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7

Ein Mann geht übers Ödland hinauf. Es stürmt und regnet, die Herbstregen haben begonnen, aber darum kümmert sich dieser Mann nicht, er sieht froh aus und ist es auch, es ist Axel Ström, er kommt vom Verhör, wo er freigesprochen worden ist. Und er ist froh: erstens stehen eine Mähmaschine und ein Reolpflug für ihn drunten am Landungsplatz, und zweitens ist er freigesprochen. Er hat nicht geholfen, ein Kind zu ermorden. So kann es gehen!

Aber was für schwere Stunden hat er durchgemacht! Als er dastand und Zeugnis ablegte, hatte dieser sich in täglicher Arbeit abmühende Mann die schwerste Arbeit seines Lebens vor sich gehabt. Er hatte keinen Nutzen davon, Barbros Schuld zu vergrößern, deshalb nahm er sich in acht, ja nicht zuviel zu sagen, ja, er sagte nicht einmal alles, was er wußte, jedes Wort mußte aus ihm herausgefragt werden, und meistens antwortete er nur mit ja und nein. War das nicht genug? Sollte die Sache noch größer gemacht werden, als sie schon war? Ach, es sah häufig aus, als ob es ernst werden wollte; die hohe Obrigkeit war gar so schwarz gekleidet und gefährlich, mit wenigen Worten hätte sie alles zum Schlimmsten wenden und ihn vielleicht gar verurteilen können. Aber es waren nette Leute, sie wollten seinen Untergang nicht. Und außerdem traf es sich auch noch so, daß mächtige Kräfte in Tätigkeit waren, um Barbro zu retten, und das gereichte auch ihm zum Nutzen.

Was in aller Welt konnte ihm nun noch geschehen?

Barbro selbst konnte doch wohl nicht auf den Gedanken kommen, Aussagen zu machen, die ihren gewesenen Hausherrn und Liebsten belastet hätten; er war im Besitz eines gar zu furchtbaren Wissens, sowohl um diese wie um eine frühere Kindsangelegenheit, so dumm war Barbro nicht. O, und sie war schlau genug, sie lobte Axel und sagte, er habe nicht das mindeste von ihrer Niederkunft gewußt, bis alles vorüber gewesen sei. Er sei ziemlich eigen und sie stimmten nicht überein, aber er sei ein stiller Mann und ein ausgezeichneter Mensch. Nein, daß er ein neues Grab gegraben und die Leiche hineingetan habe, das sei viel später geschehen, und zwar nur deshalb, weil er meinte, das erste Grab sei nicht trocken genug; das sei es übrigens doch gewesen, nur sei Axel eben gar so eigen.

Was konnte also Axel geschehen, wenn Barbro so die ganze Schuld auf sich nahm? Und für Barbro selbst waren sehr mächtige Kräfte in Bewegung; die Frau Lensmann Heyerdahl war in Bewegung.

Sie ging zu Hoch und Nieder und schonte sich keineswegs, sie verlangte als Zeugin verhört zu werden und hielt vor Gericht eine große Rede. Als sie an die Reihe kam, stand sie vor den Schranken als recht vornehme Dame, sie erfaßte die Frage des Kindsmordes in ihrer ganzen Breite und hielt dem Gericht eine Vorlesung, man hätte meinen können, sie habe sich die Erlaubnis dazu im voraus erwirkt. Man konnte von der Frau Lensmann sonst denken, was man wollte, aber Reden halten konnte sie, und gelehrt in Politik und allen sozialen Fragen war sie. Es war nur ein Wunder, wo sie alle die Worte hernahm. Ab und zu hatte es den Anschein, als wolle der Vorsitzende versuchen, sie zu veranlassen, etwas mehr zur Sache zu kommen, aber er hatte augenscheinlich nicht das Herz, sie zu unterbrechen, und so ließ er sie weiterreden. Und zum Schluß förderte sie einige brauchbare Aufklärungen zutage und machte dem Gericht einen aufsehenerregenden Vorschlag.

Von rechtstechnischen Weitläufigkeiten abgesehen, ging die Geschichte zu wie folgt:

Wir Frauen, sagte die Frau Lensmann, wir sind die unglückliche und unterdrückte Hälfte der Menschheit. Die Männer machen die Gesetze, wir Frauen haben keinen Einfluß darauf. Aber kann sich nun etwa ein Mann hineinversetzen in das, was es für eine Frau heißt, ein Kind zu gebären? Hat er ihre Angst gefühlt, hat er die unsäglichen Schmerzen gefühlt, und hat er ihre Weheschreie ausgestoßen?

In dem Falle hier ist es ein Dienstmädchen, das ein Kind geboren hat. Sie ist unverheiratet, sie muß also die ganze Zeit ihrer Schwangerschaft über ihren Zustand zu verbergen suchen. Warum muß sie ihn verbergen? Der Vorurteile der menschlichen Gesellschaft wegen. Diese Gesellschaft verachtet die Ledige, die ein Kind unter dem Herzen trägt. Sie beschützt sie nicht allein nicht, nein, sie verfolgt sie auch noch mit Schande und Verachtung. Ist das nicht haarsträubend? Jawohl, und jeder Mensch mit einem Herz im Leibe muß sich darüber empören! Das Mädchen muß nicht nur ein Kind gebären, was an sich schon schlimm genug wäre, nein, es soll auch noch dafür als Verbrecherin gebrandmarkt werden. Ich kann nur sagen, für dieses Mädchen hier auf der Anklagebank war es ein Glück, daß ihr Kind durch einen unglücklichen Zufall im Bach zur Welt kam und sofort ersticken mußte. Es war ein Glück für sie und für das Kind. Solange die Gesellschaft so ist wie jetzt, müßte eine ledige Mutter straffrei ausgehen, und wenn sie auch ihr Kind absichtlich umbringt!

Hier läßt der Vorsitzende ein schwaches Murren hören.

Oder jedenfalls dürfte sie nur unbedeutend bestraft werden, sagt die Frau Lensmann. Selbstverständlich sind wir alle darüber einig, daß das Leben des Kindes erhalten bleiben muß, sagte sie, aber sollte denn von allen Gesetzen der Menschlichkeit gar kein einziges auch für die unglückliche Mutter gelten? Stellen Sie sich doch einmal vor, was sie alles während der Schwangerschaft durchgemacht hat, welche Qualen sie erduldet hat, um ihren Zustand zu verbergen, und wie sie keinen Ausweg mehr wußte weder für sich selbst, noch für ihr Kind. Darein kann sich überhaupt kein Mensch versetzen, sagte sie. Das Kind stirbt jedenfalls eines wohlgemeinten Todes. Die Mutter wünscht weder sich selbst noch diesem lieben Kinde etwas so Böses, daß es leben soll, die Schande ist ihr zu schwer zu tragen, und indessen reift der Plan in ihr, das Kind zu töten. So gebiert sie im geheimen, und vierundzwanzig Stunden lang ist sie so von Sinnen, daß sie bei der Tat unzurechnungsfähig ist. Sie hat sie sozusagen gar nicht wirklich verübt, so von Sinnen ist sie. Während ihr noch von der Niederkunft jeder Knochen und jeder Muskel im Leibe weh tut, muß sie das Kind umbringen und die Leiche wegschaffen, – stellen Sie sich einmal die Willensanspannung vor, die zu dieser Arbeit gehört! Aber natürlich wünschen wir alle, daß die Kinder am Leben bleiben, und es ist schwer zu beklagen, daß das Leben von einigen ausgelöscht wird. Aber das ist einzig und allein die Schuld der menschlichen Gesellschaft, dieser hoffnungslosen, unbarmherzigen, verleumderischen, verfolgungswütigen, boshaften Gesellschaft, die allzeit auf der Wacht steht, um die ledige Mutter mit allen Mitteln zu erdrosseln!

Aber selbst nach dieser Behandlung seitens der Gesellschaft können sich die mißhandelten Mütter wieder erheben. Sehr oft fangen gerade diese Mädchen nach ihrem gesellschaftlichen Fehltritt an, ihre besten und edelsten Eigenschaften zu entwickeln. Das Gericht könnte sich ja einmal bei den Vorsteherinnen der Asyle, in denen Mutter und Kind ausgenommen werden, erkundigen, ob das nicht wahr ist! Und es ist erfahrungsgemäß erwiesen, daß gerade die Mädchen, die – ja, die von der Gesellschaft gezwungen worden sind, ihr Kind zu töten, ausgezeichnete Kindermädchen werden. Das sollte doch jedermann Stoff zum Nachdenken geben.

Eine andere Seite der Sache ist die: Warum soll der Mann straffrei ausgehen? Die Mutter, die einen Kindsmord begangen hat, wird gepeinigt und ins Gefängnis geworfen, er jedoch, der Vater des Kindes, der Verführer, dem geschieht nichts. Aber solange er der Urheber des Kindes ist, hat er auch teil an dem Morde, und zwar den größeren Anteil, ohne ihn wäre das Unglück überhaupt nicht geschehen. Warum geht er frank und frei aus? Weil die Gesetze von den Männern gemacht werden, das ist die Antwort. Man sollte laut den Himmel um Schutz gegen diese Männergesetze anrufen! Und das wird niemals besser, solange wir Frauen nicht bei den Wahlen und in den gesetzgebenden Versammlungen ein Wort mitzureden haben.

Aber, sagt die Frau Lensmann, wenn nun dieses grausame Gesetz die schuldige – oder mehr oder minder schuldige – unverheiratete Mutter trifft, die einen Kindsmord begeht, was sollen wir dann von der unschuldigen sagen, die nur des Mordes verdächtigt wird und gar keinen Kindsmord begangen hat? Welche Genugtuung gibt die Gesellschaft diesem ihrem Opfer? Keinerlei Genugtuung! Ich bezeuge, daß ich das hiersitzende angeklagte Mädchen kenne, seit es ein Kind gewesen ist; sie war in meinen Diensten, ihr Vater ist meines Mannes Amtsdiener. Wir Frauen erlauben uns, gerade entgegengesetzt zu denken und zu fühlen, als die Männer mit ihren Anklagen und Verfolgungen, wir erlauben uns, eine Ansicht über die Dinge zu haben. Das Mädchen hier ist verhaftet und ihrer Freiheit beraubt, verdächtigt, erstens einmal im Geheimen geboren und zweitens ihr Kind umgebracht zu haben. Sie hat – daran zweifle ich durchaus nicht – beides nicht getan. Das Gericht wird selbst zu dieser sonnenklaren Schlußfolgerung kommen. Im Geheimen? Sie hat am hellen Tag geboren. Wohl ist sie allein gewesen, aber wer hätte bei ihr sein sollen? Sie wohnte weit droben im Ödland, der einzige Mensch außer ihr selbst, der zur Stelle war, das war ein Mann; hätte sie einen solchen in diesem Augenblick zur Hilfe rufen sollen? Wir Frauen empören uns schon allein bei diesem Gedanken, wir schlagen schamvoll die Augen nieder. – Und dann soll sie das Kind getötet haben? Es wurde in einem Bach geboren, sie lag da in dem eiskalten Wasser, als sie gebar. Wie ist sie in den Bach gekommen? Sie ist ein Dienstmädchen, also eine Sklavin, sie hat ihre täglichen Pflichten zu erfüllen, sie wollte in den Wald, um Wacholder zum Scheuern ihres Melkeimers zu holen. Als sie durch den Bach watet, gleitet sie aus und fällt. Sie bleibt liegen, das Kind wird geboren und erstickt im Wasser.

Die Frau Lensmann hält inne. Sie konnte es den Richtern und den Zuhörern ansehen, daß sie wunderbar gut gesprochen hatte, es war mäuschenstill im Saal, und nur Barbro trocknete sich von Zeit zu Zeit die Augen vor Rührung. Dann schließt die Frau Lensmann: Wir Frauen haben ein Herz: Ich habe meine eigenen Kinder fremden Händen anvertraut, um hierherreisen, um für das unglückliche Mädchen, das hier sitzt, Zeugnis ablegen zu können. Männergesetze können einer Frau nicht verbieten, zu denken: ich denke, daß das Mädchen hier ausreichend dafür bestraft ist, überhaupt nichts Böses getan zu haben. Sprechen Sie die Angeklagte frei, dann werde ich sie mit nach Hause nehmen, und sie wird das ausgezeichnetste Kindermädchen werden, das ich je gehabt habe.

Die Frau Lensmann ist zu Ende.

Der Vorsitzende bemerkt: Ja aber, wären es nun nach der Rede der Frau Lensmann nicht eigentlich die Kindsmörderinnen, die die ausgezeichneten Kindermädchen geben sollen? O, aber der Vorsitzende war nicht uneinig mit Frau Lensmann Heyerdahl, ganz im Gegenteil, auch er fühlte menschlich, ganz priesterlich mild. Während der Staatsanwalt dann noch ein paar Fragen an die Frau Lensmann richtete, saß der Vorsitzende ruhig auf seinem Stuhl und schrieb sich Anmerkungen auf.

Es war nicht viel mehr als eine Vormittagsverhandlung, da nur sehr wenige Zeugen zu verhören waren und die Sache ja auch ganz klar lag. Axel Ström saß da und hoffte das Beste, da schienen sich indes plötzlich der Staatsanwalt und die Frau Lensmann zu vereinigen, um ihn in Ungelegenheiten zu bringen, weil er die Kindsleiche begraben hatte, statt den Todesfall zu melden. Er wurde mit Strenge verhört und hätte vielleicht diesen Punkt nicht allzugut erklären können, wenn er nicht hinten im Saal Geißler wahrgenommen hätte. Ganz richtig, da saß Geißler! Das gab Axel eine Art Stütze, er fühlte sich nicht mehr einsam und verlassen der Obrigkeit gegenüber, die ihm zu Leibe wollte, Geißler nickte ihm zu.

Jawohl, Geißler war in die Stadt gekommen. Er hatte sich zwar nicht als Zeuge gemeldet, aber er war doch zur Stelle. Er hatte auch vor Beginn der Verhandlung einige Tage dazu verwendet, sich Einsicht in den Fall zu verschaffen und das aufzuschreiben, was er noch von Axels Bericht auf Maaneland wußte. Die meisten der vorliegenden Dokumente waren in Geißlers Augen nur Wische; dieser Lensmann Heyerdahl war ein sehr beschränkter Mensch, er hatte es bei seiner Untersuchung von Anfang an darauf angelegt, Axel zum Mitwisser an dem Kindsmord zu stempeln. Dieser Esel, dieser Dummkopf, er verstand nicht das mindeste vom Leben im Ödland, er sah nicht ein, daß dieses Kind gerade das Band war, das die weibliche Hilfskraft an Axels Hof fesseln sollte.

Geißler redete mit dem Staatsanwalt, aber er gewann den Eindruck, daß dies gar nicht nötig gewesen wäre: Er wollte Axel dazu verhelfen, daß er wieder auf seinen Hof im Ödland kam, aber Axel brauchte gar keine Hilfe. Nein, denn es sah ja sogar ganz vielversprechend für Barbro selbst aus, und wenn sie freigesprochen wurde, fiel Axels Mitschuld von selbst weg. Es kam nur noch auf die Zeugenaussagen an.

Nachdem die paar Zeugen verhört waren – Oline war nicht vorgeladen, aber der Lensmann, Axel, ein Sachverständiger und ein paar Mädchen aus der Gemeinde –, nachdem also diese verhört waren, wurde Mittagspause gemacht, und Geißler ging wieder zu dem Staatsanwalt hin. Nein, der Staatsanwalt hatte die Ansicht, daß es immer noch vielversprechend für Barbro aussehe. Frau Lensmann Heyerdahls Zeugnis war von großem Einfluß gewesen. Es komme auf die Geschworenen an.

Nehmen Sie besonderen Anteil an diesem Mädchen? erkundigte sich der Staatsanwalt. – Einigermaßen, erwiderte Geißler. Eigentlich nehme ich mehr Anteil an dem Manne. – Hat sie auch bei Ihnen gedient? – Nein, sie hat nicht bei mir gedient. – Ach so, an dem Manne also? Aber das Mädchen? Die Teilnahme des Gerichtes ist auf ihrer Seite. – Nein, sie hat nicht bei mir gedient. – Der Mann ist mehr verdächtig, sagt der Staatsanwalt. Er geht ganz allein hin und begräbt die Kindsleiche mitten im Wald. Das ist entschieden verdächtig. – Er wollte das Kind wohl nur richtig begraben, sagt Geißler, das war beim erstenmal nicht geschehen. – Nun, sie war eine Frau und hatte nicht die Kraft eines Mannes zum Graben, und in dem Zustand, in dem sie sich befand, vermochte sie es nicht. Im großen ganzen, sagt der Staatsanwalt, haben wir uns zu einer menschlicheren Ansicht über diese Kindsmorde durchgerungen. Ich möchte es als Richter nicht auf mich nehmen, dieses Mädchen zu verurteilen, und wie die Sache liegt, kann ich ihre Verurteilung nicht beantragen. – Das ist sehr erfreulich, sagte Geißler mit einer Verbeugung. – Der Staatsanwalt fuhr fort: Als Mensch und Privatmann würde ich sogar noch weiter gehen: ich würde keine einzige ledige Mutter, die ihr Kind umbringt, zur Strafe verurteilen. – Es ist sehr interessant, daß der Herr Staatsanwalt und die Dame, die heute Zeugnis abgelegt hat, gleicher Ansicht sind. – Ach sie! Sie hat übrigens gut gesprochen. Aber wozu alle diese Verurteilungen? Eine ledige Mutter hat schon zum voraus so unerhörte Qualen erduldet und sie wird durch die Härte und Brutalität der Welt in allen menschlichen Verhältnissen so tief hinuntergedrückt, daß das Strafe genug ist. – Geißler erhob sich und sagte zum Schluß: Ja, aber die Kinder? – Allerdings, mit den Kindern ist es sehr traurig, erwidert der Staatsanwalt. Aber schließlich ist es ja auch für die Kinder ein Segen. Und gerade solchen unehelichen Kindern, wie schlecht geht es ihnen gewöhnlich! Was wird aus ihnen? – Geißler wollte vielleicht diesen wohlgenährten Mann ein wenig reizen, oder vielleicht wollte er sich auch nur als tiefsinnig und geheimnisvoll aufspielen, er sagte: Erasmus war ein lediges Kind. – Erasmus? – Erasmus von Rotterdam. – Ach so. – Und Leonardo war ein lediges Kind. – Leonardo da Vinci? So. Ja, Ausnahmen kommen natürlich vor, sie bestätigen nur die Regel. Aber im großen und ganzen! – Wir schützen Vögel und Tiere, sagte Geißler, und es klingt etwas sonderbar, daß kleine Kinder nicht auch geschützt werden sollen. – Der Staatsanwalt griff langsam und würdevoll nach einigen Papieren, zum Zeichen, daß er jetzt abbrechen müsse. Ja, sagte er geistesabwesend, ja, jawohl. Geißler bedankte sich für die außerordentlich lehrreiche Unterredung, der er gewürdigt worden sei, und ging.

Er setzte sich in den Gerichtssaal, um beizeiten da zu sein. Seine geheime Macht kitzelte ihn wohl sehr: er wußte von einem gewissen abgeschnittenen Hemd, in dem – Besenreis geholt werden sollte, und von einer Kindsleiche, die einmal im Stadthafen umhertrieb, er konnte das Gericht aufsitzen lassen, ein Wort von ihm würde so gut sein wie tausend Schwerter. Aber Geißler hatte gewiß nicht im Sinn, dieses Wort jetzt auszusprechen, wenn es nicht notwendig wurde. Das war ja ausgezeichnet, sogar der öffentliche Ankläger stand auf seiten der Angeklagten!

Der Saal füllte sich, und das Gericht trat wieder zusammen.

Das wurde eine reizende Komödie in der kleinen Stadt, der ermahnende Ernst des Staatsanwalts, des Verteidigers rührselige Beredsamkeit. Die Geschworenen saßen da und horchten zu, was sie wohl über Barbro und den Tod ihres Kindes zu denken hätten.

Allerdings, so ganz einfach war es nun doch nicht, das herauszufinden. Der Staatsanwalt war ein schöner Mann von Ansehen, und er war gewiß auch ein guter Mensch, aber etwas mußte ihn ganz kürzlich erst geärgert haben, oder vielleicht war ihm eingefallen, daß er in der norwegischen Rechtspflege einen Standpunkt aufrechtzuerhalten habe, wer weiß! Es war unbegreiflich, aber er war nicht mehr so zugänglich wie am Vormittag, er rügte die Missetat, falls sie geschehen sei, scharf, sagte, es sei ein dunkles Blatt, wenn mit Bestimmtheit gesagt werden könne, daß die Sache wirklich so dunkel sei, wie man nach einzelnen Zeugenaussagen glauben und meinen könne. Darüber hätten die Gerichtsbeisitzer zu entscheiden. Er selbst möchte die Aufmerksamkeit auf drei Punkte lenken: der erste Punkt sei der, ob hier eine Geburt im Geheimen vorliege, ob diese Frage den Herren Richtern klar sei? Hier machte er einige persönliche Bemerkungen. Der zweite Punkt sei das Kleidungsstück, das halbe Hemd, wozu die Angeklagte das mitgenommen habe? Ob sie eine Ahnung gehabt habe, daß sie es brauchen werde? Er entwickelte diesen Punkt noch weiter. Der dritte Punkt sei das sehr verdächtige heimliche Begräbnis, ohne den Todesfall dem Geistlichen und dem Lensmann zu melden. Hierbei sei der hier anwesende Mann die Hauptperson gewesen, und es sei von der größten Wichtigkeit für die Geschworenen, sich hier die richtige Ansicht zu bilden. Denn es sei ja doch einleuchtend, daß der Mann Mitwisser sei, und wenn er das Begräbnis auf eigene Hand vorgenommen hatte, so mußte sein Dienstmädchen eine Missetat begangen haben, deren Mitwisser er geworden war.

Hm! ertönte es im Saale.

Axel Ström merkte, daß er wieder in Gefahr war; er begegnete, als er aufsah, nicht einem einzigen Blick, aller Augen hingen an dem Redner. Aber ganz hinten im Saale saß Geißler wieder, er sah äußerst überlegen aus, als ob er platzen wolle vor Hochmut, mit seiner vorgeschobenen Unterlippe und mit gen Himmel gewandtem Gesicht. Diese ungeheure Gleichgültigkeit gegen den Ernst des Gerichtes, dieses laute gen Himmel gesandte Hm wirkte ermunternd auf Axel, er fühlte sich wieder der ganzen Welt gegenüber nicht mehr allein.

Und nun kam endlich die Sache ins Blei, dieser Staatsanwalt schien endlich zu der Einsicht zu kommen, daß es nun genug sei, er hatte soviel Bosheit und Verdacht gegen Axel verbreitet, als irgend möglich war, nun hielt er inne. Ja, der Herr Staatsanwalt machte gewissermaßen vollkommen kehrt, er beantragte nicht einmal Barbros Verurteilung. Er sagte zum Schluß gerade heraus, daß er selbst nach den vorliegenden Zeugenaussagen nicht die Verurteilung der Angeklagten beantragen könne.

Das ist ja sehr gut, dachte Axel. Dann hat die Geschichte ein Ende.

Nun legte sich der Verteidiger ins Zeug, ein junger Mann, der die Juristerei studiert hatte und dem nun in diesem prächtigen Fall die Verteidigung anvertraut worden war. Es war auch nachher nur eine Stimme darüber, noch niemals sei ein Mann so sicher gewesen, eine Unschuldige zu verteidigen. Im Grunde war ihm diese Frau Lensmann Heyerdahl zuvorgekommen, sie hatte ihm am Vormittag verschiedene Argumente gestohlen, er war sehr unzufrieden damit, daß sie die Gesellschaft ausgenützt hatte. – O, die Gesellschaft hatte auch bei ihm sehr viel auf dem Kerbholz! Er war ärgerlich auf den Vorsitzenden, daß er Frau Heyerdahl das Wort nicht entzogen hatte. Das war ja eine ganz richtige Verteidigungsrede gewesen, die sie gehalten hatte; was blieb da ihm noch übrig?

Er fing mit dem allerersten Anfang von Barbro Bredes Lebenslauf an; sie stammte aus kleinen Verhältnissen, übrigens von strebsamen und achtungswerten Eltern, sie sei frühzeitig in den Dienst gekommen, und zwar zuerst zu dem Lensmann. Wir haben heute die Ansicht gehört, die ihre Dienstherrin, Frau Heyerdahl, von ihr hatte, sie könnte nicht strahlender sein. Dann sei Barbro nach Bergen gekommen. Der Verteidiger verbreitet sich eingehend über das sehr wohlmeinende Zeugnis, das ihr von den beiden Kontoristen in Bergen, bei denen sie eine Vertrauensstellung eingenommen hatte, ausgestellt worden war. Dann sei Barbro wieder heimgekommen, als Haushälterin bei einem Junggesellen draußen im Ödland. Hier habe ihr Unglück angefangen.

Von diesem Junggesellen habe sie ein Kind unter dem Herzen getragen. Der geehrte Herr Staatsanwalt habe – übrigens auf die allertaktvollste und schonendste Weise – die Möglichkeit einer Geburt im Geheimen angedeutet. Ob Barbro ihren Zustand verborgen, ob sie ihn verhehlt habe? Die beiden Zeuginnen, Mädchen aus ihrem Heimatdorf, hatten gemeint, daß sie guter Hoffnung sei, und als sie sie fragten, leugnete sie durchaus nicht, sie ging nur kurz darüber weg. So machten es junge Mädchen in diesen Fällen, sie gingen kurz darüber weg. Sonst sei Barbro überhaupt von niemand gefragt worden. Ob sie zu ihrer Frau gegangen sei und ihr gebeichtet habe? Sie habe keine Frau gehabt, sie sei selbst die Frau gewesen. Einen Hausherrn habe sie allerdings gehabt; aber so ein junges Mädchen gehe mit einem solchen Geheimnis nicht zu ihrem Herrn, sie trage ihr Kreuz allein, sie spreche nicht davon, sie flüstere nicht einmal, sie sei eine Trappistin. Sie verstecke sich nicht, aber sie halte sich in der Einsamkeit.

Das Kind werde geboren, es sei ein ausgetragener und wohlgebildeter Junge, er habe nach der Geburt gelebt und geatmet, aber er sei erstickt. Das Schwurgericht kenne die näheren Umstände bei dieser Geburt, sie sei im Wasser vor sich gegangen, die Mutter sei im Bach gestürzt und habe dort geboren, sie sei nicht imstande gewesen, das Kind zu retten, sie habe liegen bleiben müssen und sich selbst erst nachher ans Land retten können. Nun gut, an dem Kinde sei keine Spur von ihm angetaner Gewalt zu entdecken gewesen, es trage keine Spuren davon an seinem Leibe, niemand habe seinen Tod gewollt, es sei im Wasser erstickt. Es sei gar nicht möglich, eine natürlichere Erklärung für seinen Tod zu finden.

Der geehrte Herr Staatsanwalt habe auf ein Kleidungsstück hingedeutet: es sei ein dunkler Punkt, daß sie dieses halbe Hemd mit auf ihren Gang genommen habe. Aber nichts sei klarer als diese Dunkelheit; sie habe den Lappen mitgenommen um Wacholderreis darein zu sammeln. Sie hätte ja auch – sagen wir einmal einen Kissenbezug – mitnehmen können, aber sie habe nun einmal das Stück Hemd mitgenommen, etwas habe sie ja doch haben müssen, sie hätte das Wacholderreis nicht in den Händen heimtragen können. Nein, hierüber könne sich das Gericht vollständig beruhigen.

Aber es gäbe da noch einen anderen Punkt, der nicht ganz so klar sei. Ist der Angeklagten die Unterstützung und die Sorgfalt zuteil geworden, die ihr Zustand zu jener Zeit verlangte? Wurde sie von ihrem Hausherrn mit Schonung behandelt? Schön, wenn er es getan hat. Das Mädchen habe hier während des Verhörs mit Anerkennung von ihrem Hausherrn gesprochen, das deute auf eine gute und edle Gesinnung von ihr. Der Mann selbst, Axel Ström, habe in seinen Aussagen die Beklagte durchaus nicht belastet – und darin habe er auch ganz recht getan, um nicht zu sagen klug, denn mit ihr würde auch er freigesprochen werden. Möglichst viel Schuld auf sie zu werfen, würde ja, wenn es zu ihrer Verurteilung führte, ihn selbst mit ins Verderben reißen.

Es sei unmöglich, sich in der vorliegenden Sache in die Akten zu vertiefen, ohne vom innigsten Mitleid mit diesem Mädchen und ihrer Verlassenheit ergriffen zu werden. Und dennoch habe sie nicht nötig, die Barmherzigkeit anzurufen, sie wende sich nur an die Gerechtigkeit und das Verständnis. Sie und ihr Hausherr seien gewissermaßen verlobt miteinander, aber Uneinigkeit und entgegengesetzte Interessen schlössen die Ehe aus. Bei diesem Mann könne dieses Mädchen in der Zukunft nicht das Glück finden. Es sei nicht angenehm, davon zu reden, aber um noch einmal auf das mitgenommene Kleidungsstück zu kommen, wenn man der Sache näher trete, so habe das Mädchen nicht eines von ihren eigenen, sondern eines von den Hemden ihres Hausherrn mitgenommen. Wir haben uns selbst gleich zu Anfang gefragt: War ihr dieses Hemd von ihm zur Verfügung gestellt worden? sagte der Verteidiger. Hier, meinten wir, könnte eine Möglichkeit bestehen, daß der Mann Axel die Hand mit im Spiel gehabt habe.

Hm! machte es hinten im Saale. Das klang so hart und laut, daß der Redner innehielt, aller Augen suchten nachdem Urheber dieser Unterbrechung, und der Vorsitzende schleuderte einen scharfen Blick in jene Richtung.

Aber, fuhr der Verteidiger fort, nachdem er sich wieder gefaßt hatte, auch über diesen Punkt können wir völlig beruhigt sein, dank der Angeklagten selbst. Obgleich es in ihrem Vorteil gelegen hätte, hier die Hälfte der Schuld von sich abzuwälzen, hat sie das doch nicht getan. Sie hat auf das bestimmteste Axel Ström von dem Verdacht freigesprochen, er habe etwas davon gewußt, daß sie sein Hemd statt des ihrigen an den Bach mitgenommen hatte, – ich meine, mit in den Wald, um Wacholderreis zu holen. Es liegt nicht der mindeste Grund vor, an den Worten der Angeklagten zu zweifeln; diese haben überall Stich gehalten und halten auch hier Stich. Hätte sie das Hemd aus des Mannes Hand entgegengenommen, so würde das den vollendeten Kindsmord voraussetzen, und die Angeklagte mit ihrer Wahrheitsliebe will nicht dazu beitragen, den Mann zu einem Verbrecher zu stempeln, der er gar nicht ist. Im ganzen genommen macht sie redliche und offene Aussagen und hat nicht versucht, irgendwelche Schuld auf andere zu schieben. Dieser schöne Zug, gegen andere gut zu sein, zeigt sich überall bei ihr, so hat sie zum Beispiel die kleine Leiche auf die beste Art und mit großer Sorgfalt eingehüllt. In diesem Zustand hat sie der Lensmann im Grabe gefunden.

Der Vorsitzende will – der Ordnung halber – darauf Hinweisen, daß es das Grab Nummer zwei war, das der Lensmann fand, und in das habe ja Axel das Kind gelegt.

Jawohl, das ist so, und ich danke dem Herrn Vorsitzenden! sagt der Verteidiger mit all der Ehrerbietung, die man der Justiz schuldig ist. Jawohl, das ist so. Aber nun hat doch Axel selbst ausgesagt, er habe die Leiche nur in das neue Grab hinübergehoben und sie darein gebettet. Und es ist doch unzweifelhaft, daß eine Frau ein Kind besser einzuhüllen versteht, als ein Mann. Und wer hüllt es am allerbesten ein? Doch eine Mutter mit ihren liebevollen Händen!

Der Vorsitzende nickt beifällig.

Übrigens hätte nicht das Mädchen – wenn es wirklich zu der Sorte gehört hätte – das Kind einfach nackt begraben können? Ich will so weit gehen, zu sagen, sie hätte es in einen Kehrichteimer legen können. Sie hätte es über der Erde unter einem Baum liegen lassen können, daß es hätte erfrieren müssen, – das heißt, wenn es nicht schon tot gewesen wäre. Sie hätte es in einem unbewachten Augenblick in den Ofen stecken und verbrennen können. Sie hätte es an den Bach von Sellanraa tragen und dort hineinwerfen können. Aber von dem allem hat diese Mutter nichts getan, sie hat das Kind sorgfältig eingehüllt und begraben. Und wenn es so schön und gut eingewickelt war, wie es gefunden wurde, so ist es von einer Frau eingehüllt worden und nicht von einem Mann.

Nun sagte der Verteidiger, jetzt hätten die Geschworenen darüber abzuurteilen, was von Schuld an dem Mädchen Barbro übrigbleibe, nach des Verteidigers Meinung bleibe keine übrig. Es könnte höchstens sein, daß die Geschworenen sie deshalb verurteilen wollten, weil sie den Todesfall nicht angezeigt habe. Aber das Kind sei nun einmal tot gewesen, es sei weit draußen im Ödland, und viele Meilen zum Pfarrer und Lensmann, es habe seinen ewigen Schlaf in einem schönen Grabe im Walde schlafen dürfen. Wenn es ein Verbrechen sei, es so begraben zu haben, so teile die Beklagte dieses Verbrechen mit dem Vater des Kindes; aber dieses Verbrechen sei in jedem Fall verzeihlich. Man sei immer mehr davon abgekommen, die Verbrecher zu bestrafen, man suche sie zu bessern. In alten Zeiten sei man für alles mögliche gestraft worden, das sei nach dem Gesetz der Rache im Alten Testament gegangen: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Nein, das sei nicht mehr der Geist, der jetzt in der Gesetzgebung walte; die moderne Rechtspflege sei menschlich; sie suche sich dem Grad der verbrecherischen Gesinnung anzupaffen, die die Betreffenden bewiesen hätten.

Darum verurteilt dieses Mädchen nicht! rief der Verteidiger. Es handelt sich hier nicht darum, einen Verbrecher mehr zu fassen, nein, es handelt sich darum, der menschlichen Gesellschaft ein gutes und nützliches Mitglied zurückzugeben! Der Verteidiger deutete darauf hin, daß der Angeklagten nun in einer neuen Stelle, die ihr angeboten sei, die sorgfältigste Aufsicht zuteil werden würde. Frau Lensmann Heyerdahl habe aus reicher mütterlicher Erfahrung und weil sie Barbro seit vielen Jahren kenne, dieser ihr Haus weit aufgetan. Das Gericht möge nun im Vollgefühl seiner Verantwortung das Mädchen verurteilen oder freisprechen. Zum Schluß dankte der Verteidiger dem Staatsanwalt, daß er keine Verurteilung beantragt habe. Daran erkenne man sein tiefes menschliches Verständnis.

Der Verteidiger setzte sich.

Der Rest der Verhandlung nahm nicht mehr viel Zeit in Anspruch. Das Referat wiederholte dasselbe, von zwei Seiten gesehen, noch einmal, es gab eine kurze Übersicht über den ganzen Vorgang, trocken, langweilig und würdevoll. Es war alles sehr trefflich gegangen, sowohl der Staatsanwalt als der Verteidiger hatten in das Gebiet des Vorsitzenden hinübergegriffen, sie hatten ihm sein Amt leicht gemacht.

Es wurde Licht angesteckt, zwei Hängelampen brannten und gaben ein erbärmliches Licht, bei dem der Vorsitzende kaum seine Anmerkungen lesen konnte. Er tadelte äußerst scharf, daß der Tod des Kindes den Behörden nicht gemeldet worden war; aber, sagte er, das wäre unter den vorliegenden Umständen weit eher dem Kindsvater zugekommen als der Mutter, da sie zu schwach dazu gewesen sei. Nun hätten also die Geschworenen zu entscheiden, ob Geburt im Geheimen und Kindsmord vorliege. Alles wurde noch einmal von Anfang bis zu Ende erklärt. Darauf folgte die gebräuchliche Ermahnung, der Verantwortung eingedenk zu sein, warum das Gericht eingesetzt sei, und endlich der bekannte Rat, im Zweifelsfalle zugunsten der Angeklagten zu entscheiden.

Nun war alles klar.

Die Geschworenen verließen den Saal und zogen sich zurück. Sie sollten sich über den Fragebogen beraten, der dem einen von ihnen mitgegeben worden war. Fünf Minuten waren sie weg, dann traten sie wieder ein mit einem Nein auf alle Fragen.

Nein, das Mädchen Barbro hatte ihr Kind nicht getötet.

Nun redete der Vorsitzende noch einige Worte und erklärte, das Mädchen Barbro sei frei.

Die Zuhörer verließen den Saal. Die Komödie war zu Ende ...

Irgend jemand ergreift Axel am Arm, es ist Geißler. Er sagt: So, nun bist du also die Geschichte los. – Ja, sagte Axel. – Und sie haben dich ganz unnötig vorgeladen. – Ja, sagte Axel wieder. Aber inzwischen hatte er sich etwas gefaßt und fuhr fort: Ich bin aber doch recht froh, daß ich so davongekommen bin. – Das hätte auch gerade noch gefehlt! rief Geißler, und er betonte jedes Wort nachdrücklich. – Davon bekam Axel den Eindruck, daß Geißler die Hand im Spiel gehabt, daß er eingegriffen habe. Gott mochte wissen, ob nicht am Ende Geißler das Gericht gelenkt und den Erfolg, den er selbst gewollt, herbeigeführt hatte, Das war dunkel.

Allein so viel begriff Axel doch, daß Geißler den ganzen Tag über auf seiner Seite gestanden hatte. Ja, ich danke Euch vielmals, sagte er und wollte Geißler die Hand drücken. – Wofür? fragte Geißler. – Für, – ja für alles miteinander. – Geißler wies ihn kurz ab. Ich hatte gar nicht im Sinn, etwas zu tun, es war nicht der Mühe wert. – Aber Geißler hatte darum doch vielleicht nichts gegen diesen Dank einzuwenden, es war, als hätte er darauf gewartet und hätte ihn nun erhalten. Ich habe keine Zeit, mich gerade jetzt noch länger mit dir zu unterhalten, sagte er. Gehst du morgen wieder nach Hause? Das ist gut. Leb' wohl und auf Wiedersehen! Geißler ging die Straße hinunter ...

Auf der Heimfahrt traf Axel auf dem Dampfschiff den Lensmann und seine Frau, Barbro und die zwei Mädchen, die als Zeuginnen vorgeladen gewesen waren. Nun, bist du nicht froh über den Ausgang der Sache? fragte die Frau Lensmann. – Doch, erwiderte Axel, er sei sehr froh, daß die Geschichte zu Ende sei. Auch der Lensmann ergriff das Wort und sagte: Das ist nun der zweite Kindsmordprozeß, den ich in der Gegend gehabt habe, der erste galt Inger von Sellanraa, jetzt bin ich auch den zweiten los. Nein, man darf solche Fälle nicht nur so hingehen lassen, dem Recht muß Genüge geschehen.

Aber die Frau Lensmann begriff wohl, daß Axel ihr, wegen ihrer Aussagen gestern, nicht wohlgeneigt sein konnte, jetzt wollte sie das verwischen, wollte es wieder gutmachen. Du hast doch gestern begriffen, warum ich gegen dich gesprochen habe? sagte sie. – Ja, jawohl, erwiderte Axel. – Ja, du hast es gewiß eingesehen. Du hast doch sicher nicht gemeint, ich wolle dir schaden? Dich habe ich jederzeit für einen prächtigen Mann gehalten, das kann ich dir wohl sagen. – So, war alles, was Axel sagte, allein er war froh und gerührt. – Jawohl, das habe ich, sagte die Frau Lensmann. Aber ich war genötigt, dir einen kleinen Teil von der Schuld zuzuschieben, sonst wäre Barbro verurteilt worden, und du mit ihr. Es geschah meinerseits in der besten Absicht. – Jawohl, ja, und ich danke Euch bestens. – Ich bin es gewesen und sonst niemand anders, die in der Stadt von Herodes zu Pilatus gelaufen ist und für euch beide gewirkt hat. Und du hast doch wohl begriffen, daß wir alle, wie wir es vor Gericht getan haben, einen Teil Schuld auf dich laden mußten, um euch beide frei zu bekommen! – Ja, sagte Axel. – Und du hast doch wohl keinen Augenblick geglaubt, daß ich gegen dich sei, nicht wahr? Ich gegen dich sein, wo ich dich doch für so einen ausgezeichneten Mann halte!

Wie tat das gut nach all den Demütigungen! Axel war jetzt jedenfalls so gerührt, daß er wahrhaftig der Frau Lensmann etwas schenken wollte, irgend etwas, um ihr seine Dankbarkeit zu beweisen, vielleicht ein Stück Schlachtvieh im Herbst. Er hatte einen jungen Ochsen.

Die Frau Lensmann Heyerdahl hielt Wort: sie nahm Barbro zu sich. Auch schon hier auf dem Schiff nahm sie sich ihrer an und ließ sie weder frieren noch hungern, und sie duldete auch nicht, daß Barbro mit dem bergenschen Steuermann schäkerte. Als es das erstemal geschah, sagte Frau Heyerdahl nichts darüber, sie rief nur Barbro zu sich. Aber siehe da, bald stand Barbro wieder bei dem Steuermann und schäkerte mit ihm, sie machte einen schiefen Kopf, sprach bergenschen Dialekt und lächelte hold; da rief Frau Heyerdahl sie abermals zu sich und sagte: Es will mir nicht gefallen, Barbro, daß du dich jetzt auf Unterhaltungen mit Mannsleuten einläßt. Denk doch daran, was du durchgemacht hast und wo du herkommst. – Ich habe nur gehört, daß er aus Bergen ist, und deshalb ein paar Worte mit ihm gesprochen, erwiderte Barbro.

Axel sprach nicht mit ihr. Er bemerkte aber, daß ihre Haut fein und blaß war, und daß sie schöne Zähne bekommen hatte. Seine Ringe trug sie nicht an den Fingern.

Und nun schreitet Axel also wieder durchs Ödland hinauf. Es stürmt und regnet zwar, aber er ist seelenvergnügt, er hat die Mähmaschine und den Reolpflug am Landungsplatz gesehen. Ach, dieser Geißler! Kein Wort hat er in der Stadt von dieser Sendung verlauten lassen. Er war ein merkwürdiger Herr.


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