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9

Die Jahre vergehen.

Wieder kam ein Ingenieur mit einem Vorarbeiter und zwei Arbeitern nach Sellanraa, und sie wollten wieder eine Telegraphenlinie übers Gebirge abschreiten. So, wie sie jetzt abschritten, würde die Linie nicht weit von Isaks Haus zu liegen kommen, und ein gerader Weg würde durch den Wald geführt werden. Aber das schadete nichts, es würde den Ort weniger öde machen, die Welt würde hereinkommen und ihn erhellen.

Der Ingenieur sagte: Dieser Platz hier wird nun der Mittelpunkt zwischen zwei Tälern, man wird dir vielleicht die Aufsicht über die Linie nach beiden Seiten hin anbieten. – So, sagte Isak.– Du bekommst fünfundzwanzig Taler im Jahr dafür. – So, sagte Isak, aber was habe ich dafür zu tun? – Die Leitung in Ordnung halten, die Drähte ausbessern, wenn sie abgerissen sind, die Büsche weghauen, wenn sie in die Linie hineinwachsen. Du bekommst eine nette kleine Maschine an deine Wand, die dir zeigt, wenn du hinaus mußt. Dann mußt du augenblicklich alles liegen und stehen lassen und gehen.

Isak überlegte: Im Winter könnte ich die Arbeit übernehmen, sagte er dann. – Nein, es muß das ganze Jahr hindurch sein, das ganze Jahr natürlich, Sommer wie Winter.– Aber Isak erklärte: Im Frühjahr und im Sommer und im Herbst habe ich meine Feldarbeit und keine Zeit für anderes.

Da mußte der Ingenieur Isak eine gute Weile ansehen, ehe er die folgende erstaunte Frage tat: Kannst du damit mehr verdienen? – Verdienen? sagte Isak. – Ob du an den Tagen, die du bei der Aufsicht der Telegraphenlinie verbringen mußt, mit Feldarbeit mehr verdienen kannst? – Das weiß ich nicht, antwortete Isak. Aber es ist nun einmal so, daß ich wegen der Felder hier bin. Ich habe für das Leben von vielen Menschen und von noch mehr Haustieren zu sorgen. Wir leben von dem Grundstück. – Ja ja, ich kann den Posten auch einem andern anbieten, versetzte der Ingenieur.

Diese Drohung schien wahrhaftig Isak das Herz nur zu erleichtern, er wollte dem hohen Herrn wohl nur ungern eine abschlägige Antwort geben, und so erklärte er: Ich habe ein Pferd und fünf Kühe, dazu einen Stier. Dann habe ich zwanzig Schafe und sechzehn Ziegen. Die Tiere geben uns Nahrung und Wolle und Felle, sie müssen Futter haben. – Ja, das ist klar, sagte der Ingenieur kurz. – Jawohl. Und nun sage ich nichts weiter als, wie sollte ich das Futter für sie herschaffen, wenn ich mitten in der Heuernte fortgehen müßte und nach dem Telegraphen sehen? – Der Ingenieur erwiderte: Wir wollen gar nicht mehr darüber reden. Der Mann da unten, Brede Olsen, soll die Aufsicht bekommen, er übernimmt sie wohl gerne. – Dann wendete er sich an seine Leute und befahl: Kommt, wir wollen weitergehen!

Nun erriet wohl Oline an dem Ton, daß Isak steif und unvernünftig gewesen war, das mußte ihr zugute kommen. Was hast du gesagt, Isak? Sechzehn Ziegen? Es sind doch nicht mehr als fünfzehn. – Isak sah sie an, und Oline sah ihn an, sah ihm mitten ins Gesicht. – Sind es nicht sechzehn Ziegen? – Nein, versetzte sie und sah den fremden Herrn über Isaks Unvernunft ratlos an. – So, sagte Isak leise. Er nahm einen Büschel seines Bartes zwischen die Zähne und begann darauf zu kauen.

Der Ingenieur und seine Leute entfernten sich.

Wenn es nun Isak darum zu tun gewesen wäre, sich mit Oline unzufrieden zu zeigen und sie vielleicht zu schlagen, so hätte er jetzt eine gute Gelegenheit, o eine herrliche Gelegenheit dazu gehabt. Sie waren wieder allein in der Stube, die Kinder waren mit den Fremden hinausgelaufen und verschwunden. Isak stand mitten im Zimmer, und Oline saß am Herd. Isak räusperte sich ein paarmal, um sie verstehen zu lassen, daß er nicht weit davon entfernt sei, sich auszusprechen. Aber er schwieg. Das war seine Seelenstärke. Sollte er etwa nicht wissen, wie viele Ziegen er hatte, konnte er sie nicht an den Fingern herzählen, war das Weib verrückt? Sollte eines von den Tieren im Stall, mit denen er persönlich umging, mit denen er täglich plauderte, verschwunden sein, eine von den Ziegen, die sechzehn an der Zahl waren! Dann hatte wohl Oline die eine Ziege um irgend etwas vertauscht, gestern, als die Frau von Breidablick dagewesen war und sich umgesehen hatte.

Hm! sagte Isak, und er war nahe daran, noch mehr zu sagen. Was hatte Oline getan? Es war vielleicht nicht geradezu ein Mord, aber doch nicht weit davon. Er konnte in tödlichem Ernst von der sechzehnten Ziege reden. Er konnte jedoch nicht in alle Ewigkeit hier mitten in der Stube stehen und schweigen. Er sagte: Hm! So, es sind also jetzt nicht mehr als fünfzehn Ziegen? – Nein, antwortete Oline freundlich. Ja, du kannst sie ja selbst zählen, ich bekomme nicht mehr als fünfzehn heraus.

Jetzt, in diesem Augenblick hätte er es tun können: die Hände ausstrecken und Oline in der Gestalt bedeutend verändern, nur mit einem guten Griff. Das hätte er tun können. Er tat es nicht, aber er sagte laut, indem er nach der Tür ging: Ich sage jetzt nichts weiter! Damit ging er hinaus, wie wenn es beim nächsten Male von seiner Seite nicht an deutlichen Worten fehlen sollte.

Eleseus! rief er.

Wo war Eleseus, wo waren beide Jungen geblieben? Der Vater wollte eine Frage an sie stellen, sie waren jetzt große Jungen und hatten Augen im Kopfe. Er fand sie unter dem Scheunenboden, sie waren da ganz hineingekrochen und vollständig unsichtbar, aber sie verrieten sich durch ein ängstliches Flüstern. Dann kamen sie zum Vorschein wie zwei Sünder.

Die Sache war die, daß Eleseus ein Stück farbigen Bleistift gefunden hatte, das dem Ingenieur gehörte; aber als er ihm damit nachlaufen wollte, waren die weitausschreitenden erwachsenen Männer schon ein Stück droben im Walde drin, und Eleseus blieb stehen. Der Gedanke stieg in ihm auf, er könnte am Ende den Bleistift behalten, – ach, wenn er das könnte! Er zog den kleinen Sivert mit sich fort, damit er die Verantwortung nicht allein hätte, und dann krochen die zwei mit ihrer Beute in einen Winkel unter dem Scheunenboden. Ach, dieses kurze Stück Bleistift – es war eine Merkwürdigkeit in ihrem Leben, ein Wunder! Sie suchten sich Holzspäne und bedeckten sie mit allerlei Strichen, und der Bleistift zeichnete rot mit dem einen Ende und blau mit dem andern; die Jungen wechselten ab, wer ihn haben durfte. Als nun der Vater so eindringlich und laut rief, flüsterte Eleseus: Die Fremden sind wohl zurückgekommen, um den Bleistift zu holen! Da war die Freude daran plötzlich verschwunden, sie war wie aus ihrer Seele weggewischt, und die kleinen Herzen begannen ängstlich zu schlagen und zu hämmern. Die Brüder krochen hervor; Eleseus hielt dem Vater den Bleistift auf Armlänge entgegen, um ihm zu zeigen, daß sie ihn nicht zerbrochen hatten, aber sie wünschten, sie hätten ihn nie gesehen.

Doch sie sahen keinen Ingenieur, da beruhigten sich ihre Herzen wieder und fühlten einen wahren Gottesfrieden nach der Spannung.

War gestern eine Frau hier? fragte der Vater. – Ja. – Die Frau von drunten? Habt ihr sie gesehen, als sie wegging? – Ja. – Hatte sie eine Ziege bei sich? – Nein, sagten die Kinder. Eine Ziege? – Hatte sie nicht eine Ziege bei sich, als sie wieder heimging? – Nein. Was für eine Ziege?

Isak überlegte und grübelte nach, und am Abend, als das Vieh von der Weide zurückkam, zählte er die Ziegen zum erstenmal: Es waren sechzehn. Er zählte sie noch einmal, zählte fünfmal – es waren sechzehn Ziegen. Keine fehlte.

Isak atmete erleichtert auf. Wie war das zu verstehen? Oline, diese Kreatur, hatte wohl nicht bis sechzehn zählen können. Er sagte in ärgerlichem Ton zu ihr: Was faselst du denn, es sind ja sechzehn Ziegen! – Sind es sechzehn? fragte sie unschuldig. – Ja. – So, ja ja, – Ja, du bist mir ein guter Rechenmeister. – Darauf erwiderte Oline ruhig und gekränkt: Nun, wenn alle Ziegen da sind, dann hat Oline Gott sei Dank keine von ihnen aufgefressen. Ich bin recht froh für sie!

Sie verwirrte ihn mit diesem Streich und brachte ihn dazu, sich die Sache aus dem Kopf zu schlagen. Er zählte nun den Viehstand nicht mehr, es fiel ihm auch nicht ein, die Schafe zu zählen. Natürlich war Oline nicht so schlimm, sie führte ihm gewissermaßen das Hauswesen, versorgte sein Vieh, sie war nur sehr dumm – aber dadurch schadet sie sich selbst und nicht ihm. Mochte sie dableiben und weiterleben, sie war nicht mehr wert. Aber es war düster und freudlos, in einem solchen Leben der Isak zu sein.

Die Jahre waren vergangen. Jetzt war Gras auf dem Hausdach gewachsen, ja sogar das Scheunendach, das mehrere Jahre jünger war, stand grün. Die Eingeborene des Waldes, die Feldmaus, hatte längst im Vorratshaus ihren Einzug gehalten. Es schwirrte von Meisen und anderen kleinen Vögeln auf der Ansiedlung, auf der Halde gab es Auerhähne, ja auch Krähen und Elstern waren herbeigekommen. Aber das Merkwürdigste hatte sich doch im letzten Sommer begeben, da waren Möwen von der Meeresküste heraufgeflogen und hatten sich auf dieses Grundstück im Ödland herabgesenkt. So bekannt war die Ansiedlung unter der ganzen Schöpfung geworden. Und was meint ihr, welche Gedanken in Eleseus und dem kleinen Sivert aufstiegen, als sie die Möwen sahen? O es waren fremde Vögel von weit her, und sie waren nicht sehr zahlreich, aber es waren doch sechs Stück, weiße Vögel, alle ganz gleich; sie spazierten auf den Feldern umher, zuweilen bissen sie Gras ab. – Vater, warum sind sie hierhergekommen? fragten die kleinen Buben. – Weil sie auf dem Meer einen Sturm erwarteten. – Ach, wie sonderbar und geheimnisvoll war das mit den Möwen!

Und vieles andere Gute lehrte Isak seine Kinder. Sie waren jetzt so alt, daß sie in die Schule gehen sollten, aber die Schule war drunten im Dorfe, viele Meilen entfernt und nicht zu erreichen. An den Sonntagen hatte Isak den Kindern selbst das Abc beigebracht, aber irgendeinem höheren Unterricht war er nicht gewachsen, nein, dazu war dieser geborene Landmann nicht geschaffen. Der Katechismus, die biblische Geschichte lagen deshalb ruhig auf dem Wandbrett neben den Ziegenkäsen. So wie Isak die Kinder heranwachsen ließ, mußte er wohl denken, Unkenntnis in Buchweisheit sei für den Menschen bis zu einem gewissen Grad eine Kraft. Beide Jungen waren ihm eine Herzensfreude; Isak mußte oft daran denken, wie ihre Mutter, als sie noch ganz klein waren, ihm verboten hatte, sie anzufassen, weil er Harz an den Händen habe. O Harz, das reinste auf der Welt! Teer und Ziegenmilch und zum Beispiel Mark – sind auch gesund und vortrefflich; aber Harz, Tannenharz – o schweigt!

Ja, da gingen also die Kinder in einem Paradies von Schmutz und Unwissenheit umher; aber es waren hübsche Kinder, wenn sie sich ein seltenes Mal wuschen, und Klein-Sivert war geradezu ein Prachtkerl; aber Eleseus war feiner und tiefer angelegt. – Ja, aber woher können die Möwen wissen, daß ein Sturm droht? fragte er. – Sie werden wetterkrank, antwortete der Vater. Aber außerdem sind sie nicht mehr wetterkrank als die Fliegen, fuhr er fort, was diese auch haben mögen, ob sie Gicht bekommen oder ob ihnen schwindlig wird oder so etwas. Aber schlagt nie nach einer Fliege, denn dann wird sie nur schlimmer, sagte er. Vergeßt das nicht, Jungen! Die Bremse ist von anderer Art, sie stirbt von selbst. Ganz unversehens kommt die Bremse im Sommer eines Tages daher, und hast du nicht gesehen, so ist sie auch wieder verschwunden! – Wo bleibt sie? fragte Eleseus. – Wo sie bleibt? Das Fett erstarrt in ihr, und dann bleibt sie liegen!

An jedem Tag mehr Gelehrsamkeit: Wenn die Kinder von hohen Felsblöcken heruntersprangen, sollten sie die Zunge gut im Munde behalten, damit sie ihnen nicht zwischen die Zähne komme. Wenn sie größer würden und für die Kirche gut riechen wollten, sollten sie sich mit etwas Rainfarn, der auf der Halde droben wuchs, einreiben. Der Vater war voller Weisheit. Er erzählte den Kindern von den Steinen und vom Feuerstein, und daß der weiße Stein härter sei als der graue, aber wenn er einen Feuerstein fand, mußte er auch einen Feuerschwamm suchen, den er in Lauge kochte und aus dem er dann Zunder machte. Dann schlug er Feuer. Er erzählte ihnen vom Mond und sagte, wenn sie mit der linken Hand in die Mondsichel hineingreifen könnten, dann sei der Mond im Zunehmen, könnten sie das aber mit der rechten tun, dann sei er im Abnehmen. – Vergeßt das nicht, Jungen! Ein seltenes Mal ging Isak indes zu weit, und da wurde er sonderbar und unverständlich: einmal kam er mit einem Ausspruch daher, der darauf hinauslief, es sei schwieriger für ein Kamel in den Himmel zu kommen, als für einen Menschen durch ein Nadelöhr zu gehen. Ein anderes Mal, als er ihnen von dem Glanz der Engel berichtete, sagte er, die Engel hätten die Sterne statt Beschlägen an die Absätze ihrer Schuhe genagelt. Das war ein guter, treuherziger Unterricht, der auf die Ansiedlung paßte, der Schullehrer im Dorf drunten würde darüber gelächelt haben; Isaks Kinder dagegen nährten ihre Phantasie ziemlich stark damit. Sie wurden für ihre eigene enge Welt erzogen und unterrichtet, was hätte besser sein können! Beim Schlachten im Herbst waren die Jungen höchst neugierig; für die Tiere, die geschlachtet werden sollten, hatten sie große Angst, und ihre kleinen Herzen waren tief betrübt. Da mußte nun Isak mit der einen Hand das Tier festhalten und mit der andern zustechen, und Oline rührte das Blut um. Jetzt wurde der alte Bock herausgeführt, weiß und bärtig war er, die beiden kleinen Burschen standen an der Hausecke und guckten hervor.

Das ist doch ein abscheulicher Wind heuer, sagte Eleseus und wendete sich ab und wischte sich die Augen. Der kleine Sivert weinte offenherziger, er konnte sich nicht beherrschen, sondern rief: Ach, der arme alte Bock!

Als der Bock gestochen war, trat Isak zu seinen Kindern und gab ihnen folgende Lehre: Ihr sollt nie ein Schlachtopfer bedauern und nicht armes Tier sagen. Denn sonst wird es nur lebenszäher. Vergeßt das nicht!

So waren die Jahre vergangen, und abermals näherte sich der Frühling.

Inger hatte wieder geschrieben, daß sie es gut habe und in der Anstalt sehr viel lerne. Ihr kleines Kind sei jetzt ein großes Mädchen, sie heiße Leopoldine nach dem Tag ihrer Geburt, dem 15. November. Sie könne alles und sei ein wahres Genie im Häkeln und Nähen, alles sei wunderschön gearbeitet, einerlei ob auf Stoff oder Stramin.

Das Merkwürdige an diesem letzten Brief war, daß Inger ihn selbst buchstabiert und geschrieben hatte. Isak war nicht so geschickt, er mußte sich den Brief beim Händler im Dorf vorlesen lassen; aber als er ihn erst im Kopf hatte, saß er auch fest darin, und als Isak heimkam, konnte er ihn auswendig.

Nun setzte er sich mit großer Feierlichkeit oben an den Tisch, breitete den Brief aus und las ihn seinen Jungen vor. Oline sollte auch gerne sehen, daß er Geschriebenes fließend lesen konnte, aber sonst richtete er nicht einmal das Wort an sie. Als er fertig war, sagte er: Da könnt ihr hören, du Eleseus und du Sivert, eure Mutter hat diesen Brief selbst geschrieben und hat alles mögliche gelernt. Und euer kleines Schwesterchen kann jetzt schon mehr als wir alle miteinander. Vergeßt das nicht. Jungen! – Die Kinder saßen ganz still da und wunderten sich. – Ja, das ist großartig, sagte Oline.

Was meinte sie damit? Zog sie Ingers Wahrhaftigkeit in Zweifel? Oder traute sie Isaks Vorlesen nicht? Olines wahre Meinung war nicht leicht zu ergründen, wenn sie mit ihrem sanften Gesicht so dasaß und Zweideutigkeiten sagte. Isak beschloß, sie gar nicht zu beachten.

Und wenn eure Mutter nun heimkommt, dann müßt ihr auch schreiben lernen, sagte er zu den beiden Kindern.

Oline machte sich mit ein paar Kleidungsstücken zu schaffen, die am Ofen zum Trocknen hingen, schob einen Kessel hin und her, hängte die Kleidungsstücke wieder um und tat überhaupt sehr geschäftig. Aber sie überlegte die ganze Zeit. – Wenn es dann so großartig hier im Walde wird, dann hättest du auch ein halbes Pfund Kaffee kaufen und mitbringen können, sagte sie. – Kaffee? sagte Isak, das Wort entfuhr ihm unwillkürlich. – Oline antwortete ruhig: Bis jetzt habe ich immer ein wenig von meinem eigenen Geld gekauft.

Kaffee, der für Isak ein Traum und ein Märchen war, ein Regenbogen! Oline spottete natürlich, er wurde nicht böse auf sie; aber schließlich fiel dem langsam denkenden Mann Olines Tauschhandel mit den Lappen ein, und er sagte zornig: Ja, ich werde dir Kaffee kaufen! Ein halbes Pfund hast du gesagt? Du hättest ein ganzes Pfund sagen sollen. Es soll wahrlich nicht fehlen. – Du brauchst nicht so zu spotten, Isak, sagte sie. Mein Bruder Nils hat Kaffee, und drunten bei Bredes aus Breidablick haben sie Kaffee. – Jawohl, denn sie haben keine Milch, gar keine Milch. – Nun, das weiß ich nicht, und es ist mir auch einerlei. Aber du, der so viel weiß, und Geschriebenes so gut lesen kann wie eine Renntierkuh laufen, du weißt wohl, daß es jetzt in allen Häusern Kaffee gibt. – Kreatur! sagte Isak.

Da setzte sich Oline auf den Hocker und wollte durchaus nicht schweigen. Und was Inger betrifft, sagte sie, wenn ich ein so großes Wort überhaupt in den Mund nehmen darf. – Du kannst sagen, was du willst, ich kümmere mich nicht darum. – Sie kommt heim und hat alles gelernt. Und dann hat sie wohl Perlen und Federn auf dem Hut? – Ja, das hat sie wohl. – Ja ja, sagte Oline, nun kann sie sich bei mir ein bißchen für alle diese Größe bedanken, die sie erreicht hat. – Bei dir? entfuhr es Isak. – Oline antwortete demütig: Da ich ja als geringes Werkzeug dazu gedient habe, sie fortzubringen.

Darauf konnte Isak nichts mehr sagen, die Worte blieben ihm im Halse stecken, er saß still da und starrte vor sich hin. Hatte er recht gehört? Oline sah aus, als habe sie gar nichts Besonderes gesagt. Nein, in einem Wortstreit zog Isak den kürzeren.

Düsteren Sinnes trieb er sich draußen herum. Oline, dieses Vieh, das sich von Bosheit nährte und fett dabei wurde – o es war wohl verkehrt von ihm gewesen, daß er sie nicht gleich im ersten Jahr erschlagen hatte, dachte er und tat vor sich selbst groß. Dazu hätte er der Mann sein sollen, dachte er weiter. Mann – er? O ja, niemand konnte fürchterlicher sein.

Und nun folgt ein komischer Auftritt: er geht in den Stall und zählt seine Ziegen; da stehen sie mit ihren Zicklein und sind vollzählig. Er zählt die Kühe, das Schwein, vierzehn Hühner, zwei Kälber. Und die Schafe habe ich fast vergessen! sagt er laut zu sich selbst. Er zählt auch die Schafe und tut, als sei er sehr gespannt, ob sie vollzählig sind. Isak weiß sehr wohl, daß ein Schaf fehlt, ja er hat es schon lange gewußt, warum also tun, als wüßte er es nicht? Die Sache ist die: Oline hatte ihn ja damals verwirrt gemacht und eine Ziege verleugnet, obgleich alle Ziegen dagewesen waren. Damals war er tüchtig ins Zeug gefahren, es war aber nichts dabei herausgekommen. Bei einem Streit mit Oline kam nie etwas heraus. Als er im Herbst schlachten wollte, hatte er gleich gemerkt, daß ein Mutterschaf fehlte, aber er hatte nicht das Herz gehabt, sofort Rechenschaft dafür zu verlangen, und auch später war ihm der Mut dazu nicht gekommen.

Aber heute ist er grimmig, ja heute ist Isak grimmig, Oline hat ihn wütend gemacht. Er zählt die Schafe noch einmal, legt den Zeigefinger auf jedes einzelne und zählt laut. – Oline darf es gern hören, falls sie draußen steht und horcht. Und er sagt mit lauter Stimme viel Schlechtes über Oline: sie habe eine ganz neue Art, die Schafe zu füttern, so daß plötzlich eines verschwinde, ein Mutterschaf! Sie sei eine abgefeimte Diebshure, ob sie das verstehe! O, Oline dürfe gern vor der Tür stehen und einen ordentlichen Schrecken bekommen!

Er schreitet zum Stall hinaus, geht in den Pferdestall und zählt das Pferd, von da will er ins Haus gehen und sich aussprechen. Er geht so schnell, daß sein Kittel wie ein erregter Kittel von seinem Rücken wegsteht. Aber Oline hat vielleicht vom Fenster aus dies und jenes gemerkt, sie tritt ruhig und sicher zur Haustür heraus, die Milcheimer in den Händen, und will in den Stall gehen.

Was hast du mit dem Mutterschaf mit den flachen Ohren gemacht? fragt er. – Mit dem Mutterschaf? – Ja, und wenn es hier gewesen wäre, hätte es jetzt schon zwei Lämmer, was hast du mit ihm gemacht? Es hatte immer zwei Lämmer. Auf diese Weise hast du mir drei Schafe genommen, verstehst du das?

Oline ist ganz überwältigt, vollständig vernichtet von der Beschuldigung, sie wackelt mit dem Kopf und ihre Beine scheinen unter ihr wegzuschmelzen, so daß sie schließlich Umfallen und sich einen Schaden antun kann. Aber ihr Kopf überlegt die ganze Zeit, ihre Geistesgegenwart hat ihr immer geholfen, hatte ihr immer Vorteile gebracht, sie durfte sie auch jetzt nicht verlassen.

Ich stehle Ziegen und ich stehle Schafe, sagt sie still. Ich möchte wissen, was ich mit ihnen tue. Ich esse sie wohl auf. – Ja, das weißt du selbst, was du damit tust. – So, dann müßte ich hier in deinem Haus, Isak, nicht Essen und Trinken im Überfluß haben, ich wäre gezwungen, mir dazu zu stehlen. Aber das kann ich hinter deinem Rücken sagen, daß ich das in all diesen Jahren nicht nötig gehabt habe. – Aber was hast du dann mit dem Schaf gemacht? Hat Os-Anders es bekommen? – Os-Anders? Oline muß geradezu die Melkeimer abstellen und die Hände zusammenschlagen: Wenn ich nur so frei von aller Schuld wäre! Was ist denn das für ein Schaf mit seinen Lämmern, von dem du redest? Ist es die eine Ziege, die flache Ohren hat? – Kreatur! sagt Isak und will gehen. – Du bist doch ein komischer Kauz, Isak. Da hast du nun genug Vieh von jeder Art und ein wahres Sternenheer von Tieren in deinem Stall, aber du hast noch nicht genug! Kann ich wissen, welches Schaf und welche Lämmer du von mir verlangst? Du müßtest Gott für seine Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied danken. Wenn jetzt dieser Sommer und ein Stück vom Winter vorbei sind, dann werfen deine Schafe wieder Lämmer, und du bekommst dreimal soviel, als du jetzt hast!

O diese Oline!

Isak ging fort, wie ein Bär brummend. Was für ein Dummkopf war ich, daß ich sie nicht am ersten Tag erschlagen habe! sagte er sich und warf sich selbst allerlei Schimpfnamen an den Kopf. Was für ein Narr, ein Roßdreck war ich doch! Aber es ist noch nicht zu spät, warte nur, mag sie in den Stall gehen! Es ist nicht ratsam, an diesem Abend noch etwas mit ihr anzufangen, aber morgen, da ist es ratsam. Drei Schafe verloren! Kaffee! sagte sie.


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