Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Oheim Sivert war doch am Sterben. Eleseus war ungefähr drei Wochen bei dem Alten gewesen, da war er tot. Eleseus bestellte das Begräbnis und war recht tüchtig in dieser Richtung, er holte da und dort in den Häusern einige Fuchsiastöcke, entlehnte eine Flagge und hing sie auf Halbmast, kaufte schwarzen Flor beim Kaufmann zu heruntergelassenen Vorhängen. Isak und Inger wurden benachrichtigt und kamen zum Begräbnis. Eleseus war der eigentliche Wirt und verstand sich sehr wohl auf die Aufwartung für die Eingeladenen, ja nachdem am Sarg noch gesungen worden war, sprach Eleseus sogar einige passende Worte, worüber seine Mutter vor lauter Stolz und Rührung ihr Taschentuch gebrauchen mußte. Alles ging ausgezeichnet.
Auf dem Heimweg in seines Vaters Gesellschaft mußte Eleseus seinen Überzieher offen tragen, den Spazierstock aber verbarg er in einem Ärmel. Es ging alles gut, bis sie im Boot übers Wasser fuhren; da stieß Isak aus Versehen an den Rock und ein Krach ließ sich hören. – Was war das? fragte Isak. – O nichts, antwortete Eleseus.
Aber der zerbrochene Stock wurde nicht weggeworfen; als sie heimkamen, suchte Eleseus nach einem passenden Ring um die Bruchstelle. – Können wir ihn nicht speideln? fragte Sivert, der große Spaßvogel. Sieh hier, wenn wir auf beiden Seiten einen guten Holzspan legen und mit Pechdraht umwickeln ...? – Ja, ich werde dich mit Pechdraht umwickeln! erwiderte Eleseus. – Hahaha! Ach so, du willst wohl lieber ein rotes Strumpfband herumwickeln? – Hahaha! lachte auch Eleseus, aber dann ging er zu seiner Mutter hinein, und bei ihr bekam er einen alten Fingerhut, von dem er den oberen Teil abfeilte, wodurch er dann einen sehr schönen Ring für den Spazierstock bekam. O, Eleseus war gar nicht so ungeschickt mit seinen langen Fingern.
Die Brüder trieben immer noch ihren Spaß miteinander. Bekomme ich das, was der Oheim Sivert hinterlassen hat? fragte Eleseus. – Ob du es bekommst? Wieviel ist es? versetzte Sivert. – Hahaha! Du willst zuerst wissen, wieviel es ist, du Geizhals! – Ja, du kannst es gern haben, sagte Sivert. – Es wird zwischen fünf- und zehntausend sein. – Talern? rief Sivert; er konnte die Frage nicht zurückhalten, – Eleseus rechnete ja nicht nach Talern, aber jetzt paßte es ihm, er nickte und ließ Sivert bis zum nächsten Tag auf diesem Glauben.
Dann kam Eleseus wieder auf die Sache zurück. Reut dich wohl dein Geschenk von gestern? fragte er. – Du Dummkopf, versetzte Sivert, allerdings, aber fünftausend Taler waren nun einmal fünftausend Taler und keine Kleinigkeit; wenn der Bruder nicht ein Geizhals oder ein schlechter Kerl war, dann teilte er mit ihm. – Nun will ich dir etwas sagen, erklärte endlich Eleseus, ich glaube nicht, daß ich von der Erbschaft fett werde. – Sivert sah ihn überrascht an: So, nicht? – Nein, nicht besonders und nicht par ecellence fett.
Eleseus hatte ja gelernt, sich in Rechnungen auszukennen; der Schrein des Oheims, der berühmte Flaschenkasten, war vor ihm geöffnet worden, und er hatte alle Papiere und Summen durchgehen und Kassensturz halten müssen. Oheim Sivert hatte seinen Neffen nicht zu Landarbeit oder zum Flicken des Fischnetzes verwendet, sondern ihn in eine fürchterliche Unordnung von Zahlen und Rechnungen hineinversetzt. Wenn ein Steuerzahler vor zehn Jahren mit einer Ziege oder einer Kiste getrocknetem Kohlfisch bezahlt hatte, dann stand weder die Ziege noch der Kohlfisch da, sondern der alte Sivert holte den Mann aus seinem Gedächtnis hervor und sagte: Er hat bezahlt. – Nun, dann streichen wir diesen Posten, sagte Eleseus.
Hier war Eleseus der rechte Mann, er war freundlich und munterte den Kranken damit auf, daß er sagte, es stehe alles gut; die beiden hatten sich gut zusammen eingelebt, ja ab und zu hatten sie sogar ihren Spaß miteinander. Eleseus war ja wohl in dem einen oder andern töricht, aber das war der alte Sivert auch; sie hatten geradezu hochtrabende Dokumente abgefaßt, nicht nur zum Vorteil von Klein-Sivert, sondern auch fürs Dorf, die Gemeinde, der der Alte dreißig Jahre gedient hatte. – Herrliche Tage waren es! – Ich hätte wahrlich niemand Besseren bekommen können als dich, Eleseus! sagte Oheim Sivert. Er schickte jemand fort und ließ mitten im Sommer ein geschlachtetes Schaf kaufen, die Fische wurden ihm frisch aus dem Meer gebracht, und Eleseus wurde befohlen, aus dem Schrein zu bezahlen; sie lebten recht gut miteinander.
Sie ließen Oline kommen, und sie hätten niemand Besseren haben können, um an einem Festmahl teilzunehmen, auch war niemand besser dazu geschaffen als sie, von des alten Siverts letzten Tagen großen Ruhm zu verbreiten. Und die Befriedigung war gegenseitig. Ich meine, wir sollten Oline auch mit einer kleinen Erbschaft bedenken, sagte der Oheim, sie ist jetzt Witwe und hat es recht knapp. Es bleibt trotzdem noch genug für Klein-Sivert. – Es kostete Eleseus nur ein paar Federstriche mit geübter Hand, einen Nachtrag zu dem letzten Willen, und dann war auch Oline unter die Erben eingereiht. – Ich werde für dich sorgen, sagte der alte Sivert zu ihr; falls ich nicht wieder gesund werden sollte und nicht mehr auf der Erde leben werde, will ich, daß du nicht Hunger leiden mußt, sagte er. – Oline rief, sie sei sprachlos; aber das war sie gar nicht, sie war gerührt und weinte und dankte, niemand hätte solche Verbindungen zwischen einer irdischen Gabe und zum Beispiel »der großen himmlischen Wiedervergeltung im Jenseits« finden können wie Oline. Nein, sprachlos war sie nicht.
Aber Eleseus? Waren ihm vielleicht im Anfang die Verhältnisse des Oheims günstig und zufriedenstellend vorgekommen, so mußte er sich doch später die Sache neu überlegen und mit der Wahrheit herausrücken. Er versuchte es mit einem schwachen Einwand: Die Kasse ist ja nicht so ganz in Ordnung, sagte er. – Jawohl, aber da ist ja alles, was ich sonst hinterlasse. – Ja, und dann hast du wohl auch noch da und dort Geld auf der Bank? fragte Eleseus, denn so ging das Gerücht. – Na, antwortete der Alte, das kann nun sein wie es will. Aber das Großnetz, der Hof und die Häuser und das Vieh, und weiße Kühe und rote Kühe! Ich glaube, du faselst, mein guter Eleseus!
Eleseus wußte nicht, wie viel das Großnetz wert sein konnte; aber das Vieh hatte er jedenfalls gesehen: es bestand aus einer Kuh. Sie war weiß und rot. Oheim Sivert redete vielleicht irre. Und Eleseus verstand auch des Alten Rechnungen nicht alle; sie waren in einem großen Durcheinander, der reine Wirrwarr, besonders seit dem Jahr, in dem der Münzfuß von Talern in Kronen übergegangen war. Der Bezirkskassierer hatte oft die kleinen Kronen für volle Taler gerechnet. Kein Wunder, daß er sich für reich hielt! Aber Eleseus fürchtete, wenn erst einmal alles geordnet sein würde, werde nicht viel übrigbleiben, vielleicht nichts, ja, vielleicht werde es nicht einmal hinreichen.
O, Klein-Sivert konnte ihm leicht das versprechen, was der Oheim hinterlassen würde!
Die Brüder scherzten darüber, Sivert war nicht niedergeschlagen, im Gegenteil, vielleicht hätte er sich schließlich mehr gegrämt, wenn er wirklich fünftausend Taler verschleudert hätte. Er wußte wohl, daß er aus reiner Berechnung nach dem Oheim genannt worden war, er hatte also auch nichts von ihm verdient. Jetzt zwang er Eleseus die Erbschaft förmlich auf: Ja gewiß mußt du sie annehmen, komm, wir wollen es schriftlich machen! sagte er. Ich gönne es dir, wenn du reich wirst. Verschmäh es nicht!
Sie hatten viel Spaß miteinander. Sivert war in der Tat der, der Eleseus am meisten half, das Leben daheim auszuhalten, vieles wäre ohne Sivert schwerer für Eleseus gewesen.
Jetzt war übrigens Eleseus wieder tüchtig verdorben worden, die drei Wochen Müßiggang jenseits des Gebirges waren nicht vom Guten für ihn gewesen, er war da auch in die Kirche gegangen und hatte sich gut herausgeputzt, ja er war auch mit jungen Mädchen zusammengetroffen. Daheim auf Sellanraa gab es keine. Jensine, die Magd, war nicht zu rechnen, sie war nur ein Arbeitstier, sie paßte besser für Sivert. – Ich möchte wohl wissen, wie die Barbro von Breidablick geworden ist, seit sie erwachsen ist, sagte er. – Geh hinunter zu Axel Ström und sieh sie dir an, entgegnete Sivert.
An einem Sonntag machte sich Eleseus auf den Weg. Jawohl, er war auswärts gewesen und hatte Mut und Lustigkeit wiedergefunden, hatte Blut geleckt, in Axels Gamme lebte er wieder auf. Barbro selbst war keineswegs zu verachten, jedenfalls war sie die einzige hier in der Gegend; sie spielte Gitarre und war witzig, außerdem roch sie nicht nach Rainfarn, sondern nach echten Sachen, nach Haarwasser. Seinerseits gab Eleseus zu verstehen, daß er nur in den Ferien daheim sei, das Bureau werde ihn bald zurückberufen. Immerhin sei es angenehm, wieder einmal daheim zu sein, wieder in der alten Heimat, und er habe jetzt droben die Kammer für sich allein zum Bewohnen. Aber es sei eben doch nicht die Stadt!
Nein, das weiß Gott, daß das Ödland nicht die Stadt ist! stimmte Barbro bei.
Axel selbst kam diesen beiden Stadtkindern gegenüber nicht recht zur Geltung. Er langweilte sich und ging hinaus auf seine Felder. Nun hatten die beiden freie Hand, und Eleseus war großartig. Er erzählte, er sei im Nachbardorfe gewesen und habe dort einen Oheim begraben, auch vergaß er nicht zu sagen, daß er am Sarge eine Rede gehalten hatte.
Als er ging, sagte er zu Barbro, sie solle ihn ein Stück Wegs begleiten. Aber nein, danke! – Ist es Sitte und Brauch in der Stadt, daß die Damen die Herren heimbegleiten? fragte sie. – Da wurde Eleseus wahrhaftig rot und verstand, daß er sie beleidigt hatte.
Trotzdem ging er am nächsten Sonntag wieder aufs Nachbargut, und da trug er den Spazierstock in der Hand. Die beiden unterhielten sich wieder wie das letztenmal, und Axel wurde wieder übersehen: Dein Vater hat jetzt einen großen Hof, er hat sehr viel gebaut, sagte er. – O ja, und er hat auch das Geld zum Bauen. Vater kann alles, was er will! antwortete Eleseus und prahlte drauf los; für uns andere arme Schlucker ist es nicht so leicht. – Wieso? – Na, habt ihr es nicht gehört? Jetzt eben sind einige schwedische Millionäre bei ihm gewesen und haben ihm einen Kupferberg abgekauft. – Was du da sagst? Und hat er viel Geld dafür bekommen? – Kolossal viel. Ja ja, ich will nicht prahlen, aber es waren jedenfalls viele Tausend. Aber was ich sagen wollte: Bauen, sagtest du? Ich sehe, du hast Zimmerholz draußen liegen, wann willst du selbst bauen? – Niemals, warf Darbro ein.
Niemals! Das war nun Vorwitz oder Übertreibung. Axel hatte im letzten Herbst Steine ausgebrochen und sie im Winter hergefahren; jetzt im Sommer hatte er die Mauer samt Keller und allem andern fertig gemacht, er brauchte nur noch das Haus aufzurichten. Er sagte, er hoffe, das Haus schon im Herbst unter Dach zu bringen, er habe auch schon daran gedacht, Sivert zu bitten, ihm ein paar Tage zu helfen, was Eleseus dazu meine? – O ja, meinte Eleseus. Aber du kannst mich bekommen, fügte er lächelnd hinzu. – Euch? sagte Axel ehrerbietig und redete ihn plötzlich mit Euch an. Ihr habt Genie für andere Sachen.– Wie das schmeckte, sogar hier im Ödland anerkannt zu werden. Ich fürchte sehr, daß diese meine Hände nicht dazu taugen, sagte Eleseus auch und tat äußerst vornehm.– Laß mich sehen! sagte Barbro, indem sie seine Hand ergriff.
Axel fühlte sich wieder auf die Seite gesetzt und ging hinaus; nun waren die beiden abermals allein. Sie waren gleichaltrig, waren zusammen in die Schule gegangen, hatten miteinander gespielt, umhergetollt und sich geküßt; jetzt frischten sie mit unendlicher Überlegenheit die Kindheitserinnerungen auf, und Barbro spielte sich ordentlich auf, das war nicht zu verkennen. Natürlich war Eleseus nicht zu vergleichen mit den großen Kontoristen in Bergen, die Kneifer und goldene Uhren hatten, aber hier auf dem Ödland war er unleugbar ein richtiger Herr. Und nun holte sie ihre Photographie von Bergen herbei und zeigte sie ihm: So habe sie damals ausgesehen, und wie jetzt! – Was soll dir denn jetzt fehlen? fragte er. – So, du meinst, ich habe nicht verloren? – Verloren? Ich will dir nur ein für allemal sagen, daß du jetzt doppelt so hübsch bist, überhaupt voller geworden, sagte er. Verloren? Nein, das ist klassisch! sagte er. – Aber findest du mein Kleid, das am Hals und im Rücken ausgeschnitten ist, auf dem Bild nicht hübsch? Und dann hatte ich auch, wie du siehst, eine silberne Kette, die habe ich von einem der Kontoristen, bei denen ich war, geschenkt bekommen. Aber dann habe ich sie verloren; das heißt nicht geradezu verloren, sondern ich brauchte Geld, als ich heimreiste. – Eleseus fragte: Kann ich nicht die Photographie bekommen? – Sie bekommen? Und was bekomme ich dafür? O, Eleseus wußte recht gut, was er am liebsten geantwortet hätte, aber er wagte es nicht zu sagen. Ich werde mich photographieren lassen, wenn ich wieder in der Stadt bin, dann bekommst du meine auch, sagte er dagegen. Sie aber nahm das Bild wieder an sich und sagte: Nein, ich habe nur noch die eine. – Da wurde es düster in seinem jungen Herzen, und er streckte die Hand nach dem Bild aus. – Ja, ja, dann gib mir gleich etwas dafür! sagte sie lachend. O, da griff er zu und küßte sie herzlich ab.
Nun wurde es ungezwungener; Eleseus entfaltete sich, er wurde großartig. Sie liebäugelten und lachten und scherzten. Als du nach meiner Hand gefaßt hast, war das so weich wie ein Sammetpfötchen, sagte er. – Ja, ja, nun fährst du bald wieder in die Stadt und dann kommst du wohl nie mehr hierher, sagte Barbro. – Hältst du mich für so schlecht? versetzte Eleseus. – Hast du niemand dort, der dich zurückhält? – Nein. Unter uns gesagt, ich bin nicht verlobt, sagte er. – Doch, das bist du gewiß. – Nein, es ist tatsächlich wahr, was ich sage.
Sie scherzten und liebäugelten lange miteinander, Eleseus war ganz verliebt. Ich werde dir schreiben, sagte er, darf ich das? – Ja, antwortete sie. – Ja, denn ich will nicht kleinlich sein und es nicht ohne Erlaubnis tun! Doch plötzlich wurde er eifersüchtig und fragte: Es heißt, du seiest mit Axel hier verlobt. Ist es so? – Mit ihm, dem Axel! sagte sie so verächtlich, daß es ihn tröstete. Er wird sich brennen! sagte sie. Dann bereute sie ihre Worte, und sie fügte hinzu: Der Axel ist schon recht. Und er hält eine Zeitung für mich und macht mir sehr oft Geschenke, ich kann nichts anderes sagen. – Gott bewahre mich, er kann in seiner Art ein höchst vorzüglicher und unvergleichlicher Mann sein, gab Eleseus zu, aber das ist nun einmal nicht der Kernpunkt.
Aber bei dem Gedanken an Axel mußte sich Barbro wohl etwas beunruhigt fühlen, sie stand auf und sagte zu Eleseus: Nein, jetzt mußt du gehen, ich muß in den Stall.
Am nächsten Sonntag ging Eleseus bedeutend später als sonst hinunter, und er hatte den Brief selbst mitgenommen. Das war ein Brief. Das Entzücken und Kopfzerbrechen einer ganzen Woche hatten ihn zustande gebracht, ihn ausgedacht! An Fräulein Barbro Bredesen, zwei- bis dreimal habe ich nun das für mich so unaussprechliche Glück gehabt, dich wiederzusehen ...
Wenn er nun so spät am Abend ankam, mußte wohl Barbro im Stall fertig sein, ja, sie war vielleicht eben zu Bett gegangen. Doch das schadete nichts, es paßte im Gegenteil gerade gut.
Barbro war jedoch auf und saß in der Gamme. Aber jetzt sah es plötzlich aus, als wolle sie gar nicht mehr zärtlich sein, nein durchaus nicht. Eleseus bekam den Eindruck, daß Axel wohl hinter ihr her gewesen sein und sie ermahnt haben mußte. – Bitte, hier ist der Brief, den ich dir versprochen habe. – Danke! sagte sie, indem sie den Brief öffnete und ihn ohne ersichtliche Freude las. – Ich hätte wohl ebensogut schreiben können wie du! sagte sie. – Er war enttäuscht, was hatte sie nur? Und wo war Axel? Fort. Er war dieser törichten Sonntagsbesuche vielleicht überdrüssig und wollte nicht dabei sein; aber er konnte ja auch eine notwendige Besorgung gehabt haben, so daß er gestern ins Dorf hinuntergegangen war. Fort war er jedenfalls.
Warum sitzt du denn an einem so schönen Abend in der dumpfen Gamme? Komm mit heraus! sagte Eleseus. – Ich warte auf Axel, antwortete sie. – Auf Axel? Kannst du nicht ohne den Axel sein? – Doch, aber soll er etwa nichts zu essen haben, wenn er kommt?
Die Zeit verging, sie war vergeudet, die beiden kamen sich nicht näher; Barbro war und blieb launisch. Er versuchte, ihr wieder vom Nachbardorf zu erzählen und vergaß wieder nicht, daß er eine Rede gehalten hatte: Ich hatte allerdings nicht so besonders viel zu sagen, aber einige waren doch zu Tränen gerührt. – So, sagte sie. – Und an einem Sonntag bin ich in der Kirche gewesen. – Hast du da mit einer angebändelt? – Ob ich mit einer angebändelt habe? Ich war nur dort und habe mich umgesehen. Der Pfarrer predigte nicht besonders, nach meiner unmaßgeblichen Meinung, er hatte keinen guten Vortrag.
Die Zeit verging.
Was meinst du wohl, was Axel denken wird, wenn er dich so spät hier antrifft? sagte Barbro plötzlich. – Ach, wenn sie ihm einen Stoß vor die Brust versetzt hätte, hätte er nicht mutloser werden können. Hatte sie denn das Letztenmal ganz vergessen? War nicht verabredet worden, daß er am heutigen Abend kommen sollte? Er war schwer gekränkt und murmelte: Ich kann ja wieder gehen! – Darüber schien sie sich nicht zu entsetzen.– Was habe ich dir getan? fragte er mit bebenden Lippen. Es schien ihm sehr tief zu gehen, er war in großer Not. – Mir getan? Ach, du hast mir nichts getan. – Aber, was ist denn mit dir heute abend? – Mit mir? Hahaha! Aber im übrigen kann ich mich nicht darüber wundern, wenn Axel böse wird. – Ich werde gehen, wiederholte Eleseus. Aber sie erschrak wieder nicht darüber, sie machte sich nichts aus ihm, und es war ihr einerlei, daß er da vor ihr saß und mit seinen Gefühlen kämpfte. Oh, sie war eine Canaille!
Nun begann der Arger in ihm aufzukochen. Zuerst äußerte er ihn in feiner Weise: sie sei wahrlich keine vorteilhafte Repräsentantin des weiblichen Geschlechtes. Und als das nichts half – oh, er hätte lieber schweigen und ertragen sollen, sie wurde nur immer schlimmer. Aber er wurde auch nicht besser, sondern sagte: Wenn ich gewußt hätte, wie du bist, wäre ich heute abend gar nicht heruntergekommen. – Und was dann? versetzte sie. Dann hättest du deinen Stock, den du da in der Hand hältst, nicht spazieren getragen. – O, Barbro war in Bergen gewesen, sie konnte spotten, sie hatte auch ordentliche Spazierstöcke gesehen, deshalb konnte sie jetzt so unverschämt fragen, was das für ein geflickter Regenschirmstock sei, mit dem er anstolziert komme? – Er ertrug es. Dann möchtest du wohl auch deine Photographie wieder haben? fragte er. – Wenn das nicht wirkte, dann wirkte nichts mehr. Ein Geschenk zurücknehmen, das war das Äußerste, was man sich im Ödland denken konnte! Was machst du dir denn daraus? antwortete sie ausweichend. – Gut, erklärte er keck, ich werde sie dir sofort zurückschicken. Gib mir nun auch meinen Brief wieder.
Damit stand er auf.
Jawohl, sie gab ihm den Brief, aber da traten ihr auch die Tränen in die Augen, und ihre Laune schlug plötzlich um. Das Dienstmädchen war gerührt, der Freund verließ sie, leb' wohl zum letztenmal! Du brauchst nicht zu gehen, sagte sie, ich mache mir nichts daraus, was Axel glaubt. – Aber jetzt wollte er seinen Vorteil ausnützen, und so verabschiedete er sich. Denn wenn eine Dame so ist wie du, dann absentiere ich mich, sagte er.
Langsam wanderte er von der Gamme weg heimwärts, er pfiff und schwang seinen Stock und tat ganz unbekümmert. Bah! Eine kleine Weile nachher kam Barbro auch heraus und rief ihm ein paarmal nach. Jawohl, er blieb stehen, das tat er, aber er war ein beleidigter Löwe. Sie setzte sich ins Heidekraut und schien ihr Benehmen zu bereuen, sie zerrte an einem Heidekrautbüschel, und allmählich wurde er wieder vernünftiger, ja, er bat sie sogar noch um einen Kuß, zum letzten Abschied, sagte er. – Nein, das wollte sie nicht. – So sei doch so reizend wie das letztenmal! sagte er. Er schwänzelte von allen Seiten um sie herum und ging immer rascher und rascher, um womöglich eine Gelegenheit zu erwischen. Aber sie wollte nicht reizend sein, sie erhob sich, und da stand sie. Da nickte er nur und ging.
Als er außer Sehweite war, trat plötzlich Axel hinter einigen Büschen hervor. Barbro fuhr zusammen und fragte: Wie ist denn das, kommst du von oben herunter? – Nein, ich komme von unten herauf, antwortete er, aber ich habe euch beide hier heraufgehen sehen. – Ach so, wirklich! Ja, davon wirst du fett werden! rief sie auf einmal rasend, sie war auch jetzt ebenso schlechter Laune wie vorher! Was brauchst du da herumzuschnüffeln? Was geht es dich an? – Axel war auch nicht gerade freundlich. – So, er ist also heute auch wieder hier gewesen? – Und wenn auch? Was willst du von ihm? – Was ich von ihm will? Nein, was willst du von ihm? Du solltest dich schämen! – Mich schämen? Sollen wir darüber schweigen, oder sollen wir darüber reden? fragte Barbro nach einer alten Redensart. Ich will nicht wie ein altes Steinbild in deiner Gamme sitzen, daß du es weißt. Warum ich mich schämen sollte? Wenn du eine andere Haushälterin nehmen willst, dann gehe ich meiner Wege. Du brauchst nur deinen Mund zu halten, wenn es nicht schändlich ist, dich überhaupt darum zu bitten. Da hast du meine Antwort. Jetzt werde ich auf der Stelle hineingehen, dir dein Essen anrichten und Kaffee kochen, dann kann ich nachher tun, was ich will.
Unter fortwährendem Zanken ging sie hinein.
Nein, Axel und Barbro waren nicht immer einig. Sie war nun schon zwei Jahre bei ihm, aber es hatte immer ab und zu Streit gegeben, hauptsächlich weil Barbro wieder fort wollte. Er drang in sie, wollte, sie solle für immer dableiben, sich ganz bei ihm niederlassen und seine Gamme und sein Leben mit ihm teilen, er wußte, wie schlimm es wäre, wenn er wieder ohne Hilfe sein müßte, – sie hatte ihm auch schon mehrere Male versprochen, seinen Antrag anzunehmen, ja, in liebevollen Stunden konnte sie sich gar nichts anderes denken, als dazubleiben. Aber sobald sich ein Streit entspann, drohte sie mit dem Fortgehen, und wenn sie auch nichts anderes sagte, als sie wolle in die Stadt und ihre Zähne herrichten lassen, sie fielen ihr sonst aus. Fortgehen, fortgehen! Er mußte sie irgendwie an den Ort fesseln können.
Fesseln? Es klang, als höhne sie einer jeden Fessel. So, du willst auch jetzt fortgehen? sagte er. – Und wenn dem so wäre? versetzte sie. – Kannst du denn reisen? – Kann ich nicht? Du meinst, ich sei in Not, weil es dem Winter zugeht, aber ich kann in Bergen jederzeit eine Stelle bekommen. – Da sagte Axel sehr ruhig: Das kannst du jedenfalls vorderhand nicht! Du sollst doch ein Kind bekommen? – Ein Kind? Nein, von was für einem Kind redest du da? – Axel starrte sie an. War Barbro verrückt geworden?
Etwas anderes war, daß Axel selbst vielleicht etwas zu wenig nachsichtig war: seit er nun diesen Anspruch auf sie hatte, war er mit etwas zu großer Sicherheit aufgetreten; das war unklug, er brauchte ihr ja nicht so oft zu widersprechen und sie zu reizen, es wäre nicht notwendig gewesen, ihr im Frühjahr geradezu zu befehlen, die Kartoffeln zu legen, er hätte sie zur Not allein legen können. Wenn sie erst verheiratet wären, würde schon die Zeit kommen, wo er sich zum Herrn aufwerfen konnte, aber bis dahin mußte er seinen Verstand gebrauchen und nachgeben.
Aber das Schmähliche war eben die Sache mit diesem Kontoristen, dem Eleseus, der mit glatten Redensarten und einem Spazierstock einhergeschlendert kam. War nun das ein Benehmen für ein verlobtes Mädchen in ihrem Zustand! War so etwas überhaupt zu begreifen? Bis jetzt war Axel ohne Nebenbuhler hier gewesen. Ja, so änderte sich die Lage!
Hier sind neue Zeitungen für dich, sagte Axel. Und hier ist eine Kleinigkeit, die ich für dich gekauft habe. Du kannst nun sehen, ob es dir gefällt. – Sie war kalt. Obgleich alle beide kochend heißen Kaffee tranken, antwortete sie eiskalt: Ich wette, es ist ein goldener Ring, den du mir schon seit über einem Jahr versprochen hast.
Da hatte sie sich jedenfalls vergaloppiert, denn es war tatsächlich der Ring. Ein goldener Ring war es allerdings nicht, und einen solchen hatte er ihr auch nie versprochen, daran erinnerte sie sich jetzt: aber es war ein silberner Ring mit zwei vergoldeten Händen darauf, also ein echter karatgestempelter. Aber ach, der unglückselige Aufenthalt in Bergen! Barbro hatte dort richtige Verlobungsringe gesehen, man sollte ihr nur nichts weismachen wollen! – Diesen Ring kannst du selbst behalten, sagte sie. – Was fehlt denn daran? – Was daran fehlt? Nichts fehlt daran, antwortete sie. Damit stand sie auf und begann den Tisch abzuräumen. – Du kannst ja diesen vorläufig haben, später wird sich dann vielleicht auch noch ein anderer finden, sagte Axel. – Darauf erwiderte Barbro nichts.
Übrigens war Barbro an dem Abend recht schlecht. War nicht ein neuer silberner Ring dankenswert? Dieser vornehme Kontorist hatte ihr wohl den Kopf verdreht. Axel konnte sich nicht enthalten, zu sagen, was dieser Eleseus immer hier zu suchen habe. Was will er von dir? – Von mir? – Ja, sieht denn der Mensch nicht, wie es um dich bestellt ist? Sieht er dich denn nicht an? – Barbro stellte sich vor Axel hin und sagte: So, du meinst wohl, du habest mich nun an dich gebunden, aber du sollst sehen, daß das erlogen ist. – So, sagte Axel. – Ja, und du sollst sehen, daß ich auch von hier fortgehe. – Darauf verzog Axel nur den Mund zu einem leichten Lächeln, aber er tat es nicht einmal offen und in die Augen fallend, denn er wollte sie nicht reizen. Dann sagte er beruhigend wie zu einem Kinde: Nun sei einmal artig, Barbro. Du weißt ja, du und ich!
Und natürlich, spät in der Nacht endete es damit, daß Barbro wieder freundlich wurde und sogar mit dem silbernen Ring am Finger einschlief.
O, es würde wohl alles wieder gut werden!
Für die beiden in der Gamme wurde wirklich alles wieder gut, aber für Eleseus war es schlimmer. Es fiel ihm schwer, die Kränkung, die er erlitten hatte, zu überwinden. Da er sich nicht auf Hysterie verstand, glaubte er, er sei aus reiner Bosheit genarrt worden; die Barbro auf Breidablick war ein wenig zu keck gewesen, selbst wenn man mit in Rechnung zog, daß sie in Bergen gewesen war.
Die Photographie hatte er Barbro auf diese Weise zurückgeschickt, daß er sie selbst in einer Nacht zurückbrachte und zu ihr in den Heuboden hineinwarf, wo sie ihre Schlafstelle hatte. – Er hatte es aber durchaus nicht in grober, unhöflicher Form getan, nein, weit entfernt; er hatte lange an der Tür herumgetastet, um sie aufzuwecken, und als sie sich auf den Ellbogen aufrichtete und fragte: Findest du denn heut nacht den Weg nicht herein? hatte diese vertrauliche Frage ihn wie mit einer Nadel oder einen Degen gestochen; aber er hatte nicht geschrien, sondern nur die Photographie hübsch auf den Fußboden hineingleiten lassen. Und dann war er seiner Wege gegangen. Gegangen? Tatsächlich war er nur ein paar Schritte gegangen, dann fing er an zu laufen, zu laufen; er war sehr aufgeregt, ja förmlich lustig, das Herz hämmerte ihm in der Brust; hinter einem Buschwerk hielt er an und schaute zurück, nein sie kam ihm nicht nach! Ach er hatte es halb und halb gehofft! Und wenn sie ihm wenigstens so annähernd Zuneigung gezeigt hätte. Aber zum Kuckuck, dann brauchte er auch nicht so zu laufen, wenn sie ihm nicht auf den Fersen folgte, nur im Hemd und Unterrock, verzweifelt, ja zerschmettert über sich selbst und über die vertrauliche Frage, die nicht für ihn bestimmt gewesen war!
Er wanderte heimwärts, ohne Stock und ohne zu pfeifen, nein, er war kein großer Herr mehr. Ein Stich in die Brust ist keine Kleinigkeit.
Und war es damit zu Ende?
An einem Sonntag ging er wieder hinunter, nur um Ausschau zu halten. Mit einer fast krankhaften unglaublichen Geduld lag er lauernd hinter dem Gebüsch und starrte nach der Hütte hinüber. Als sich endlich Leben und Bewegung zeigte, war es, als sollte er vollends vernichtet werden. Axel und Barbro traten beide aus der Gamme und gingen zusammen in den Stall. Sie waren jetzt zärtlich zueinander, ja sie hatten eine freundliche Stunde, sie gingen Arm in Arm, er wollte ihr wohl im Stall helfen. Sieh einer!
Eleseus betrachtete das Paar mit einer Miene, als habe er alles verloren, als sei er zugrunde gerichtet. Vielleicht dachte er ungefähr so: sie geht Arm in Arm mit Axel Ström, wie sie dazu gekommen ist, weiß ich nicht, einmal hat sie ihre Arme um mich geschlungen. Sie verschwanden im Stall.
Na, meinetwegen! Bah! Sollte er hier im Gebüsch liegen und sich selbst vergessen? Das sollte er wohl tun, sich flach auf die Erde legen und sich so vergessen? Wer war sie? Aber er war der, der er war. O noch einmal Bah!
Er sprang auf und stand aufrecht da. Dann streifte er Blätter und Heidekraut von seinen Hosen und sichtete sich wieder hoch auf. Sein Zorn und sein Übermut traten auf seltsame Art zutage: er war desperat und fing an ein Lied von nicht unbedeutender Leichtfertigkeit anzustimmen. Und wenn er dann die schlimmsten Stellen recht absichtlich viel lauter sang, dann lag auf seinem Gesicht ein inniger Ausdruck.