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Und die Zeit verging.
Ja, natürlich kam Eleseus in die Stadt, Inger setzte es durch. Nachdem er ein Jahr dort gewesen war, wurde er konfirmiert, dann blieb er fest auf dem Bureau des Ingenieurs und wurde immer tüchtiger im Schreiben. O, was waren das für Briefe, die er heimschickte, bisweilen mit roter und blauer Tinte geschrieben, die reinen Gemälde! Und wie die Sprache darin, die Sätze! Ab und zu bat Eleseus um Geld, bat um Unterstützung: er brauchte Geld zu einer Taschenuhr samt Kette, damit er am Morgen nicht zu lange schlief; dann zu einer Pfeife und Tabak, wie es die andern jungen Schreiber in der Stadt hatten, dann zu etwas, das er Taschengeld nannte, dann zu etwas, das Abendschule hieß, wo er Zeichnen und Turnen und andere für seinen Stand und seine Stellung notwendige Dinge lernte. Alles in allem war Eleseus in einer Stellung in der Stadt nicht billig zu haben.
Taschengeld? fragte Isak. Ist das Geld, das man in der Tasche hat? – Ja, das muß wohl so sein, man tut es wohl, damit man nicht ganz leer daherkommt. Und es ist ja gar nicht so viel, ein Taler ab und zu. – Ganz richtig, ein Taler hier und ein Taler dort, antwortete Isak zornig. Aber er war zornig, weil Eleseus ihm fehlte und er ihn daheim haben wollte. Aber schließlich werden es viele Taler, fuhr er fort. Ich kann das nicht leisten, du mußt ihm schreiben, daß er nichts mehr bekommt. – So, na ja, sagte Inger beleidigt. – Der Sivert, was bekommt denn der als Taschengeld? fragte Isak.– Inger erwiderte: Du bist nie in einer Stadt gewesen und verstehst das nicht, der Sivert braucht kein Taschengeld. Und im übrigen kommt der Sivert nicht zu kurz, wenn sein Oheim Sivert einmal stirbt. – Das weißt du nicht. – Doch, das weiß ich.
Und das war gewissermaßen richtig, der Oheim Sivert hatte sich dahin ausgesprochen, daß Klein-Sivert ihn beerben solle. Oheim Sivert hatte an Eleseus' Prahlerei und Vornehmtuerei in der Stadt Anstoß genommen, er hatte genickt und die Lippen zusammen gekniffen und gesagt, ein Schwestersohn, der nach ihm genannt sei – nach dem Oheim Sivert – brauche keineswegs zu verhungern. Aber was besaß der Oheim Sivert wohl? Besaß er neben seinem vernachlässigten Hof und seinem Bootsschuppen auch noch einen so großen Haufen Geld, wie man allgemein annahm? Niemand wußte es. Und dazu kam noch, daß Oheim Sivert ein eigensinniger Mensch war, er verlangte, Klein-Sivert solle zu ihm kommen und bei ihm bleiben. Oheim Sivert betrachtete das als Ehrensache: er wollte Klein-Sivert zu sich nehmen, wie der Ingenieur Eleseus zu sich genommen hatte. Aber wie sollte Klein-Sivert von zu Hause wegkommen? Das war unmöglich. Er war des Vaters einzige Hilfe. Außerdem hatte der Junge auch keine große Lust, zu dem Oheim zu gehen, dem berühmten Bezirkskassierer, er war schon einmal dort gewesen, aber dann lieber wieder heimgegangen. Er war jetzt konfirmiert, reckte und streckte sich und wuchs heran, feiner Flaum sproßte ihm auf den Wangen, und er hatte starke Hände mit Schwielen daran. Er schaffte wie ein Mann.
Isak hätte ohne Siverts Hilfe niemals die neue Scheune aufrichten können, aber jetzt stand sie mit der Einfahrtsbrücke und den Luken und allem ebensogroß da wie die Pfarrscheune selbst. Natürlich war sie nur aus Fachwerk mit Bretterverschalung, aber besonders solid gebaut mit eisernen Klammern an den Ecken und mit zolldicken Brettern aus der eigenen Sägemühle verschalt. Ja, und da hatte Klein-Sivert mehr als einen Nagel eingeschlagen und hatte die schweren Balken fürs Sparrenwerk aufgehoben, daß er fast darunter umgesunken war. Sivert verstand sich ausgezeichnet mit seinem Vater und arbeitete ständig an seiner Seite, er war von des Vaters Art. Und er war nicht so fein und so verwöhnt, sondern ging nur jedesmal, ehe er sich auf den Weg zur Kirche machte, auf die Halde hinauf und rieb sich mit ein wenig Rainfarn ab, um einen guten Geruch an sich zu haben. Da fing wahrlich die kleine Leopoldine an, größere Ansprüche zu machen, was man ja auch nicht anders erwarten konnte, da sie ein Mädchen und dazu die einzige Tochter war. Jetzt im Sommer hatte sie ihre abendliche Grütze nicht ohne Sirup darauf essen können, nein, das gewann sie nicht über sich. Und sie leistete auch nicht viel bei der Arbeit.
Inger hatte den Gedanken an ein Dienstmädchen nicht aufgegeben, und jeden Frühling hatte sie aufs neue davon angefangen, aber jedesmal war Isak unnachgiebig geblieben. Wie viel mehr Kleider hätte sie zuschneiden können, wieviel mehr nähen und feine Stoffe weben und gestickte Pantoffeln fertig bringen, wenn sie Zeit gehabt hätte! Aber eigentlich zeigte sich Isak gar nicht mehr so unnachgiebig wie früher, wenn er auch noch brummte. Hoho, beim erstenmal hatte er eine lange Rede gehalten, nicht aus Rechtsgefühl und Verständigkeit, auch nicht aus Hochmut, sondern leider nur aus Schwäche, aus Wut. Aber jetzt war es, als habe er etwas nachgegeben und als schäme er sich.
Wenn ich Hilfe im Haus haben soll, so ist jetzt die Zeit dazu, sagte Inger. Denn später ist Leopoldine größer und kann dies und jenes tun. – Hilfe? fragte Isak, wobei sollst du dir denn helfen lassen? – Wobei ich mir helfen lassen will? Läßt du dir etwa nicht helfen? Wozu ist denn Sivert da?
Was sollte Isak auf solchen Unverstand entgegnen? Er sagte: Ja ja, wenn du eine Magd bekommst, dann werdet ihr wohl pflügen und ernten und den Hof besorgen. Dann können Sivert und ich unserer Wege gehen. Wie das auch sein mag, entgegnete Inger, jedenfalls könnte ich jetzt Barbro als Magd bekommen, sie hat ihrem Vater darüber geschrieben. – Welche Barbro? fragte Isak. Etwa Bredes Barbro? – Ja, sie ist in Bergen. – Bredes Barbro will ich nicht hier in meinem Hause haben, sagte er. Wen du auch sonst nehmen magst, fügte er hinzu.
Er wies also nicht jede andere zurück.
Seht, in Barbro von Breidablick hatte Isak kein Vertrauen; sie war unbeständig und oberflächlich wie der Vater – vielleicht auch wie die Mutter – war flüchtigen Sinnes, ohne Ausdauer. Beim Lensmann war sie nicht lange geblieben, nur ein Jahr, als sie dann konfirmiert war, kam sie zum Kaufmann, blieb aber auch da nur ein Jahr. Dann war sie erweckt und fromm geworden, und als die Heilsarmee ins Dorf kam, trat sie in diese ein, bekam eine rote Binde um den Arm und eine Gitarre in die Hände. In dieser Ausstaffierung reiste sie auf der Jacht des Kaufmanns nach Bergen. Das war im vorigen Jahr gewesen, und jetzt eben hatte sie ihre Photographie heim nach Breidablick geschickt; Isak hatte sie gesehen: ein fremdes Fräulein mit gekräuseltem Haar und einer langen Uhrkette über die Brust herunter. Die Eltern waren stolz auf ihre kleine Barbro und zeigten das Bild jedem, der an Breidablick vorbeikam; es war großartig, wie sie sich herausgemacht hatte, und sie hatte keine rote Binde mehr um den Arm und keine Gitarre mehr in den Händen.
Ich habe es mitgenommen und es der Frau des Lensmanns gezeigt, die erkannte sie gar nicht wieder, sagte Brede. – Bleibt sie in Bergen? fragte Isak mißtrauisch. – Sie bleibt in Bergen, solange sie dort ihr Brot verdient, antwortete Brede. Wenn sie nicht lieber nach Christiania reist, setzte er hinzu. Was soll sie hier daheim! Sie hat jetzt eine neue Stelle, ist Haushälterin bei zwei Junggesellen, feinen Kontorherrn. Und was sie für einen großen Lohn hat! – Wieviel? fragte Isak. Das gibt sie in ihrem Brief nicht genau an. Aber daß er etwas Ungeheueres ist gegen hier im Dorf, das merke ich daran, daß sie Weihnachtsgeschenke und viele andere Geschenke bekommen hat, ohne daß am Lohn etwas abgezogen worden wäre. – So, sagte Isak. – Ja, du möchtest sie wohl nicht als Magd haben? fragte Brede. – Ich? entfuhr es Isak. – Nein, hehe, ich hab nur so gefragt. Denn die Barbro soll nur bleiben, wo sie ist. Aber was ich sagen wollte: Du hast nichts Besonderes am Telegraphen droben bemerkt? – Am Telegraphen? Nein. – Ach nein, es ist nicht oft etwas in Unordnung daran, seit ich ihn übernommen habe. Und dann habe ich ja meine eigene Maschine an der Wand, die mir's anzeigt, wenn etwas daran fehlt. In den nächsten Tagen muß ich aber einmal die Linie abschreiten und nachsehen. Ich habe eben viel zu viel zu tun und zu besorgen, ein einziger Mann kann das nicht alles leisten. Aber da ich nun einmal Inspektor hier bin und dies öffentliche Amt habe, muß ich ihm eben auch nachkommen, so lange ich es habe. – Isak fragte: Du denkst doch nicht daran, es aufzugeben? – Ich weiß nicht, antwortete Brede, ich bin noch nicht entschlossen. Aber man läßt mir keine Ruhe, ich soll wieder ins Dorf hinunterkommen. – Wer läßt dir keine Ruhe? fragte Isak. – Alle miteinander. Der Lensmann möchte mich wieder als Gerichtsdiener, dem Doktor fehle ich zum Überlandfahren, und die Frau Pfarrer hätte mich schon mehr als einmal zur Hilfe haben wollen, wenn nur nicht der Weg so weit wäre. Nun, wie war es denn, Isak, hast du wirklich so viel Geld für deinen Berg bekommen? – Ja, das ist nicht gelogen, antwortete Isak. – Aber was wollte denn der Geißler damit? Nun liegt er da. Das ist doch etwas Merkwürdiges. Jetzt ist ein Jahr ums andere darüber hingegangen. – Isak hatte selbst oft über dieses Rätsel nachgegrübelt, er hatte auch mit dem Lensmann darüber geredet, hatte nach Geißlers Adresse gefragt, um ihm zu schreiben. Gewiß war die Sache merkwürdig. – Ich weiß nichts, sagte Isak.
Brede verbarg nicht, daß ihn dieser Handel mit dem Berg sehr interessiere: Es heißt, es seien noch mehrere Berge wie die deinigen droben in der Allmende, sagte er; da können große Dinge drin sein, wir aber gehen hier herum wie die stummen Tiere und sehen es nicht. Ich habe mich nun entschlossen, an einem Tag einmal hinaufzugehen und da zu untersuchen. – Ach so, du versteht dich auf Felsen und Gesteinsarten? fragte Isak. – Ja, ein wenig schon, und ich habe auch andere darüber befragt. Und wie es auch sein mag, so muß ich irgend etwas für mich finden, ich kann mit all den Meinen nicht von dem Hofe hier leben. Zum Kuckuck, das ist einfach unmöglich. Bei dir ist es ganz anders, du hast lauter Wald und guten Ackerboden. Bei mir ist nichts als Moor. – Moor ist guter Boden, sagte Isak kurz. Ich habe selbst Moor. – Es ist ganz unmöglich, es auszutrocknen, erwiderte Brede ...
Aber es war nicht unmöglich, das Moor auszutrocknen. Als Isak an diesem Tag weiter hinunter kam, stieß er auf neue Ansiedlungen. Zwei lagen weiter unten, dem Dorfe zu, aber eine war hoch droben zwischen Dreidablick und Sellanraa – o es wurde allmählich im Ödland gearbeitet, in Isaks erster Zeit lag es ganz menschenleer da. Und diese drei Ansiedler waren von auswärts, es schienen Leute mit Verstand zu sein; das erste, was sie taten, war nicht, Geld aufzunehmen und sich ein Haus zu bauen, sie kamen in einem Jahr her, zogen Gräben und verschwanden wieder, genau wie wenn sie gestorben wären. Das war die richtige Art: Gräben ziehen, pflügen, säen. Axel Ström war jetzt Isaks nächster Nachbar, ein tüchtiger Mann, Junggeselle, von Geburt ein Helgeländer; er hatte Isaks neuen Reolpflug entlehnt, um seinen Moorboden damit umzupflügen, und erst im zweiten Jahr hatte er sich einen Heuschuppen und eine Gamme errichtet und sich ein paar Stück Vieh angeschafft. Sein Besitztum hieß Maaneland, Mondland, weil der Mond so schön darauf schien. Er hatte keine eigene Frauensperson zur Hilfe, und Hilfe im Sommer war an diesem abgelegenen Ort nur schwer zu haben, aber wie er seine Arbeit einteilte und ausführte, das war ganz und gar die richtige Art. Oder hätte er etwa wie Brede zuerst ein Haus bauen und dann mit seiner Familie und vielen kleinen Kindern ins Ödland kommen sollen, ohne Vieh oder Äcker, von denen er leben konnte? Was verstand Brede Olsen vom Entwässern des Moores oder Urbarmachen des Ödlandes?
Brede Olsen verstand es, die Zeit mit Lappalien zu vergeuden; da kam er wirklich eines Tages an Sellanraa vorüber und wollte hinauf auf die Berge, um nach edlen Metallen zu suchen! Am Abend kehrte er zurück, hatte aber nichts Bestimmtes gefunden. Nur ein paar Anzeichen, sagte er und nickte dazu. Er wollte den Gang bald noch einmal machen und wollte auch die Berge nach Schweden zu untersuchen.
Und ganz richtig, Brede kam wieder. Er hatte wohl Geschmack daran gewonnen, er schob es auf die Telegraphenlinie, er müsse sie nachsehen. Indessen versorgten Frau und Kinder den Hof daheim oder ließen alles ungetan liegen. Isak bekam Bredes Besuche bald satt, und er ging aus dem Hause, wenn er kam. Dann schwätzten Inger und Brede herzlich miteinander. Was konnten sie nur zu schwätzen haben? O, Brede war oft im Dorf drunten und wußte immer etwas Neues von den Großen dort, Inger aber hatte ihrerseits ihre berühmte Reise nach Drontheim und ihren Aufenthalt, von dem sie erzählen konnte. In den Jahren, die sie fortgewesen war, hatte sie schwätzen gelernt, sie fing mit jedermann gleich eine Unterhaltung an. Nein, sie war nicht mehr dieselbe treuherzige, rechtschaffene Inger von früher.
Immer noch kamen Frauen und Mädchen nach Sellanraa, um sich Kleider zuschneiden oder im Handumdrehen wohl auch einen langen Saum auf der Maschine nähen zu lassen, und Inger unterhielt sie gut dabei. Auch Oline kam wieder, sie konnte es wahrscheinlich nicht aushalten, wegzubleiben, denn sie kam sowohl im Frühjahr als im Herbst, aalglatt, butterweich und falsch. – Ich mußte einmal sehen, wie es bei euch steht, sagte sie jedesmal. Und ich habe so Heimweh nach den kleinen Knaben, sagte sie, ich habe sie so in mein Herz geschlossen, die lieben Engel, die sie damals waren. Ja, ja, jetzt sind es große Burschen, aber es ist ganz merkwürdig, ich muß immer daran denken, wie sie noch so klein waren und ich für sie zu sorgen hatte. Und ihr baut und baut und macht den Hof zu einer ganzen Stadt. Werdet ihr auch eine Glocke auf dem neuen Scheunendach anbringen, gerade wie im Pfarrhaus?
Als Oline wieder einmal aus Sellanraa ankam, brachte sie eine andere Frau mit, und die beiden Frauen und Inger hatten nun einen guten Tag zusammen. Je mehr Menschen Inger um sich herumsitzen hatte, desto besser und desto schneller hantierte sie mit der Schere und nähte auf der Maschine; sie tat groß, schwang ihre Schere oder das Plätteisen. Das erinnerte sie an die Zeit in der Anstalt, wo sie so viele gewesen waren. Inger verbarg durchaus nicht, wo sie ihre Kunst und ihr Wissen her hatte, von Drontheim hatte sie's. Es war, als habe sie nicht auf gewöhnliche Weise dort eine Strafe abgesessen, sondern als sei sie in der Lehre gewesen: Schneidern, Weben, Färben und Schreiben, in all dem hatte sie Unterricht in Drontheim gehabt. Von der Anstalt redete sie mit einem gewissen Heimatgefühl, es waren so viele Leute dagewesen: Vorsteher und Aufsichtsbeamte und Wächter; als sie damals wieder heimgekommen war, sei es sehr einsam für sie gewesen, und es sei ihr überaus hart gefallen, sich von dem Gesellschaftsleben, an das sie nun gewohnt gewesen, zurückzuziehen. Sie tat sogar, als habe sie sich erkältet, weil sie in der rauhen Luft draußen gewesen war, ja, noch jahrelang nach ihrer Rückkehr sei es ihr nicht gut bekommen, in Wind und Wetter draußen zu sein. Zu der Arbeit außer dem Hause müßte sie eigentlich eine Magd haben. – Ja, aber Herrgott im Himmel, sagte Oline, du mit deiner Gelehrsamkeit und mit deinem großen Haus, du müßtest doch eine Magd halten können!
Es war recht angenehm, auf Verständnis zu stoßen, und Inger widersprach Oline nicht. Sie rasselte mit ihrer Maschine, daß es dröhnte, und ließ den Ring an ihrem Finger funkeln.
Nun siehst du selbst, sagte Oline zu der andern Frau, ist es nicht wahr, daß Inger einen goldenen Ring bekommen hat? – Wollt ihr ihn sehen? fragte Inger und zog ihn ab. Oline griff danach, sie schien nicht ganz sicher zu sein und untersuchte den Ring wie ein Affe eine Nuß untersucht: sah auch nach dem Stempel: Ja, es ist, wie ich sagte, diese Inger mit all ihrem Reichtum und all ihren Mitteln. – Die andere Frau nahm den Ring mit Ehrfurcht in die Hand und lächelte demütig. – Du darfst ihn eine Weile anbehalten, sagte Inger. Steck ihn nur an, er geht nicht entzwei!
Und Inger war freundlich und gutherzig. Sie erzählte von der Domkirche in Drontheim und begann: Ihr habt wohl die Domkirche in Drontheim nicht gesehen? Nein, ihr seid ja nicht in Drontheim gewesen! Diese Domkirche war gleichsam Ingers eigene Domkirche; sie verteidigte sie, prahlte mit ihr, gab Höhe und Breite an, sie sei wie ein Märchen! Sieben Pfarrer predigten gleichzeitig in ihr und hörten doch nichts voneinander. Dann habt ihr wohl den Brunnen des Heiligen Olaf auch nicht gesehen? Er liegt mitten in der Domkirche auf der einen Seite, und dieser Brunnen ist grundlos. Als wir da hingingen, hatten wir einen Stein mitgenommen, und den ließen wir hineinfallen, aber er erreichte den Grund nicht. – Er erreichte den Grund nicht! flüsterten die Frauen und schüttelten die Köpfe. – Aber außerdem sind noch tausend andere Dinge in der Domkirche! rief Inger entzückt aus. Da ist nun der silberne Schrein, das ist der Schrein von Sankt Olaf dem Heiligen, ihm gehört er. Aber die Marmorkirche, die eine kleine Kirche ganz und gar aus Marmor war, aber diese Kirche, die haben uns die Dänen im Krieg genommen ...
Die Frauen mußten aufbrechen. Oline zog Inger auf die Seite und mit sich in die Vorratskammer hinein, wo, wie sie wußte, die Käse lagen, und machte die Tür hinter sich zu. – Was willst du von mir? fragte Inger. – Oline flüsterte: Der Os-Anders wagt nicht mehr hierherzukommen. Ich habe es ihm gesagt. – Ach so, sagte Inger. – Ich habe ihm gesagt, er solle es nur wagen, nach dem, was er dir angetan hat! – Ja ja, sagte Inger. Aber er ist seither mehrere Male hier gewesen, und im übrigen kann er gerne kommen, ich fürchte mich nicht vor ihm! – Nein, sagte Oline, aber ich weiß, was ich weiß, und wenn du es willst, werde ich ihn anzeigen. – So, sagte Inger, nein, das sollst du nicht tun.
Aber es war ihr nicht widerwärtig, daß Oline auf ihrer Seite stand; es kostete sie zwar einen kleinen Ziegenkäse, aber Oline bedankte sich großartig dafür. Es ist, wie ich sage und immer gesagt habe. Inger besinnt sich nicht lange, wenn sie gibt, dann gebraucht sie beide Hände. Nein, du hast keine Angst vor Os-Anders, aber ich habe ihm nun verboten, dir je wieder unter die Augen zu kommen. Das war das mindeste, was ich für dich tun konnte. – Da sagte Inger: Was kann es mir ausmachen, wenn er kommt, mir kann er nicht mehr schaden. – Oline spitzte die Ohren: So, hast du ein Mittel dagegen erfahren – Ich bekomme keine Kinder mehr, sagte Inger.
Da standen sie ja auf gleichem Fuß und hatten beide gleich gute Trümpfe. Oline wußte ja, daß der Lappe Os-Anders vorgestern gestorben war ...
Warum sollte Inger keine Kinder mehr bekommen? Sie lebte nicht in Feindschaft mit ihrem Mann, sie waren nicht wie Hund und Katze, weit entfernt! Alle beide hatten ihre Eigenheiten, aber sie stritten sich selten und nie lange, nachher war alles wieder gut. Oftmals konnte auch Inger wieder wie in den alten Tagen sein und im Stall und auf den Feldern große Arbeit leisten, es war, als ginge sie da in sich und bekomme gesunde Rückfälle. Dann sah Isak seine Frau mit dankbaren Augen an, und wenn er zu denen gehört hätte, die sich gleich aussprechen, würde er wohl gesagt haben: Was? Hm! Was machst du für einen Spaß! oder etwas anderes Anerkennendes. Allein er schwieg zu lange, und sein Lob kam zu spät. Aber auf diese Weise machte es Inger keine Freude, und es lag nichts daran, ständig tüchtig zu sein.
Sie hätte über fünfzig Jahre alt sein und noch Kinder bekommen können, aber so wie sie aussah, sich drehte und wendete, war sie vielleicht nicht einmal vierzig. Alles hatte sie in der Anstalt gelernt – hatte sie wohl auch einige Kunstgriffe für ihre Person gelernt? Außerordentlich wohlüberlegt und wohlunterrichtet kehrte sie von dem Umgang mit den andern Mörderinnen heim, vielleicht hatte sie auch dies und jenes von den Herren gehört, von den Aufsehern, den Ärzten? Einmal erzählte sie Isak, ein junger Mediziner habe über ihr ganzes Verbrechen gesagt: Warum sollte man jemand strafen, wenn er Kinder umbringt, ja sogar gesunde Kinder, sogar wohlgestaltete? Die sind ja doch nichts anderes als Fleischklumpen. – Isak erwiderte: War er denn ein Untier? – Er! rief Inger, und dann erzählte sie, wie gut er gegen sie gewesen sei, gegen sie, Inger selbst, er gerade habe ja einen andern Arzt veranlaßt, ihren Mund zu operieren und sie zu einem Menschen zu machen. Ja, jetzt habe sie nur eine Narbe.
Ja, jetzt hatte sie nur eine Narbe, und sie war eine recht hübsche Frau geworden, groß, ohne Fettansatz, mit bräunlicher Haut und dichtem Haarwuchs. Im Sommer ging sie meist barfuß und hoch aufgeschürzt mit freimütigen Beinen. Isak sah sie, wer sah sie nicht!
Sie stritten sich nicht, nein, Isak hatte nicht die Gabe dazu, und seine Frau war jetzt viel mundfertiger geworden. Zu einem guten gründlichen Streit brauchte dieser Klotz, dieser Mühlengeist Zeit, er verwirrte sich in ihren Worten und brachte nicht viel heraus, und außerdem hatte er auch ein Herz für sie, eine kräftige Liebe. Er brauchte sich auch gar nicht oft zu verteidigen, Inger griff ihn nicht an, er war in vieler Beziehung ein ausgezeichneter Mann, und Inger ließ ihn ungerügt. Worüber hätte sie sich beklagen sollen? Wahrlich, Isak war nicht zu verachten, sie hätte einen schlimmeren Mann bekommen können. War er alt geworden, abgerackert? Freilich hatte sie Anzeichen von Müdigkeit an ihm bemerkt, aber nicht so, daß es etwas ausgemacht hätte. Er war, sozusagen, erfüllt von alter Gesundheit und Unverbrauchtheit ebenso wie sie, und im Nachsommer ihrer Ehe leistete er seinen Teil an Zärtlichkeit mindestens ebenso warm wie sie.
Aber eine besondere Pracht oder Schönheit war keineswegs an ihm. Nein, darin war Inger ihm überlegen. Bisweilen dachte sie wohl auch, sie habe schon Schöneres gesehen, Männer in feinen Kleidern und mit Spazierstöcken. Herren mit Taschentüchern und gestärkten Kragen, o diese Stadtherren! Deshalb behandelte sie Isak auch nur als den, der er war, sozusagen nur nach Verdienst, nicht besser: er war ein Ansiedler im Walde; wäre ihr Mund von jeher recht gewesen, so hätte sie ihn nie genommen, das wußte sie jetzt. Nein, dann hätte sie einen andern kriegen können. Diese Heimat, die ihr geworden war, dieses ganze öde Dasein, das ihr Isak bereitet hatte, war im Grunde genommen recht mäßig; jedenfalls hätte sie drunten in ihrer Heimatgemeinde verheiratet sein und Gesellschaft und Umgang genug haben können, anstatt hier oben im Ödland eine Hexe zu werden. Hier paßte sie nicht mehr her, sie hatte jetzt andere Anschauungen.
War es nicht merkwürdig, wie sich die Ansichten ändern konnten! Es gelang Inger nicht mehr, sich über ein besonders schönes Kalb zu freuen, oder die Hände vor Verwunderung zusammenschlagen, wenn Isak mit einer recht großen Beute vom Fischfang heimkam, nein, sie hatte sechs Jahre lang in größeren Verhältnissen gelebt. Ja, so ganz allmählich waren auch die Tage vorüber, wo sie ihn freundlich und liebreich zu den Mahlzeiten hereinrief. Jetzt sagte sie: Kommst du denn nicht zum Essen? War das eine Art! Zuerst wunderte er sich ein wenig über diese Veränderung, über eine so verdammt verdrießliche und unhöfliche Art, und er erwiderte: Ich habe nicht gewußt, daß das Essen fertig ist. – Aber als sie behauptete, er müsse das doch einigermaßen nach dem Stand der Sonne wissen, hörte er auf, etwas zu entgegnen und noch ein Wort darüber zu verlieren.
O, aber einmal, da ertappte er sie und griff tüchtig zu! Das war, als sie ihm Geld stehlen wollte. Nicht weil er selbst so sehr aufs Geld aus gewesen wäre, sondern weil es durchaus und ganz allein ihm gehörte. Hoho, da hätte sie fürs ganze Leben einen Leibschaden davontragen können! Und doch war Inger da nicht ganz verworfen und gottvergessen gewesen; Eleseus sollte ja das Geld haben, der liebe Eleseus in der Stadt, der wieder um einen Taler gebeten hatte. Sollte er da zwischen all den andern feinen Leuten mit leeren Taschen umhergehen müssen! Hatte sie nicht ein Mutterherz? Sie hatte Geld von Isak verlangt, und da dies nicht half, hatte sie selbst zugegriffen. Woher es nun aber kommen mochte, ob Isak ihr mißtraute oder ob es ein Zufall war – der böse Streich wurde jedenfalls gleich entdeckt, und in demselben Augenblick fühlte sich Inger an beiden Armen gefaßt; sie fühlte, daß sie zuerst in die Höhe gehoben und dann schwer auf den Boden gestoßen wurde. Das war etwas Ungewöhnliches, eine Art Bergsturz. O da waren Isaks Hände nicht abgeschafft und müde! Inger stöhnte laut auf, ihr Kopf sank nach hinten, sie zitterte und streckte ihm den Taler hin.
Auch jetzt sprach sich Isak nicht weiter aus, obgleich Inger ihn nicht daran hinderte, zu Wort zu kommen, er stieß eigentlich nur schnaufend hervor: Prügel gehören dir, sonst kann man dich nicht mehr im Zaum halten!
Er war nicht wiederzuerkennen. O, er machte wohl langunterdrücktem Ärger Luft!
Nun verging ein trauriger Tag und eine lange Nacht und noch ein weiterer Tag. Isak ging fort und schlief draußen, obgleich er trockenes Heu liegen hatte, das eingefahren werden sollte; Sivert war bei dem Vater. Inger hatte Leopoldine und die Tiere um sich, aber sie fühlte sich allein, weinte die ganze Zeit und schüttelte den Kopf über sich selbst: eine so große Gemütsbewegung hatte sie nur einmal in ihrem Leben durchgemacht; jetzt mußte sie an damals denken, als sie ihr neugeborenes Kind umbrachte.
Wo waren Isak und der Sohn? Sie waren nicht müßig gewesen; wohl stahlen sie einen Tag und mehr von der Heuernte, aber sie bauten ein Boot droben am Bergsee. Allerdings ein plumpes Fahrzeug ohne alle Ausschmückung, aber stark und dicht war es, wie alles, was sie machten, und nun hatten sie ein Boot und konnten mit dem Netze fischen.
Als sie wieder heimkamen, lag das Heu noch eben so trocken da. Sie hatten dem Himmel den Streich gespielt, sich auf ihn zu verlassen, und hatten dabei noch gewonnen, der Vorteil war auf ihrer Seite. Da deutete Sivert plötzlich hinüber und rief: Die Mutter hat geheut! – Der Vater sah auf die Wiese hinunter und sagte: So. – Isak hatte ja gleich gesehen, daß ein Teil des Heus verschwunden war, jetzt war Inger wohl drinnen bei der Hausarbeit. Das war eine ganz besondere Leistung, nachdem er ihr gestern mit Schlägen gedroht und sie geschüttelt hatte. Und es war schweres, kräftiges Heu, sie hatte hart arbeiten müssen und außerdem hatte sie auch noch alle Kühe und Ziegen zu melken gehabt. – Geh hinein und iß! sagte Isak zu Sivert. – Du nicht auch? – Nein.
Als Sivert eine Weile drinnen gewesen war, kam Inger heraus; sie blieb demütig auf der Türschwelle stehen und sagte: Kannst du dir's nicht selbst gönnen, daß du auch hereinkommst und etwas ißt? – Darauf knurrte Isak nur und sagte: Hm. Aber Inger demütig zu sehen, war in der letzten Zeit ein so seltenes Erlebnis geworden, daß er in seinem Starrsinn etwas erschüttert wurde. – Wenn du mir ein paar Zähne in meinen Rechen einsetzen würdest, dann könnte ich weiter rechen, sagte sie. Sie wendete sich mit einer Bitte an den Herrn des Hofes, an das Oberhaupt von allem, und sie war dankbar, daß er ihr nicht eine höhnische, abschlägige Antwort gab. Du hast jetzt genug gerecht und eingefahren, sagte er. – Nein, es ist noch nicht genug. – Ich habe jetzt keine Zeit, deinen Rechen zu flicken, du siehst, daß Regen kommt.
Damit ging Isak an die Arbeit.
Er wollte sie wohl schonen; die paar Minuten Zeit, die das Flicken des Rechens in Anspruch genommen hätte, wären zehnmal ausgewogen worden, wenn Inger mit auf der Wiese geblieben wäre. Nun kam überdies Inger mit dem Rechen so wie er war herbei und begann Heu zusammenzurechen, daß es eine Art hatte. Sivert kam mit Pferd und Heuwagen, alle strengten sich aufs äußerste an, der Schweiß lief ihnen herunter, und das Heu wurde geborgen. Das war ein Meisterstück. Und wieder versank Isak in Gedanken an jene höhere Macht, die alle unsere Schritte lenkt, von dem Stehlen eines Talers an bis zum Bergen einer großen Menge trockenen Heus. Außerdem lag nun auch das Boot fertig droben; nachdem er ein halbes Menschenalter lang über ein solches nachgegrübelt hatte, lag es nun droben im Gebirgsee. Ach ja, Herr Gott im Himmel! sagte er.