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Heute soll der große Stier fortgeführt werden. Er ist ein ungeheueres Tier geworden und zu wertvoll, um noch länger auf der Ansiedlung zu bleiben. Isak will hinunter ins Dorf mit ihm, ihn verkaufen und dafür einen netten jungen Stier mitbringen.
Inger ist es, die das durchgesetzt hat, und Inger wußte wohl, was sie tat, wenn sie Isak gerade an diesem Tag forthaben wollte.
Wenn du gehen willst, muß es heute sein, sagte sie. Der Stier ist gemästet, gemästete Ware steht im Frühjahr gut im Preis, er kann in die Stadt geschickt werden. Da werden Riesensummen bezahlt. – Ja, ja, sagte Isak. – Die einzige Gefahr ist, daß der Stier auf dem Hinunterweg wild werden könnte, fuhr Inger fort. – Darauf gab Isak keine Antwort. – Aber seit einer Woche ist er immer etwas draußen gewesen, hat sich umgesehen und sich ans Freie gewöhnt. – Isak schwieg; aber er hängte ein großes Messer am Riemen um und führte den Stier heraus.
Ach, was für ein Koloß, prächtig und furchtbar zugleich, seine Lenden schwankten bei jedem Schritt! Er war ziemlich kurzbeinig; wenn er dahinschritt, brach er mit der Brust den Jungwald nieder, er war wie eine Lokomotive. Sein Hals war gewaltig bis zur Unförmigkeit, in diesem Hals wohnte die Stärke eines Elefanten.
Wenn er jetzt nur nicht wild wird und auf dich losgeht, sagte Inger. – Erst nach einer Weile antwortete Isak: Nun, dann muß ich ihn eben unterwegs schlachten und das Fleisch fortschaffen.
Inger setzte sich auf die Türschwelle. Es war ihr übel, und ihr Gesicht war brennend rot. Sie hatte sich aufrecht gehalten, bis Isak gegangen war, jetzt verschwand er mit dem Stier im Walde und Inger konnte ohne Gefahr stöhnen. Der kleine Eleseus kann schon sprechen, und er fragt: Mutter weh? – Ja, weh. – Er ahmt seine Mutter nach, greift sich nach dem Rücken und stöhnt auch. Klein-Sivert schläft.
Inger nimmt Eleseus mit sich hinein, gibt ihm allerlei Sachen, womit er auf dem Boden spielen kann, und legt sich selbst zu Bett. Ihre Stunde war gekommen. Sie ist die ganze Zeit bei vollem Bewußtsein, gibt auf Eleseus acht, läßt ihren Blick über die Wiege hinschweifen und sieht auf die Uhr an der Wand. Sie schreit nicht, bewegt sich kaum; ein Kampf geht in ihren Eingeweiden vor sich, eine Last gleitet plötzlich von ihr ab. Fast im selben Augenblick hört sie ein fremdes Geschrei in ihrem Bett, ein liebes Stimmchen weint. Und jetzt hat Inger keine Ruhe mehr, sie richtet sich auf und schaut an sich hinunter. Was sieht sie? Ihr Gesicht wird im selben Augenblick aschgrau und starr, ohne Ausdruck und Verstand, ein Ächzen wird laut, ein so unnatürliches, so erschütterndes, wie ein Heulen aus ihrem Innersten heraus.
Sie sinkt zurück. Eine Minute vergeht, sie hat keine Ruhe, das Weinen im Bett wird lauter, sie richtet sich wieder auf und schaut – ach Gott, das schlimmste von allem, ohne Gnade, und das Kind ist überdies ein Mädchen!
Isak konnte vielleicht noch nicht eine halbe Meile weit gekommen sein, und es war jetzt kaum eine Stunde vergangen, seit er den Hof verlassen hatte. In zehn Minuten war das Kind geboren und umgebracht ...
Am dritten Tag kehrte Isak zurück; er führte einen mageren, halbverhungerten Stier, der kaum vorwärts kommen konnte, an der Leine, deshalb war er so lange unterwegs gewesen.
Wie ist es gegangen? fragte Inger, und doch war sie selbst recht gedrückt und krank.
O, es war ganz leidlich gegangen. Ja, ja, während der letzten halben Meile war der Stier allerdings wild geworden. Isak hatte ihn anbinden und Hilfe aus dem Dorfe holen müssen. Als er zurückkam, hatte der Stier sich losgerissen, und sie hatten ihn lange suchen müssen. Na, es war ja alles noch gut abgelaufen. Der Händler, der Schlachtvieh für die Stadt aufkaufte, hatte gut bezahlt. – Und da ist nun der neue Stier, sagte Isak, bring die Kinder heraus und seht ihn euch an!
Das gleiche Interesse für jedes neue Stück Vieh. Inger betrachtete den Stier, befühlte ihn und fragte nach dem Preis. Klein-Sivert durfte auf seinem Rücken sitzen. – Es tut mir leid um den großen Stier, sagte Inger, er war so glänzend und brav! Wenn sie ihn jetzt nur ordentlich abschlachten!
Die Tage waren mit Frühjahrsarbeit ausgefüllt, die Tiere waren hinausgelassen worden, in dem leeren Stall standen Kisten und Kasten voll Saatkartoffeln. Isak säte in diesem Jahr mehr Korn als sonst und wandte seinen äußersten Fleiß auf, um es gut in die Erde zu bringen, er richtete Beete für Karotten und Rüben, und Inger streute den Samen hinein. Alles ging wie früher.
Eine Zeitlang trug Inger ein Heukissen auf dem Leib, um dick auszusehen. Allmählich verminderte sie das Heu, und schließlich ließ sie den Sack weg. Endlich eines Tages fiel es Isak auf, und er fragte verwundert: Was ist denn das? Ist diesmal nichts daraus geworden? – Nein, sagte sie, diesmal nicht. – So, warum nicht? – Ach, es war eben so. Was glaubst du, Isak, bis wann du alles das umgebrochen haben wirst, was wir da vor uns sehen? – Ist es eine Fehlgeburt gewesen? fragte er. – Ja. – So. Und du hast keinen Schaden davongetragen? – Nein. Du, Isak, ich habe schon so oft gedacht, ob wir uns nicht Schweine aufziehen sollten. – Isak, der sehr bedächtig war. sagte nach einer Weile: Ja, ein Schwein. Ich hab in jedem Frühjahr daran gedacht. Aber so lange wir nicht mehr Eßkartoffeln und auch Futterkartoffeln und etwas mehr Getreide haben, haben wir kein Futter für ein Schwein. Nun, wir wollen in diesem Jahr einmal sehen. – Es wäre sehr schön, wenn wir ein Schwein hätten. – Ja.
Die Tage vergehen. Regen fällt, und Acker und Wiese stehen schön, in diesem Jahr darf man auf Gutes hoffen! Große und kleine Erlebnisse folgen einander, es gibt Mahlzeiten, Schlaf und Arbeit, Sonntage mit reingewaschenen Gesichtern und gekämmten Haaren, Isak trägt sein neues rotes Hemd, das Inger gewebt und genäht hat. Da geschieht es, daß das gleichmäßige Leben durch ein großes Ereignis aufgescheucht wird. Ein Mutterschaf mit seinem Lamm hat sich in einem Felsenspalt eingeklemmt; die anderen Schafe kommen am Abend heim, Inger vermißt sofort die beiden, die fehlen. Isak geht hinaus, sie zu suchen. Sein erster Gedanke ist, wenn ein Unglück geschehen sei, so sei es nur gut, daß es gerade Sonntag sei und er somit nicht von der Arbeit weg müsse. Er sucht stundenlang, endlos ist das Weideland, er geht und geht. Daheim ist das ganze Haus in Aufregung; die Mutter beschwichtigt ihre Kinder mit kurzen Worten: Zwei Schafe fehlen, schweigt! Alle tragen an der Sorge mit, die ganze kleine Gesellschaft, selbst die Kühe merken, daß etwas Ungewöhnliches vorgeht und brüllen, denn bisweilen ist Inger draußen und lockt mit lauter Stimme nach dem Walde hin, obgleich die Nacht schon herannaht. Dies ist ein Ereignis im Ödland, ein allgemeines Unglück. Als Inger die Kinder zu Bett gebracht hat, geht sie selbst hinaus und sucht auch; dazwischen ruft sie, bekommt aber keine Antwort, Isak ist wohl auch weit weg.
Wo können die Schafe nur sein, was ist ihnen geschehen? Sind Bären unterwegs? Sind Wölfe von Schweden und Finnland übers Gebirge herübergekommen? Keins von beiden. Als Isak die Vermißten findet, ist das Mutterschaf in eine Felsenspalte eingeklemmt mit einem gebrochenen Bein und stark verletztem Euter. Es muß lange in der Felsenspalte festgehalten worden sein, denn obgleich es ernstlich verwundet ist, hat es doch das Gras um sich her bis an die Wurzeln abgenagt. Isak hebt das Schaf heraus, und das erste, was dieses tut, ist, nach Futter zu suchen. Das Lamm saugt sofort an der Mutter, es ist die reine Heilung für das arme wunde Euter, daß es geleert wird.
Nun sucht Isak Steine und wirft sie in die gefährliche Felsenspalte; diese heimtückische Öffnung soll nie wieder ein Schafbein brechen! Isak trägt lederne Hosenträger, er zieht sie aus, legt sie um das Schaf und hält dadurch das aufgerissene Euter an seinem Platz. Dann hebt er das Schaf auf seine Schulter und trägt es heim. Das Lamm läuft hinter ihm her.
Und nachher? Schienen und Teerlappen. In einigen Tagen fängt das Schaf an, mit dem kranken Fuß zu zappeln, weil die Wunde beißt und heilt. Ja, alles miteinander wird wieder gut – bis sich wieder etwas ereignet.
Das tägliche Leben, Ereignisse, die das Leben der Ansiedler ganz ausfüllen. Ach, das sind keineswegs Kleinigkeiten, es ist das Schicksal, es gilt Glück, Behagen und Wohlfahrt.
Isak benutzt die Zeit zwischen Frühjahr- und Sommerarbeit, um ein paar neue Stämme zu behauen, die gefällt daliegen; er hat wohl einen Plan mit ihnen. Außerdem bricht er viele nützliche Steine aus und schafft sie zum Hofe hin. Wenn er genug Steine beisammen hat, schichtet er sie zu einer Mauer. Wäre es nun noch wie vor einem Jahr gewesen, so wäre Inger neugierig geworden und hätte sich gefragt, was denn ihr Mann im Sinne habe; aber jetzt beschäftigte sie sich lieber mit ihren eigenen Sachen und stellte keine Fragen mehr. Inger ist so fleißig wie früher; sie versorgt das Haus und die Kinder und die Tiere, aber sie hat angefangen zu singen, und das tat sie früher nicht. Sie hat Eleseus ein Abendgebet gelehrt, das hatte sie früher nicht getan. Isak vermißt ihre Fragen; ihre Neugierde und ihr Lob über das, was er leistete, waren es, die ihn zu einem zufriedenen und einem ausgezeichneten Mann gemacht hatten. Jetzt geht sie an ihm vorbei und sagt höchstens, er werde sich noch zu Tode schinden. Es muß ihr beim letztenmal doch recht schlecht gegangen sein! denkt Isak.
Oline kommt wieder zu Besuch. Wäre es nun noch wie im vorigen Jahre gewesen, so hätte man sie sehr willkommen geheißen; aber jetzt ist es anders. Inger begegnet ihr vom ersten Augenblick an feindselig; was nun auch der Grund sein mag, aber Inger ist ihr feindselig gesinnt.
Ich dachte halb und halb, ich würde zu rechter Zeit kommen, sagt Oline mit feiner Anspielung. – Wieso? – Ja, daß das dritte getauft werden sollte. Wie steht es damit? – Ach, sagt Inger, darum hättest du dich nicht herzubemühen brauchen. – So.
Dann fängt Oline an, zu loben, die beiden Jungen seien so groß und hübsch geworden, und Isak sei so fleißig, und es sehe aus, als wolle er wieder bauen – großartig sei es hier, so einen Hof gebe es nicht wieder! Und kannst du mir sagen, was er jetzt bauen will? – Nein, das kann ich nicht, du mußt ihn selbst danach fragen. – Nein, sagt Oline, das geht mich nichts an. Ich wollte nur sehen, wie es euch geht, denn dies ist eine große Freude und Beruhigung für mich. Nach Goldhorn will ich gar nicht fragen oder ihren Namen in den Mund nehmen, sie hat es ja so gut wie nur möglich.
Eine Weile vergeht unter guter Unterhaltung, und Inger ist nicht mehr so unfreundlich. Als die Uhr an der Wand ihre herrlichen Schläge ertönen läßt, treten Oline die Tränen in die Augen; sie sagt, sie habe in ihrem ganzen armen Leben noch nie so eine Kirchenorgel gehört. Da fühlt sich Inger wieder reich und großmütig aufgelegt gegen die arme Verwandte, und sie sagt: Komm mit in die Kammer, ich zeig dir meinen Webstuhl.
Oline bleibt den Tag über da. Sie spricht mit Isak und lobt alles, was er getan hat. – Ich höre, du hast nach jeder Richtung hin eine Meile gekauft, hättest du es nicht umsonst haben können? Wer hat es dir mißgönnt?
Jetzt bekam Isak die Lobsprüche, die ihm gefehlt hatten, und er fühlt sich wieder mehr anerkannt und obenauf. Ich kaufe es von der Regierung, antwortet er. – Jawohl, aber sie soll nicht wie ein Raubtier gegen dich sein, diese Regierung. Was baust du? – Das weiß ich noch nicht. Es wird nichts Besonderes herauskommen.– Du schindest dich und baust, du hast gemalte Türen und eine Wanduhr in der Stube, dann baust du wohl eine Großstube. – Ach, spotte nicht! erwidert Isak. Aber es gefällt ihm gut, und er sagt zu Inger: Kannst du nicht ein klein wenig Sahnengrütze für unsern Gast kochen? – Nein, antwortete Inger, denn ich habe erst gebuttert. – Ich spotte nicht, ich bin nur ein einfältiges Frauenzimmer, das Fragen stellt, beeilte sich Oline einzuwerfen. Na ja, wenn es keine Großstube ist, so wird es wohl ein mächtiges Gebäude zu einer Scheune. Du hast Acker und Wiesen, und alles wächst heran, und es ist so, wie es in der Bibel steht, hier fließen Milch und Honig.
Isak fragt: Wie sind die Aussichten heuer in eurer Gegend? – Ach, es geht an. Wenn nur unser Herrgott nicht auch diesmal Feuer drauf fallen und es verbrennen läßt, Gott verzeih mir meine Sünden! Alles steht in seiner Hand und Allmacht. Aber so großartig wie hier bei euch steht es nirgends bei uns, o weit, weit entfernt!
Inger erkundigt sich nach einigen von ihren anderen Verwandten, besonders nach dem Oheim Sivert, dem Bezirkskassierer, der ist der große Mann der Familie, besitzt ein Großnetz und einen Bootsschuppen, er weiß bald nicht mehr, was er mit all seinem Reichtum anfangen soll.
Während dieser Unterhaltung versinkt Isak mehr und mehr in Gedanken, und sein neuer Bauplan ist vergessen. Schließlich sagt er: Nun, da du es durchaus wissen willst, Oline, so ist es eben eine kleine Scheune mit einer Dreschtenne, die ich zu bauen versuchen will.
Das hab ich mir gedacht, sagt Oline. Rechte Leute pflegen vorwärts und rückwärts zu denken und alles im Kopf zu haben. Hier ist keine Kanne und kein Gefäß, die du dir nicht im voraus ausgedacht hättest. Und mit einer Tenne, hast du gesagt, nicht wahr?
Isak ist ein großes Kind, Olines Lobhudeleien steigen ihm zu Kopf, und er macht sich ein wenig lächerlich. Ja, was das neue Haus betrifft, so soll eine Tenne drinnen sein, das ist meine Meinung und Absicht, sagt er. – Eine Tenne! sagt Oline bewundernd und wiegt den Kopf hin und her. – Ja, denn was sollen wir mit Korn auf dem Acker, wenn wir es nicht dreschen können? sagt er. – Es ist, wie ich sage, du denkst dir alles im Kopf aus, versetzt Oline.
Inger ist wieder unfreundlich geworden, das Gerede zwischen den beiden hat sie wohl aufgeregt, und sie sagt plötzlich: Sahnengrütze – wo soll ich denn die Sahne hernehmen? Gibt es etwa Sahne im Fluß?
Oline weicht der Gefahr aus. Liebste, beste Inger, versteh mich doch recht! Du brauchst dich nicht wegen der Sahnengrütze zu entschuldigen, oder auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Wegen einer Person wie ich, die sich nur auf den Höfen herumtreibt!
Isak bleibt noch eine Weile sitzen, dann sagt er: Nein, hier sitze ich und sollte doch Steine zu meiner Mauer ausbrechen. – Ja, zu so einer Mauer wie diese hier braucht man viele Steine! – Viele Steine? erwiderte Isak. Ja, es ist gerade, als wären es niemals genug.
Als Isak gegangen ist, werden die beiden Frauen wieder einträchtiger, sie haben so viel über die Gemeinde miteinander zu reden. Die Stunden vergehen. Am Abend bekommt Oline zu sehen, wie der Viehstand gewachsen ist. Zwei Kühe mit dem Stier, zwei Kälber, ein Gewimmel von Ziegen und Schafen. Wo will das noch hinaus! sagt Oline und schlägt die Augen zum Himmel auf.
Sie bleibt über Nacht.
Aber am nächsten Tag geht sie. Wieder hat sie etwas in einem Bündel mitbekommen; da Isak im Steinbruch ist, macht sie einen kleinen Umweg, um ihn zu vermeiden.
Zwei Stunden später erscheint Oline wieder in der Ansiedlung; sie tritt ein und fragt: Wo ist Isak?
Inger ist beim Geschirraufwaschen. Sie merkt, daß Oline bei Isak und den Kindern, die im Steinbruch sind, vorbei gekommen sein muß, und sie ahnt gleich Unrat. Oline, was willst du von Isak? fragt sie. – O nichts Besonderes! Aber ich habe ihm nicht Lebewohl gesagt. – Schweigen. Oline sinkt ohne weiteres auf eine Bank nieder, wie wenn sie ihre Beine nicht mehr tragen wollten. Sie läßt absichtlich etwas Ungewöhnliches ahnen, gerade indem sie zeigt, daß sie am Umsinken ist. Nun kann sich Inger nicht länger beherrschen, ihr Gesicht ist verzerrt und drückt Wut und Entsetzen aus. Sie sagt: Ich hab einen Gruß von dir bekommen durch Os-Anders. Es war ein netter Gruß. – Was denn? – Es war ein Hase. – Was du nicht sagst? versetzte Oline merkwürdig freundlich. – Wage nicht, es zu leugnen! ruft Inger mit irren Augen. Ich schlage dir mit der Holzkelle hier mitten ins Gesicht! So, da!
Schlug sie zu? Ja, gewiß. Und da Oline nicht beim ersten Schlag zurücktaumelt, sondern im Gegenteil aufsässig wird und ruft: Nimm dich in acht! Ich weiß, was ich von dir weiß! da gebraucht Inger die Holzkelle weiter und schlägt Oline zu Boden, zwingt sie unter sich und setzt ihr das Knie auf die Brust.
Willst du mich ganz töten? fragt Oline. Sie hatte diesen schrecklichen Hasenmund über sich, eine große, starke Frau mit einem wahren Prügel von einem Holzlöffel in der Hand. Oline hatte schon Beulen von den Schlägen, sie blutete, aber sie knurrte noch mehr und gab nicht nach. So, du willst mich auch umbringen? – Ja – dich umbringen, antwortete Inger und schlägt weiter. Da hast du! Ich werde dich totschlagen! – Sie hatte jetzt die Gewißheit, daß Oline ihr Geheimnis kannte, und es war ihr alles einerlei. – Da hast du eins auf deinen Rachen! – Meinen Rachen! Du hast einen Rachen! stöhnt Oline. Unser Herrgott hat dir ein Kreuz ins Gesicht geschnitten.
Da Oline zu zäh ist, um überwältigt werden zu können, ja verdammt zäh, muß Inger mit ihren Schlägen aufhören; es nützt alles nichts, sie erschöpft sich nur selbst. Aber sie droht – o sie droht Oline mit der Holzkelle dicht vor den Augen, o sie werde noch bekommen, sie werde noch für alle Zeiten genug bekommen! Ich hab auch ein Küchenmesser, du wirst es gleich sehen!
Sie richtet sich auf, wie um nach dem Messer zu greifen, nach dem großen Tischmesser; aber jetzt ist ihre erste Aufregung vorüber, und sie gebraucht nur noch den Mund. Oline richtet sich auch auf und setzt sich wieder auf die Bank, blau und gelb im Gesicht, voller Beulen und blutig. Sie streicht sich das Haar zurück, rückt ihr Kopftuch zurecht, spuckt aus; ihr Mund ist verschwollen! Du Vieh! sagt sie.
Du bist im Wald gewesen und hast herumgeschnüffelt! ruft Inger; dazu hast du die Stunden angewendet, und du hast das kleine Grab gefunden. Aber du hättest gleich ein Loch für dich selbst graben sollen! – Du wirst schon sehen! erwidert Oline, und ihre Augen funkeln vor Rachgier. Ich sage nichts mehr, aber nun wirst du keine Stube nebst Kammer und Orgelwerk mehr haben. – Das kannst du nicht bestimmen! – O, das werden die Oline und ich bestimmen!
Die zwei Weiber zanken sich weiter. Oline ist nicht so grob und laut, sie ist in ihrer häßlichen Bosheit geradezu friedlich, aber sie ist verbissen und gefährlich. Ich gehe, um mein Bündel zu holen, ich bereue, daß ich es im Wald hab liegen lassen. Ich gebe dir die Wolle zurück, ich will sie gar nicht haben. – So, du denkst wohl, ich hätte sie gestohlen. – Das weißt du selbst, was du getan hast.
Darüber zanken sie sich wieder. Inger sagt, sie wolle das Schaf zeigen, von dem sie die Wolle geschoren habe. Oline erwidert friedlich und gelassen: Jawohl, aber wer weiß, wo du das erste Schaf herhast? – Inger nennt Namen und Ort, wo ihre ersten Schafe und Lämmer in Futter gestanden haben. Und das sag ich dir, nimm dich ein für allemal mit deinem Mund in acht! droht sie. – Haha! lacht Oline verächtlich. Sie hat immer eine Antwort bereit und gibt nicht nach. Meinen Mund! Und deinen eigenen Mund! Sie deutet auf Ingers Hasenscharte und sagt, sie sei ein Abscheu vor Gott und den Menschen. Inger antwortet wutschnaubend, und da Oline dick ist, schimpft sie sie einen Fettwanst, – ein solcher gemeiner Fettwanst, wie du bist! Und ich danke dir auch für den Hasen, den du mir geschickt hast. – Hasen? Wenn ich in allem so frei von Schuld wäre wie bei dem Hasen! Wie sah er denn aus? – Wie sieht ein Hase aus? – Wie du! Ganz genau wie du! Und du hättest es gar nicht nötig, Hasen anzusehen. – Jetzt machst du, daß du hinaus kommst! schreit Inger. Du hast Os-Anders mit dem Hasen hierhergeschickt. Ich werde dich strafen lassen. – Strafen lassen! Hast du strafen lassen gesagt? – Du bist voller Neid, du gönnst mir nichts von allem, was ich habe, und du verbrennst fast vor Neid darüber, fährt Inger fort. Seit ich verheiratet bin, und Isak und alles, was hier ist, bekommen habe, hast du vor lauter Mißgunst fast kein Auge mehr zugetan. Großer Gott und Vater im Himmel, was willst du denn von mir? Ist es meine Schuld, daß deine Kinder nicht irgendwohin kamen, wo etwas aus ihnen geworden ist? Du kannst es nicht ertragen, daß meine Kinder wohlgestaltet sind und schönere Namen haben, als die deinigen, aber kann ich etwas dafür, daß sie von besserem Fleisch und Blut sind, als deine waren!
Konnte etwas Oline rasend machen, so war es dies. Sie hatte so viele Kinder geboren und besaß nichts als diese Kinder, so wie sie nun einmal waren; sie sagte, sie seien gut und prahlte mit ihnen, sie log ihnen Verdienste an, die sie nicht hatten, und verbarg ihre Fehler. – Was hast du gesagt? erwiderte sie Inger. Daß du nicht vor Scham in die Erde versinkst! Meine Kinder, die im Vergleich zu den deinen wie eine himmlische Engelschar waren! Wagst du es, meine Kinder in den Mund zu nehmen? Alle sieben waren als klein wahre Gottesgeschöpfe, und jetzt als erwachsen sind sie alle miteinander groß und wohlgestaltet. Nimm dich in acht, du! – Und die Lise, kam sie nicht ins Gefängnis, wie war denn das? fragt Inger. – Sie hatte nichts getan, sie war so unschuldig wie eine Blume, sagt Oline. Und jetzt ist sie in Bergen verheiratet und geht im Hut. Aber was tust du? – Und wie war's mit Nils? – Es ist mir nicht der Mühe wert, dir zu antworten. Aber du hast eines drüben im Walde liegen, was hast du mit dem getan? Du hast es umgebracht. – Pack dich und mach, daß du hinauskommst! schreit Inger wieder, und sie dringt aufs neue auf Oline ein.
Aber Oline weicht nicht, sie steht nicht einmal auf. Diese Unerschrockenheit, die wie Verstocktheit aussieht, lähmt Inger abermals, und sie sagt nur: Jetzt hole ich aber gleich das Hackmesser! – Laß das lieber sein, rät Oline, ich gehe schon von selbst. Aber was das betrifft, daß du deine eigenen Verwandten hinauswirfst, so bist du ein Vieh. – Ja, aber mach nur, daß du fortkommst.
Aber Oline geht nicht. Die beiden Frauen zanken sich noch eine gute Weile, und so oft die Wanduhr halb oder ganz schlägt, stößt Oline ein Hohngelächter aus und macht Inger rasend. Schließlich beruhigen sich beide doch ein wenig, und Oline macht sich zum Gehen fertig. Ich habe einen weiten Weg und die Nacht vor mir, sagt sie. Und es war recht dumm, ich hätte von daheim etwas zum Essen mitnehmen sollen, sagt sie.
Darauf gibt Inger keine Antwort, sie ist jetzt wieder vernünftig geworden; sie füllt Wasser in ein Becken und sagt: Da, wenn du dich abreiben willst! Oline sieht ein, daß sie sich waschen muß, ehe sie geht, aber da sie nicht weiß, wo sie blutig ist, wäscht sie an den verkehrten Stellen. Inger sieht ihr eine Weile zu, dann deutet sie. Da – fahr auch über die Schläfe, nein, die andere Schläfe, ich deute ja darauf. – Hab ich wissen können, auf welche Seite du gedeutet hast! versetzt Oline. – An deinem Mund sitzt auch noch etwas. Bist du vielleicht wasserscheu? fragt Inger.
Schließlich muß Inger selbst die Verwundete waschen und ihr ein Handtuch hinwerfen.
Was ich sagen wollte, beginnt Oline, während sie sich abtrocknet, und sie ist jetzt wieder vollkommen friedlich, wie soll Isak mit den Kindern das überstehen? – Weiß er's? fragt Inger. – Ob er es weiß! Er kam dazu und sah es. – Was sagte er? – Was konnte er sagen! Er war sprachlos, wie ich auch.
Schweigen.
Du, du bist an allem miteinander schuld! klagt Inger und bricht in Tränen aus. – Wenn ich nur an allem so frei von Schuld wäre! – Ich werde ihn, den Os-Anders, fragen, darauf kannst du dich verlassen! – Ja, tu das!
Sie sprechen es in Ruhe durch, und Oline scheint jetzt weniger rachsüchtig zu sein. O, sie ist ein Politikus ersten Rangs und gewohnt, Auswege zu finden, jetzt äußert sie sogar eine Art Mitgefühl, indem sie sagt, wenn es nun herauskomme, dann täten ihr Isak und auch die Kinder herzlich leid. – Ja, sagt Inger und weint noch mehr. Ich habe Tag und Nacht gegrübelt und gegrübelt. Als Ausweg fällt es nun Oline plötzlich ein, daß sie eine Hilfe sein könne, sie könne vielleicht herkommen und auf der Ansiedlung bleiben, wenn Inger ins Gefängnis müsse.
Jetzt weint Inger nicht mehr, sie horcht gleichsam plötzlich auf und überlegt. Nein, du versorgst die Kinder nicht, sagt sie. – Soll ich die Kinder nicht versorgen? Du spottest! – So.– Ja, denn wenn ich für etwas ein Herz habe, so sind es Kinder. – Ja, für deine eigenen, aber wie wirst du gegen die meinigen sein? Und wenn ich daran denke, daß du mir den Hasen geschickt hast, nur um mich zu verderben, so bist du ganz und gar schuld daran. – Ich? fragt Oline. Meinst du mich? – Ja, dich meine ich, antwortet Inger mit lautem Schluchzen. Du bist das größte Scheusal gegen mich gewesen, und ich trau dir nichts Gutes zu. Und außerdem würdest du uns nur alle Wolle stehlen, wenn du hierher kämst. Und einen Ziegenkäse nach dem andern würden deine Leute bekommen und nicht die meinigen. – Du bist ein Vieh, sagt Oline.
Inger weint, wischt sich die Augen und spricht ab und zu ein paar Worte. Oline sagt, sie wolle sich gewiß nicht aufdrängen, denn sie könne bei ihrem Sohn Nils sein, wo sie schon immer gewohnt habe. Wenn nun aber Inger ins Gefängnis komme, so wäre Isak mit den unschuldigen Kleinen ganz verlassen, da könne sie hierher kommen und auf sie aufpassen. Sie stellt das recht verlockend hin, es werde gewiß nicht schlimm gehen. Du kannst es dir nun überlegen, sagt sie.
Inger ist mutlos; sie weint und schüttelt den Kopf und schaut zu Boden. Wie eine Schlafwandlern« geht sie in die Vorratskammer und macht für den Gast Mundvorrat zurecht. – Nein, du sollst dich nicht in Unkosten stürzen, sagt Oline. – Und du sollst nicht ohne Mundvorrat übers Gebirge gehen, entgegnet Inger.
Als Oline gegangen ist, schleicht sich Inger hinaus, sieht sich um, horcht. Kein Laut vom Steinbruch herüber! Sie geht näher hin und hört die Kinder; sie spielen mit Geröll. Isak hat sich gesetzt; er hält den Spaten zwischen den Knien und stützt sich darauf, wie auf einen Stock. Da sitzt er.
Inger schleicht sich zum Waldsaum hin. Sie hatte ein kleines Kreuz in die Erde gesteckt; das Kreuz liegt am Boden, aber da, wo es gestanden hat, ist der Rasen weggenommen und die Erde aufgewühlt. Inger setzt sich nieder und scharrt die Erde mit den Händen wieder zusammen. Und da sitzt sie.
Sie kam aus Neugier, um zu sehen, wie tief Oline in dem kleinen Grab gewühlt hat, sie bleibt sitzen, weil die Haustiere noch nicht heimgekommen sind. Sie weint und schüttelt den Kopf und sieht zu Boden.