Borg erhalten.
Isak hat ja nun schon sehr viel Geld für Eleseus und sein Geschäft und seine Reisen ausgegeben, und so sehr viel von dem Reichtum, den er für den Kupferberg erhalten hat, ist nicht mehr übrig, und was dann? – Wie glaubst du, daß das mit Eleseus weitergehen wird? fragt Isak plötzlich. – Weitergehen? fragt Sivert zurück, um Zeit zu gewinnen. – Es sieht nicht aus, als ob es gehen wollte. – Er selbst ist voll der besten Hoffnung, sagt Sivert. – So, hast du mit ihm darüber gesprochen? – Nein, Andresen hat es gesagt. – Der Vater denkt darüber nach und schüttelt den Kopf: Nein, es geht nicht, sagt er. Aber es ist schade um Eleseus!
Und der Vater wird immer finsterer und war doch schon vorher nicht allzu leichten Sinnes gewesen.
Da rückt Sivert mit einer Neuigkeit heraus: Es kommen jetzt noch mehr Ansiedler ins Ödland. – Wieso? – Ja, zwei neue Ansiedler. Sie haben sich noch weiter oben als wir angekauft. – Isak bleibt mit dem Spaten in der Hand stehen, das war eine große Neuigkeit und eine gute Neuigkeit, eine von den besten. Dann sind wir zehn Ödlandbauern, sagt er. Isak bekommt nähere Auskunft, wo sich die neuen Ansiedler angekauft haben, er hat die ganze Geographie im Kopf und nickt: Ja, da haben sie recht getan, dort haben sie einen guten Wald für Brennholz und auch Hochstämme. Das Grundstück neigt sich gegen Südosten.
Nein, nichts konnte die Ansiedler zurückhalten; es kamen immer mehr neue Leute her. Der Bergwerksbetrieb hörte allerdings auf, aber das war ja nur zum Nutzen der Landwirtschaft, es war nicht wahr, daß das Ödland tot dalag, im Gegenteil, es wimmelte da von Leben, zwei neue Ansiedler mehr, vier Hände mehr, Äcker, Wiesen und Häuser. Ach, die freien, grünen Halden im Walde, Hütten und Quellen, Kinder und Tiere! Korn wächst auf den Mooren, wo zuvor nur Schachtelhalme gestanden hatten, blaue Glockenblumen nicken von den Hügeln, Sonnengold leuchtet auf dem blühenden Hornklee vor den Häusern. Und Menschen sind da und sprechen und denken und sind eins mit Himmel und Erde.
Hier steht nun der erste, der sich im Ödland niedergelassen hat. Als er kam, watete er bis an die Kniee in Sumpf und Heide, er fand eine sonnige Halde und siedelte sich da an. Andere kamen nach ihm, sie traten einen Fußpfad durch die unbebaute Allmende, noch andere kamen, der Fußpfad wurde zu einem Fahrweg, nun fuhren sie mit Karren darauf. Isak muß sich zufrieden fühlen, Stolz muß ihn durchzucken, er hat den Grund zu dieser ganzen Ansiedlung gelegt, er ist der Markgraf.
Ja ja, aber wir können nicht ewig hier auf diesem Bauplatz weiterroden, wenn wir in diesem Jahr noch den Futterspeicher aufrichten wollen, sagt er.
Und das sagte er wohl in einer plötzlichen frohen Laune, mit neuem Lebensmut.