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Die Zeit vergeht, der Winter vergeht, es wird wieder Frühling. Natürlich mußte Isak eines Tages notwendig ins Dorf. Es wurde gefragt, was er dort wolle. Ich weiß es nicht recht, sagte er. Aber er putzte den Karren sehr rein, stellte den Sitz darauf und fuhr davon. Und natürlich hatte er verschiedentliche Eßwaren für Eleseus auf Storborg bei sich. Es fuhr ja kein Wagen von Sellanraa ab, der nicht irgend etwas für Eleseus mitnahm.
Wenn Isak das Ödland hinunterfuhr, so war das kein unbedeutendes Ereignis; er selbst tat es nur selten, Sivert pflegte es an seiner Statt zu tun. In den zwei ersten Ansiedlungen stehen die Leute unter der Gammentür und sagen zueinander: Das ist der Isak selbst, ich möchte nur wissen, warum er heute fährt. Als er nach Maaneland kommt, steht Barbro mit einem Kind auf dem Arm unter dem Fenster, und als sie ihn sieht, denkt sie: das ist der Isak selbst!
Er kommt nach Storborg und hält an: Prrr! Ist Eleseus daheim? – Eleseus kommt heraus. Jawohl, er ist daheim, er ist noch nicht abgereist, aber er will abreisen, er will seinen Frühlingsausflug nach den Städten im Süden antreten. – Da schickt dir die Mutter etwas, sagt der Vater. Ich weiß nicht, was es ist, es wird weiter nichts Besonderes sein. – Eleseus nimmt die Gefäße entgegen, dankt und fragt: Hast du nicht auch einen Brief oder so etwas? – Doch, antwortet der Vater und sucht in seinen Taschen. Er ist wohl von der kleinen Rebekka. – Eleseus bekommt den Brief, darauf hat er gewartet, er sieht, das er schön dick ist, und sagt zu seinem Vater: Es ist sehr schade, daß du so früh kommst, zwei Tage zu früh. Aber wenn du ein bißchen warten willst, kannst du meinen Koffer gleich mitnehmen.
Isak steigt ab und bindet das Pferd an. Dann macht er einen Gang über die Felder. Der kleine Ladendiener Andresen ist kein schlechter Landwirt auf Eleseus Grund und Boden, Sivert ist ihm allerdings mit den Pferden von Sellanraa zu Hilfe gekommen, aber er hat auch auf eigene Faust Moor entwässert und einen Mann zu Hilfe genommen, der die Gräben mit Steinen auslegte. In diesem Jahr braucht auf Storborg kein Futter gekauft zu werden, und im nächsten Jahr konnte sich Eleseus vielleicht ein eigenes Pferd halten. Das hatte er Andresens Freude an der Landwirtschaft zu verdanken.
Nach einiger Zeit ruft Eleseus, daß er seinen Koffer gepackt habe und fertig sei. Er selbst steht auch fertig da und will mitkommen, er hat einen schönen blauen Anzug an und trägt einen weißen Kragen um den Hals, Galoschen an den Füßen und einen Spazierstock in der Hand. Allerdings kommt er so mehr als zwei Tage zu früh für das Postboot, aber das macht nichts, er kann ja im Dorf so lange warten, es ist ganz einerlei, wo er sich aufhält.
Vater und Sohn fahren ab. Der Ladendiener Andresen steht unter der Ladentür und wünscht: Glückliche Reise!
Der Vater ist besorgt für seinen Sohn und will ihm den Sitz allein überlassen, aber Eleseus lehnt sofort entschieden ab und setzt sich neben den Vater. Sie kommen an Breidablick vorbei, da fällt es Eleseus plötzlich ein, daß er etwas vergessen hat. Prrr! Was denn? fragt der Vater. O, es ist der Regenschirm, Eleseus hat seinen Regenschirm vergessen, das kann er nicht offen sagen, deshalb sagt er nur: Das hilft jetzt nichts, fahr zu! – Wollen wir nicht umkehren? – Nein, fahr zu! – Aber es war eine verwünschte Sache, daß er auch so vergeßlich sein mußte! Das kam von der großen Eile, weil der Vater über die Felder wanderte und auf ihn wartete. Nun mußte sich Eleseus aber, wenn er nach Drontheim kam, einen neuen Regenschirm kaufen. Es tat ja auch nichts, wenn er zwei Regenschirme hatte. Aber er ist so ärgerlich auf sich selbst, daß er abspringt und hinter dem Wagen hergeht.
Auf diese Weise können die beiden nicht viel miteinander reden, weil sich der Vater nun bei jedem Wort umdrehen und über die Achsel reden muß. Der Vater fragt: Wie lange bleibst du weg? und Eleseus antwortete: Drei bis vier Wochen etwa. – Der Vater spricht seine Verwunderung aus darüber, daß sich die Leute in den großen Städten nicht verirren, aber Eleseus sagt ihm, er sei selbst an die großen Städte gewöhnt, er habe sich noch nie verirrt. – Nun meint der Vater, es sei eine Schande, daß er allein auf dem Wagen sitze und er sagt: mußt du eine Weile fahren, ich mag nicht mehr. Eleseus will jedoch seinen Vater um keinen Preis von dem Sitz vertreiben und steigt lieber selbst wieder zu ihm auf. Aber vorher halten sie eine Mahlzeit aus des Vaters schönem Mundvorrat. Dann fahren sie weiter.
Endlich kommen sie zu den beiden Ansiedlungen, die am weitesten unten im Tal liegen, und man merkt jetzt wohl, daß man in der Nähe des Dorfes ist, auf beiden Neusiedlungen hängen wahrhaftig an dem kleinen Stubenfenster, das nach der Straße geht, weiße Vorhänge, und auf dem Dachfirst des Heubodens ist eine kleine Stange für die Flagge zu Ehren des siebzehnten Mai aufgepflanzt. – Das ist der Isak selbst, sagen die Leute der beiden Ansiedlungen, als sie die Reisenden sehen.
Endlich vermag Eleseus seine Gedanken so weit von seiner eigenen Person und seinen eigenen Angelegenheiten abzulenken, daß er fragt: Was hast du eigentlich heute vor? – Hm! eigentlich nichts Besonderes, erwidert sein Vater. Aber Eleseus reiste ja jedenfalls ab, so konnte es also nichts schaden, wenn er erfuhr, was der Vater vorhatte. – Die Jensine vom Schmied will ich holen, erklärte der Vater, ja, gesteht er wirklich zu. – Mußt du dir selbst die Mühe machen; hätte denn nicht Sivert fahren können? fragt Eleseus. – Seht, Eleseus verstand es nicht besser, er meinte also, Sivert werde Jensine mit dem Wagen wieder holen, nachdem sie einmal so hochmütig getan hatte und von Sellanraa fortgegangen war!
Nein, es war letztes Jahr mit dem Heumachen gar nicht gegangen. Inger hatte sich allerdings sehr darangehalten, wie sie versprochen hatte, Leopoldine tat auch ihre Arbeit, und dazu hatten sie auch den Heurechen, der von einem Pferd gezogen wurde. Aber das Heu war zum Teil schweres Timotheusgras und die Wiesen weit vom Hause entfernt. Sellanraa war jetzt ein großes Gut, die Frauen hatten dort anderes zu tun, als Heu zu machen; all das viele Vieh mußte versorgt werden, das Essen mußte zur rechten Zeit fertig sein, das Buttern und Käsemachen war zu besorgen, desgleichen das Waschen und das Backen, Mutter und Tochter schafften sich gar zu sehr ab. Einen solchen Sommer wollte Isak nicht noch einmal erleben, er bestimmte kurz und gut, daß Jensine wiederkommen solle, wenn sie zu haben sei. Inger hatte jetzt auch nichts mehr dagegen, sie hatte ihren Verstand wieder und sagte: Meinetwegen mach es, wie du willst. O, Inger war jetzt fügsamer geworden, es ist keine kleine Sache, wenn man seinen verlorenen Verstand wiederkriegt. Inger hatte keine heiße Glut mehr zu verstecken, keine innere Leidenschaft mehr im Zaum zu halten, der Winter hatte sie abgekühlt, sie hatte nur noch Glut genug für den Hausgebrauch. Sie fing jetzt an, an Körperfülle zuzunehmen, schön und stattlich sah sie aus. Es war merkwürdig, wie wenig sie alterte, sie wurde nicht stückweise alt und welk, vielleicht kam es daher; weil sie erst so spät aufgeblüht war. Gott mag wissen, woher alles kommt, nichts hat nur eine einzige Ursache, alles hat eine Ursachenreihe! Und hatte nicht Inger das größte Lob bei der Frau des Schmieds? Was konnte die Schmiedfrau ihr vorwerfen? Durch ihr verunziertes Gesicht war sie um ihren Lenz betrogen worden, später war sie in künstliche Luft versetzt worden, und dadurch waren ihr sechs Jahre ihres Sommers gestohlen; da sie aber doch heißes Blut hatte, mußte ihr Herbst wilde Schößlinge treiben. Inger ist besser als so eine Schmiedfrau, zwar ein bißchen beschädigt, ein bißchen verzerrt, aber eine gute Natur, eine tüchtige Natur ...
Vater und Sohn fahren weiter, sie fahren an Brede Olsens Herberge vor und führen das Pferd in den Schuppen. Es ist Abend geworden. Sie selbst gehen ins Haus.
Brede Olsen hat dieses Haus gemietet, es ist eigentlich ein Nebengebäude, das dem Kaufmann gehört, jetzt sind zwei Stuben und zwei Schlafkammern darin eingerichtet; es ist ganz erträglich, und die Lage ist gut, das Haus wird von Kaffeegästen besucht und außerdem von den Leuten in der Umgegend, die mit dem Postschiff fahren wollen.
Brede scheint wirklich einmal Glück gehabt zu haben, er ist auf den richtigen Platz gekommen, und das hat er seiner Frau zu verdanken. Bredes Frau kam auf den Gedanken, dieses Kaffeehaus und diese Herberge einzurichten, als sie während der Versteigerung auf Breidablick Kaffee verkaufte; das war damals sehr unterhaltend gewesen, es war angenehm, Münze zwischen den Fingern zu haben, bares Geld. Seit sie hierher gekommen sind, ist alles gut gegangen, die Frau verkauft jetzt im Ernst Kaffee und beherbergt allerlei Leute, die kein Dach über dem Kopf haben. Sie wird auch von den Reisenden recht gelobt. Natürlich ist ihre Tochter Katrine, die jetzt ein großes Mädchen und eine flinke Aufwärterin ist, eine gute Hilfe. Aber ebenso natürlich ist es nur eine Zeitfrage, bis wann die kleine Katrine nicht mehr im Hause ihrer Eltern sein und da aufwarten wird. Aber inzwischen geht es ganz ordentlich mit dem Umsatz, und das ist die Hauptsache. Der Anfang war entschieden gut gewesen und hätte noch besser sein können, wenn sich der Kaufmann genügend mit Brezeln und Spekulatius zum Kaffee vorgesehen hätte; da saßen nun alle Leute, die den siebzehnten Mai feiern wollten, und riefen vergebens nach Kuchen zum Kaffee: Kaffeekuchen! Da lernte es der Kaufmann, sich mit Backwaren für die Feste des Dorfes zu versehen.
Brede und die ganze Familie leben von diesem Betrieb, so gut es geht. Zu gar vielen Mahlzeiten gibt es nichts als Kaffee mit übriggebliebenem Kaffeekuchen, aber auch das hält Leib und Seele zusammen, und die Kinder bekommen davon ein feines, ja sozusagen ein verfeinertes Aussehen. Es haben nicht alle Kuchen zum Kaffee! sagten die Leute im Dorf. Der Familie Brede scheint es gut zu gehen, sie halten sogar einen Hund, der bei den Gästen herumschleicht, Bissen erschnappt und fett wird. Was ist doch so ein fetter Hund eine Anpreisung für die Verpflegung in einer Herberge!
Brede Olsen nimmt also die Stelle des Hausherrn in diesem Betrieb ein und hat sich auch nebenher emporgearbeitet. Er ist wieder der Begleiter und Amtsdiener des Lensmannes geworden und hatte in dieser Stellung eine Zeitlang viel zu tun. Aber letzten Herbst hat seine Tochter Barbro mit der Frau Lensmann Streit bekommen, wegen einer Kleinigkeit, gerade herausgesagt, wegen einer Laus, und seit der Zeit ist auch Brede bei der Herrschaft nicht mehr gern gesehen. Aber Brede hat dadurch nicht viel verloren, er hat andere Herrschaften, die ihn, gerade um die Frau Lensmann zu ärgern, aufsuchen, so daß er als Doktorskutscher ein gesuchter Mann ist, und die Frau Pfarrer hat gar nicht so viele Schweine, als sie Brede gerne schlachten lassen würde, – das sind seine eigenen Worte.
Manchmal ist allerdings auch jetzt noch bei der Familie Brede Schmalhans Küchenmeister, und nicht alle sind so fett wie der Hund. Aber Gott sei Dank, Brede hat einen leichten Sinn: Die Kinder werden alle Tage größer, sagt er, obgleich auch immer wieder neue kleine dazu kommen. Die Großen, die fortgezogen sind, sorgen ja nun für sich selbst und schicken zuweilen auch eine Kleinigkeit nach Hause. Barbro ist auf Maaneland verheiratet, und Helge ist beim Heringsfang, sie geben den Eltern Waren oder Geld, wenn sie es möglich machen können, ja sogar Katrine, die zu Hause die Gäste bedient, hat im Winter einmal, als es recht trübe aussah, ihrem Vater einen Fünfkronenschein zustecken können. Das ist ein Mädchen! rühmte Brede, und er fragte nicht danach, von wem und wofür sie den Schein bekommen hatte. So war es recht, die Kinder sollten ein Herz für ihre Eltern haben und ihnen beistehen!
Mit seinem Sohn Helge ist Brede nicht ebenso zufrieden, zuweilen steht er im Kaufladen und entwickelt allen, die ihm zuhören wollen, seine Ansichten über die Pflichten der Kinder ihren Eltern gegenüber: Nehmt zum Beispiel meinen Sohn Helge. Wenn er ein bißchen Tabak raucht und gelegentlich einmal ein Gläschen trinkt, so hab ich gar nichts dagegen, wir sind alle einmal jung gewesen. Aber er soll uns nicht einen Brief um den andern schicken mit nichts darin als schönen Grüßen. Er soll nicht die Ursache sein, daß seine Mutter weint. Das ist unrecht. In früherer Zeit war es anders. In früheren Zeiten waren sich die Kinder nicht zu gut dazu, sie gingen in einen Dienst und halfen ihren Eltern. So sollte es immer sein. Haben nicht Vater und Mutter sie unter dem Herzen getragen und blutigen Schweiß geschwitzt, bis sie sie groß gezogen hatten? Das sollten sie nie vergessen.
Es war gerade, als hätte Helge diese Rede seines Vaters mit angehört, denn eben jetzt kam ein Brief von ihm mit einem Geldschein, einem ganzen Fünfzigkronenschein. Und nun fing in der Familie Brede ein Herrenleben an; sie kauften in ihrem Übermut Fisch und Fleisch zum Mittagessen und eine Hängelampe mit Prismen dran in die beste Stube der Herberge.
So verging ein Tag nach dem andern, und was will man mehr? Die Familie Brede lebte weiter, lebte von der Hand in den Mund, aber ohne sich große Sorgen zu machen, und was will man mehr?
Das ist einmal ein seltener Besuch! rief Brede und führte Isak und Eleseus in die Stube mit der Prismenlampe. Aber was sehe ich! Du, Isak, wirst doch nicht verreisen wollen! – Nein, ich habe nur beim Schmied etwas zu besorgen. – So, dann ist es wohl Eleseus, der wieder seine Reise in die Städte antritt?
Eleseus ist an das Leben in Gasthäusern gewöhnt, er macht sich's bequem, hängt seinen Überzieher und seinen Stock auf und verlangt Kaffee. Etwas zu essen hat der Vater mit. Katrine kommt mit Kaffee. – Nein, ihr dürft nichts bezahlen, erklärt Brede. Ich bin schon so oft in Sellanraa bewirtet worden, und bei Eleseus stehe ich auch im Schuldbuch. Du nimmst keinen Öre, Katrine! – Aber Eleseus bezahlt, er zieht den Beutel und bezahlt und gibt noch zwanzig Öre Trinkgeld. Nichts da! Kein Geschwätz!
Isak geht zum Schmied, und Eleseus setzt sich wieder.
Mit Katrine spricht er das Notwendigste, aber nicht mehr, er unterhält sich lieber mit ihrem Vater. Nein, Eleseus macht sich nichts aus den Mädchen, er ist einmal von ihnen schlecht behandelt worden, und jetzt will er nichts mehr von ihnen wissen. Vielleicht hat er überhaupt nie einen Liebesdrang gehabt, der der Rede wert gewesen wäre, da er sich gar nicht um sie kümmert. Ein wunderbarer Mann im Ödland, ein Herr mit schmächtigen Schreiberhänden und ganz weiblichem Sinn für Putz und Regenschirm und Spazierstock und Gummischuhe. Verschroben, verdreht, ein unverständlicher Junggeselle. Auf seiner Oberlippe will nicht einmal ein rechter Bart wachsen. Aber vielleicht hatte dieser Junge einmal gute Anlagen gehabt, war einmal von Natur ordentlich ausgesteuert gewesen, war aber dann in unnatürliche Verhältnisse gekommen und zum Wechselbalg geworden. Ist er so fleißig auf einem Bureau und in einem Kaufladen gewesen, daß all seine Ursprünglichkeit verloren gegangen ist? Vielleicht war es so. Jedenfalls ist er nun da, gewandt und leidenschaftslos, etwas schwächlich, etwas gleichgültig, und geht weiter und weiter auf seinem Abweg. Er könnte jeden einzelnen Mann im Ödland beneiden, allein nicht einmal dazu ist er imstande.
Katrine ist daran gewöhnt, mit den Gästen zu scherzen, und nun zieht sie ihn auf, er wolle wohl wieder gen Süden zu seiner Liebsten? – Ich habe andere Dinge im Kopf, erwidert Eleseus. Ich will Geschäfte machen, Verbindungen anknüpfen. – Du mußt besseren Leuten gegenüber nicht so zudringlich sein, Katrine, ermahnt sie ihr Vater. O, Brede Olsen ist sehr höflich gegen Eleseus, ganz ungeheuer respektvoll. Das darf er auch wohl sein, es ist klug von ihm, er ist auf Storborg Geld schuldig und steht seinem Gläubiger gegenüber. Und Eleseus? Ho, ihm gefällt diese Höflichkeit, und er ist dafür gut und gnädig. Hochverehrtester! heißt er Brede im Spaß und spielt sich auf. Er spricht davon, daß er wieder seinen Regenschirm vergessen habe. Gerade in dem Augenblick, als wir an Breidablick vorbeifuhren, fiel mir mein Regenschirm ein! – Brede fragt: Ihr werdet wohl heute Abend bei unserm kleinen Kaufmann ein Glas Toddy trinken? – Und Eleseus antwortet: Ja, wenn ich allein wäre! Aber ich habe meinen Vater bei mir. – Brede tut ganz behaglich und plaudert weiter: Übermorgen kommt ein Mann hierher, der wieder nach Amerika zurück will. – Ist er zu Besuch daheim gewesen? – Ja. Er ist vom Oberdorf. Er ist eine lange Reihe von Jahren drüben gewesen, aber nun hat er den Winter daheim zugebracht. Sein Koffer ist schon mit einer Fuhre heruntergekommen, das ist ein Riesenkoffer. – Ich hab auch schon daran gedacht, nach Amerika zu gehen, sagt Eleseus aufrichtig. – Ihr? ruft Brede. Ihr habt das doch nicht nötig. – Ich bliebe wahrscheinlich auch nicht für Zeit und Ewigkeit drüben, ich weiß nicht. Aber ich habe schon so viele Reisen gemacht, da könnte ich auch diese einmal machen. – Gewiß. Und man muß drüben in dem Amerika wüst Geld verdienen. Nehmen wir nur einmal den Mann an, von dem ich vorhin gesprochen habe. Er hat jetzt im Winter droben im Oberdorf ein Weihnachtsvergnügen nach dem andern bezahlt, und wenn er zu mir kommt, so sagt er: Ich will einen ganzen Kessel Kaffee haben und allen Kaffeekuchen, den du hast! Ja so sagt er. Wollt Ihr seinen Koffer sehen?
Sie gingen in den Gang hinaus und betrachteten den Koffer. Ein wahres Weltwunder, glänzte auf allen Seiten von Metall und Beschlägen, mit drei Schnappschlössern dran, noch außer dem eigentlichen Schloß. – Diebssicher! sagte Brede, wie wenn er den Versuch gemacht hätte.
Sie gingen wieder ins Zimmer hinein, aber Eleseus war still geworden. Dieser Mann aus dem Oberdorf machte ihn völlig zunichte, der trat auf Reisen wie der größte Beamte auf, Brede war augenscheinlich ganz von diesem Menschen erfüllt. Eleseus verlangte noch mehr Kaffee und versuchte, auch reich zu tun, er verlangte Kuchen zu seinem Kaffee und fütterte den Hund damit. Ach ja, aber er fühlte sich dennoch gering und niedergeschmettert. Was war sein eigener Koffer diesem Wunderwerk gegenüber? Da stand er, schwarzes Wachstuch, die Ecken verstoßen und weiß geworden, ein Handkoffer – bei Gott, er wollte sich einen prachtvollen Koffer kaufen, wenn er hinunterkam – paßt nur auf! Gebt doch dem Hund nichts! sagte Brede. – Aber Eleseus war wieder ein bißchen Mensch geworden und spielte sich auf. Das ist einmal ein riesig fetter Hund! sagte er.
Von dem einen Gedanken kam er auf den andern, er brach die Unterhaltung mit Brede ab und ging hinaus, ging in den Schuppen zu dem Pferd. Dort machte er den Brief auf, den er in der Tasche hatte. Er hatte ihn nur eingesteckt und nicht nachgesehen, wieviel Geld er enthielt, er hatte solche Briefe von zu Hause schon öfters erhalten, und es waren immer verschiedene Geldscheine darin gewesen, eine Beisteuer zu der Reise. Was war aber jetzt das? Ein großes Stück graues Papier, über und über bemalt von der kleinen Rebekka für ihren lieben Bruder Eleseus, dabei ein Briefchen von der Mutter. Was sonst noch? Nichts mehr. Kein Geld.
Die Mutter schrieb, sie habe den Vater nicht mehr um Geld bitten können, denn es sei jetzt von dem Reichtum, den sie seinerzeit für den Kupferberg bekommen hätten, nicht mehr viel übrig. Das Geld sei für den Ankauf von Storborg und seither für alle die Waren und für die vielen Reisen draufgegangen. Nun müsse er versuchen, sich das Geld für die Reise diesmal selbst zu beschaffen, denn das Geld, das jetzt noch da sei, müßten seine Geschwister bekommen, die dürften auch nicht ganz leer ausgehen. Glückliche Reise und herzliche Grüße!
Kein Geld.
Eleseus hatte selbst nicht genug Geld für die Reise, er hatte seine Ladenkasse umgekehrt, aber nicht viel darin gefunden. Ach, wie dumm war er gewesen, er hatte erst neulich seinem Lieferanten in Bergen einen Geldbrief geschickt und einige Rechnungen bezahlt. Das hätte warten können. Natürlich war es auch allzu sorglos von ihm gewesen, sich auf den Weg zu machen, ohne vorher den Brief zu öffnen, da hätte er sich die Wagenfahrt ins Dorf mit seinem elenden Koffer sparen können. Jetzt stand er da ...
Der Vater kam vom Schmied zurück mit wohlgelungener Besorgung: Jensine wollte morgen mit ihm kommen. Seht, Jensine war durchaus nicht querköpfig gewesen und hatte sich nicht lange bitten lassen, sie hatte sofort begriffen, daß man auf Sellanraa eine Hilfe für die Sommerarbeit brauchte und hatte nichts dagegen, wiederzukommen. Wieder ein glatter Bescheid.
Während der Vater erzählt, denkt Eleseus über seine eigenen Angelegenheiten nach. Er zeigt dem Vater den Koffer des Amerikaners und sagt: Ich wäre froh, wenn ich da stünde, wo dieser Koffer hergekommen ist! – Und der Vater erwidert: Ja, das wäre noch nicht das Schlimmste ...
Am nächsten Morgen macht sich der Vater zur Heimfahrt bereit; er frühstückt, spannt an und fährt beim Schmied vor, um Jensine und ihre Truhe abzuholen. Eleseus sieht ihnen lange nach, und als der Wagen im Walde verschwunden ist, bezahlt er in der Herberge und gibt wieder ein Trinkgeld. Laß meinen Koffer dastehen, bis ich zurückkomme, sagt er zu Katrine und geht fort.
Wo geht Eleseus hin? Er hat nur einen Ort, wo er hingehen kann, er dreht um, er muß in sein Heim zurückkehren. Er nimmt den Weg hinauf unter die Füße und gibt sich Mühe, dem Vater und Jensine so nahe als möglich zu bleiben, ohne von ihnen gesehen zu werden. Er geht und geht, und jetzt fängt er wirklich an, jeden einzelnen Ödlandbauern zu beneiden.
Es ist schade um Eleseus, er ist vom Leben so verdreht worden.
Betreibt er denn nicht auf Storborg einen Kaufladen? Jawohl, aber dort Herr zu sein, das will doch gar nichts heißen, er macht zu viele vergnügliche Reisen, um Geschäftsverbindungen anzuknüpfen, die kosten zuviel, er reist nicht billig. Nur nicht kleinlich sein! sagt Eleseus und gibt zwanzig Öre Trinkgeld, wo zehn auch genug wären. Diesen flotten Herrn kann sein Geschäft nicht erhalten, er braucht Zuschuß von zu Hause. Jetzt erntet man auf Storborg Kartoffeln, Heu und Korn für den Haushalt, aber der Belag aufs Brot muß von Sellanraa kommen. Ist das alles? Sivert muß alle Waren umsonst von der Küste herauffahren. Ist das jetzt alles? Die Mutter muß ihm vom Vater das Geld zu seinen Reisen verschaffen. Ist das jetzt alles?
Das Schlimmste kommt noch.
Eleseus betreibt sein Geschäft wie ein Narr. Er fühlt sich so geschmeichelt, wenn die Leute aus dem Dorf zu ihm heraufkommen, um einzukaufen, daß er ihnen gern auf Borg gibt. Und als das einmal bekannt wird, kommen mehr und immer mehr und kaufen auf Borg, Eleseus ist entgegenkommend und borgt, sein Laden wird leer und füllt sich wieder. Das alles kostet Geld. Wer bezahlt? Der Vater.
Im Anfang war die Mutter seine gläubige Fürsprecherin: Eleseus sei der helle Kopf in der Familie, man müsse ihm ordentlich vorwärts helfen. Bedenke nur, wie billig er Storborg bekommen hat, und wie er gleich haarscharf sagte, was er dafür geben wolle! Wenn der Vater meinte, Eleseus' Geschäft sei allmählich die reine Komödie, so erwiderte seine Mutter: Was ist das für ein Geschwätz! und sie gebrauchte so deutliche Redensarten, daß es war, als sei der gute Isak Eleseus gegenüber doch gar zu familiär geworden.
Seht, die Mutter war selbst weggewesen und hatte Reisen gemacht, sie begriff, daß Eleseus hier im Ödland nicht recht gedeihen konnte, er war an feinere Sitten gewöhnt, hatte sich in allerlei Gesellschaftskreisen bewegt, und hier fehlten ihm Ebenbürtige. Allerdings, er borgte armen Leuten zuviel; aber das tat Eleseus nicht aus Bosheit und um seine Eltern zu ruinieren, er tat es aus guter und vornehmer Veranlagung, er hatte den Drang, den Leuten, die unter ihm standen, zu helfen. Du liebe Zeit, er war der einzige Mensch im Ödland mit einem weißen Taschentuch, das fortwährend gewaschen werden mußte. Wenn sich die Leute vertrauensvoll an ihn wandten und um Kredit baten und er hätte Nein gesagt, so hätte das mißverstanden werden können, als sei er nicht der ausgezeichnete Mensch für den er galt. Außerdem hatte er auch Pflichten als der Städter und das Genie unter den Bewohnern des Ödlandes.
Dies alles zog die Mutter wohl in Betracht.
Aber der Vater, der davon keinen Deut begriff, öffnete ihr eines Tages die Augen und die Ohren und sagte: Sieh her, das ist jetzt der Rest von dem Geld für das Kupferbergwerk. – So so, sagte sie. Und wo ist denn das andere hingekommen? – Das hat alles Eleseus bekommen. – Da schlug sie die Hände zusammen und rief: Dann soll er endlich einmal seinen Verstand gebrauchen!
Armer Eleseus, er ist zerfahren und verpfuscht. Er hätte Ödlandbauer bleiben sollen, jetzt ist er ein Mensch, der Buchstaben zu schreiben gelernt hat, er hat keinen Unternehmungsgeist, keine Tiefe. Aber ein kohlschwarzer Teufelskerl ist er auch nicht, er ist nicht verliebt und nicht ehrgeizig, er ist eigentlich gar nichts, nicht einmal ein großer Übeltäter.
Der junge Mann hatte etwas Unglückliches, etwas Verurteiltes an sich, wie wenn er in seinem Innern Schaden genommen hätte. Der gute Bezirksingenieur aus der Stadt hätte ihn lieber in seiner Jugend nicht entdecken, ihn nicht zu sich nehmen und nicht etwas aus ihm machen sollen, da wurden dem Kinde die Wurzeln abgerissen und es fuhr schlecht dabei. Alles, was er jetzt vornimmt, läßt einen Schaden bei ihm erkennen, etwas Dunkles auf hellem Grunde ...
Eleseus geht und geht. Die beiden auf dem Wagen sind an Storborg vorbeigefahren. Eleseus macht einen Bogen darum herum und wandert auch an Storborg vorbei; was sollte er daheim in seinem Kaufladen? Die zwei auf dem Wagen kamen mit Anbruch der Nacht auf Sellanraa an, Eleseus ist ihnen dicht auf den Fersen. Er sieht daß Sivert auf den Hofplatz herauskommt und verwundert Jensine betrachtet; die beiden geben einander die Hand und lachen ein wenig, dann nimmt Sivert das Pferd am Zügel und führt es in den Stall.
Jetzt wagt sich auch Eleseus hervor, er, der Stolz der Familie wagt sich hervor. Er geht nicht, er schleicht, er trifft Sivert im Stall. Ich bin's nur, sagt er. – Was, du bist auch da! ruft Sivert und ist von neuem verwundert.
Die beiden Brüder reden leise miteinander, es handelt sich darum, ob Sivert wohl die Mutter dazu bringen kann, Geld herbeizuschaffen, eine Rettung, Reisegeld. So wie jetzt könne es nicht weitergehen.
Eleseus habe es jetzt satt, er habe schon oft daran gedacht, und heute nacht solle es nun geschehen, eine lange Reise, Amerika, jetzt in dieser Nacht noch. – Amerika! sagt Sivert laut. – Pst! Ich habe schon oft daran gedacht, jetzt mußt du die Mutter dazu bringen, es geht so nicht weiter, ich habe schon oft daran gedacht. – Aber Amerika! sagt Sivert. Nein, das darfst du nicht tun. – Unbedingt! Ich gehe auf der Stelle wieder zurück, ich erreiche das Postschiff noch. – Du wirst doch wohl vorher etwas essen? – Ich bin nicht hungrig. – Willst du nicht ein wenig schlafen? – Nein.
Sivert will seinem Bruder wohl und sucht ihn zurückzuhalten, allein Eleseus ist standhaft, zum erstenmal standhaft. Sivert ist ganz verwirrt, zuerst, als er Jensine sah, war ihm schon ein wenig sonderbar zumut geworden, und nun will Eleseus das Ödland vollständig verlassen, sozusagen diese Welt verlassen. – Was willst du mit Storborg anfangen? fragt er. – Andresen kann es haben, antwortet Eleseus. – Andresen kann es haben, wieso denn? – Bekommt er denn nicht Leopoldine? – Das weiß ich nicht. Doch das kann wohl sein.
Sie reden und reden immer leise weiter. Sivert meinte, es wäre am besten, wenn der Vater selbst herauskäme, so daß Eleseus mit ihm reden könnte; aber Nein, nein! flüstert Eleseus zurück. Nein, das könne er nicht; er hat es noch nie vermocht. Gefahren von solcher Art ins Angesicht zu schauen, er hat stets einen Vermittler nötig gehabt. Sivert sagt: Du weißt ja, wie die Mutter ist. Mit ihr kommst du nicht weiter vor lauter Tränen und Zuständen, sie darf es nicht wissen. – Nein, sagt auch Eleseus, sie darf es nicht wissen.
Sivert geht ins Haus, er bleibt eine Ewigkeit weg und kommt mit Geld zurück, mit viel Geld. Da sieh her, das ist alles, was er hat; meinst du, es sei genug? Zähl nach, er hat das Geld nicht gezählt. – Was hat der Vater gesagt? – Er hat nicht viel gesagt. Jetzt mußt du noch einen Augenblick warten, ich zieh nur noch etwas an und komme mit dir. – Das darfst du nicht, du mußt schlafen gehen. – So? Fürchtest du dich vielleicht, wenn du in der Dunkelheit eine Weile allein im Stall bleiben sollst? fragt Sivert mit einem schwachen Versuch zu scherzen.
Er bleibt nur einen Augenblick weg, kommt fertig angezogen zurück und bringt auch des Vaters Rucksack mit dem Mundvorrat mit. Wie sie hinausgehen, steht plötzlich der Vater vor ihnen: Was höre ich, du willst so weit fort? sagt er. – Ja, erwidert Eleseus, aber ich komme wieder. – Ach, ich steh nur da und halte dich auf, murmelt der Alte und kehrt um. Glückliche Reise! ruft er noch mit sonderbar heiserer Stimme zurück und geht rasch seines Weges.
Die Brüder wandern zusammen den Weg hinunter, und nach einer Weile setzen sie sich und essen. Eleseus ist hungrig, er kann kaum ersättigt werden. Es ist die herrlichste Frühlingsnacht, auf allen Hügeln balzen die Auerhähne, und dieser heimische Laut macht den Auswanderer einen Augenblick verzagt. Es ist schönes Wetter, sagt er. Aber jetzt mußt du umdrehen, Sivert. – So, sagt Sivert und geht weiter. – Sie kommen an Storborg vorbei, an Breidablick vorbei, die Auerhähne balzen auf dem ganzen Weg auf dem und jenem Hügel; es ist keine Hornmusik wie in den Städten, nein, aber es sind Stimmen, das öffentliche Aufgebot, das den Frühling verkündigt. Plötzlich hören sie den ersten Singvogel vom Gipfel eines Baumes, er weckt auch andere, sie fragen und antworten von allen Seiten, das ist mehr als ein Gesang, das ist ein Lobgesang. Der Auswanderer fühlt etwas Heimweh in sich aufsteigen, etwas Hilfloses, er soll nach Amerika, niemand ist dazu so reif wie er. – Aber jetzt mußt du umkehren, Sivert, sagt er. – Ja, erwiderte der Bruder, da du es durchaus willst.
Sie setzen sich am Waldrand nieder und sehen das Dorf vor sich liegen, den Kaufladen, den Landungsplatz, Bredes Herberge. Beim Postschiff laufen einige Leute hin und her und machen sich zur Abreise fertig.
Ich habe keine Zeit mehr, noch länger hier sitzen zu bleiben, sagt Eleseus und steht wieder auf. – Es ist recht schade, daß du so weit fortgehst, sagt Sivert. – Eleseus erwidert: Aber ich komme wieder. Und dann reise ich nicht bloß mit einem Wachstuchkoffer.
Als sie einander Lebewohl sagen, steckt Sivert dem Bruder ein kleines Ding zu, etwas, das in Papier gewickelt ist. – Was ist das? fragt Eleseus. – Sivert entgegnet: Schreib auch fleißig! dann geht er.
Eleseus macht das Papier auf und sieht nach: es ist das Goldstück, die zwanzig Kronen in Gold. – Nein, das sollst du mir nicht geben! ruft er dem Bruder nach. – Aber Sivert geht weiter.
Er geht eine Weile, dann dreht er um und setzt sich wieder am Waldrand nieder. Um das Postschiff her wird es immer lebhafter, er sieht, wie die Leute an Bord gehen, auch sein Bruder geht an Bord, und das Schiff fährt ab. Da reist Eleseus nach Amerika.
Er kam niemals wieder.