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Nun ist alles gut.
Isak sät seinen Hafer, eggt ihn und führt die Walze darüber. Leopoldine kommt heraus und will auf der Walze sitzen. Was, auf einer Walze sitzen – sie ist so klein und kennt so was gar nicht, ihre Brüder wissen es besser, es ist ja kein Sitz auf Vaters Walze.
Aber den Vater freut es, daß die kleine Leopoldine zu ihm herkommt und schon so zutraulich ist; er redet mit ihr und sagt, sie müsse vorsichtig auf den Acker treten, damit sie nicht die Schuhe voll Erde bekomme. Ja, und was seh ich, du hast wahrhaftig heute ein blaues Kleid an! Laß mich sehen, ja gewiß, es ist blau. Und einen Gürtel hast du daran und alles miteinander. Kannst du dich an das große Schiff erinnern, auf dem du hergefahren bist? Hast du die Maschine darin gesehen? Ja, jetzt geh nur mit deinen Brüdern hinein, dann spielen sie mit dir.
Seit Oline abgezogen ist, hat Inger ihre alte Arbeit in Haus und Stall wieder übernommen. Sie übertreibt es vielleicht ein wenig mit der Reinlichkeit und Ordnung, um zu zeigen, daß die Dinge jetzt eine andere Art bekommen sollen, und es war auch merkwürdig, welche große Veränderung bald mit allem vorging, sogar die Glasscheiben in der Viehgamme wurden gewaschen und die Stände gescheuert.
Aber das war nur in den ersten Tagen, in der ersten Woche so, dann ließ Inger nach. Eigentlich war es nicht nötig, im Stall alles so blitzblank zu machen, die Zeit konnte besser angewendet werden. Inger hatte in der Stadt viel gelernt, und dieses Wissen sollte ihr nun zugute kommen. Sie nahm wieder Spinnrad und Webstuhl in Gebrauch, und wahrlich, sie war noch geschickter und flinker geworden, etwas zu flink, hui! besonders für Isak, wenn er ihr zusah; er begriff nicht, daß ein Mensch es lernen konnte, so mit seinen Fingern umzugehen, diese langen, hübschen Finger an Ingers großer Hand! Aber mitten drin gab Inger die eine Arbeit auf und machte sich an eine andere. Jawohl, sie hatte jetzt verschiedenes mehr zu besorgen als früher und in größerem Umfang, vielleicht war sie auch nicht ganz so geduldigen Herzens wie einst, etwas Unruhe hatte sich ihr wohl ins Herz geschlichen.
Gleich zuerst waren da die Blumen, die sie mitgebracht hatte, es waren Knollen und Ableger, kleine Leben, an die auch gedacht werden mußte. Die Fenster waren zu klein dafür, die Gesimse zu schmal, man konnte da keine Blumentöpfe aufstellen, sie hatte auch keine Töpfe, und Isak mußte ihr ganz kleine Kästen für Begonien, Fuchsien und Rosen anfertigen. Und überdies genügte auch ein Fenster nicht, was war ein Fenster für eine ganze Stube!
Und außerdem, sagte Inger, habe ich auch kein Bügeleisen. Ich sollte ein Bügeleisen zum Plätten haben, wenn ich Kleider und Anzüge nähe, niemand kann im Nähen etwas Ordentliches leisten, wenn er nicht eine Art Plätteisen hat.
Isak versprach, den Schmied im Dorfe zu veranlassen, ein recht gutes Bügeleisen zu schmieden. O, Isak wollte alles tun, wollte immer nur tun, was Inger verlangte; denn das merkte er wohl, Inger hatte sehr viel gelernt und war außerordentlich tüchtig geworden. Auch ihre Sprache war eine andere geworden, eine bessere, gewähltere. Sie rief ihn jetzt nie mehr mit den alten Worten: Komm herein und iß! sondern sie sagte: Bitte zum Essen! Alles war anders geworden. In den alten Tagen hatte er höchstens gesagt: Ja, und noch eine gute Weile weitergearbeitet, ehe er hineinging. Jetzt antwortete er: Ja, danke, und kam sofort. Die Liebe macht den Klugen dumm, manchmal antwortete Isak: Danke, danke! Ja, gewiß war alles anders geworden, aber wurde es nicht allmählich ein wenig zu vornehm? Wenn Isak in der Muttersprache der Landwirtschaft redete und Mist sagte, sagte Inger Dung, der Kinder wegen.
Sie war sehr sorgfältig mit den Kindern, unterrichtete sie in allem und brackte sie vorwärts; die kleinwinzige Leopoldine machte Fortschritte im Häkeln und die Buben im Schreiben und in anderen Schulfächern, sie würden also nicht ganz unvorbereitet in die Dorfschule kommen. Besonders Eleseus war recht tüchtig geworden, der kleine Sivert dagegen war, geradeheraus gesagt, nichts Besonderes, nur ein Spaßvogel, ein Wildfang, er wagte es sogar, an der Nähmaschine seiner Mutter ein wenig zu drehen und hatte mit seinem Taschenmesser auch schon am Tisch und an den Stühlen herumgeschnitzelt. Jetzt war ihm schon mit der Wegnahme des Taschenmessers gedroht worden.
Übrigens hatten die Kinder alle Tiere des Hofes zur Unterhaltung, und Eleseus hatte außerdem noch seinen farbigen Bleistift. Er gebrauchte ihn sehr vorsichtig und lieh ihn dem Bruder nur höchst ungern; mit der Zeit waren indes alle Wände mit Zeichnungen bedeckt und der Bleistift wurde bedenklich kleiner. Schließlich sah sich Eleseus gezwungen, Sivert auf Ration zu setzen und ihm den Bleistift nur noch am Sonntag zu einer Zeichnung zu leihen. Das war nun nicht nach Siverts eigenem Wunsch, aber Eleseus war nicht der Mann, der sich etwas abhandeln ließ. Nicht gerade, weil Eleseus der Stärkere gewesen wäre, aber er hatte längere Arme und konnte sich bei Streitigkeiten besser herauswinden.
Aber dieser Sivert! Ab und zu fand er ein Schneehuhnnest im Walde, einmal redete er von einem Mäusenest und machte sich groß damit, wieder einmal faselte er von einer Forelle im Fluß, die so groß sei wie ein Mensch; aber es war die reine Erfindung von ihm, er war nicht ganz frei davon, zu schwarz weiß zu sagen, aber sonst war er ein guter Kerl. Als die Katze Junge bekam, war er es, der ihr Milch brachte, weil sie Eleseus zu wütend anzischte, und Sivert wurde nicht müde, in die unruhige Kiste hineinzuschauen, diese Heimstätte, wo es von kleinen Pfoten wimmelte.
Und dann die Hühner, die er täglich beobachtete! Da war der große Hahn mit seinem Kamm und seiner Federnpracht, die Hühner, die umherliefen und gackerten und Sand aufpickten und nach dem Eierlegen plötzlich ungeheuer verletzt zu schreien anfingen. Da war auch der große Widder. Der kleine Sivert war jetzt im Vergleich zu früher sehr belesen, konnte aber doch nicht von dem Widder sagen: Gott, welch eine römische Nase er hat! Nein, das konnte er nicht. Aber Sivert konnte das, was besser war: er kannte den Widder von klein auf, wo er noch ein kleines Lamm gewesen war; er liebte ihn und war eins mit ihm, wie mit einem Verwandten, einem Mitgeschöpf. Einmal war ein geheimnisvoller Ureindruck durch seine Sinne geflattert, und das war ein Augenblick, den Sivert nie mehr vergaß. Der Widder war draußen auf der Wiese und weidete, plötzlich warf er den Kopf zurück und fraß nicht mehr, blieb nur stehen und starrte geradeaus. Sivert sah unwillkürlich in dieselbe Richtung. – Nein, nichts Merkwürdiges! Aber da fühlte Sivert etwas Merkwürdiges in seinem Innern. Es ist fast, als sehe er in den Garten Eden hinein! dachte Sivert.
Von den Kühen hatten die Kinder auch jeder zwei für sich, große, schwer schreitende Tiere, gutmütige, freundliche Tiere, die sich von den kleinen Menschenkindern jeden Augenblick einholen und streicheln ließen. Dann war da das Schwein, weiß und peinlich sauber mit seiner Person, wenn es gut gehalten wurde, das auf jeden Ton horchte, ein Komiker, gierig auf sein Futter aus, dabei kitzlig und scheu wie ein junges Mädchen. Und dann der Bock – es war immer ein alter Ziegenbock auf Sellanraa; wenn der eine das Leben lassen mußte, rückte ein anderer an seine Stelle. Aber etwas so Bockmäßiges im Gesicht wie ein Bock! Gerade in diesen Tagen hatte er auf sehr viele Geißen aufzupassen; bisweilen jedoch wurde er seiner ganzen Gesellschaft überdrüssig und legte sich, grüblerisch und langbärtig wie er war, auf den Boden, ein Vater Abraham! Und dann plötzlich richtete er sich wieder auf die Knie auf und trottete den Geißen nach. Wo er ging, hinterließ er eine Wolke von scharfem Geruch.
Das tägliche Leben auf dem Hofe geht weiter. Wenn ein seltenes Mal ein Wanderer, der über das Gebirge will, vorbei kommt und fragt: Und euch geht es wohl gut? Da antwortet Isak und antwortet Inger: Ja, danke für die Nachfrage!
Isak schafft und schafft, und für jede einzelne Arbeit zieht er den Kalender zu Rat, er gibt auf den Mondwechsel acht und richtet sich nach den Wetterzeichen, schafft, schafft.
Nun hat er ja durch das Ödland einen einigermaßen ordentlichen Weg hergestellt, so daß er mit Wagen und Pferd bis ins Dorf hinunter fahren kann, aber meist geht er lieber schwerbeladen zu Fuß, und da trägt er dann Ziegenkäse oder Felle oder Birkenrinde, Butter und Eier, lauter Waren, die er verkauft und für die er andere Waren einholt. Nein, im Sommer fährt er nicht oft, weil der Weg von Breidablick bis vollends hinunter sehr schlecht ist. Er hat Brede Olsen aufgefordert, beim Herstellen des Weges mit Hand anzulegen, und Brede hat es wohl auch versprochen, aber nie Wort gehalten. Nun will Isak ihn nicht noch einmal darum bitten. Lieber trägt er schwere Lasten auf seinem Rücken. Inger sagt dann: Ich verstehe gar nicht, wie du das kannst! Du hältst alles aus! Ja, er hielt alles aus. Er hatte Stiefel, die waren so abenteuerlich dick und schwer, unter den Sohlen ganz mit Eisen beschlagen, sogar die Schnürriemen waren mit Nietnägeln angeheftet – schon das, daß ein Mann in solchen Stiefeln gehen konnte, war etwas Merkwürdiges!
Als er nun wieder einmal ins Dorf hinuntergeht, trifft er an mehreren Stellen kleine Gruppen von Arbeitern. Sie mauern steinerne Grundpfeiler ein und stellen Telegraphenstangen auf. Die Leute sind teilweise aus der Gemeinde, Brede Olsen ist auch dabei, obgleich er sich hier niedergelassen hat, um Ackerbau zu treiben. Daß er Zeit übrig hat! denkt Isak.
Der Aufseher fragt Isak, ob er Telegraphenstangen verkaufen wolle. – Nein. – Auch nicht gegen gute Bezahlung? – Nein. – O Isak ging es jetzt rascher von der Hand, er konnte nun schneller antworten. Wenn er jetzt Stangen verkaufte, bekam er nur etwas mehr Geld, einige Taler mehr, aber er hatte keinen Wald mehr, was für ein Vorteil war dann dabei? Nun kommt der Ingenieur selbst herbei und wiederholt sein Verlangen; aber Isak schlägt es auch ihm ab. – Wir haben Stangen genug, sagt der Ingenieur, aber es wäre uns nur bequemer, sie in deinem Walde zu holen und die lange Herbeischaffung zu sparen. – Ich habe selbst zu wenig Stangen und Stämme, erwiderte Isak, ich wollte mir übrigens ein kleines Sägewerk einrichten, denn ich habe keine Scheune und keine Wirtschaftsgebäude.
Jetzt mischt Brede Olsen sich darein und sagt: Wenn ich du wäre, würde ich die Stangen verkaufen, Isak. – Da blitzten die Augen des geduldigen Isak Brede wahrhaftig scharf an, und er erwiderte: Ja, das glaube ich schon. – Wieso? fragte Brede. – Aber ich bin eben nicht du, sagte Isak.
Einige von den Arbeitern kicherten ein wenig über diese Antwort.
Jawohl, Isak hatte einen besonderen Grund, seinen Nachbarn etwas zurückzuweisen, gerade heute hatte er nämlich drei Schafe auf Breidablicks Grundstück gesehen, und das eine davon hatte Isak wiedererkannt, das mit den flachen Ohren, das Oline im Tauschhandel weggegeben hatte. Meinethalben mag Brede das Schaf behalten, dachte er da und ging seines Weges weiter, meinethalben können Brede und seine Frau sich an dem Schaf bereichern!
Und ganz richtig. Das Sägewerk hatte er auch immer im Kopf. O ja, schon im Winter, als der Boden fest war, hatte er die große Kreissäge und die notwendigen Beschläge, die ihm der Kaufmann von Drontheim hatte kommen lassen, heraufgeschafft. Nun lagen diese Maschinenteile mit Leinöl bestrichen, um sie gegen Rost zu schützen, in seinem Schuppen. Einige von den Balken zum Sperrwerk hatte er auch schon herbeigefahren, er hätte mit dem Ausrichten des Gebäudes jeden Tag anfangen können, schob es aber noch hinaus. Was war das? Er begriff es nicht, nahmen seine Kräfte etwa allmählich ab? Andere würden sich nicht darüber wundern, aber ihm selbst kam es ganz unglaublich vor. War er schwindlig geworden? Früher war er vor keiner Arbeit zurückgescheut, hatte er sich denn verändert, seit er das Mahlhaus über einem ebenso großen Wasserfall errichtet hatte? Er konnte sich ja Hilfe vom Dorf nehmen, aber nun wollte er es erst einmal wieder allein versuchen und in den nächsten Tagen damit anfangen; Inger sollte ein wenig mit Hand anlegen.
Er sprach mit Inger darüber. Hm, sagte er, wenn du einmal ein paar Stunden Zeit übrig hast, könntest du mir bei dem Sägewerk helfen. – Inger überlegte. Ja, wenn ich es einrichten kann, sagte sie. So, du willst ein Sägewerk bauen? – Ja, das ist meine Absicht. Ich habe es mir jetzt genau überlegt. – Ist es schwieriger als das Mahlhaus? – Viel schwieriger, zehnmal schwieriger, prahlte er. Was denkst du denn? Da muß alles bis aufs aller-aller-genaueste ineinander passen, und die große Kreissäge muß in der Mitte laufen. – Wenn du es nur zustande bringst, Isak, entgegnete Inger in ihrer Gedankenlosigkeit. – Isak fühlte sich von diesen Worten gekränkt und erwiderte: Das wird sich ja zeigen. – Kannst du nicht einen in dieser Sache kundigen Mann zur Hilfe nehmen. – Nein.– Nun, dann wirst du es auch nicht zustande bringen, sagte sie und hielt nicht mit ihrer Meinung zurück.
Isak hob langsam die Hand an seinen Kopf, es war, als hebe ein Bar die Tatze auf. – Gerade das fürchte ich ja, daß ich es nicht fertig bringe, sagte er, deshalb sollst du, die es versteht, ja auch Hand mit anlegen, sagte er. – Jawohl, da hatte der Bär getroffen, aber er errang keinen Sieg damit. Inger warf den Kopf zurück, wurde widerspenstig und schlug es ab, beim Sägewerk zu helfen. – So, sagte Isak. – Ja, soll ich vielleicht im Fluß stehen und meine Gesundheit aufs Spiel setzen? Und wer soll mit der Maschine nähen und das Vieh und den Haushalt und alles miteinander versorgen? – Nein, nein, sagte Isak.
Ach, aber es handelte sich ja nur um die vier Eckbalken und die zwei Mittelbalken auf den beiden Langseiten, nur dazu hätte sie ihm helfen sollen, sonst zu nichts! War denn Inger im tiefsten Innern während ihres langen Stadtlebens so zimperlich geworden?
Jawohl, Inger hatte sich sehr verändert und dachte nicht mehr beständig an ihr gemeinsames Beste, sondern an sich selbst. Wohl hatte sie Kartätschen und Spinnrad und Webstuhl wieder in Gebrauch genommen, aber sie saß viel lieber an ihrer Nähmaschine, und als der Schlosser ihr ein Bügeleisen geschmiedet hatte, war sie fertig ausgerüstet, um sich im Schneidern als regelrecht ausgebildet zu zeigen. Das war ihr Beruf. Zuerst nähte sie ein paar Kleider für die kleine Leopoldine. Isak gefielen sie, und er lobte sie vielleicht ein wenig zu sehr; Inger deutete an, das sei noch gar nichts im Vergleich zu dem, was sie könne. – Aber sie sind zu kurz, sagte Isak. – So werden sie in der Stadt getragen, sagte Inger, das verstehst du eben nicht. – Isak war also zu weit gegangen, und er stellte Inger dafür ein Stück Tuch zu eigenem Gebrauch in Aussicht. – Tuch zu einem Mantel? fragte Inger.– Ja, oder wozu du es sonst willst. – Inger entschied sich zu Tuch für einen Mantel und beschrieb Isak, wie es sein sollte.
Aber als sie den Mantel fertig hatte, mußte sie auch jemand haben, dem sie sich darin zeigen konnte; sie begleitete deshalb die beiden Jungen ins Dorf, als sie dort in die Schule gebracht wurden. Und diese Reise war nicht von geringem Nutzen, sie hinterließ Spuren.
Zuerst kamen sie an Breidablick vorüber, da kam die Frau mit ihren Kindern heraus und starrte die Vorüberfahrenden an. Inger und ihre beiden kleinen Jungen saßen auf dem Wagen, und sie fuhren wie Herrenleute, die beiden Jungen kamen wahrhaftig in die Schule, und Inger hatte einen Tuchmantel an! Bei diesem Anblick ging der Frau auf Breidablick ein Stich durchs Herz, den Mantel konnte sie entbehren, sie war gottlob nicht eitel, aber sie hatte selbst Kinder, das große Mädchen Barbro, Helge, den Zweitältesten, und Katrine, alle schulpflichtig. Natürlich waren die beiden älteren im Dorf schon in der Schule gewesen, aber als die Familie aufs Moor und auf dieses abgelegene Breidablick heraufzog, mußten ja die Kinder wieder Heiden werden.
Hast du Lebensmittel für deine Buben mit? fragte die Frau. – Lebensmittel, jawohl. Siehst du die Kiste da nicht? Das ist mein Reisekoffer, den ich mitgebracht habe, und der ist ganz mit Lebensmitteln angefüllt. – Was hast du mitgenommen? – Was ich mitgenommen habe? Speck und Fleisch fürs Mittagessen und Butter und Brot und Käse für die anderen Mahlzeiten. – Ja, ihr habt es großartig da droben, sagte die Frau, und ihre armen bleichwangigen Kinder sperrten Augen und Ohren auf, als diese herrlichen Sachen aufgezählt wurden. – Wo willst du sie unterbringen? fragte die Frau weiter. – Beim Schmied. – So, sagte die Frau. Ja, die meinigen sollen jetzt auch wieder in die Schule, und sie werden beim Lensmann wohnen. – So, sagte Inger. – Ja, oder beim Doktor oder beim Pfarrer. Brede ist eben mit allen den Großen so gut bekannt, daher kommt es. – Da strich Inger ihren Mantel zurecht und schob etliche schwarzseidene Fransen vorteilhaft hervor. – Wo hast du den Mantel gekauft? fragte die Frau. Hast du ihn mitgebracht? – Ich habe ihn selbst genäht. – Ja, es ist, wie ich sage, ihr da droben sitzt bis über die Ohren in Geld und Herrlichkeit.
Als Inger weiterfuhr, war ihr froh zumute, und sie war recht hochmütig, und als sie ins Dorf kam, ließ sie das ein wenig zu sehr hervortreten, jedenfalls nahm die Frau Lensmann Heyerdahl Ärgernis daran, daß sie in einem Mantel ankam. Sie sagte, die Frau auf Sellanraa vergesse offenbar, wer sie sei, ob sie denn vergessen habe, woher sie nach sechsjähriger Abwesenheit gekommen war? Aber Inger hatte nun jedenfalls ihren Mantel gezeigt, und weder die Frau des Kaufmanns noch die Frau des Schmieds noch die Frau des Schullehrers würden etwas dagegen gehabt haben, wenn sie selbst einen solchen Mantel besessen hätten; aber kommt Zeit, kommt Rat.
Es dauerte gar nicht lange, bis Inger Kundschaft bekam. Einige Weiber von der andern Seite des Gebirges kamen aus Neugier. Oline hatte wohl gegen ihren Willen allerlei von Inger erzählt, und die nun kamen, brachten Nachrichten von Ingers Heimatort mit; dafür wurde ihnen aufgewartet, und sie durften die Nähmaschine sehen. Junge Mädchen kamen zu zwei und zwei von der Gemeinde an der Küste herauf und berieten sich mit Inger: es war Herbst, sie hatten zu einem neuen Kleid gespart, und nun konnte ihnen Inger über die Mode in der Welt draußen Auskunft geben, ja ab und zu auch den Stoff zuschneiden. Bei diesen Besuchen lebte Inger auf, sie blühte förmlich, war freundlich und hilfreich und dabei so tüchtig in ihrem Fach, daß sie aus freier Hand zuschneiden konnte; bisweilen nähte sie auch lange Säume auf ihrer Maschine ganz umsonst und gab dann den jungen Mädchen den Stoff zurück mit den herrlich scherzhaften Worten: So, die Knöpfe kannst du jetzt selbst annähen!
Später, im Herbst, wurde Inger sogar gebeten, ins Dorf herunterzukommen und für die Großen zu nähen. Aber das konnte sie nicht, sie hatte ihre Familie und das Vieh und die häuslichen Pflichten, und sie hatte kein Dienstmädchen. Was hatte sie nicht? Ein Dienstmädchen!
Sie sagte zu Isak: Wenn ich eine Hilfe hätte, könnte ich ruhiger an meiner Näharbeit bleiben. – Isak verstand nicht, was sie meinte. Hilfe? fragte er. – Ja, Hilfe im Hause, ein Dienstmädchen. – Da drehte sich wohl alles im Kreise vor Isak, denn er lachte ein wenig in seinen roten Bart und hielt es für Spaß: Jawohl, wir sollten ein Dienstmädchen haben, sagte er. – Das haben alle Hausfrauen in der Stadt, versetzte Inger. – Ach so, sagte Isak.
Seht, er war vielleicht nicht besonders froh und freundlich gestimmt, nicht gut aufgelegt, denn nun hatte er mit dem Bau seines Sägewerks angefangen, und es war nicht schnell vorwärts gegangen; er konnte nicht mit der einen Hand den Pfosten halten, ihn mit der andern wagerecht leiten und zugleich die Schräghölzer befestigen. Aber als dann die Jungen wieder von der Schule heimkamen, ging es besser, die guten Jungen waren ihm eine große Hilfe. Sivert besonders war merkwürdig gewandt beim Einschlagen der Nägel, aber Eleseus war tüchtiger beim Loten mit der Schnur. Nach Verlauf von einer Woche hatten Isak und die Jungen wirklich die Pfosten aufgerichtet und mit Schräghölzern so dick wie Balken fest befestigt. Eine große Arbeit war bewältigt.
Es ging – alles ging. Aber woher es auch kommen mochte, Isak war jetzt an den Abenden oft müde. Es handelte sich ja nicht nur darum, ein Sägewerk zu bauen und damit Punktum, alles andere mußte auch getan werden. Das Heu war unter Dach, aber das Korn stand noch draußen und färbte sich allmählich golden, bald mußte es geschnitten und untergebracht werden, und auch die Kartoffelernte stand vor der Tür. – Aber Isak hatte eine ausgezeichnete Hilfe an seinen Jungen. Er bedankte sich indes nicht bei ihnen, das war nicht Sitte unter Leuten wie er und die Seinen, aber er war ungeheuer zufrieden mit ihnen. Ab und zu, jedoch nur selten einmal, setzten sie sich wohl auch mitten in der Arbeit zusammen und unterhielten sich miteinander, und da konnte der Vater sich im Ernst mit den Jungen darüber beraten, was sie zuerst und was nachher tun wollten. Das waren stolze Augenblicke für Eleseus und Sivert, und sie lernten dabei wohl zu überlegen, ehe sie redeten, um nicht unrecht zu bekommen. – Es wäre doch schlimm, wenn wir das Sägewerk nicht unter Dach brächten, ehe die Herbststürme einsetzen, sagte der Vater.
Wenn nur Inger noch wie in den alten Tagen gewesen wäre! Aber Ingers Gesundheit war wohl eben leider nicht mehr so gut wie früher, was ja auch nach der langen Einsperrung nicht anders zu erwarten war. Daß ihr Sinn sich verändert hatte, war eine Sache für sich, ach, sie war jetzt so viel weniger nachdenklich, war gleichsam oberflächlicher, leichtsinniger. Von dem Kinde, das sie umgebracht hatte, sagte sie: Ich bin eine recht dumme Person gewesen, wir hätten sie operieren und ihren Mund zunähen lassen können, dann hätte ich nicht nötig gehabt, sie zu erwürgen. Und niemals ging sie hinaus in den Wald an ein kleines Grab, wo sie einstmals die Erde mit den Händen zusammengescharrt und ein kleines Kreuz darauf gesetzt hatte.
Aber Inger war keine unmenschliche Mutter, sie sorgte treulich für ihre anderen Kinder, hielt sie in Ordnung, nähte für sie und konnte bis spät in die Nacht hinein aufsitzen, um ihre Kleider zu flicken. Es war ihr höchster Traum, daß etwas Rechtes aus ihnen werden sollte.
Dann wurde das Korn eingefahren, dann wurden die Kartoffeln herausgehackt und dann wurde es Winter. Ach nein, das Sägewerk kam nicht unter Dach im Herbst! Aber da war nun nichts zu machen, es ging ja auch nicht ums Leben, und bis zum Sommer kam wohl Zeit und Rat.