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Auf Sellanraa gab es große Veränderungen.
Ja, nichts war von der ersten Zeit her wiederzuerkennen! Hier waren nun verschiedene Gebäude, ein Sägewerk und eine Mühle, und die öden Strecken waren wohlbebautes Land geworden. Und noch mehr stand bevor. Aber Inger war vielleicht noch am merkwürdigsten, ganz anders wieder und überaus tüchtig.
Die Krise vom letzten Sommer hatte wohl nicht auf einmal ihren Leichtsinn besiegen können, im Anfang hatte sie mehrere Rückfälle, sie ertappte sich darauf, daß sie von der Anstalt und von Drontheims Domkirche sprechen wollte. Ach, so kleine unschuldige Dinge! Ihren Ring zog sie vom Finger und ihre so freimütig kurzen Röcke machte sie länger. Sie war nachdenklich geworden, es wurde stiller auf dem Hofe, die Besuche nahmen ab, die fremden Mädchen und Frauen aus dem Dorf kamen seltener, weil sie sich nicht mehr mit ihnen einließ. Niemand kann im Ödland leben und nur immer lachen und scherzen, Freude ist nicht Lustigkeit.
Droben im Ödland hat jede Jahreszeit ihre Wunder, aber immer und unveränderlich sind die dunklen, unermeßlichen Laute von Himmel und Erde, das Umringtsein nach allen Seiten hin, die Waldesdunkelheit, die Freundlichkeit der Bäume. Alles ist schwer und weich zugleich, kein Gedanke ist da unmöglich. Nördlich von Sellanraa lag ein ganz kleiner Teich, eine Lache, nur so groß wie ein Aquarium. Da tummelten sich winzige Fischkinder, die nie größer wurden; sie lebten und starben und waren zu nichts nütze, lieber Gott, zu rein gar nichts! Eines Abends stand Inger da und horchte auf die Kuhglocken. Sie hörte nichts, denn alles war totenstill ringsum, aber plötzlich vernahm sie Gesang aus dem Aquarium. Er war sehr schwach und beinahe nicht vernehmlich, nur wie hinsterbend. Das war das Lied der kleinwinzigen Fische.
Sellanraa lag so günstig, daß die Bewohner jeden Herbst und Frühjahr die Wildgänse, die über das Ödland hinflogen, sahen und ihr Rufen und Locken in der Luft droben hören konnten, es klang wie verwirrtes Reden. Und dann war es, als stehe die Welt stille, bis der Zug vorüber war. Fühlten sich die Menschen da nicht von einer Art Schwäche überfallen? Sie nahmen ihre Arbeit wieder auf, aber zuvor taten sie einen tiefen Atemzug, ein Hauch aus dem Jenseits hatte sie gestreift.
Große Wunder umgaben sie zu allen Zeiten. Im Winter die Sterne und auch die Nordlichter, ein flammendes Firmament, eine Feuersbrunst droben bei Gott. Hie und da, nicht oft, nicht für gewöhnlich, aber hie und da vernahmen sie auch donnern. Das war hauptsächlich im Herbst, und es war düster und feierlich für Menschen und Tiere. Die Haustiere, die auf der nahen Wiese weideten, drängten sich zusammen und blieben beieinander stehen. Worauf horchten sie? Warteten sie auf das Ende? Und worauf warteten die Menschen im Ödland, wenn sie beim Grollen des Donners mit gesenktem Kopfe dastanden?
Der Frühling – jawohl, dessen Eile und Ausgelassenheit und Entzücken; aber der Herbst! Der stimmte die Leute anders. Da fürchteten sie sich oft in der Dunkelheit, und sie nahmen ihre Zuflucht zum Abendgebet, sie wurden hellseherisch und hörten Vorboten. Manchmal gingen sie an einem Herbsttag hinaus, um etwas hereinzuholen, die Männer vielleicht Holz, die Frauen das Vieh, das jetzt wie unsinnig nach Pilzen suchte – und sie kehrten zurück, das Herz von geheimnisvollen Dingen erfüllt. Waren sie unversehens auf eine Ameise getreten und hatten deren Hinterleib auf dem Pfad festgetreten, so daß der Vorderkörper nicht mehr loskommen konnte? Oder waren sie einem Schneehuhnnest zu nahe gekommen und war ihnen eine Mutter zischend entgegengeflattert? Und nicht einmal die großen Kuhpilze waren ohne Bedeutung. Der Mensch wird nicht starr und bleich, wenn er sie nur ansieht. Ein Kuhpilz blüht nicht und rührt sich nicht von der Stelle, aber es ist etwas Überwältigendes an ihm, und er ist ein Ungeheuer, er gleicht einer Lunge, die nackt und ohne hüllenden Körper ein eigenes Leben führt.
Inger wurde schließlich recht schwermütig, das Ödland bedrückte sie, sie wurde fromm. Hätte sie dem entgehen können? Niemand im Ödland kann dem entgehen, da gibt es nicht nur irdisches Streben und Weltlichkeit, da ist Frömmigkeit und Gottesfurcht und viel Aberglauben. Inger meinte wohl, sie habe mehr Grund als andere, der Züchtigung des Himmels gewärtig sein zu müssen, diese würde wohl nicht ausbleiben, sie wußte, daß Gott an den Abenden durch das ganze Ödland streifte und fabelhaft gute Augen hatte, er würde sie schon finden. In ihrem täglichen Leben war nicht so sehr viel, was sie hätte anders machen können. O, sie konnte den goldenen Ring zu unterst in ihrer Truhe verbergen und sie konnte an Eleseus schreiben, er solle sich auch bekehren; aber außerdem blieb wohl nichts anderes übrig, als selbst gute Arbeit zu leisten und sich nicht zu schonen. Ja, eines konnte sie doch noch tun! Sich in demütige Kleider hüllen und nur am Sonntag ein schmales blauseidenes Band um den Hals tragen, um einen Unterschied vom Werktag zu machen. Diese unechte und unnotwendige Armut war der Ausdruck für eine Art Philosophie, für Selbsterniedrigung, Stoizismus. Das blauseidene Band war nicht mehr neu, war von einer Mütze abgetrennt, die Leopoldine zu klein geworden war, es war da und dort verblichen und gerade heraus gesagt auch etwas schmutzig – nun gebrauchte es Inger als einen demütigen Sonntagstaat. Jawohl, sie übertrieb und machte die Armut in der Hütte nach, sie trug eine falsche Armut zur Schau – wäre ihr Verdienst größer gewesen, wenn sie zu einem so geringen Staat gezwungen gewesen wäre? Laßt sie in Frieden, sie hat ein Recht auf Frieden!
Sie übertrieb großartig und tat mehr, als sie mußte. Es waren zwei Männer auf dem Hofe, aber Inger paßte wohl auf, bis sie fort waren, und sägte dann Holz; wozu sollte nun diese Qual und Züchtigung gut sein? Sie war ein ganz unbedeutender, ganz geringer Mensch, ihre Fähigkeiten waren recht gewöhnlich, ihr Tod oder ihr Leben würde nirgends im Lande gemerkt werden, außer hier im Ödland. Hier war sie beinahe groß, jedenfalls war sie die größte, und sie meinte, sie sei aller der Züchtigung, die sie auf sich selbst verwendete, wohl wert. – Ihr Mann sagte: Sivert und ich haben darüber gesprochen, wir wollen nichts davon wissen, daß du unser Holz sägst und dich überschaffst. – Ich tue es um meines Gewissens willen, entgegnete Inger.
Um des Gewissens willen? Das stimmte Isak wieder nachdenklich; er war jetzt ein Mann in Jahren, langsam im Überlegen, aber gewichtig, wenn er schließlich seine Ansicht sagte. Das Gewissen mußte doch recht kräftig sein, wenn es Inger so vollständig hatte umwenden können. Und was es nun auch sein mochte, aber Ingers Bekehrung wirkte auch auf ihn ein, sie steckte ihren Mann an, er wurde grüblerisch und zahm. Das war ein sehr schwerer, fast unüberwindlicher Winter; Isak suchte die Einsamkeit, suchte Verborgenheit. Um seinen eigenen Wald zu schonen, hatte er nun im Staatswald an der schwedischen Grenze einige Dutzend gute Stämme gekauft – er wollte beim Fällen dieser Bäume niemand zur Hilfe haben, er wollte allein sein, Sivert wurde befohlen, daheim zu bleiben und auf die Mutter aufzupassen, damit sie sich nicht zu sehr anstrenge.
In den kurzen Wintertagen ging also Isak noch in der Dunkelheit zum Wald und kam erst bei Dunkelheit wieder heim. Nicht immer schienen Mond und Sterne, manchmal waren seine eigenen Fußstapfen vom Morgen wieder zugeschneit, dann konnte er sich nur schwer zurechtfinden. Und an einem Abend hatte er ein Erlebnis.
Er hatte schon den größten Teil des Wegs zurückgelegt, und bei dem hellen Mondschein sah er Sellanraa schon drüben auf der Halde liegen; da lag es hübsch und wohl gebaut, aber klein, fast wie ein unterirdisches Gehöft anzusehen, weil es so tief eingeschneit war. Aber jetzt bekam er wieder Bauholz, und Inger sowie die Kinder würden sich sehr verwundern, wozu er das Holz verwenden wollte, an was für ein überirdisches Gebäude er dachte. Er setzte sich in den Schnee und wollte ein wenig ausruhen, um nicht erschöpft heimzukommen.
Ringsum ist es ganz still, und Gott sei Dank für diese Stille und seine eigene nachdenkliche Stimmung, sie ist nur vom Guten! Isak ist ja ein Ansiedler, und er schaut nach seinem Grundstück hinüber, wo er noch mehr Ödland umgraben muß. Er bricht in Gedanken große Steine aus, er hat ein entschiedenes Talent zum Entwässern. Und er weiß, dort drüben liegt noch eine recht tiefe Sumpfstrecke auf seinem Eigentum. Dieser Sumpf ist voller Erz, eine metallische Haut steht auf jeder Lache, den will er jetzt trocken legen. Mit den Augen teilt er den Boden in Vierecke ein, er hat Pläne und Absichten mit diesen Vierecken, er will sie recht grün und fruchtbar machen. O, ein urbar gemachtes Feld war etwas sehr Gutes, es wirkte auf ihn wie Ordnung und Recht und dazu wie Genuß ...
Er stand auf und fand sich nicht mehr ganz zurecht. Hm! Was war geschehen? Nichts, er hatte nur ein wenig ausgeruht. Jetzt aber steht etwas vor ihm, ein Wesen, ein Geist, graue Seide – nein, es war nichts. Es wurde ihm sonderbar zumut, er machte einen kurzen unsicheren Schritt vorwärts und ging geradeswegs auf einen Blick zu, einen großen Blick, zwei Augen, gleichzeitig fangen die Espen in der Nähe zu rauschen und zu raunen an. Nun weiß jedermann, daß die Espe eine ganz infame, unbehagliche Art zu rauschen hat, jedenfalls hatte Isak noch niemals ein widerlicheres Rauschen gehört als jetzt, und er fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Er griff auch mit der Hand nach vorne, aber dies war vielleicht die hilfloseste Bewegung, die diese Hand je gemacht hatte.
Aber was war nun das da vor ihm, und hatte es eine Gestalt oder nicht? Isak hatte ja seiner Lebtag darauf geschworen, daß es eine höhere Macht gebe, und einmal hatte er sie auch gesehen, aber das, was er jetzt sah, glich Gott nicht. Ob der Heilige Geist wohl so aussah? Aber warum stand er dann jetzt hier – auf dem weiten Feld zwei Augen, ein Blick und sonst nichts? War es, um ihn zu holen, um seine Seele zu holen, dann mochte es so sein, einmal würde es ja doch geschehen, dann wurde er selig und kam in den Himmel.
Isak war gespannt, was geschehen würde, ein Schauder durchrieselte ihn, die Gestalt strömte ja Kälte und Frost aus, es mußte der Teufel sein. Hier betrat Isak sozusagen bekannten Boden, es war nicht unmöglich, daß es der Teufel war; aber was wollte er hier? Auf was hatte er Isak jetzt eben ertappt? Auf dem Gedanken Ödland umzubrechen, aber das konnte ihn doch unmöglich geärgert haben. Von einer anderen Sünde, die er begangen haben konnte, wußte Isak nichts, er war nur auf dem Heimweg vom Walde, ein müder und hungriger Arbeiter, er wollte nach Sellanraa, alles in guter Absicht.
Wieder machte er einen Schritt vorwärts, aber es war kein langer Schritt, und er wich überdies sofort wieder ebenso weit zurück. Da die Erscheinung nicht weichen wollte, runzelte Isak wahrhaftig die Stirne, als traue er der Sache nicht mehr recht. Wenn es der Teufel war, so mochte es der Teufel sein, der hatte jedoch nicht die höchste Macht. Luther hatte ihn einstmals beinahe umgebracht, und es gab viele, die ihn mit dem Kreuzeszeichen und Jesu Namen verscheucht hatten. Nicht, daß Isak die Gefahr herausgefordert und sich dann hingesetzt und darüber gelacht hätte, aber das Sterben und Seligwerden, das er zuerst im Sinne gehabt hatte, diesen Gedanken gab er jedenfalls auf, und jetzt machte er zwei Schritte auf die Erscheinung zu, bekreuzigte sich und rief: Im Namen Jesu!
Hm? Als er seine eigene Stimme hörte, war es, als komme er plötzlich wieder zu sich, und er sah Sellanraa auf der Halde liegen. Die Espen rauschten nicht mehr, die beiden Augen waren aus der Luft verschwunden.
Er zögerte nicht länger auf dem Weg und forderte die Gefahr nicht heraus. Aber als er auf seiner eigenen Türschwelle stand, räusperte er sich kräftig und erleichtert, und er ging erhobenen Hauptes in die Stube hinein, wie ein Mann, ja wie ein Held.
Inger stutzte und fragte, warum er so leichenblaß aussähe.
Da leugnete er nicht, daß er dem Teufel begegnet sei.
Wo? fragte sie.
Dort drüben. Uns gerade gegenüber.
Inger zeigte keinen Neid. Ja, sie lobte ihn nicht gerade deshalb, aber in ihrer Miene lag nichts, was einem bösen Wort oder einem Fußtritt geglichen hätte. Ach, Ingers Gemüt hatte sich im Gegenteil in den letzten Tagen etwas aufgehellt, und sie war freundlicher geworden, woher es auch kommen mochte, nun fragte sie nur:
Ist es der Teufel selbst gewesen?
Isak nickte und sagte, soweit er habe sehen können, sei er es selbst gewesen.
Wie bist du ihn losgeworden?
Ich ging im Namen Jesu auf ihn los, antwortete Isak.
Inger wiegte überwältigt den Kopf hin und her, und es dauerte eine Weile, bis sie das Essen auftragen konnte. Jedenfalls darfst du aber jetzt nicht mehr ganz allein in den Wald gehen, sagte sie.
Sie zeigte sich besorgt um ihn, das tat ihm wohl. Er tat, als sei er noch gleich mutig und als kümmere er sich durchaus nicht um irgendeine Begleitung in den Wald, aber er tat nur so, um Inger mit seinem unheimlichen Erlebnis nicht mehr als notwendig zu erschrecken. Er war ja der Mann und das Oberhaupt des Hauses, der Schutz aller.
Inger durchschaute ihn auch und sagte: Ja ja, du willst mich nur nicht ängstlich machen, aber du mußt Sivert mitnehmen. – Isak lächelte nur verächtlich. Du kannst im Walde krank und elend werden, und ich glaube, du bist auch in der letzten Zeit nicht so recht gesund gewesen. – Wieder lächelte Isak verächtlich. Krank? Abgeschunden und müde, jawohl; aber krank! Inger solle ihn nicht lächerlich machen, er sei und bleibe gesund, er esse, schlafe und arbeite, er sei ja geradezu unheilbar gesund. Einmal sei ein gefällter Baum auf ihn gestürzt und habe ihm das Ohr abgerissen, er habe das Ohr aufgehoben und es mit der Mütze Tag und Nacht an seinem Platz festgehalten, und da sei es wieder angewachsen. Für innere Unpäßlichkeiten nehme er Süßholzsaft in kochender Milch und komme dadurch in Schweiß, Lakritze also, die er beim Kaufmann hole, ein erprobtes Mittel, das Theriak der Alten. Wenn er sich in die Hand haue, lasse er sein Wasser über die Wunde laufen und salze sie ein, dann sei es in wenigen Tagen geheilt. Der Doktor sei noch nie nach Sellanraa geholt worden.
Nein, Isak war nicht krank. Eine Begegnung mit dem Teufel konnte schließlich der Gesündeste haben. Isak fühlte auch von dem gefährlichen Abenteuer keine Nachwehen, im Gegenteil, es war, als sei er dadurch gestärkt worden. Als sich der Winter seinem Ende zuneigte und der Frühling nicht mehr so ewig weit entfernt war, fühlte sich der Mann und das Oberhaupt allmählich als eine Art Held: Ich verstehe mich auf solche Dinge, wir müssen nur meinem Rat folgen, zur Not kann ich sogar bannen.
Im ganzen genommen waren ja die Tage länger und heller, Ostern war vorüber, die gefällten Bäume waren heimgefahren, alles leuchtete, die Menschen atmeten nach dem überstandenen Winter auf.
Inger war wieder die erste, die sich aufrichtete, sie war jetzt schon lange in guter Laune. Woher das kam? Hoho, es hatte seine guten Gründe, sie war wieder dick geworden, sollte wieder ein Kind bekommen. Alles ebnete sich in ihrem Leben, nichts versagte. Aber das war ja die größte Barmherzigkeit nach all dem, was sie verbrochen hatte, sie hatte Glück, das Glück verfolgte sie! Isak wurde wahrhaftig eines Tages aufmerksam und mußte sie fragen: Ich glaube wirklich, es wird wieder etwas, wie ist das möglich? – Ja, gottlob, es wird gewiß etwas! antwortete sie. – Beide waren gleich überrascht. Natürlich war Inger nicht zu alt; Isak kam sie nicht zu alt vor, aber trotzdem, wieder ein Kind, ja ja! Die kleine Leopoldine war ja schon mehrere Male im Jahr für längere Zeit in der Schule auf Breidablick, da hatten sie keine Kleinen mehr zu Hause, und außerdem war Leopoldine jetzt auch schon ein großes Mädchen.
Einige Tage vergingen, aber am nächsten Samstag machte sich Isak energisch auf den Weg ins Dorf, und er wollte erst am Montagmorgen zurückkommen. Er wollte nicht sagen, was er im Sinne hatte, aber siehe da, er kam mit einer Magd zurück. Sie hieß Jensine. – Du bist wohl nicht recht klug, sagte Inger, ich brauche sie nicht. – Isak erwiderte, jawohl, jetzt brauche sie eine Magd.
Und jedenfalls war das nun ein so hübscher und gutherziger Einfall von Isak, daß Inger ganz beschämt und gerührt war; das neue Mädchen war die Tochter des Schmieds; sie sollte vorerst den Sommer über dableiben, später werde man weitersehen.
Und außerdem, sagte Isak, habe ich an Eleseus telegraphiert.
Inger zuckte zusammen. Telegraphiert? Wollte Isak sie rein umbringen mit seiner Gutherzigkeit? Seht, es war ja seit langer Zeit ihr großer Schmerz, daß Eleseus in der Stadt war, in der ruchlosen Stadt! Sie hatte an ihn vom lieben Gott geschrieben und ihm außerdem auch erklärt, der Vater werde allmählich alt, der Hof aber immer größer, Klein-Sivert könne nicht alles leisten und er solle ja auch den Oheim Sivert einmal beerben – und sie hatte ihm für alle Fälle einmal auch das Reisegeld geschickt. Aber Eleseus war ein Stadtmensch geworden und sehnte sich nicht ins Bauernleben zurück, er erwiderte, was er denn daheim ungefähr tun solle? Ob er auf dem Hofe schaffen und all sein Wissen und seine Gelehrtheit wegwerfen solle? Und tatsächlich habe ich keine Lust dazu, schrieb er. Und wenn du mir wieder etwas Stoff zu Wäsche schicken kannst, dann brauche ich deshalb keine Schulden zu machen, schrieb er. – O ja, die Mutter schickte Stoff zu Wäsche, sandte merkwürdig oft Stoff zu Wäsche; aber als sie erweckt und fromm geworden war, da war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, und sie begriff, daß Eleseus den Stoff unter der Hand verkaufte und das Geld zu anderem benutzte.
Dasselbe begriff auch der Vater. Er sagte nie ein Wort darüber, denn er wußte, daß Eleseus der Augapfel der Mutter war, daß sie über ihn weinte und den Kopf schüttelte; trotzdem aber verschwand ein Stück doppelseitiges Tuch nach dem andern. Darüber war sich Isak ganz klar, daß kein Mensch auf der weiten Welt so viel Wäsche auftragen könnte. Wenn er also alles in allem betrachtete, so mußte Isak deshalb als Mann und Oberhaupt wieder eingreifen. So ein Telegramm durch den Kaufmann kostete allerdings unverhältnismäßig viel, aber teils würde das Telegramm sicher eine ungeheure Wirkung auf den Sohn ausüben, teils war es ja für Isak selbst etwas ganz Außergewöhnliches, wenn er bei seiner Rückkehr Inger von dem Telegramm mitteilen konnte. Als er heimwärts wanderte, trug er sogar noch den Koffer der Magd auf dem Rücken; und er fühlte sich ebenso stolz und so geheimnisvoll wie an jenem Tage, als er Inger den goldenen Ring mitgebracht hatte ...
Es kam eine herrliche Zeit, Inger wußte gar nicht, was Nützliches und Gutes sie nun alles tun sollte. Wie in alten Tagen sagte sie oft zu ihrem Mann: Du kannst alles zustande bringen! Und ein anderes Mal: Du schaffst dich zu tot! Und abermals: Nein, jetzt mußt du hereinkommen und essen, ich habe Waffeln für dich gebacken! Um ihm eine Freude zu machen, fragte sie: Ich möchte nur wissen, was du mit diesen Balken vorhast und was du eigentlich bauen willst? – Nein, das weiß ich noch nicht recht, antwortete er und tat sehr wichtig.
Es war jetzt wieder ganz wie in den alten Tagen. Und nachdem das Kind geboren war – es war ein Mädchen, ein großes, wohlgestaltetes Mädchen –, hätte Isak ein Stein oder ein Hund sein müssen, wenn er nicht Gott dankbar gewesen wäre. Aber was wollte er bauen? Das wäre etwas für Oline, darüber könnte sie klatschen: einen Anbau ans Haus, noch eine Stube. Seht, die Familie auf Sellanraa war nun sehr zahlreich geworden: sie hatten eine Magd, sie erwarteten Eleseus nach Hause und ein funkelnagelneues kleines Mädchen war angekommen, – die alte Stube mußte nun Schlafkammer werden, anders ging es nicht.
Und natürlich mußte Isak das Inger eines Tages erzählen; sie war ja so neugierig darauf, es zu erfahren, und obgleich Inger das ganze Geheimnis vielleicht schon von Sivert gehört hatte – sie tuschelten ja oft miteinander –, so tat sie ordentlich überrascht, ließ die Arme sinken und sagte: Das ist doch wohl nicht dein Ernst? – Aber zum Platzen voll von innerem Glück erwiderte er: Du kommst mit so vielen neuen Kindern daher, wie soll ich sie denn unterbringen?
Die Mannsleute waren nun jeden Tag eifrig beim Steinausbrechen für die neue Grundmauer. Sie waren einander jetzt ungefähr gleich bei dieser Arbeit; der eine frisch und fest in seinem jungen Körper und rasch im Erfassen der günstigsten Lage, im Erkennen der passendsten Steine, der andere alternd und zäh, mit langen Armen und das Brecheisen mit ungeheuerem Gewicht einsetzend. Und wenn sie einmal so ein richtiges Kraftstück ausgeführt hatten, schnauften sie gerne eine Weile aus und hielten einen scherzhaften und zurückhaltenden Schwatz miteinander.
Brede will ja verkaufen, sagte der Vater. – Ja, versetzte der Sohn. – Möchte wissen, wieviel er verlangt? – Ja, wieviel wohl? – Du hast nichts gehört? – Nein, doch, zweihundert. – Der Vater überlegte eine Weile, dann sagte er: Was meinst du, gibt das hier einen Eckstein? – Es kommt darauf an, ob wir ihn zuhauen können, antwortete Sivert und stand augenblicklich auf, reichte dem Vater den Setzhammer und nahm selbst den Vorhammer. Er wurde rot und heiß, richtete sich in seiner ganzen Größe auf und ließ den Vorhammer niedersausen, richtete sich wieder auf und ließ ihn abermals niederfallen – zwanzig gleiche Schläge, zwanzig Donnerschläge! Er schonte weder das Werkzeug noch sich selbst, er leistete tüchtige Arbeit, das Hemd kroch ihm über die Hose heraus und entblößte ihm den Bauch, bei jedem Schlag richtete er sich auf die Zehenspitzen auf, um dem Hammer noch größere Wucht zu verleihen. Zwanzig Schläge!
Nun wollen wir sehen! rief der Vater. – Der Sohn hielt inne und fragte: Hat er einen Sprung bekommen? – Alle beide legten sich nieder und untersuchten den Stein, untersuchten den Kerl, den Halunken, nein, er hatte keinen Sprung bekommen. – Jetzt will ich es einmal mit dem Vorhammer allein probieren, sagte der Vater und richtete sich auf. Noch gröbere Arbeit, einzig und allein mit Kraft, der Vorhammer wurde heiß, der Stahl gab nach, die Feder, mit der Isak schrieb, wurde stumpf. Er geht vom Stiel ab, sagte er von dem Vorhammer und hörte auf zu schlagen. Ich kann auch nicht mehr, sagte Isak. O, das meinte er nicht, daß er nicht mehr könne!
Dieser Vater, dieser Prahm, unansehnlich, voller Geduld und Güte, er gönnte es dem Sohn, den letzten Schlag zu tun und den Stein zu spalten. – Da lag er nun in zwei Teilen. Ja, du hast einen kleinen Kniff dabei, sagte der Vater. Hm. Aus Breidablick könnte man schon etwas machen. – Ja, das sollte ich meinen.– Ja, wenn das Moor mit Gräben durchzogen und umgegraben würde. – Das Haus müßte hergerichtet werden.– Ja, selbstverständlich, das Haus müßte hergerichtet werden, oh, es würde viel zu arbeiten geben, dort, aber ... Wie war es, hast du gehört, ob die Mutter am Sonntag in die Kirche will? – Ja, sie hat davon gesprochen. – So. Aber komm, nun müssen wir uns ordentlich umschauen, damit wir eine schöne Steinschwelle für den Anbau finden. Du hast wohl noch nichts Passendes dazu gesehen? – Nein, antwortete Sivert.
Dann arbeiteten sie weiter.
Ein paar Tage später meinten beide, nun hätten sie genug Steine zu der Mauer. Es war an einem Freitagabend, sie setzten sich, um auszuschnaufen, und plauderten wieder eine Weile.
Hm. Nun, was meinst du, sagte der Vater, wollen wir ein wenig an Breidablick denken? – Warum? fragte Sivert. Was sollen wir damit? – Ja, das weiß ich nicht. Das Schulhaus ist auch dort und Breidablick liegt mitten drin. – Ja, und? fragte der Sohn. – Ich wüßte gar nichts damit anzufangen, denn man kann es zu nichts verwenden. – Hast du daran gedacht? fragte Sivert. – Der Vater antwortete: Nein. Ich denke an Eleseus, ob er wohl darauf arbeiten möchte? – Eleseus? – Ja, aber ich weiß nicht. – Lange Überlegung auf beiden Seiten. Dann sammelte der Vater das Handwerkzeug zusammen, lud es sich auf und wendete sich heimwärts. – Ich meine, du solltest mit ihm darüber reden, sagte Sivert schließlich. Und der Vater schloß das Gespräch mit den Worten: Nun haben wir auch heute keinen schönen Stein zu der Türschwelle gefunden.
Der nächste Tag war ein Samstag, und da mußten sie schon sehr früh aufbrechen, um mit dem Kinde rechtzeitig übers Gebirge zu kommen. Jensine, die Magd, sollte auch mit, da hatten sie die eine Patin, die andern Gevattern mußten jenseits des Gebirges unter Ingers Verwandten aufgetrieben werden.
Inger war sehr hübsch, sie hatte sich ein besonders kleidsames Kattunkleid genäht und trug überdies weiße Streifen um den Hals und an den Handgelenken. Das Kind war ganz in Weiß, nur unten am Saum war ein neues blauseidenes Band durchgezogen, aber es war ja auch ein ganz besonderes Kind, es lächelte und plauderte schon und horchte auf, wenn die Stubenuhr schlug. Der Vater hatte den Namen ausgewählt. Ihm kam dies zu, er wollte hier eingreifen – laßt uns nur meinem Rat folgen! Er hatte zwischen Jakobine und Rebekka, die beide etwas mit Isak zusammenhingen, geschwankt, schließlich war er zu Inger gegangen und hatte ängstlich gesagt: Hm. Was meinst du zu Rebekka? – O ja, antwortete Inger. – Als Isak dies hörte, wurde er ordentlich männlich und sagte barsch: Wenn sie etwas heißen soll, so soll sie Rebekka heißen. Dafür stehe ich ein!
Und natürlich wollte er mit in der Kirche sein, der Ordnung halber und auch, um das Kind zu tragen, der kleinen Rebekka sollte ein gutes Taufgeleite nicht fehlen. Er stutzte sich den Bart, zog wie in jüngeren Jahren ein frisches rotes Hemd an; es war zwar in der größten Hitze, aber er hatte einen schönen neuen Winteranzug, den legte er an. Übrigens war Isak nicht der Mann, der sich Verschwendung und Flottheit zur Pflicht machte, deshalb zog er zu der Wanderung übers Gebirge ein Paar von seinen märchenhaften Siebenmeilenstiefeln an.
Sivert und Leopoldine mußten bei den Haustieren daheim bleiben.
Sie ruderten im Boot über den Gebirgssee, und das war eine große Erleichterung gegen früher, wo sie immer außen herum hatten wandern müssen. Aber mitten auf dem Wasser, als Inger der Kleinen die Brust geben wollte, sah Isak etwas Glänzendes an einem Faden um ihren Hals hängen. – was konnte das sein? In der Kirche bemerkte er, daß sie den goldenen Ring am Finger trug. O, diese Inger, sie hatte sich es nicht versagen können!