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Als es dem Winter zuging, war Axel wieder der einzige Mensch auf Maaneland. Barbro war gegangen. Ja, das war das Ende.
Ihre Reise in die Stadt solle nicht lange dauern, sagte sie. Es sei ja keine Reise nach Bergen, aber sie wolle nicht einen Zahn nach dem andern verlieren und einen Mund bekommen wie ein Kalb. Was das kosten werde? fragte Axel. Wie kann ich das wissen? erwiderte sie. Dich wird's jedenfalls nichts kosten, ich werde es abverdienen.
Sie hatte ihm auch auseinandergesetzt, warum es am besten sei, wenn sie die Reise jetzt mache; jetzt seien nur zwei Kühe zu melken, bis zum Frühjahr würden noch zwei kalben und auch die Geißen Junge werfen, die Heuernte würde kommen, die Arbeit würde drängen bis über den Juni hinaus. – Tu, was du willst, sagte Axel.
Die Sache sollte ihn nichts kosten, gar nichts. Aber sie müsse doch etwas Geld haben, nur eine kleine Summe; sie brauche Geld zur Reise und für den Zahnarzt, außerdem brauche sie ein Mantlett und noch verschiedenes andere, aber das müsse ja nicht sein, wenn es ihm unangenehm sei. – Du hast bis jetzt schon Geld genug bekommen, sagte Axel. – So, erwiderte sie. Das ist aber jedenfalls nicht mehr da. – Hast du denn nichts zurückgelegt? – Zurückgelegt? Du kannst ja in meiner Kiste nachsuchen. Ich habe auch in Bergen nichts zurückgelegt, und dort hatte ich doch einen viel größeren Lohn. – Ich habe kein Geld für dich, sagte er.
Axel hatte keinen rechten Glauben daran, daß Barbro von dieser Reise zurückkommen werde, und sie hatte seine Geduld mit ihrer Unliebenswürdigkeit so über alle Maßen geprüft, daß er anfing, ihrer überdrüssig zu werden. Es gelang ihr schließlich auch nicht, eine nennenswerte Summe aus ihm herauszuwinden, aber er sah durch die Finger, als sie sich einen ungeheueren Mundvorrat einpackte, ja, er selbst fuhr sie und ihre Kiste hinunter ins Dorf zum Postboot.
Nun war es also geschehen.
Er hätte ganz gut wieder allein auf der Ansiedlung sein können, er war es von früher her gewöhnt, aber er war jetzt durch seinen Viehstand allzusehr gebunden, und wenn er einmal von Hause abwesend sein mußte, waren die Tiere nicht versorgt. Der Kaufmann hatte ihm geraten, sich Oline kommen zu lassen, sie sei doch einmal mehrere Jahre auf Sellanraa gewesen, allerdings sei sie jetzt alt, aber noch rührig und arbeitsam. Ja, Axel hatte nach Oline geschickt, aber sie war nicht gekommen, und er hatte auch nichts von ihr gehört.
Während Axel auf sie wartet, fällt er Holz im Walde, drischt seine kleine Kornernte und besorgt seinen Viehstand. Es war einsam und still um ihn. Ab und zu kam Sivert von Sellanraa vorbei auf der Fahrt ins Dorf oder vom Dorf zurück; hinunter führte er Brennholz oder Häute oder Käse, aber zurück kam er fast immer leer, der Hof Sellanraa brauchte nicht viel Waren zu kaufen.
Dann und wann kam auch Brede Olsen an Maaneland vorbei und in der letzten Zeit häufiger als sonst – wer konnte wissen, was er hier so eifrig, so fleißig zu laufen hatte! Es war, als ob er sich noch in den letzten Wochen an der Telegraphenlinie unentbehrlich machen und den Posten behalten wolle. Seit Barbro abgereist war, kam er nie mehr zu Axel herein, sondern ging nur rasch vorbei, und das war doch vielleicht ein gar zu arger Hochmut von ihm, da er immer noch auf Breidablick wohnen blieb und nicht abgezogen war. Eines Tages, als er vorbeigehen wollte, ohne auch nur zu grüßen, hielt ihn Axel an und fragte, bis wann er den Hof zu räumen gedenke. – Auf welche Weise hast du dich von Barbro getrennt? fragte Brede dagegen. Das eine Wort gab das andere: Du hast sie ohne alle Mittel fortgeschickt. Es war nahe daran, daß sie nicht einmal bis Bergen gekommen wäre.
So, sie ist also in Bergen? – Ja, schließlich sei sie hingekommen, schreibt sie, aber dir hat sie nicht dafür zu danken. – Ich werde dich jetzt sofort aus Breidablick hinauswerfen, sagte Axel. – Ja, weil du seither so gutherzig gewesen bist, erwiderte der andere spöttisch. Nach Neujahr werfen wir uns selbst hinaus, fuhr er fort und ging dann seines Weges.
So, Barbro war nach Bergen gereist, es war also genau so gegangen, wie Axel sich gedacht hatte. Er war nicht betrübt darüber. Betrübt? Weit entfernt, sie war ein Zankteufel, aber bis jetzt hatte er doch noch nicht alle Hoffnung aufgegeben gehabt, sie würde doch vielleicht wiederkommen. Er wußte beim Henker nicht, wie es zuging, er hing doch ein bißchen zu fest an dieser Person, an diesem Ungeheuer; zuzeiten konnte sie ihre süßen Stunden haben, unvergeßliche Stunden, und gerade, um sie daran zu hindern, ganz bis Bergen durchzubrennen, war er beim Abschied mit Geld so geizig gewesen. Und nun war sie doch auf und davon gegangen. Von ihren Kleidern hing noch dies und das da, und ein Strohhut mit einem Flügel darauf lag in Papier gehüllt droben auf dem Bodenraum; aber sie kam nicht ihr Eigentum zu holen. Ach ja, vielleicht war er doch ein wenig betrübt! Wie Spott und Hohn erschien es ihm, daß er immer noch ihre Zeitung erhielt, und das würde wohl auch vor Neujahr nicht aufhören.
Aber schließlich hatte er doch an anderes zu denken, er mußte ein Mann sein.
Im Frühjahr mußte er an der Nordwand des Neubaus eine Scheune anfügen, jetzt im Winter mußten die Stämme dazu gefällt und die Bretter gesägt werden. Axel hatte keinen zusammenhängenden Wald mit großen Bäumen, aber da und dort standen auf seinem Grund und Boden mächtige Föhren, und er suchte sich solche am Wege nach Sellanraa aus, damit sich das Hinschaffen der Stämme nach dem Sägewerk leichter bewerkstelligen ließe.
Eines Morgens füttert er sein Vieh sehr reichlich, damit es bis zum Abend aushalten kann, schließt die Türen hinter sich zu und geht in den Wald; außer Axt und Mundvorrat nimmt er noch eine hölzerne Schneeschaufel mit. Das Wetter ist mild, gestern tobte ein schwerer Sturm mit Niederschlägen, aber heute ist es still. Er geht den ganzen Weg an der Telegraphenlinie entlang, bis er zur Stelle ist; dort zieht er seine Jacke aus und fängt an zu hacken. Jeden Baum, den er fällt, zweigt er sofort ab, haut die Stämme glatt und schichtet Zweige und Äste auf Haufen.
Brede Olsen kommt den Weg herauf, dann ist also die Linie wohl durch den gestrigen Sturm in Unordnung geraten. Aber vielleicht lief Brede auch ohne besonderen Grund die Linie ab, er war sehr eifrig im Dienst geworden, er hatte sich also doch gebessert. Die Männer sprachen nicht miteinander und grüßten sich auch nicht.
Axel merkt wohl, daß das Wetter im Begriff ist, umzuschlagen, der Wind wird immer stärker, aber Axel arbeitet nur eifrig weiter. Die Mittagsstunde ist längst vorbei, aber er hat noch nichts gegessen. Jetzt eben fällt er eine große Föhre, und diese schlägt ihn in ihrem Fall zu Boden. Wie ist das zugegangen? Unglück war unterwegs. Eine Riesenföhre schwankt auf ihrer Wurzel, der Mensch bestimmt ihr eine Seite zum Fallen, der Sturm eine andere. Der Mensch verliert. Es wäre noch angegangen, allein der Schnee deckte den unebenen Boden, Axel trat fehl, sprang auf die Seite und kam mit einem Bein in eine Felsspalte, nun lag er zwischen Felsen eingeklemmt und hatte eine große Föhre über sich.
Jawohl, es hätte trotzdem noch angehen können, allein er lag so ausgesucht verdreht, allerdings, soweit er fühlen konnte, mit ganzen Gliedern, aber schief und ohne eine Möglichkeit, sich unter dem schweren Gewicht hervorzuarbeiten. Nach einer Weile hatte er die eine Hand frei, auf der andern aber liegt er, und er kann die Axt nicht erreichen. Er sieht sich um und überlegt, wie jedes gefangene Tier es auch gemacht hätte, sieht sich um und überlegt und arbeitet und müht sich unter dem Baum ab. Brede muß in einiger Zeit auf dem Rückweg wieder vorbeikommen, denkt er und müht sich ab und atmet schwer.
Im Anfang nimmt Axel die Sache leicht und ist nur ärgerlich, daß er durch diesen Zufall, dieses elende Ungefähr festgehalten ist, er ist keine Spur besorgt für seine Gesundheit und noch weniger für sein Leben. Allerdings fühlt er, daß die Hand, auf der er liegt, allmählich gefühllos wird, und auch das Bein in der Felsenspalte wird kalt und auch gefühllos, aber das geht ja immer noch an. Brede kommt wohl bald.
Aber Brede kommt nicht.
Der Sturm nimmt zu und treibt Axel den Schnee gerade ins Gesicht. Jetzt wird's Ernst! denkt er, ist aber immer noch unbekümmert, ja, es ist beinahe, als ob er sich selbst durch den Schnee zublinzle: Aufgepaßt, jetzt wird's nämlich Ernst! Nach einer langen Weile stößt er einen einzelnen Hilferuf aus. Der ist wohl bei dem Sturm nicht weit zu hören, aber er geht der Linie entlang zu Brede. Axel liegt da mit ganz wertlosen Gedanken: Wenn er doch nur die Axt erreichen könnte, dann könnte er sich vielleicht freihacken! Wenn er nur die Hand hervorziehen könnte! Diese lag auf etwas Spitzem, einem Stein, und der bohrte sich langsam und höflich allmählich in den Handrücken ein. Wenn nur dieser verflixte Stein weg gewesen wäre! Aber noch niemals hat jemand von einem Stein einen rührenden Zug berichten können.
Die Zeit vergeht, das Schneetreiben wird schlimmer. Axel wird zugeschneit; er ist ganz hilflos, der Schnee legt sich harmlos und unschuldig auf sein Gesicht, eine Weile schmilzt er, dann wird das Gesicht kalt, und der Schnee schmilzt nicht mehr. Nun wird es wirklich Ernst!
Jetzt stößt er zwei laute Hilferufe aus und horcht dann hinaus.
Nun wird auch seine Axt zugeschneit, er fleht nur noch ein Stückchen Schaft hervorragen. Dort drüben hängt sein Beutel mit dem Mundvorrat; hätte er ihn nur erreichen können, dann hätte er etwas gegessen, einen ordentlichen Happen. Und wenn er schon in seinen Ansprüchen an das Leben so dreist war, so konnte er sich gleich auch seine Jacke herwünschen, denn es wird kalt. Wieder stößt er einen gewaltigen Ruf aus.
Da steht Brede. Er ist stehen geblieben und sieht hinüber zu dem rufenden Mann, er bleibt nur einen Augenblick stehen und sieht hinüber, wie um zu ergründen, was los ist. Komm her und gib mir meine Axt! ruft Axel etwas kläglich. – Brede sieht weg, er hat ergründet, was los ist, jetzt schaut er in die Höhe zu dem Telegraphendraht hinauf und will augenscheinlich anfangen zu pfeifen! War er denn verrückt? – Komm her und gib mir die Axt, ich liege unter einem Baum! wiederholte Axel etwas lauter als vorher. Aber Brede hat sich so sehr gebessert und ist so eifrig in seinem Dienste, daß er nichts sieht als den Telegraphendraht und nur eifrig pfeift. Und wohlgemerkt, munter und rachgierig pfeift er! – So, du willst mich umbringen und mir nicht einmal die Axt reichen! ruft Axel. – Aber jetzt muß Brede offenbar notwendig noch weiter die Linie entlang gehen und nach dem Draht schauen, und er verschwindet im Schneetreiben.
So, na ja! Aber jetzt wäre es doch ein rechter Staatsstreich, wenn Axel sich selbst so weit freimachte, daß er die Axt erreichen könnte! Er spannt Leib und Brust an, um die ungeheure Last zu heben, die ihn daniederhält, er bewegt den Baum, schüttelt ihn, erreicht aber damit nur, daß noch mehr Schnee auf ihn herabrieselt. Nach einigen vergeblichen Versuchen gibt er es auf.
Es fängt an zu dunkeln. Brede ist gegangen, aber wie weit kann er inzwischen gekommen sein? Nicht sehr weit, Axel ruft wieder und redet dabei von der Leber weg: Willst du mich hier einfach liegen lassen, du Mörder? ruft er. Denkst du nicht an deiner Seelen Seligkeit? Du weißt, du könntest für eine einzige kleine Handreichung eine Kuh von mir bekommen, aber du bist ein Hund, Brede, und du willst mich umbringen! Aber ich werde dich anzeigen, so wahr ich hier liege, merk dir's! Kannst du nicht herkommen und mir die Axt geben?
Stille. Axel strengt sich wieder unter seinem Baume an, hebt ihn ein wenig mit dem Leib und erreicht damit, daß immer noch mehr Schnee auf ihn herunterfällt. Dann ergibt er sich in sein Schicksal und seufzt, matt und schläfrig wird er auch. Sein Vieh steht jetzt in der Gamme und brüllt, es hat seit heute morgen nicht naß und nicht trocken bekommen, Barbro füttert es nicht mehr, sie ist davongelaufen, mit beiden Fingerringen noch dazu. Es wird dunkel, jawohl, es wird Abend, und es wird Nacht, aber das ginge ja noch an, allein es wird auch kalt, sein Bart vereist, seine Augen werden auch bald vereisen, die Jacke dort am Baume würde ihm guttun, und ist es denn möglich, sein eines Bein ist bis zur Hüfte wie tot? Alles steht in Gottes Vaterhand! sagt er, er kann augenscheinlich ganz fromm reden, wenn er will. Es wird dunkel, jawohl, er kann auch ohne angezündete Lampe sterben! Er wird ganz weich und gut, und um recht demütig zu sein, lächelt er freundlich und albern ins Unwetter hinein, es ist ja der Schnee des Herrn, der unschuldige Schnee! Ja, er kann es ja auch lassen, Brede anzuzeigen.
Er wird still und immer schläfriger, ganz lahm, als ob er vergiftet wäre, er sieht so viel Weiß vor den Augen, Wälder und Ebenen, große Schwingen, weiße Schleier, weiße Segel, weiß, weiß – was kann das sein? Unsinn, er weiß ganz gut, daß das Schnee ist, er liegt im Freien, es ist kein Wahn, daß er unter einem Baum begraben ist. Dann ruft er wieder aufs Geratewohl, brüllt, da unten im Schnee liegt seine gewaltige haarige Brust und brüllt, es muß bis in die Gamme bei dem Vieh zu hören sein, er brüllt ein ums andere Mal. Du bist ein Schwein, ein Untier! ruft er Brede nach. Hast du bedacht, was du tust, wenn du mich so verkommen läßt? Willst du mir die Axt geben? frag ich. Bist du ein gemeines Vieh oder ein Mensch? Aber Glück zu, wenn es deine Absicht ist, mich hier liegen zu lassen –
Er muß geschlafen haben, er liegt ganz steif und leblos da, aber seine Augen stehen offen, zwar mit Eis umrändert, aber offen, er kann nicht damit blinzeln; hat er mit offenen Augen geschlafen? Vielleicht hat er nur ein paar Minuten oder auch eine Stunde geschlummert, Gott weiß es, aber jetzt steht Oline da. Axel hört, daß sie fragt: Im Namen Jesu Christi, lebst du noch? Und weiter fragt sie, warum er daliege, ob er verrückt sei? Jedenfalls steht Oline da.
Ja, Oline hat etwas Witterndes, etwas Schakalartiges, sie taucht auf, wenn ein Unglück um den Weg ist, sie hat eine sehr scharfe Witterung. Wie hätte Oline im Leben vorwärts kommen können, wenn sie nicht so eifrig gewesen wäre und keine so scharfe Witterung gehabt hätte? Jetzt hatte sie also Axels Botschaft erhalten und war trotz ihrer siebzig Jahre über das Gebirge gekommen, um ihm zu helfen. Gestern hat sie der Sturm in Sellanraa festgehalten, heute kam sie nach Maaneland, fand niemand zu Hause, fütterte das Vieh, trat unter die Tür und horchte hinaus, melkte das Vieh, lauschte dann wieder, sie begriff gar nicht –
Da hörte sie rufen und sagte sich: Entweder ist es der Axel oder einer der Unterirdischen, in beiden Fällen ist es der Mühe wert, ein wenig nachzusehen, die ewige Weisheit des Allmächtigen in so viel Unruhe im Walde zu ergründen – und mir tut er nichts, ich bin nicht wert, ihm die Schuhriemen zu lösen –
Hier steht sie nun.
Die Axt? Oline gräbt und gräbt im Schnee und findet die Axt nicht. Sie versucht ohne Axt fertig zu werden und gibt sich Mühe, den Baum, so wie er daliegt, zu heben; aber sie ist wie ein kleines Kind und vermag nur die äußersten Zweige zu schütteln. Sie sucht wieder nach der Axt, es ist finster, aber sie gräbt mit Händen und Füßen. Axel kann nicht deuten, er kann nur sagen, wo die Axt einmal gelegen hatte, aber da ist sie nicht mehr. Wenn es nur nach Sellanraa nicht so weit wäre! sagt Axel. Aber nun fängt Oline an nach ihrem eigenen Kopf zu suchen, und Axel ruft ihr zu, nein, nein, dort sei sie nicht. – Nein, nein, sagt Oline, ich will nur überall nachsehen. Und was ist denn das? fragt sie. – Hast du sie gefunden? fragt Axel. – Ja, mit des Allmächtigen Beistand, erwidert Oline hochtrabend. Aber Axel ist nicht sehr hochgemut, er gibt zu, daß er vielleicht nicht recht bei Verstand sei, er ist beinahe fertig. Und was denn Axel mit der Axt wolle? Er könne sich ja nicht rühren, sie, Oline, müsse ihn loshacken. O, Oline habe schon mehr Äxte in der Hand gehabt, habe schon mehr als einmal in ihrem Leben Holz gespalten!
Axel kann nicht gehen, sein eines Bein ist bis zur Hälfte wie abgestorben, der Rücken ist ihm wie gerädert, heftige Stiche bringen ihn beinahe zum Heulen, im ganzen genommen fühlt er sich kaum als lebendiger Mensch, ein Teil von ihm liegt immer noch unter dem Baum. Es ist so sonderbar, und ich verstehe es nicht, sagt er. Oline versteht es gut und erklärt das Ganze mit wunderbaren Worten: ja, sie hat einen Menschen vom Tode errettet, und soviel weiß sie, der Allmächtige hat sie als sein geringes Werkzeug gebraucht, er hat keine himmlischen Heerscharen schicken wollen. Ob Axel nicht seinen weisen Ratschluß erkenne? Und wenn der Herr einen Wurm in der Erde hätte zu Hilfe schicken wollen, so hätte er das tun können. – Ja, das weiß ich wohl, aber es ist mir so sonderbar zumut, sagte Axel. – Sonderbar? Er solle nur ein ganz klein wenig warten, sich bewegen, sich vorbeugen und wieder aufrichten, ja, so, immer nur ein wenig auf einmal, seine Gelenke seien eingerostet und abgestorben, er solle seine Jacke anziehen, damit er warm werde. In ihrem ganzen Leben werde sie nun und nimmer den Engel des Herrn vergessen, der sie das letztemal vor die Türe gerufen habe – und da hörte sie Rufe aus dem Walde. Es sei wie in den Tagen des Paradieses gewesen, als mit Posaunen geblasen wurde bei den Mauern von Jericho –
Wunderbar! Aber während dieses Geschwätzes hat Axel Zeit, er übt seine Gelenke und lernt zu gehen.
Langsam geht's dem Hause zu, Oline ist immer noch der Retter in der Not und stützt Axel. So geht es ganz gut. Als sie ein Stück Weges hinuntergekommen sind, begegnen sie Brede. – Was ist denn das? fragt Brede. Bist du krank? Soll ich dir helfen? sagt er. – Axel schweigt abweisend. Er hat Gott gelobt, sich nicht zu rächen und Brede nicht anzuzeigen, aber weiter ist er nicht gegangen. Und weshalb war Brede nun wieder auf dem Wege bergauf? Hatte er gesehen, daß Oline nach Maaneland gekommen war, und begriffen, daß sie die Hilferufe hören mußte? – So, du bist da, Oline? sagt Brede geschwätzig. Wo hast du ihn gefunden? Unter einem Baum? Ja, ist es nicht sonderbar mit uns Menschen! legt er los. Ich sah eben die Telegraphenlinie nach, da hörte ich rufen. Wer sich sofort auf die Beine machte, das war ich, ich wollte Hilfe leisten, falls es nötig sein sollte. Also du bist es gewesen, Axel? Und du hast unter einem Baum gelegen? – Jawohl, und du hast es gehört und gesehen, als du herunterkamst, aber du bist an mir vorbeigegangen, antwortete Axel. – Gott sei mir Sünder gnädig! ruft Oline über solch schwarze Bosheit. – Brede erklärt, wie es gewesen sei. Dich gesehen? Ich hab dich gut gesehen. Aber du hättest mich doch rufen können, warum hast du nicht gerufen? Ich sah dich ausgezeichnet, aber ich dachte, du hättest dich ein wenig zum Ausruhen hingelegt. – Willst du den Mund halten! ruft Axel drohend. Du hast mich absichtlich liegen lassen.
Oline sieht ein, daß Brede jetzt nicht eingreifen darf, das würde ihre eigene Unentbehrlichkeit verringern und ihr Rettungswerk nicht mehr ganz vollständig erscheinen lassen. Sie verhindert Brede, Axel hilfreiche Hand zu reichen, ja, er darf nicht einmal den Rucksack oder die Axt tragen. Oh, in diesem Augenblick ist Oline vollständig auf Axels Seite; wenn sie später einmal zu Brede kommt und hinter einer Schale Kaffee sitzt, wird sie ganz auf seiner Seite sein. – Laß mich doch wenigstens die Axt oder die Schneeschaufel tragen, sagt Brede. – Nein! erwidert Oline an Axels Statt. Die will er selbst tragen. – Brede bleibt dabei: Du hättest mich doch rufen können, Axel. Wir sind doch nicht so verfeindet, daß du mir das Wort nicht hättest gönnen können. Du hast gerufen? So, dann hättest du lauter rufen müssen, du mußt doch wissen, was für ein Schneesturm tobte. Und außerdem hättest du mir mit der Hand winken können. – Ich hatte keine Hand frei, mit der ich hätte winken können, erwidert Axel. Du hast wohl gesehen, daß ich wie gefesselt dalag. – Nein, das hab ich nicht gesehen. So etwas ist mir doch noch nie vorgekommen! Laß mich doch deine Sachen tragen, hörst du! – Oline sagt: Laß Axel in Frieden! Er ist krank.
Aber jetzt hat auch Axels Hirn sich wieder erholt. Er hat schon früher allerlei von der alten Oline gehört, und begreift, daß sie für alle Zukunft teuer und lästig für ihn werden würde, wenn sie die einzige wäre, die ihm das Leben gerettet hatte. Er will den Triumph ein wenig verteilen, Brede darf wirklich den Rucksack und die Werkzeuge tragen, ja, Axel ließ ein Wort fallen, daß ihm das eine Erleichterung sei, daß es ihm wohltue. Allein Oline will sich nicht darein finden, sie zerrt an dem Rucksack und erklärt, daß sie und sonst niemand tragen werde, was zu tragen sei. Die schlaue Einfalt ist im Streit von allen Seiten. Axel steht einen Augenblick ohne Stütze da, und Brede muß wahrhaftig den Rucksack fahren lassen, um Axel zu stützen, obgleich dieser gar nicht mehr wankt.
Und nun geht es in der Weise weiter, daß Brede den schwachen Mann stützt und Oline die Last trägt. Sie schleppt und schleppt und ist voll Grimm und Bosheit. Sie hat sich den geringsten und gröbsten Teil der Arbeit auf dem Heimwege zuschieben lassen müssen! Was, zum Teufel, hatte Brede hier verloren? – Du, Brede, sagte sie. Was muß ich hören? Dein Hof ist dir verkauft worden? – Warum fragst du? erwidert Brede keck. – Warum ich frage? Ich hab nicht gewußt, daß das geheim gehalten werden soll. – Unsinn, Oline, du hättest kommen und auf den Hof bieten sollen! – Ich? Du treibst deinen Spott mit einem alten Weibe. – So, bist du denn nicht reich geworden? Es heißt doch, du habest des alten Sivert Geldschrein geerbt, ha, ha, ha! – Es stimmte Oline nicht milder, daß sie an das fehlgeschlagene Erbe erinnert wurde. Ja, er, der alte Sivert, hat mir alles Gute gegönnt, das kann man nicht anders sagen, erwidert sie. Aber als er tot war, wurde er all seines irdischen Gutes beraubt. Du weißt es ja auch, Brede, wie es ist, wenn man ausgeplündert wird und kein eigenes Dach mehr über dem Kopf hat. Aber der alte Sivert, der hat jetzt große Säle und Paläste, und du und ich, Brede, wir sind noch auf der Erde, und jedermann wischt die Schuhe an uns ab. – Was gehst denn du mich an, sagt Brede und wendet sich an Axel. Ich bin sehr froh, daß ich gerade vorbeigekommen bin und dir nach Hause helfen kann. Gehe ich dir auch nicht zu schnell? – Nein.
Aber mit Oline streiten, ein Wortgefecht mit Oline! Unmöglich! Niemals gab sie nach, und niemand kam ihr darin gleich, Himmel und Erde zusammenzumischen zu einem einzigen Gebräu von Bosheit und Freundschaft, Gift und Gefasel. Nun muß sie auch noch hören, daß es eigentlich Brede ist, der Axel nach Hause hilft. – Was ich sagen wollte, fing sie an. Hast du eigentlich den großen Herren, die damals auf Sellanraa waren, deine Säcke mit Steinen gezeigt? – Wenn du willst, Axel, so nehme ich dich einfach auf den Rücken und trage dich, sagt Brede. – Nein, erwidert Axel. Aber ich danke dir für den guten Willen.
Unterdessen gehen sie immer weiter, sie sind nun bald zu Hause, und Oline begreift, daß sie keine Zeit verlieren darf, wenn sie noch etwas erreichen will: Es wäre am besten gewesen, Brede, wenn du Axel vom Tode errettet hättest, sagt sie. Aber wie war das, Brede, du hast seine Not gesehen und hast seine Hilferufe gehört und bist einfach vorbeigegangen? – Halt nur deinen Mund, Oline! sagt Brede.
Mundhalten wäre nun eigentlich auch das Bequemste für sie gewesen, sie watete im Schnee und hatte schwer zu tragen; sie keuchte, aber den Mund hielt sie dennoch nicht. Sie hatte sich einen Trumpf für zuletzt aufgespart, eine gefährliche Sache, sollte sie es wagen? – Und die Barbro, die ist also auf und davon gegangen? fragt sie. – Ja, erwidert Brede leichtfertig. Und dadurch hast du einen Winterverdienst bekommen. – Aber hier bot sich Oline wieder eine gute Gelegenheit, sie konnte zu verstehen geben, wie sehr sie gesucht sei, begehrt weit herum in ihrer Gemeinde. Sie hätte zwei Plätze, ja eigentlich drei haben können. Im Pfarrhaus wolle man sie auch haben. Und zu gleicher Zeit gab sie etwas zu verstehen, was Axel wohl hören durfte, das konnte nichts schaden: Es sei ihr soundso viel für den Winter geboten worden, dazu ein Paar neue Schuhe und das Futter für ein Schaf obendrein. Aber sie wisse, daß sie hier auf Maaneland zu einem besonders guten Mann komme, der sie überreich belohnen werde, und darum komme sie lieber hierher. Nein, Brede solle sich nur keine Sorge machen, bis jetzt habe ja der himmlische Vater eine Tür nach der andern vor ihr aufgetan und sie aufgefordert, einzutreten. Und es sehe ja aus, als ob Gott eine besondere Absicht dabei gehabt habe, als er sie nach Maaneland schickte, denn sie habe heute abend einen Menschen vom Tode errettet.
Jetzt ist Axel ganz ermattet, und sein Bein versagt. Merkwürdig, bis dahin ist es immer besser gegangen, je mehr Wärme und Leben in seine Glieder zurückkehrten, jetzt jedoch hat er Brede dringend nötig, um sich aufrecht halten zu können! Es schien anzufangen, als Oline von ihrem Lohn sprach, und später, als sie ihm wieder das Leben gerettet hatte, da wurde es ganz schlimm. Wollte er ihren Triumph noch einmal herabsetzen? Gott weiß es, aber sein Hirn war jedenfalls wieder ganz in Ordnung. Als sie sich den Häusern nähern, bleibt Axel stehen und sagt: Ich glaube nicht, daß ich bis nach Hause kommen kann. Brede nimmt ihn ohne weiteres auf den Rücken. Und nun geht's weiter, Oline voll Gift und Galle, Axel, so lang er ist, auf Bredes Rücken. Aber wie ist denn das, sollte Barbro nicht ein Kind bekommen? – Ein Kind? stöhnt Brede unter seiner Last. Es ist ein äußerst sonderbarer Aufzug, Axel läßt sich bis auf die Türschwelle tragen.
Brede keucht unmäßig. Ja, oder war es etwa kein Kind? fragt Oline. – Hier fällt Axel ein und sagt zu Brede: Ich weiß wirklich nicht, wie ich heute abend hätte heimkommen sollen, wenn du nicht gewesen wärest! Aber er vergißt auch Oline nicht und sagt: Ich danke auch dir, Oline, du bist die erste gewesen, die mich gefunden hat. Ich danke euch allen beiden.
Das war der Abend, an dem Axel gerettet wurde.
In den folgenden Tagen ist Oline schwer dazu zu bringen, von etwas anderem zu reden, als von dem großen Ereignis. Axel hat genug zu tun, sie etwas in den Schranken zu halten. Oline kann das Plätzchen in der Stube zeigen, wo sie stand, als der Engel des Herrn sie vor die Türe rief, damit sie die Hilferufe höre; Axel hat wieder anderes zu denken und muß ein Mann sein. Er fängt seine Arbeit im Walde wieder an, und als er mit dem Baumfällen fertig ist, fährt er die Stämme nach Sellanraa in die Sägemühle.
Das ist eine glatte und ebene Winterarbeit: Stämme hinauf und zugeschnittene Bretter herunter! Aber es gilt, sich zu beeilen und vor Neujahr fertig zu werden, bevor der starke Frost einsetzt und das Sägewerk einfriert. Es geht sehr gut, alles wird fertig. Wenn Sivert von Sellanraa gerade leer aus dem Dorf zurückkommt, nimmt auch er einen Stamm auf seinen Schlitten und hilft seinem Nachbarn. Die beiden halten dann einen ordentlichen Schwatz zusammen und haben ihre Freude aneinander.
Was gibt's Neues im Dorf? fragt Axel. – Nichts, erwidert Sivert. Es soll ein neuer Ansiedler hierher kommen.
Ein neuer Ansiedler, o, das war nicht nichts, es war nur Siverts Art zu sprechen. Jedes Jahr kam ein neuer Ansiedler in die Gegend und ließ sich da nieder, es waren jetzt fünf Ansiedlungen unterhalb von Breidablick, oberhalb ging es langsamer mit dem Kolonisieren, obgleich der Boden nach Süden zu überall mehr Ackerkrume und weniger Moorland aufwies. Der Ansiedler, der sich am weitesten hinaufgewagt hatte, war Isak, als er Sellanraa gründete, er war der mutigste und klügste. Nach ihm kam Axel Ström. Nun hatte sich also ein neuer Mann angekauft. Der neue Mann sollte eine große Strecke Moorland zum Entwässern und Wald unterhalb Maaneland gekauft haben – es war ja genug da.
Hast du gehört, was für ein Mann es ist? fragt Axel. – Nein, erwidert Sivert. Er kommt mit fertigen Häusern, die er herführen läßt und im Handumdrehen aufstellt. – So, dann hat er also Geld? – Das muß er wohl haben. Er kommt mit Familie, mit einer Frau und drei Kindern. Und er hat Vieh und Pferde. – Ja, dann hat er Geld, sagt Axel. Hast du sonst nichts gehört? – Nein. Er sei dreiunddreißig Jahre alt. – Wie heißt er denn? – Aron, wird behauptet. Seinen Hof hat er Storborg genannt. – So, also Storborg, die große Burg. Ja ja, das ist nicht klein. – Er ist von der Küste. Es heißt, er sei bis jetzt beim Fischhandel gewesen. – Dann kommt es also darauf an, ob er etwas von der Landwirtschaft versteht, sagt Axel. Hast du sonst nichts von ihm gehört? – Nein. Er hat bar bezahlt, als er den Kaufbrief bekam. Sonst hab ich nichts gehört. Aber es heißt, er habe ein Heidengeld mit seiner Fischerei verdient. Jetzt wolle er sich hier niederlassen und Handel treiben. – Ja, das wird behauptet. – So, er will also Handel treiben!
Das war das allerwichtigste, und die beiden Nachbarn besprachen die Sache nach allen Seiten, während sie dahinfuhren. Es war eine große Neuigkeit, vielleicht die größte in der ganzen Geschichte der Ansiedlung, und es gab viel zu besprechen: Mit wem wollte der neue Ansiedler Handel treiben? Mit den acht Gehöften auf der Allmende? Oder hoffte er auch auf Kunden aus dem Dorfe? Auf jeden Fall würde ein Kaufladen von großer Bedeutung sein, vielleicht vermehrte das auch die Kolonisierung, und die Güter stiegen im Preise, wer konnte es wissen!
Wie sie redeten und der Sache nicht müde wurden! Diese beiden Männer hatten ihre Interessen und ihre Ziele, die ebenso wichtig waren wie die anderer, das Land war ihre Welt, die Arbeit, die Jahreszeiten, die Ernte waren die Abenteuer, die sie erlebten. War dabei nicht auch Spannung? Ho, Spannung genug! Oftmals konnten sie nur kurze Zeit schlafen, oftmals mußten sie über die Mahlzeiten weg arbeiten, sie konnten das ertragen, sie hatten die Gesundheit dazu, sieben Stunden unter einem Föhrenstamm schadete ihnen nichts an Leben und Gesundheit, wenn die Knochen ganz geblieben waren. Ein Leben in einer Welt ohne Weite, ohne Ausblick? So! Aber welch eine Welt von Ausblick bot dieses Storborg mit seinem Handel draußen auf dem Ödland!
Bis Weihnachten wurde darüber geredet ...
Axel hatte einen Brief erhalten, einen großen Brief mit einem Löwen darauf, der war vom Staate: Er solle die Telegraphendrähte, die Geräte und das Werkzeug bei Brede Olsen abholen und von Neujahr an die Aufsicht über die Linie übernehmen.