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Eleseus kam nach Hause.
Er war jetzt mehrere Jahre fort gewesen und war größer als der Vater geworden, mit langen weißen Händen und einem kleinen dunklen Schnurrbart. Er spielte sich nicht auf, sondern schien sich ein natürliches, freundliches Wesen zur Pflicht zu machen; die Mutter war verwundert und froh darüber. Er bekam mit Sivert zusammen die Kammer, die Brüder waren gut Freund miteinander und spielten einander manchen Schabernack, an dem sie sich höchlich ergötzten. Aber natürlich mußte Eleseus beim Zimmern des Anbaus helfen, und da wurde er bald müde und erschöpft, weil er körperlicher Arbeit ganz ungewohnt war. Ganz schlimm wurde es, als Sivert die Arbeit aufgeben und sie den beiden andern überlassen mußte – ja, da war dem Vater eher geschadet als gedient.
Und wohin ging Sivert? Ja, war nicht eines Tages Oline übers Gebirge dahergekommen mit der Botschaft von Oheim Sivert, daß er im Sterben liege! Mußte da nicht Klein-Sivert hingehen? Das war ein Zustand! – Niemals hätte das Verlangen des Oheims, Sivert jetzt bei sich zu haben, ungelegener kommen können, aber da war nichts zu machen.
Oline sagte: Ich hatte gar keine Zeit, den Auftrag zu übernehmen, nein, ganz und gar nicht, aber ich habe nun einmal die Liebe zu allen den Kindern hier und für Klein-Sivert besonders, und so wollte ich ihm zu seinem Erbe verhelfen. – Ist denn der Oheim Sivert sehr krank? – Ach du lieber Gott, er nimmt mit jedem Tag mehr ab! – Liegt er zu Bett? – Zu Bett! Herr des Himmels, ihr solltet nicht so freventlich herausreden. Sivert springt und läuft nicht mehr auf dieser Welt.
Nach dieser Antwort mußten sie ja annehmen, daß es mit dem Oheim Sivert stark auf das Ende zugehe, und Inger trieb Klein-Sivert noch tüchtig zur Eile an; sofort sollte er gehen.
Aber der Oheim Sivert, der Halunke, der Schelm, lag durchaus nicht im Sterben, er lag nicht einmal beständig zu Bett. Als Klein-Sivert ankam, fand er eine fürchterliche Unordnung und Vernachlässigung auf dem kleinen Hofe vor, ja die Frühjahrsarbeit war nicht einmal ordentlich getan worden, nein, nicht einmal der Winterdung war hinausgefahren, aber der Tod schien nicht augenblicklich bevorzustehen. Der Oheim Sivert war allerdings ein alter Mann, über siebzig, er war hinfällig und trieb sich halbangezogen im Hause herum, lag auch oft zu Bett und mußte für Verschiedenes notwendig Hilfe haben; zum Beispiel mußte das Heringsnetz, das im Bootsschuppen hing und da schlecht aufgehoben war, ausgebessert werden. O ja, aber der Oheim war durchaus nicht so am Ende, daß er nicht noch gepökelte Fische essen und sein Pfeifchen rauchen konnte.
Nachdem Sivert eine halbe Stunde dagewesen war und gesehen hatte wie alles zusammenhing, wollte er gleich wieder heim. – Heim? fragte der Alte. – Ja, wir bauen eine Stube, und dem Vater fehlt meine Hilfe. – So, sagte der Alte, ist denn nicht Eleseus daheim? – Doch, aber der ist diese Arbeit nicht gewohnt. – Warum bist du dann gekommen? – Sivert erklärte, welche Botschaft Oline gebracht habe. – Im Sterben? fragte der Alte. Meinte sie, ich liege im Sterben? Zum Teufel auch! – Hahaha! lachte Sivert. – Der Alte sah den Neffen gekränkt an und sagte: Du machst dich über einen Sterbenden lustig, und du bist nach mir getauft worden! – Sivert war zu jung, um eine betrübte Miene aufzusetzen, er hatte sich nie etwas aus dem Oheim gemacht, und jetzt wollte er wieder heim.
Na, und du hast also auch gemeint, ich liege im Sterben und bist da gleich hergerannt, sagte der Alte. – Oline hat es gesagt, beharrte Sivert. – Nach kurzem Schweigen machte der Oheim ein Angebot: Wenn du mein Netz im Bootsschuppen flickst, darfst du etwas bei mir sehen. – So, sagte Sivert, und was ist es? – Ach, das geht dich nichts an, versetzte der Alte mürrisch und legte sich wieder zu Bett.
Die Verhandlungen brauchten offenbar Zeit. Sivert wußte nicht recht, was tun. Er ging hinaus und sah sich um, alles war unordentlich und vernachlässigt, die Arbeit hier in Angriff nehmen zu sollen, wäre ein Unding gewesen. Als er wieder hereinkam, war der Oheim auf und saß am Ofen.
Siehst du dies? fragte er und deutete auf einen eichenen Schrein, der zwischen seinen Füßen auf dem Boden stand. Das war der Geldschrein. In Wirklichkeit war es einer von jenen Flaschenkasten, mit vielen Abteilungen, den Beamte und andere vornehme Leute in alten Tagen auf ihren Reisen mit sich geführt hatten; es waren jetzt keine Flaschen mehr drin, der alte Bezirkskassierer bewahrte Rechnungen und Gelder darin auf. Oh, diese Flaschenkiste, die Sage ging, daß sie den Reichtum der ganzen Welt berge, die Leute im Dorfe pflegten zu sagten: Wenn ich nur das Geld hätte, das der Sivert in seinem Schrein hat!
Der Oheim Sivert entnahm dem Schrein ein Papier und sagte feierlich: Du kannst doch wohl Geschriebenes lesen? Lies dies Dokument! – Klein-Sivert war durchaus nicht überlegen im Lesen von Schriftstücken, nein, das war er nicht, aber jetzt las er, daß er zum Erben der ganzen Hinterlassenschaft des Oheims eingesetzt sei. – Und nun kannst du tun, was du willst, sagte der Alte und legte das Dokument wieder in den Schrein.
Sivert fühlte sich nicht besonders gerührt, das Dokument berichtete ihm eigentlich nicht mehr, als was er vorher gewußt hatte, schon von Kind auf hatte er ja nichts anderes gehört, als daß er den Oheim einmal beerben werde. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn er in dem Schrein Kostbarkeiten hätte zu sehen bekommen. – Es ist wohl viel Merkwürdiges in dem Schrein, sagte er. – Mehr als du denkst, versetzte der Oheim kurz.
Er war so enttäuscht und ärgerlich über den Neffen, daß er den Schrein zuschloß und wieder zu Bett ging. Da lag er dann und gab verschiedene Mitteilungen kund: Dreißig Jahre lang bin ich hier im Dorf Bevollmächtigter und Herr der Gelder gewesen, ich habe es nicht nötig, jemand um eine Handreichung anzuflehen. Woher wußte denn Oline, daß ich am Sterben sei? Kann ich nicht, wenn ich will, drei Mann zum Doktor fahren lassen? Ihr sollt nicht euren Spott mit mir treiben. Und du, Sivert, kannst nicht warten, bis ich meinen Geist ausgehaucht habe. Ich will dir nur eins sagen: jetzt hast du das Dokument gelesen und es liegt in meinem Geldschrein; mehr sag ich nicht. Aber wenn du von mir fortgehst, dann richte deinem Bruder Eleseus aus, daß er hierherkommen soll. Er heißt nicht nach mir und trägt nicht meinen irdischen Namen – aber er soll nur kommen!
Trotz der Drohung, die in diesen Worten lag, überlegte Sivert sich die Sache und sagte dann: Ich werde Eleseus deinen Auftrag ausrichten.
Oline war noch auf Sellanraa, als Sivert zurückkam. Sie hatte Zeit gehabt, einen Gang durch die Gegend zu machen, ja sogar bis zu Axel Ström und Barbros Ansiedlung, dann kam sie wieder zurück und tat äußerst wichtig und geheimnisvoll. Die Barbro ist dicker geworden, sagte sie flüsternd, das wird doch nichts zu bedeuten haben? Aber sagt es niemand! Was, da bist du ja wieder, Sivert, da brauche ich ja wohl nicht erst zu fragen, ob dein Oheim entschlafen ist? Ja, ja, er war ein alter Mann und ein Greis am Rande des Grabes. Was – er ist also nicht tot? Gott sei Lob und Dank! Was, ich hätte nur ein leeres Geschwätz verführt, sagst du? Wenn ich nur bei allem so frei von Schuld wäre! Konnte ich denn wissen, daß dein Oheim Gott ins Angesicht log? Er nimmt ab, das waren meine Worte, und diese werde ich einmal vor Gottes Thron wiederholen. Was sagst du, Sivert? Ja, aber lag nicht dein Oheim zu Bett und rauchte und faltete beide Hände auf der Brust und sagte, nun liege er da und kämpfe es aus?
Mit Oline konnte man sich unmöglich in einen Streit einlassen, sie überwältigte ihren Gegner mit ihrem Geschwätz und machte ihn mundtot. Als sie hörte, daß der Oheim Sivert Eleseus zu sich rief, ergriff sie auch diesen Umstand sofort und verwendete ihn zu ihrem Vorteil. Da könnt ihr hören, ob ich ein leeres Geschwätz im Munde geführt habe. Der alte Sivert ruft seine Verwandten herbei und schmachtet nach seinem Fleisch und Blut, es ist am Letzten bei ihm. Du mußt ihm das nicht abschlagen, Eleseus, geh nur gleich, damit du deinen Oheim noch am Leben triffst. Ich muß auch übers Gebirge, da können wir zusammen gehen.
Oline verließ indes Sellanraa nicht, bis sie Inger auf die Seite gezogen und ihr noch über Barbro zugeflüstert hatte: Sag es niemand, aber sie hat die Anzeichen! Und nun meint sie wohl, sie werde die Frau auf der Ansiedlung. Manche Leute kommen obenauf, ob sie auch von Anfang an so klein sind wie Sandkörner am Meeresstrand. Wer hätte nun das von Barbro geglaubt! Axel ist sicher ein fleißiger Mann, und so große Güter und Höfe wie hier im Ödland gibt es nicht auf unserer Seite des Gebirges, das weißt du auch, Inger, du stammst ja aus unserer Gemeinde und bist dort geboren. Barbro hatte ein paar Pfund Wolle in einer Kiste, es war lauter Winterwolle, ich habe keine davon verlangt, und sie hat mir auch keine davon angeboten, wir sagten nur Grüßgott und Gutentag, obgleich ich sie von Kindesbeinen an gekannt habe, damals, als ich hier auf Sellanraa war, und du, Inger, fort in der Lehre –
Jetzt weint die kleine Rebekka, warf Inger rasch ein, und dann steckte sie Oline noch eine Handvoll Wolle zu.
Große Dankesbezeugung von Oline: Ja, ist es nicht, wie ich eben zu der Barbro gesagt habe, so freigebig wie die Inger gibt es niemand mehr, sie schenkt sich wahrhaftig lahm und wund und murrt nie darüber. Ja, geht nur hinein zu dem kleinen Engel, noch nie hat ein Kind seiner Mutter so ähnlich gesehen, wie die kleine Rebekka dir. Ob sich Inger erinnern könne, was sie einmal gesagt habe, daß sie keine Kinder mehr bekomme? Da könne sie nun sehen! Nein, man solle auf die Alten hören, die selbst Kinder gehabt hätten, denn Gottes Wege sind unerforschlich, sagte Oline.
Dann trabte sie hinter Eleseus durch den Wald aufwärts, vor Alter gebückt, fahl und grau und neugierig, immer dieselbe. Nun würde sie zum alten Sivert gehen und zu ihm sagen, sie – Oline – sei es gewesen, die Eleseus bestimmt habe, zu ihm zu kommen.
Aber Eleseus hatte sich durchaus nicht nötigen lassen, es war nicht schwer gewesen, ihn zu überreden. Seht, im Grunde genommen war er besser, als es den Anschein hatte, er war wirklich auf seine Art ein guter Bursche, gutmütig und freundlich von Natur, nur ohne große körperliche Kräfte. Daß er aus der Stadt nur ungern aufs Land zurückkehrte, hatte seinen guten Grund, er wußte ja wohl, daß die Mutter wegen Kindsmord in der Strafanstalt gewesen war, in der Stadt hörte er nichts davon, aber da auf dem Lande wußten es wohl alle. War er nun nicht mehrere Jahre lang mit Kameraden zusammen gewesen, die ihm ein feineres Empfinden beigebracht hatten, als er früher gehabt hatte? War nicht eine Gabel ebenso notwendig wie ein Messer? Hatte er nicht alle Tage da drinnen nach Kronen und Öre gerechnet, und hier rechnete man immer noch nach dem alten Talerfuß. O ja, er wanderte sehr gern übers Gebirge in eine andere Gegend, daheim auf dem väterlichen Hofe mußte er ja jeden Augenblick seine Überlegenheit im Zaume halten. Er gab sich Mühe, sich den andern anzupassen, und es gelang ihm auch, aber er mußte auf der Hut sein, zum Beispiel, als er vor ein paar Wochen nach Sellanraa heimgekommen war. Er hatte ja einen hellgrauen Frühjahrsüberzieher mitgenommen, obgleich man mitten im Sommer war; als er ihn an einem Nagel in der Wohnstube aufhängte, hätte er gut das silberne Schild mit seinen Buchstaben darauf nach außen drehen können, aber er hatte es nicht getan. Ebenso war es mit dem Stock, dem Spazierstock! Es war allerdings nur ein Regenschirmstock, von dem er den Stoff und die Stahlschienen abgemacht hatte, aber auf Sellanraa hatte er ihn nicht getragen und lustig geschwungen, weit entfernt, er hatte ihn verborgen am Schenkel angelegt getragen.
Nein, es war nicht verwunderlich, daß Eleseus übers Gebirge ging. Er taugte nicht zum Hausbauen, er taugte dazu, Buchstaben zu schreiben, das konnte nicht der erste beste, aber in seiner Heimat war niemand, der seine Gelehrsamkeit und seine Kunst zu schätzen wußte, ausgenommen vielleicht die Mutter. So wanderte er fröhlichen Herzens vor Oline her den Wald hinauf, er wollte weiter oben auf sie warten, er lief wie ein Kalb, hetzte ordentlich vorwärts. Eleseus hatte sich gewissermaßen vom Hofe weggestohlen, er hatte Angst, gesehen zu werden, jawohl, denn er hatte den Frühjahrsüberzieher und den Spazierstock mitgenommen. Jenseits des Gebirges konnte er ja hoffen, bessere Leute zu treffen und auch selbst gesehen zu werden, vielleicht sogar in die Kirche zu kommen. Deshalb plagte er sich in der Sonnenhitze mit dem überflüssigen Überrock.
Und er hinterließ keine Lücke, wurde nicht vermißt beim Hausbau, im Gegenteil, nun bekam ja der Vater den Sivert wieder, der Sivert war von viel größerem Nutzen und hielt vom Morgen bis Abend aus. Sie brauchten auch nicht viel Zeit zum Aufrichten des Gebäudes, es war nur ein Anbau, drei Wände; sie brauchten auch die Stämme nicht zuzuhauen, das wurde im Sägewerk gemacht. Die Schwartenbretter kamen ihnen dann gleich beim Dachbau zugute. Eines schönen Tages stand wirklich die Stube vor ihren Augen fertig da, gedeckt, mit gelegtem Boden und eingesetzten Fenstern. Weiter konnten sie vor der Ernte nicht mehr damit kommen. Das Verschalen und Anstreichen mußte auf später warten.
Da kam plötzlich Geißler mit großer Gefolgschaft übers Gebirge daher! Und das Gefolge war zu Pferd, auf glänzenden Pferden mit gelben Sätteln; es waren wohl reiche Reisende, sie waren sehr schwer und dick, die Pferde bogen sich unter ihnen durch. Mitten unter diesen großen Herren ging Geißler zu Fuß. Es waren im ganzen vier Herren und Geißler, dazu noch zwei Diener, von denen jeder ein Lastpferd führte.
Auf dem Hofplatz stiegen die Reiter ab, und Geißler sagte: Da haben wir Isak, den Markgrafen selbst. Guten Tag, Isak! Du siehst, da komme ich wieder, wie ich gesagt habe.
Geißler war noch ganz der Alte; obgleich er zu Fuß kam, schien er sich keineswegs geringer zu fühlen als die andern, ja sein abgetragener Rock hing ihm lang und leer über seinen eingefallenen Rücken hinunter, aber sein Gesicht zeigte einen überlegenen und hochmütigen Ausdruck. Er sagte: Diese Herren und ich haben die Absicht, ein Stück weit den Berg hinaufzuwandern; sie sind zu dick und möchten ein wenig Speck los werden.
Die Herren waren übrigens freundlich und gutmütig; sie lächelten zu Geißlers Worten und entschuldigten sich, daß sie wie im Krieg über den Hof hereinbrächen. Sie hätten Mundvorrat bei sich, würden ihn also nicht arm fressen, wären aber dankbar, wenn sie für die Nacht ein Dach über den Kopf bekommen könnten. Vielleicht dürften sie in dem neuen Gebäude da übernachten!
Als sie eine Weile ausgeruht hatten und Geißler bei Inger und den Kindern drin gewesen war, gingen alle die Gäste auf den Berg und blieben bis zum späten Abend weg. Am Nachmittag hatten die Leute auf dem Hofe ab und zu ganz unerklärliche Laute, Schüsse, gehört, und bei der Rückkehr brachten die Herren neue Gesteinsproben in Säcken mit. Schwarzkupfer, sagten sie und nickten über den Steinen. Es entspann sich eine lange, gelehrte Unterredung, und sie guckten dabei in eine Karte, die sie in groben Strichen gezeichnet hatten. Unter den Herren waren ein Sachverständiger und ein Ingenieur, einer wurde Landrat genannt, einer Hüttenbesitzer. Luftbahn, sagten sie, Seilbahn, sagten sie. Geißler warf ab und zu ein Wort ein, und das schien die Herren jedesmal richtig aufzuklären, es wurde großes Gewicht auf seine Worte gelegt.
Wem gehört das Land südlich vom See? fragte der Landrat Isak. – Dem Staat, antwortete Geißler flugs. Er war wachsam und klug, in der Hand hielt er das Dokument, das Isak einst mit seinem Namenszeichen unterschrieben hatte. – Ich habe ja schon gesagt, daß es dem Staat gehört, warum fragst du noch einmal danach? sagte er. Wenn du mich kontrollieren willst, bitte!
Später am Abend nahm Geißler Isak allein mit sich hinein und sagte: Wollen wir den Kupferberg verkaufen? – Isak antwortete: Aber der Herr Lensmann hat mir ja den Berg schon einmal abgekauft und bezahlt. – Richtig, sagte Geißler, ich habe den Berg gekauft. Aber du sollst doch auch Prozente vom weiteren Verkauf oder vom Betrieb haben, willst du diese Prozente verkaufen? – Das verstand Isak nicht, und Geißler mußte es ihm erklären. Isak könne keine Grube in Betrieb setzen, er sei ein Landmann, er mache Land urbar, er, Geißler, könne aber auch keine Grube betreiben. Aber Geld, Kapital? O, soviel er wolle! Aber er habe keine Zeit, er habe gar so vielerlei vor, sei ständig auf Reisen, müsse für seine Güter im Norden und im Süden sorgen. Nun wolle er – Geißler – an diese schwedischen Herren verkaufen, sie seien alle Verwandte seiner Frau und reiche Leute, Fachleute, sie könnten die Grube eröffnen und in Betrieb nehmen. Ob Isak es nun verstehe? – Ich will, wie Sie wollen, sagte Isak.
Merkwürdig – dieses große Zutrauen tat dem armen Geißler wohl: Ja, ich weiß nun nicht, ob du gut dabei fährst, sagte er und überlegte. Doch plötzlich wurde er sicher und fuhr fort: Aber wenn du mir freie Hand gibst, werde ich jedenfalls besser für dich handeln, als du es selbst tun könntest. – Isak fing an: Hm. Ihr seid von der ersten Stunde an hier ein guter Herr für uns gewesen ... Geißler runzelte die Stirne und unterbrach ihn: Also, es ist gut!
Am nächsten Morgen setzten sich die Herren hin, um zu schreiben. Sehr ernsthafte Sachen schrieben sie; zuerst einen Kaufkontrakt auf vierzigtausend Kronen für den Kupferberg, dann ein Dokument, worin Geißler zugunsten seiner Frau und seiner Kinder auf jeden Heller von diesen vierzigtausend verzichtete. Isak und Sivert wurden hereingerufen, um diese Papiere als Zeugen zu unterschreiben. Als dies getan war, wollten die Herren Isak seine Prozente für eine Bagatelle abkaufen, für fünfhundert Kronen. Aber Geißler unterbrach sie mit den Worten: Scherz beiseite!
Isak verstand nicht viel vom Ganzen, er hatte einmal verkauft und seine Bezahlung dafür erhalten, und im übrigen, Kronen – das war gar nichts, es waren keine Taler. Sivert dagegen dachte sich mehr dabei, der Ton der Verhandlungen war ihm auffallend: das war gewiß eine Familiensache, die hier beigelegt und abgemacht wurde. So sagte einer der Herren: Lieber Geißler, du brauchtest wirklich nicht so rote Ränder um die Augen zu haben! worauf Geißler scharfsinnig aber ausweichend antwortete: Nein, das brauchte ich wirklich nicht. Aber es geht eben nicht nach Verdienst in dieser Welt.
War es so, daß Frau Geißlers Brüder und Verwandte ihren Mann abfinden, sich vielleicht mit einem Schlag von seinen Besuchen befreien und die widerwärtige Verwandtschaft los werden wollten? Nun war ja der Kupferberg wahrscheinlich nicht wertlos, das wurde von keinem behauptet, aber er war sehr abgelegen, die Herren sagten geradezu, sie kauften ihn jetzt, um ihn weiter zu verhandeln an Leute, die viel leichter eine Grube in Betrieb setzen und ausbauen könnten als sie. Darin lag nichts Unnatürliches. Sie sagten auch offen, sie wüßten nicht, wie viel der Berg eintragen könnte. Wenn eine Grube eröffnet würde, seien vielleicht vierzigtausend Kronen keine Bezahlung; wenn aber der Berg so liegen bleibe, wie er jetzt sei, dann sei es hinausgeworfenes Geld. Aber jedenfalls wollten sie reinen Tisch machen, und deshalb böten sie Isak fünfhundert Kronen für seinen Anteil.
Ich bin Isaks Bevollmächtigter, sagte Geißler, und ich verkaufe sein Recht nicht unter zehn Prozent der Kaufsumme.
Viertausend! sagten die Herren.
Viertausend! beharrte Geißler. Der Berg ist Isaks Eigentum gewesen, er erhält viertausend. Mir hat er nicht gehört, ich bekomme vierzigtausend. Wollen sich die Herren wohl die Mühe nehmen und das bedenken.
Ja, aber viertausend!
Geißler stand auf und sagte: Jawohl oder gar kein Verkauf.
Sie überlegten, tuschelten miteinander und gingen auf den Hofplatz hinaus, zogen die Sache in die Länge. Richtet die Pferde! riefen sie dann den Dienern zu. Einer der Herren ging zu Inger hinein, bezahlte fürstlich für den Kaffee, einige Eier und das Nachtquartier. Geißler ging anscheinend gleichgültig umher, aber er war noch ebenso wachsam: Wie ist es mit der Wasserleitung im vorigen Jahr gegangen? fragte er Sivert. – Sie hat uns die ganze Ernte gerettet. – Ich sehe, ihr habt den Sumpf dort umgerodet, seit ich das letztemal hier war. – Ja. – Ihr müßt euch noch ein Pferd anschaffen, sagte Geißler. Er sah alles.
Komm jetzt her, damit wir fertig werden! rief der Hüttenbesitzer.
Darauf gingen alle miteinander in den Neubau, und Isaks viertausend wurden aufgezählt. Geißler bekam eine Urkunde; er steckte sie nachlässig in die Tasche, als hätte sie gar keinen Wert. Heb sie wohl auf, sagten die andern zu ihm, und deiner Frau wird das Bankbuch in einigen Tagen zugestellt werden, sagten sie. – Geißler runzelte die Stirne und erwiderte: Es ist gut!
Aber sie waren noch nicht fertig mit Geißler. Nicht als ob er den Mund aufgetan hätte, um etwas für sich zu verlangen, aber da stand er nun, und sie sahen, wie er dastand; vielleicht hatte er sich auch selbst einen kleinen Teil des Geldes ausbedungen. Als der Hüttenbesitzer ihm ein Banknotenbündel reichte, nickte Geißler nur und sagte wieder, es sei gut. Und nun trinken wir noch ein Glas mit Geißler, sagte der Hüttenbesitzer.
Sie tranken, dann waren sie fertig und verabschiedeten sich von Geißler.
In diesem Augenblick kam Brede Olsen einher. Was wollte der nun? Brede hatte natürlich die dröhnenden Schüsse am gestrigen Tage gehört und verstanden, daß droben im Gebirge etwas vor sich ging. Jetzt kam er und wollte auch Gebirgsstrecken verkaufen. Er ging an Geißler vorbei, wendete sich an die Herren und sagte: er habe einige merkwürdige Gesteinsarten entdeckt, ganz wunderbare, die einen seien rot wie Blut, andere hell wie Silber; er kenne jeden Winkel da droben und könne rasch mit den Herren hinaufgehen, er wisse mehrere lange Metalladern – was das wohl für eine Art Metall sein könne? – Hast du Proben bei dir? fragte der Bergbaukundige. – Ja. Aber ob sie nicht ebensogut auf den Berg hinaufgehen könnten? Es sei nicht weit, Proben, jawohl! Viele Säcke voll, viele Kisten voll, er habe sie zwar nicht bei sich, aber daheim in seinem Hause; er könne rasch hinlaufen und sie holen. Aber er könne in kürzerer Zeit von den Bergen droben holen, wenn die Herren warten wollten. Die Herren jedoch schüttelten den Kopf und ritten davon.
Brede sah ihnen gekränkt nach. Wenn die Hoffnung einen Augenblick in ihm aufgetaucht war, dann erlosch sie jetzt wieder; er arbeitete unter der Ungunst des Schicksals, nichts wollte ihm glücken. Nur gut, daß er einen leichten Sinn hatte, um das Leben trotzdem ertragen zu können. Er sah den Reitern nach und sagte schließlich: Na, viel Glück auf die Reise!
Aber jetzt zeigte er sich wieder unterwürfig gegen Geißler, seinen früheren Lensmann, er duzte ihn nicht mehr, sondern verbeugte sich und sagte Ihr. Geißler hatte unter irgend einem Vorwand seine Brieftasche herausgezogen und ließ sehen, wie sie von Banknoten strotzte. – Könnt Ihr mir nicht helfen, Lensmann! sagte Brede.– Geh heim und grabe dein Moor um! sagte Geißler und half ihm nicht im geringsten. – Ich hätte gut eine ganze Traglast voll Steine mitbringen können, aber wäre es denn nicht viel besser gewesen, die Herren hätten die Berge selbst angesehen, da sie nun doch einmal hier waren? – Geißler tat, als höre er nicht, was Drede sagte, sondern fragte Isak: Weißt du nicht, was ich mit dem Dokument gemacht habe? Es war äußerst wichtig, viele tausend Kronen wert. Ach, da ist es, mitten zwischen den Banknoten. – Was waren denn das für Leute, haben sie nur einen Ausflug zu Pferd gemacht? fragte Brede.
Geißler war wohl vorher in großer Spannung gewesen, jetzt fiel er merklich ab. Aber er hatte doch noch Lust und Leben genug, um noch allerlei auszurichten. Sivert sollte mit ihm hinauf auf den Berg, Geißler hatte ein großes Papier bei sich, da zeichnete er die Grenze auf der Südseite des Wassers deutlich darauf ein. – Was er wohl für einen Gedanken dabei hatte! Als er ein paar Stunden später wieder auf den Hof zurückkam, war Brede noch da, aber Geißler beantwortete keine einzige von seinen Fragen, sondern war müde und winkte ihm nur mit der Hand ab.
Er schlief ununterbrochen bis zum nächsten Morgen, da stand er mit der Sonne auf und war wieder ganz frisch. Sellanraa! sagte er, als er auf dem Hofplatz stand und weit umherschaute.
All das Geld, das ich bekommen habe, soll denn das mir gehören? fragte Isak.
Was du sagst! erwiderte Geißler. Verstehst du denn nicht, daß du mehr hättest haben sollen? Und eigentlich hättest du sie nach unserem Kontrakt von mir haben sollen, aber wie du gesehen hast, ließ sich das nicht machen. Wieviel hast du bekommen? Nach alter Rechnung nur tausend Taler. Ich denke eben darüber nach, daß du noch ein Pferd für den Hof haben mußt. – Ja. – Ich weiß dir ein Pferd. Der jetzige Gerichtsbote bei Lensmann Heyerdahl läßt seinen Hof verfallen, das Herumreisen und die Leute auspfänden ist ihm unterhaltender. Er hat schon einen Teil seines Viehstandes verkauft, jetzt will er auch seinen Gaul los sein. – Ich werde mit ihm reden, sagte Isak.
Geißler deutete mit der Hand weit herum und sagte: Alles gehört dem Markgrafen! Du hast Haus und Vieh und wohlbestellte Felder, niemand kann dich aushungern.
Nein, antwortete Isak, wir haben alles, was Gott geschaffen hat.
Geißler lief noch eine Weile auf dem Hof umher, dann ging er plötzlich zu Inger hinein. Kannst du wohl auch heute etwas Mundvorrat entbehren? fragte er. Wieder ein paar Waffeln, aber ohne Butter und Käse darauf; sie sind allein schon nahrhaft und fett genug. Nein, tu wie ich sage, ich will nicht noch mehr tragen.
Geißler ging wieder hinaus. Er hatte wohl allerlei Gedanken im Kopf. Im Neubau setzte er sich an den Tisch und begann zu schreiben. Er hatte sich die Sache schon vorher ausgedacht, deshalb brauchte er nicht viel Zeit dazu. Es sei eine Eingabe an den Staat, sagte er überlegen zu Isak. An das Ministerium des Innern, sagte er. Ich habe für so vieles zu sorgen!
Als er seinen Mundvorrat bekommen hatte und sich verabschiedete, war es, als falle ihm plötzlich noch etwas ein. Ja richtig, als ich das letztemal fortging, vergaß ich gewiß – ich hatte einen Schein aus meiner Brieftasche genommen, hatte ihn dann aber in meine Westentasche gesteckt. Da habe ich ihn nachher gefunden. Ich habe so vielerlei Geschäfte. Damit steckte er Inger etwas in die Hand und ging.
Ja, dann ging Geißler, und er schien ganz getrosten Mutes zu sein. Er war durchaus nicht herunter und starb auch noch lange nicht, kam auch wieder nach Sellanraa, und erst viele Jahre später starb er. Die Hofleute vermißten ihn aber sehr, als er nun gegangen war; Isak hatte ihn wegen Breidablick um Rat fragen wollen, war aber nicht dazu gekommen. Geißler hätte ihm wohl auch abgeraten, den Hof zu kaufen – für einen Kontoristen wie Eleseus Ödland zu kaufen!