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15

Im ganzen genommen wurde das ein merkwürdiger Abend, ein Wendepunkt; Inger, die seit langer Zeit neben dem Geleise hergegangen war, war durch ein einziges Aufheben vom Boden wieder auf den richtigen Platz gekommen. Keines von ihnen sprach von dem Geschehenen; Isak hatte sich später wegen dieses Talers, der ja nicht viel Geld war, und den er doch herausgeben mußte, weil er selbst ihn dem Eleseus gönnte, geschämt. Und gehörte der Taler nicht überdies ebensogut Inger wie ihm? Es kam eine Zeit, da Isak der Demütige war.

Es kamen allerhand Zeiten; Inger hatte also wieder ihren Sinn geändert. Ja, sie änderte sich wieder, gab allmählich ihre Vornehmtuerei auf und wurde wieder eine ernste und herzliche Frau auf einer Ansiedlung. Daß die Fäuste eines Mannes so Großes ausrichten konnten! Aber so sollte es sein, es handelte sich hier um ein starkes tüchtiges Frauenzimmer, das ein langer Aufenthalt in künstlicher Luft verwirrt gemacht hatte – sie stieß nach dem Manne, der aber zu fest auf seinen Füßen stand. Er hatte seinen natürlichen Platz auf der Erde, auf seinem Grund und Boden, nicht einen Augenblick verlassen. Er konnte nicht weggeschoben werden.

Es kamen vielerlei Zeiten; im nächsten Jahr herrschte wieder Trockenheit, und wahrlich, sie verminderte die Ernte und zehrte am Mut der Menschen. Das Korn auf dem Felde verbrannte, die Kartoffeln jedoch – die merkwürdigen Kartoffeln – wurden nicht versengt, sondern blühten, blühten. Die Wiesen sahen allmählich grau aus, aber die Kartoffeln blühten. Eine höhere Macht leitete alle Dinge, aber die Wiesen fingen an grau zu werden.

Da, eines Tages erschien Geißler, der frühere Lensmann Geißler, endlich kam er wieder. Es war wirklich seltsam, daß er nicht tot war, sondern wieder auftauchte. Warum kam er wohl?

Diesmal hatte Geißler allerdings kein großes Gepäck und allerlei Dokumente über Gebirgskäufe und so weiter bei sich, er war im Gegenteil recht einfach gekleidet, sein Haar und Bart waren ergraut und seine Augen rot umrändert. Er brachte niemand mit, der ihm seine Sachen trug, er hatte nur eine Tasche mit Schriftstücken und nicht einmal einen Reisesack bei sich.

Guten Tag! sagte Geißler.

Guten Tag! erwiderten Isak und Inger. Seid Ihr wieder auf Reisen?

Geißler nickte.

Und ich danke auch für den Besuch in Drontheim! fügte Inger noch hinzu.

Dazu nickte auch Isak und sagte: Ja, wir beide sagen schönen Dank dafür.

Aber Geißler hatte die Gewohnheit, nicht nur Herz und Gefühl zu zeigen, er sagte gleich: Ich will übers Gebirge nach Schweden hinüber.

Obgleich die Leute auf dem Hofe wegen der Trockenheit niedergedrückt waren, wurden sie durch Geißlers Besuch doch aufgeheitert; sie bewirteten ihn reichlich. Es war eine große Freude für sie, ihn herzlich aufnehmen zu können, er hatte ihnen ja so viel Gutes getan.

Geißler selbst war nicht niedergedrückt; er redete sofort von allem Möglichen, sah auf die Felder hinaus und nickte; oh, er war noch immer ganz aufrecht und sah aus, als habe er mehrere hundert Taler bei sich. Mit ihm kam Leben und Aufmunterung ins Haus; nicht daß er gelärmt hätte, aber er führte eine lebhafte Unterhaltung.

Ein herrlicher Ort, dieses Sellanraa! sagte er. Und jetzt ziehen immer mehr Leute hier herauf, Isak, fünf Ansiedlungen hab ich gezählt, oder sind es noch mehr? Sieben im ganzen, die beiden andern kann man vom Weg aus nicht sehen.

Sieben Höfe, sagen wir fünfzig Menschen. Die Umgebung hier wird allmählich dicht bebaut. Habt ihr nicht auch schon eine Schulgerechtigkeit und eine Schulstube?

Doch.

Das habe ich gehört. Ein Schulhaus auf Bredes Grundstück, weil das mehr in der Mitte liegt. Also, Brede ist ein Ansiedler geworden! Geißler lachte verächtlich. Von dir habe ich reden hören, Isak, du bist der Meister hier. Das freut mich. Du sollst ja jetzt auch ein Sägewerk haben?

Ja, so wie es eben ist. Aber ich fahre gut dabei. Und ich habe auch schon öfters einen Balken für die da unten gesägt.

So soll es sein!

Es würde mich freuen, zu hören, was Ihr darüber sagt, Herr Lensmann, wenn Ihr mitgehen und das Sägewerk ansehen wolltet.

Geißler nickte, wie wenn er ein Fachmann wäre, und sagte, das wolle er gerne tun, ja er werde sich das Sägewerk ansehen und alles genau betrachten. Er fragte: Du hast doch zwei Jungen, wo ist denn der andere? In der Stadt? Auf einem Bureau? Hm! sagte Geißler. Aber dieser dort sieht aus wie ein Prachtkerl! Wie heißt du?

Sivert.

Und der andere?

Eleseus.

Auf so einem Ingenieurbureau ist er? Was lernt er denn dort? Das ist nur Hungerleiderei. Er hätte zu mir kommen können, sagte Geißler.

O ja, versetzte Isak nur, um sich höflich zu zeigen. Geißler tat ihm leid. O der gute Geißler sah nicht aus, als könne er sich jetzt fremde Hilfe halten, er hatte es vielleicht jetzt allein schwer genug, sein Rock war ja an den Handgelenken geradezu ausgefranst.

Möchtet Ihr nicht ein Paar trockene Strümpfe anziehen? fragte Inger, indem sie ein Paar von ihren eigenen neuen herbeibrachte, ein Paar gereifelte und dünne aus ihren eigenen vornehmsten Tagen.

Nein, danke, sagte Geißler kurz, obgleich er gewiß triefend nasse Füße hatte.

Er hätte lieber zu mir kommen sollen, sagte er von Eleseus. Ich könnte ihn sehr notwendig brauchen, sagte er, indem er eine kleine silberne Tabaksdose aus der Tasche zog und damit spielte. Das war vielleicht das einzige Prachtstück, das er von früher her noch besaß.

Aber er hatte keine rechte Ruhe und hielt sich nicht lange bei einem Gegenstand auf. Die silberne Dose wurde wieder eingesteckt, und er fing von etwas Neuem an. Aber wie grau doch die Wiese da draußen aussieht! Vorhin dachte ich, es sei der Schatten. Warum muß denn der Boden hier verbrennen? Komm einmal mit mir, Sivert!

Rasch stand er von dem gedeckten Tisch auf, wendete sich der Tür zu, dankte Inger für das Essen und verschwand. Sivert ging mit ihm.

Sie gingen nach dem Fluß. Geißler spähte die ganze Zeit mit klugen Augen umher; plötzlich blieb er stehen und sagte: Hier! Und dann erklärte er: Es geht durchaus nicht an, daß ihr den Boden verbrennen laßt, wenn ihr doch einen allmächtigen Fluß habt, wo ihr Wasser holen könnt. Morgen soll die Wiese wieder grün sein.

Der erstaunte Sivert sagte nur: Ja.

Jetzt hebst du hier schräg herunter einen mäßigen Graben aus, der Boden ist eben, und am Einlauf machen wir eine Rinne. Da ihr eine Sägemühle habt, habt ihr wohl auch ein paar lange Bretter? Gut! Hol Hacke und Spaten und fang hier an, ich komme gleich wieder und stecke die Linie ordentlich ab.

Er lief wieder ins Haus hinein, es quietschte in seinen Stiefeln, so naß waren sie. Er stellte Isak bei den Holzrinnen an; er müsse viele Rinnen machen, und sie müßten da und dort, wo der Boden nicht durch einen Graben aufgerissen werden dürfe, gelegt werden. Isak versuchte einzuwenden, daß das Wasser vielleicht nicht bis dahin dringen würde, es sei ein sehr weiter Weg, der trockene Boden werde es aufsaugen, ehe es bis an die versengten Stellen gelange. Geißler erklärte, ja, es werde wohl eine Weile dauern, die Erde werde zuerst tüchtig aufschlucken, aber dann werde die Feuchtigkeit weiter gehen. – Morgen um diese Zeit werden Acker und Wiese wieder grün sein! – So, sagte Isak und nagelte aus Leibeskräften Rinnen zusammen.

Geißler ging zu Sivert zurück. So ist's recht, sagte er, mach nur so weiter, ich habe gleich gesehen, daß du ein Prachtkerl bist! Die Linie muß nach diesen Pflöcken laufen. Triffst du auf große Steine oder Felsblöcke, so weich aus, aber bleib in der gleichen Höhe. Verstehst du, in derselben Höhe!

Wieder ging's zurück zu Isak. Jetzt hast du eine Rinne fertig, aber wir brauchen sechs. Spute dich, Isak, morgen wird alles grün sein, und deine Ernte ist gerettet!

Geißler setzte sich auf den Hügel, legte beide Hände auf die Knie und war entzückt; er plauderte, blitzschnell kamen ihm die Gedanken. Hast du Pech, hast du Werg? Das ist ausgezeichnet, alles hast du. Denn im Anfang werden ja die Rinnen lecken, dann aber ziehen sie an und werden so dicht wie Flaschen. Du sagst, du habest Werg und Pech vom Boot bauen, nun, wo ist das Boot? Droben im Gebirgssee? Das will ich mir auch ansehen.

O, der Geißler versprach so viel! Er war ein flüchtiger Herr und war noch unruhiger geworden als früher, alles mußte bei ihm sozusagen im Sprung geschehen. Aber dann ging es auch im Sturm. Er war nicht ohne Überlegenheit. Natürlich war er zu Übertreibungen geneigt. Acker und Wiese konnten unmöglich über Nacht grün werden; aber Geißler war rasch im Erfassen und Beschließen, wenn die Ernte auf Sellanraa gerettet wurde, war es wirklich diesem merkwürdigen Mann zu verdanken.

Wie viele Rinnen hast du jetzt? Das ist zu wenig. Je mehr Holzrinnen du hast, desto glatter läuft das Wasser. Wenn du zehn bis zwölf zehn Ellen lange Rinnen zusammennagelst, so fährst du gut dabei. Was sagst du, du habest zwölf Ellen lange Bretter? Dann nimm sie, es bezahlt sich bis zum Herbst.

Danach hatte Geißler wieder keine Ruhe mehr. Er stand auf und lief abermals zu Sivert hinüber. Großartig, Sivert, jetzt geht's gut! Dein Vater hämmert die Rinnen zusammen und dichtet sie, wir bekommen mehr, als ich mir zuerst dachte, geh jetzt und hole die Rinnen, wir wollen anfangen!

Den ganzen Nachmittag herrschte ein großes Gehetze, das war die tollste Arbeit, die Sivert je mitgemacht hatte, ein ihm ganz unbekanntes Tempo. Sie gönnten sich keine Zeit, zum Essen hinein zu gehen. Aber jetzt lief das Wasser! Da und dort mußten sie tiefer graben, da und dort mußte eine Rinne gehoben oder tiefer gelegt werden, aber das Wasser lief! Bis zum späten Abend gingen die drei Männer umher, verbesserten und förderten ihre Arbeit und waren ernsthaft davon erfüllt; und als die Flüssigkeit anfing, über die ausgetrockneten Stellen hinzurieseln, blitzte ein heller Freudenstrahl in den Herzen der Hofbewohner auf.

Ich habe meine Uhr vergessen, wieviel Uhr ist es denn? fragte Geißler. Ja, grün, morgen um diese Zeit! sagte er.

Sogar in der Nacht stand Sivert auf und sah nach der Wasserleitung. Er begegnete seinem Vater, der zu demselben Zweck draußen war. Ach Gott, welche Spannung und welches Ereignis im Ödland!

Aber am nächsten Tag lag Geißler lange zu Bett und war schlaff; der Eifer hatte ihn verlassen. Er hatte keine Lust, das Boot droben anzusehen, und nur weil er sich schämte, ging er wenigstens nach dem Sägewerk. Nicht einmal für die Wasserleitung hatte er noch dasselbe Interesse. Als er sah, daß weder Acker noch Wiese über Nacht grün geworden waren, verlor er den Mut; er dachte nicht daran, daß das Wasser immer weiter lief und sich immer weiter ausbreitete. Doch hielt er sich einigermaßen aufrecht, und so sagte er: Möglicherweise kann es bis morgen dauern, ehe du den Erfolg siehst, aber du darfst den Mut nicht verlieren.

Gegen Abend kam Brede Olsen dahergeschlendert. Er brachte Gesteinsproben mit, die er Geißler zeigen wollte. Sie sind meiner Ansicht nach außerordentlich merkwürdig, sagte er. – Aber Geißler wollte Bredes Steine nicht sehen. Treibst du auf diese Weise Ackerbau hier, indem du herumläufst und Reichtümer entdecken willst? fragte er höhnisch. – Brede hatte indes keine Lust mehr, von seinem früheren Lensmann Zurechtweisungen hinzunehmen, er gab es ihm tüchtig heim, fing an ihn zu duzen und sagte: Ich kümmere mich nicht um dich! – Du tust ja heute noch nichts Rechtes, treibst nichts als Lappalien, versetzte Geißler. – Und du etwa? sagte Brede. Was hast denn du diese ganze Zeit über getan? Du hast einen Berg da droben gekauft, der gar nichts wert ist und nur so daliegt. Hehe, ja du bist mir der Rechte, du! – Mach, daß du fortkommst! sagte Geißler. – Und Brede hielt sich auch nicht länger auf, er hob seinen kleinen Sack auf die Schulter und kehrte ohne Abschied in sein Nest zurück.

Geißler setzte sich wieder, blätterte in einigen Papieren und dachte eifrig nach. Es war, als habe er Blut geleckt und wolle nun nachsehen, wie es sich mit dem Kupferberg verhielt, mit dem Kontrakt, der Analyse: es war ja fast reines Kupfer, Schwarzkupfer da, er mußte etwas damit anfangen, durfte nicht wieder zusammenklappen.

Der Grund, warum ich eigentlich gekommen bin, ist, dies hier in Ordnung zu bringen, sagte er zu Isak. Ich habe die Absicht, recht viele Leute hierher zu ziehen und droben im Gebirge einen großen Betrieb einzurichten. Was denkst du dazu?

Isak tat er wieder leid, deshalb widersprach er nicht.

Das ist nicht gleichgültig für dich, fuhr Geißler fort. Es kommen dann viele Menschen hierher, und es gibt viel Umtrieb und Lärm und Sprengungen, ich weiß nicht, wie dir das gefallen wird. Aber andrerseits kommt Leben und Bewegung in den Bezirk und du wirst großen Absatz für die Erzeugnisse deiner Milchwirtschaft bekommen. Du kannst dafür verlangen, was du willst.

Ja, sagte Isak.

Gar nicht davon zu reden, daß du von dem, was aus dem Berg gewonnen wird, hohe Prozente erhältst. Das wird viel Geld, Isak.

Isak antwortete: Ich habe schon zu viel von Euch bekommen ...

Am nächsten Morgen verließ Geißler den Hof und wanderte in östlicher Richtung weiter, Schweden zu. Als Isak sich erbot, ihn zu begleiten, sagte er kurz: Nein, ich danke. Es tat Isak fast weh, als er ihn so arm und allein fortgehen sah. Inger hatte ihm einen prächtigen Mundvorrat mitgegeben, sie hatte sogar Waffeln für ihn gebacken, aber sie waren bei weitem nicht gut genug, er hätte auch noch Sahne in einer Flasche und eine Menge Eier mitnehmen sollen; aber das wollte er nicht tragen. Inger war recht enttäuscht darüber.

Geißler wurde es gewiß schwer, Sellanraa zu verlassen, ohne für seinen Aufenthalt zu bezahlen, wie er es gewohnt war. Er tat deshalb, als habe er bezahlt, als habe er wirklich einen größeren Geldschein hingelegt, denn er sagte zu der kleinen Leopoldine: Und nun sollst du auch noch etwas haben. Hier nimm! Damit gab er ihr seine Tabaksdose, die silberne Dose! – Du kannst sie auswaschen und Nadeln drin aufheben. Übrigens paßt sie nicht gut dazu, wenn ich nur geschwind nach Hause könnte, dann solltest du etwas anderes bekommen, ich habe ja verschiedenes ...

Aber die Wasserleitung lag nach Geißlers Besuch noch da, sie lag da und schaffte Tag und Nacht, Woche um Woche, sie machte die Felder grün, half den Kartoffeln zum Verblühen, half dem Korn in den Halm zu schießen.

Die Ansiedler von weiter unten kamen einer nach dem andern herauf, um sich das Wunderwerk anzusehen. Auch Axel Ström kam, der Besitzer von Maaneland, der unverheiratet war und keine eigene weibliche Hilfe hatte, sondern alles selbst besorgte, auch er kam. Er war heute aufgeräumter und sagte, es sei ihm nun ein Mädchen zur Hilfe für den Sommer versprochen worden, nun sei dieser Kummer gestillt! Er nannte den Namen des Mädchens nicht, und Isak fragte nicht danach; aber es war Bredes Barbro, die man ihm versprochen hatte, es sollte ihn nur ein Telegramm nach Bergen kosten. Na, und Axel legte ja das Geld für dieses Telegramm aus, obgleich er gewiß ein äußerst sparsamer Mann, ja geradezu etwas geizig war.

Die Wasserleitung war es, die Axel an diesem Tag heraufgelockt hatte, er sah sie sich von dem einen Ende bis zum andern an und interessierte sich ungeheuer dafür. Auf seinem Grundstück war zwar kein größerer Fluß, aber doch ein Bach, auch hatte er keine Bretter zu Rinnen, aber er wollte den ganzen Wasserlauf in die Erde graben, das ließ sich auch machen. Es sehe auch auf seinem tiefgelegenen Grundstück nicht so schlimm aus, wenn aber die Trockenheit anhalte, müsse er auch bewässern. – Als er das gesehen hatte, was er hatte sehen wollen, sagte er Lebewohl. Isak und seine Frau luden ihn ein, hereinzukommen, aber er sagte, er habe keine Zeit, er wolle an diesem Abend noch mit dem Graben anfangen; dann ging er.

Das war ein anderer Mann als Brede!

O, jetzt hatte Brede Grund, über die Moore zu laufen, um über die Wasserleitung und das Wunderwerk auf Sellanraa zu schwatzen! Ja, es ist nicht gut, wenn man zu fleißig auf seinem Grundstück ist, sagte er. Da hat nun der Isak so viele Gräben zum Austrocknen gezogen, daß er jetzt wieder wässern muß.

Isak war geduldig, aber er wünschte oft, er könnte diesen Menschen loswerden, diesen Schwätzer in der Nähe von Sellanraa. Brede war verpflichtet, die Telegraphenlinie in Ordnung zu halten, da er ja regelrecht dazu angestellt war. Aber die Telegraphenbehörde hatte ihm schon mehrere Male wegen seiner Nachlässigkeit einen Rüffel erteilen müssen, und jetzt war Isak abermals die Stelle angeboten worden. Nein, mit dem Telegraphen war Brede nicht beschäftigt, sondern mit den Metallen in den Bergen; es war eine wahre Sucht bei ihm geworden, eine fixe Idee.

Jetzt geschah es auch recht oft, daß er in Sellanraa einkehrte und meinte, er habe den Schatz gefunden. Er nickte dann und sagte: Ich sag jetzt nichts mehr, aber ich habe etwas ganz Besonderes gefunden, das leugne ich nicht. Er verschwendete seine Zeit und seine Kräfte um nichts und wieder nichts. Wenn er dann müde in sein Haus zurückkehrte, warf er einen kleinen mit Gesteinsproben gefüllten Sack auf den Boden, pustete und schnaufte nach seinem Tagewerk und meinte, niemand arbeite so hart für seinen Unterhalt wie er. Er baute etwas Kartoffeln auf saurem Moorboden, mähte die Grasplätze ab, die von selbst um sein Haus her wuchsen, das war seine Feldarbeit. Er war in ein falsches Fahrwasser geraten, es mußte ein schlimmes Ende mit ihm nehmen. Jetzt war schon sein Torfdach zerfetzt und die Küchentreppe von der Dachtraufe verfault, ein kleiner Schleifstein lag umgestürzt am Boden und das Fuhrwerk stand ewig unter freiem Himmel.

Brede hatte es insofern gut, als er sich über solche Kleinigkeiten durchaus nicht abgrämte. Wenn die Kinder den Schleifstein beim Spielen umherrollten, war der Vater sehr gutmütig und lieb, ja, er half bisweilen selbst beim Rollen. Eine leichte und faule Natur ohne Ernst, aber auch ohne Schwerlebigkeit, ein schwacher Charakter ohne Verantwortlichkeitsgefühl, aber er fand Auswege, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, wie er auch sein mochte; so lebte er mit den Seinen von der Hand in den Mund, sie lebten alle miteinander. Aber natürlich konnte der Kaufmann Brede und seine Familie nicht in alle Ewigkeit am Leben erhalten, das hatte er schon oft gesagt, und jetzt sagte er es in strengem Ton. Brede sah das selbst ein und versprach, nun werde er die Sache in Ordnung bringen; er wolle sein Grundstück verkaufen, vielleicht verdiene er gut dabei, und dann werde er den Kaufmann bezahlen.

Ja, selbst wenn er daran verlor, wollte Brede verkaufen, was sollte er mit einem Grundstück! Er sehnte sich wieder ins Dorf hinunter, nach Leichtsinn, Klatschereien und dem Kaufladen – dahin sehnte er sich, anstatt ruhig hier zu schaffen und zu wirken und die große Welt zu vergessen. Ach, hätte er die Weihnachtsfeiern mit dem Lichterbaum, oder das Nationalfest am siebzehnten Mai oder die Wohltätigkeitsverkäufe im Gemeindehaus vergessen können! Er liebte es ja über alles, mit den Leuten zu schwatzen, sich nach Neuigkeiten zu erkundigen, aber mit wem hätte er sich hier auf den Mooren unterhalten können? Inger auf Sellanraa hatte eine Weile Anlage dazu gezeigt, jetzt war sie wieder ganz anders geworden, wieder ganz wortkarg. Und übrigens war sie im Gefängnis gewesen und er war ein öffentlich angestellter Mann, das schickte sich nicht.

Nein, er hatte sich selbst auf die Seite gestellt, als er das Dorf verließ. Jetzt sah er mit Eifersucht, daß der Lensmann einen andern Gerichtsboten und daß der Doktor einen andern Kutscher hatte; er war von den Menschen, die ihn brauchten, fortgelaufen, jetzt, da er nicht mehr zur Hand war, behalfen sie sich ohne ihn. Aber welch ein Gerichtsbote und welch ein Kutscher! Eigentlich müßte er – Brede – mit Wagen und Pferd ins Dorf zurückgeholt werden!

Aber da war nun Barbro, und warum hatte er denn versucht, sie auf Sellanraa unterzubringen? O, das hatte er nach reiflicher Überlegung mit seiner Frau getan. Wenn alles richtig ging, so hätte das Mädchen da Aussichten für die Zukunft gehabt, ja vielleicht wären da Aussichten für die ganze Familie Brede gewesen. Die Haushälterinnenstelle bei den zwei Kontoristen in Bergen war ja schon recht, aber Gott mochte wissen, was Barbro da schließlich bekam? Barbro war ja hübsch und auf ihren Vorteil aus, sie hätte vielleicht hier bessere Gelegenheit, vorwärts zu kommen. Es waren zwei Söhne auf Sellanraa.

Aber als Brede merkte, daß dieser Plan fehlschlug, dachte er sich einen andern aus. O, im Grunde war es wirklich nichts Erstrebenswertes, mit Inger verwandt zu werden, mit einer bestraften Person, es gab noch andere Burschen als die auf Sellanraa! Da war nun Axel Ström. Er hatte Hof und Gamme, er war ein Mann, der schaffte und sparte und sich allmählich Vieh und andere Besitztümer anschaffte, aber keine Frau und keine weibliche Hilfe hatte. Das kann ich dir sagen, wenn du Barbro bekommst, so hast du alle Hilfe, die dir not tut! sagte er zu Axel. Und hier kannst du ihre Photographie sehen, sagte er.

Ein paar Wochen vergingen, dann kam Barbro. Ja, Axel war nun schon mitten in der Heuernte, er mußte bei Nacht mähen und bei Tag wenden und hatte alles allein zu leisten; aber nun kam Barbro. Sie kam wie ein wirkliches Geschenk. Es zeigte sich auch, daß sie arbeiten konnte; sie scheuerte das Geschirr, wusch die Kleider und kochte das Essen, sie melkte die Tiere und half draußen beim Heurechen, jawohl, sie war mit draußen beim Heu und trug es mit herein, es fehlte nicht. Axel entschloß sich, ihr einen guten Lohn zu geben, er gewann doch noch dabei.

Hier war sie nicht nur die Photographie einer feinen Dame. Barbro war groß und schlank, sie hatte eine etwas heisere Stimme, zeigte Reife und Erfahrung in vielem und war durchaus keine Neukonfirmierte. Axel begriff nicht, warum ihr Gesicht so mager und elend aussah: Ich sollte dich eigentlich vom Ansehen kennen, aber du gleichst deiner Photographie gar nicht. – Das kommt von der Reise, erwiderte sie. Ja und von der Stadtluft. – Es dauerte auch nicht lange, da wurde sie wieder rund und hübsch, und sie sagte: Glaub mir, so eine Reise und so eine Stadtluft, die zehren tüchtig an einem! Sie spielte auch auf die Versuchungen in Bergen an – da müsse man sich in acht nehmen! Aber während sie sich weiter unterhielten, sagte sie, Axel solle sich auf eine Zeitung, eine Bergener Zeitung abonnieren, damit sie auch sehen könne, was in der Welt vorgehe. Sie sei jetzt ans Lesen, an Theater und Musik gewöhnt, hier sei es sehr einsam, sagte sie.

Da Axel Ström mit seiner Sommeraushilfe so Glück gehabt hatte, abonnierte er auf die Zeitung und ertrug auch die Familie Brede, die recht oft auf seine Ansiedlung kam und da aß und trank. Er wollte seiner Dienstmagd Freude machen. Nichts konnte behaglicher sein, als die Sonntagabende, wenn Barbro die Saiten ihrer Gitarre schlug und mit ihrer etwas heiseren Stimme dazu sang; Axel war über die fremden hübschen Lieder und darüber, daß wirklich jemand auf der Ansiedlung bei ihm war und sang, gerührt.

Im Laufe des Sommers lernte er Barbro allerdings auch von anderen Seiten kennen, aber im großen und ganzen war er zufrieden. Sie war nicht ohne Launen, und sie konnte rasche Antworten geben, etwas zu rasche. An jenem Sonnabend, als Axel notwendig ins Dorf hinunter zum Kaufmann mußte, hätte Barbro das Vieh und die Hütte nicht verlassen und auch alles andere nicht einfach im Stich lassen dürfen. Die Ursache dazu war ein kleiner Streit gewesen. Und wo war sie hingegangen? Nur nach Hause, nach Breidablick, aber trotzdem. Als Axel in der Nacht zurückkam, war Barbro nicht da, er versorgte die Tiere, aß und ging schlafen. Gegen Morgen erschien Barbro. – Ich wollte wieder einmal fühlen, wie es einem in einem Haus mit einem Bretterboden zumut ist, sagte sie recht höhnisch. – Darauf konnte Axel eigentlich nichts erwidern, denn er hatte ja nur eine Torfhütte mit einem Lehmboden, aber er antwortete, er habe immerhin auch Bretter und werde wohl auch einmal ein Haus mit einem Bretterboden haben! – Da war es, als gehe sie in sich; nein, schlimmer war Barbro nicht, und obgleich es Sonntag war, ging sie rasch in den Wald, holte Wacholderzweige für den Lehmboden und machte ihn hübsch.

Aber da sie so ausgezeichnet und von Herzen gut war, mußte ja auch Axel mit dem hübschen Kopftuch herausrücken, das er am vorhergehenden Abend für sie gekauft hatte; er hatte eigentlich gedacht, er wolle es aufheben, um ordentlich etwas von ihr dafür zu erreichen. Aber nun gefiel es ihr sehr gut, sie probierte es sofort auf, ja sie fragte ihn, ob es ihr nicht gut stehe. O doch, sehr gut, aber sie könnte gerne sein Felleisen auf den Kopf setzen, es würde ihr auch stehen. Da lachte sie und wollte auch recht liebenswürdig sein, deshalb sagte sie: Ich gehe lieber mit diesem Kopftuch in die Kirche und zum Abendmahl als im Hut. In Bergen trugen wir ja alle Hüte, ja, ausgenommen gewöhnliche Dienstmädchen, die vom Lande hereinkamen.

Wieder lauter Freundschaft!

Und als Axel mit der Zeitung herausrückte, die ihm auf der Post mitgegeben worden war, setzte sich Barbro hin und las die neuesten Nachrichten von der Welt draußen; von einem Einbruch bei einem Goldschmied in der Strandstraße, von einer Schlägerei zwischen Zigeunern, von einer Kindsleiche, die in den Stadtfjord hereingetrieben und in ein altes, unter den Armen quer abgeschnittenes Hemd eingewickelt gewesen war. Wer kann nur das Kind ins Wasser geworfen haben? fragte Barbro. Aus alter Gewohnheit las sie auch noch die Marktpreise.

Und die Zeit verging.


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