Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Isak fährt, bis er an ein Moorloch kommt. Da hält er an. Ein schwarzes, tiefes Moorloch, die blaue Wasserfläche liegt regungslos da; Isak wußte, wozu sie gut war, er hatte wohl kaum je in seinem Leben einen anderen Spiegel gebraucht als ein solches Moorloch. Seht, er ist heute in seinem roten Hemd sehr hübsch und ordentlich angezogen, jetzt zieht er eine Schere heraus und schneidet sich den Bart. Der eitle Mühlengeist, wollte er sich geradezu prachtvoll machen und sich von seinem fünf Jahre alten Vollbart trennen? Er schneidet und schneidet und besieht sich im Wasser. Natürlich hätte er diese Arbeit heute auch daheim verrichten können; aber er scheute sich vor Oline. Es war schon sehr viel gewesen, daß er gerade vor ihrer Nase das rote Hemd angezogen hatte. Er schert und schert, ein gutes Teil Darthaare fallen auf den Spiegel. Als das Pferd nicht länger ruhig stehen will, hört er auf und erklärt sich für fertig. O jawohl, er fühlt sich bedeutend jünger. – Ja zum Kuckuck, wenn er es verstand, auch bedeutend schlanker sogar.
Dann fährt er ins Dorf.
Am nächsten Tag kommt das Boot. Isak sitzt aus einem Felsblock neben dem Schuppen des Kaufmanns und späht hinaus, aber auch diesmal erscheint Inger nicht. Lieber Gott, es stiegen ziemlich viel Reisende aus, Erwachsene und Kinder, aber Inger war nicht darunter. Isak hatte sich im Hintergrund gehalten, sich auf diesen Felsblock gesetzt, nun hatte er keinen Grund mehr, noch länger da sitzenzubleiben, und so ging er zum Boot hin. Immernoch kamen Kisten und Tonnen, Leute und Postsachen aus dem Achtriemer heraus, aber Isak sah Inger nicht. Dagegen sah er eine Frau mit einem kleinen Mädchen, die schon drüben an der Tür des Bootshauses stand, aber die Frau war hübscher als Inger, obgleich Inger nicht häßlich war. – Aber wie – das war ja Inger. Hm! sagte Isak und eilte hinüber. Sie begrüßten einander; Inger sagte guten Tag und reichte ihm die Hand, etwas erkältet und blaß noch von der Seekrankheit und der Reise. Isak stand ganz still da, schließlich sagte er: Ja, es ist recht schönes Wetter! – Ich habe dich gut dort drüben gesehen, sagte Inger, aber ich wollte mich nicht durchdrängen. Bist du heute ohnedies im Dorf? fragte sie. – Ja. Hm. – Es geht euch allen doch wohl gut? – Ja, danke der Nachfrage. – Dies ist die Leopoldine, sie ist aus der Reise viel wohler gewesen als ich. Sieh, das ist dein Vater, nun mußt du deinen Vater begrüßen. Leopoldine. – Hm! sagte Isak auch jetzt wieder; es war ihm höchst sonderbar zumute, o er war ein Fremder unter ihnen. – Inger sagte: Wenn du am Boot drunten eine Nähmaschine siehst – sie gehört mir. Und dann habe ich noch eine Kiste. – Isak ging sofort; mehr als gerne ging er. Die Bootsleute zeigten ihm die Kiste, aber wegen der Nähmaschine mußte Inger selbst kommen und sie heraussuchen. Es war ein schöner Kasten von unbekannter Form, mit einem runden Deckel und einem Henkel zum Tragen – eine Nähmaschine in dieser Gegend! Isak lud sich die Kiste und die Nähmaschine auf und sagte zu seiner Familie: Ich laufe rasch mit diesem hinauf ins Dorf, komme aber gleich wieder und trage dann sie, sagte er. – Wen tragen? fragte Inger lächelnd. Meinst du, das große Mädchen könne nicht gehen?
Sie gingen miteinander zu dem Pferd und dem Wagen hin. Hast du ein neues Pferd gekauft? fragte Inger. Und hast du einen Wagen mit einem Wagenstuhl? – Ja, das versteht sich. Doch was ich sagen wollte: Möchtest du nicht erst ein wenig essen? Ich habe Mundvorrat mitgebracht. – Das kann warten, bis wir das Dorf hinter uns haben, sagte sie. Was meinst du, Leopoldine, kannst du allein da sitzen? – Aber das wollte der Vater nicht leiden. Nein, sie könnte auf die Räder herunterfallen. Setz du dich mit ihr hinauf und nimm selbst die Zügel.
So fuhren sie ab, und Isak ging hinter dem Wagen her.
Er betrachtete die beiden auf dem Wagen. Da war nun Inger gekommen, fremd nach Anzug und Aussehen, vornehm, ohne Hasenscharte, nur mit einem roten Streifen auf der Oberlippe. Sie zischte nicht mehr, das war das merkwürdige, sie sprach ganz rein. Ein grau und rot gestreiftes wollenes Kopftuch mit Fransen daran sah prachtvoll aus zu ihrem dunklen Haar. Sie wendete sich auf dem Sitz um und sagte: Es wäre gut, wenn du ein Fell mitgebracht hättest, es kann heute abend kühl für das Kind werden. – Sie kann meine Jacke haben, und wenn wir erst im Wald sind, so ist dort ein Fell, ich habe es dort hinterlegt. – So, du hast ein Fell im Wald! – Ja, ich habe es nicht den ganzen Weg mit auf dem Wagen nehmen wollen, falls ihr heute nicht gekommen wäret. – So. Was hast du gesagt, geht es den beiden Jungen auch gut? – Jawohl, danke der Nachfrage. – Sie werden jetzt groß sein, das kann ich mir denken. – Ja, daran fehlt's nicht. Sie haben jetzt gerade die Kartoffeln gelegt.– Ach so, sagte die Mutter und schüttelte den Kopf. Können sie schon Kartoffeln legen? – Eleseus geht mir bis hierher und Sivert bis hierher, versetzte Isak und maß an sich.
Die kleine Leopoldine bat um etwas zu essen. Ach, das nette kleine Geschöpf, ein Marienkäferchen auf einem Fuhrwerk! Sie sprach mit einem singenden Tonfall, in einer merkwürdigen Sprache von Drontheim, der Vater mußte es sich bisweilen übersetzen lassen. Sie hatte dieselben Züge wie die Jungen, die braunen Augen und die länglichen Wangen, die alle drei Kinder von der Mutter geerbt hatten; die Kinder waren der Mutter Kinder, und das war gut so! Isak war seinem Töchterchen gegenüber ein wenig schüchtern, angesichts ihrer kleinen Schuhe, der langen dünnen Wollstrümpfe und des kurzen Kleides! Als sie den fremden Vater begrüßte, hatte sie sich verneigt und ihm ein winziges Händchen hingereicht.
Im Walde angekommen, rasteten sie und aßen, das Pferd bekam sein Futter, und Leopoldine hüpfte mit ihrem Brot in der Hand im Heidekraut umher.
Du hast dich nicht sehr verändert, sagte Inger, indem sie ihren Mann betrachtete. – Isak sah auf die Seite und antwortete: So, meinst du? Aber du bist sehr vornehm geworden! – Haha! Nein, ich bin jetzt alt, erwiderte sie so recht scherzhaft. – Es war offenbar, Isak fühlte sich nicht recht sicher, er blieb zurückhaltend, war wie verschüchtert. Wie alt war wohl seine Frau? Sie konnte nicht jünger als dreißig sein – das heißt, sie konnte nicht mehr sein, unmöglich. Und obgleich Isak aß, riß er doch ein Zweiglein Heidekraut ab und kaute auch daran. Was, ißt du auch Heidekraut! rief Inger lachend. Isak warf das Heidekraut weg und steckte einen Bissen in den Mund, dann ging er hin und hob das Pferd vorne in die Höhe. Inger folgte diesem Auftritt mit Erstaunen, sie sah, daß das Pferd auf zwei Beinen stand.– Warum tust du das? fragte sie. – Es ist so zutraulich, sagte er von dem Pferd und ließ es wieder los. Warum hatte er das nur getan? Er hatte wohl eine mächtige Lust dazu verspürt. Vielleicht hatte er seine Verlegenheit dahinter verbergen wollen.
Dann brachen sie wieder auf, und alle drei gingen eine Strecke zu Fuß. Eine Ansiedlung kam in Sicht. Was ist das? fragte Inger. – Das ist Bredes Grundstück, er hat es gekauft. – Brede? – Und es heißt Dreidablick! Es sind große Moore da, aber wenig Wald. – Als sie an Dreidablick vorbei waren, sprachen sie weiter darüber, Isak aber hatte gesehen, daß Bredes Wagen unter freiem Himmel stand.
Doch jetzt wurde das Kind schläfrig, da nahm der Vater es fürsorglich auf den Arm und trug es. Sie wanderten weiter, Leopoldine war bald eingeschlafen, und Inger sagte: Nun legen wir sie in dem Fell auf den Wagen, dann kann sie schlafen, solange sie will. – Sie wird da so sehr gerüttelt, meinte der Vater und wollte sie lieber tragen. Sie kommen über das Moor und in den Wald hinein, und Ptro sagt Inger. Sie hält das Pferd an, nimmt Isak das Kind ab und sagt, er solle die Kiste und die Nähmaschine zusammenrücken, dann könne Leopoldine hinten im Wagen liegen. Da wird sie gar nicht geschüttelt und gerüttelt, was ist das für Unsinn! – Isak tut, wie sie sagt, hüllt seine kleine Tochter in das Fell und schiebt ihr seine Jacke unter den Kopf. Dann fahren sie weiter.
Der Mann und die Frau gehen zu Fuß und reden von Verschiedenem. Die Sonne scheint bis spät am Abend und das Wetter ist warm. Oline – wo schläft sie für gewöhnlich? fragt Inger. – In der Kammer. – So, und die Buben? – Die liegen in ihrem eigenen Bett in der Stube. Es sind zwei Bettladen in der Stube, noch genau so, wie damals, als du fortgegangen bist. – Ich betrachte dich immerfort, sagt Inger, du siehst genau so aus wie früher. Und allerlei Lasten haben deine Schultern durchs Ödland heraufgetragen, aber sie sind darum nicht schwächer geworden. – O nein. Aber was ich sagen wollte: ist es dir in allen den Jahren erträglich gegangen? – O, Isak war ganz bewegt, bei dieser Frage zitterte ihm die Stimme. Inger antwortete, ja, sie könne nicht klagen.
Es kam zu einer gefühlvollen Aussprache zwischen ihnen, und Isak fragte, ob sie nicht müde sei und lieber fahren wolle. – Nein, danke, antwortete Inger. Aber ich weiß nicht, was mit mir ist, seit sich die Seekrankheit ganz verzogen hat, bin ich immerfort hungrig. – Möchtest du noch etwas essen? – Ja, wenn ich uns nicht zu sehr aufhalte. O diese Inger, sie selbst war wohl nicht hungrig, aber sie gönnte Isak noch etwas, er hatte ja seine letzte Mahlzeit mit dem Heidekrautstengel unterbrochen.
Da der Abend warm und hell war und sie noch einen weiten Weg vor sich hatten, fingen sie wieder an zu essen.
Inger holte ein Paket aus ihrer Kiste heraus und sagte: Ich habe ein paar Sachen für die kleinen Buben. Komm, wir wollen zu dem Gebüsch hinübergehen, da ist es sonnig. – Sie setzten sich unter das Gebüsch, und Inger zeigte die Sachen für die Jungen: hübsche Hosenträger mit Schnallen daran, Schreibbücher mit Vorschriften darin, für jeden einen Bleistift, ein Taschenmesser für jeden. Für sich selbst hatte sie ein ausgezeichnetes Buch. Hier sieh, mein Name steht darauf, es ist ein Andachtsbuch. Sie hatte es von dem Direktor zur Erinnerung bekommen. Isak bewunderte alles mit leisen Worten. Sie zeigte auch eine Anzahl Kragen, die Leopoldine gehörten, und Isak gab sie ein schwarzes wie Seide glänzendes Halstuch. – Soll ich das haben? fragte er. – Ja, das bekommst du. – Isak nahm es Vorsichtig in die Hand und strich darüber hin – Ist es nicht hübsch? – Ach, hübsch! Damit könnte ich in der ganzen Welt herumreisen! Aber seine Finger waren so rauh, daß sie an der merkwürdigen Seide überall hängen blieben.
Jetzt hatte Inger nichts mehr vorzuweisen, aber als sie wieder zusammenpackte, saß sie so, daß ihre Waden in den rotgestreiften Strümpfen zum Vorschein kamen. – Hm! Das sind wohl Stadtstrümpfe? fragte er.– Ja, es ist Garn aus der Stadt, aber ich habe sie selbst geknüpft – gestrickt, wie wir dort sagten. Es sind ganz lange Strümpfe, bis über die Knie, sieh her ... Kurz daraus hörte sie sich selbst flüstern: Du – du bist noch ganz derselbe – wie früher!
Eine Weile später fuhren sie weiter, Inger sitzt jetzt droben und lenkt das Pferd. Ich habe auch ein Paket Kaffee mitgebracht, sagt sie, aber heute abend kannst du ihn nicht mehr versuchen, denn er ist noch nicht gebrannt. – Du sollst dich auch nicht damit plagen, erwidert er. Wieder nach einer Weile ist die Sonne untergegangen, und es wird kühl. Inger will absteigen und gehen. Sie decken Leopoldine dichter mit dem Fell zu und lächeln darüber, daß sie so lange schlafen kann. Dann unterhalten sich Mann und Frau wieder im Weitergehen. Es ist ein wahres Vergnügen, Inger jetzt sprechen zu hören, niemand hätte besser sprechen können, als Inger jetzt sprach.
Haben wir nicht vier Kühe? fragt sie. – O nein, wir haben jetzt mehr, antwortet er stolz, wir haben acht.– Acht Kühe! – Ja, wenn man den Stier mitrechnet. – Habt ihr Butter verkauft? – O ja, und Eier. – Haben wir denn auch Hühner? – Ja, das versteht sich. Und ein Schwein. – Inger muß sich über die Maßen verwundern, sie kann das Gehörte kaum fassen und hält einen Augenblick das Pferd an: Ptro! Und Isak ist stolz und legt es darauf an, sie ganz zu überwältigen. Der Geißler, sagt er, du weißt, der Geißler; der ist vor kurzem hier gewesen. – So? – Ja und er hat uns einen Kupferberg abgekauft. – So. was ist denn das, ein Kupferberg? – Ein Berg aus Kupfer. Er liegt droben im Gebirge an der ganzen Nordseite des Sees. – So. Und das ist etwas, für das du eine Bezahlung bekommen hast? – Jawohl, der Geißler ist nicht der Mann, der nicht bezahlt. – Was hast du bekommen? – Hm. Du wirst es nicht glauben wollen, aber es sind zweihundert Taler. – Die hast du bekommen! ruft Inger und hält wieder einen Augenblick das Pferd an: Ptro! – Habe ich bekommen, jawohl. Und den Hof habe ich auch längst bezahlt. – Ach, du bist großartig'
Es war in Wahrheit ein Vergnügen, Inger in Verwunderung zu setzen und sie zu einer reichen Frau zu machen; deshalb fügte Isak noch hinzu, daß er auch weder beim Kaufmann noch bei sonst jemand Schulden stehen habe. Und er habe nicht allein Geißlers zweihundert Taler noch unberührt daliegen, sondern noch mehr, noch hundertsechzig Taler darüber. Sie hätten also allen Grund, Gott dankbar zu sein. Sie sprachen noch weiter von Geißler, und Inger konnte Aufklärung über das geben, was er für ihre Freilassung getan hatte. Es war doch nicht alles so glatt gegangen; er hatte lange damit zu tun gehabt und war sehr oft beim Direktor gewesen. Geißler hatte auch ein Schreiben an die Staatsräte selbst oder an einige andere von der Behörde geschickt, aber das hatte er hinter dem Rücken des Direktors getan, und als der Direktor das erfuhr, war er böse geworden und hatte sich gekränkt gefühlt, was ja auch nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber Geißler hatte sich dadurch nicht einschüchtern lassen, er verlangte ein neues Verhör und ein neues Gerichtsverfahren und alles miteinander. Und da hatte der König unterschreiben müssen.
Der frühere Lensmann Geißler war für diese beiden Menschen immer ein guter Herr gewesen, und sie hatten sich oft besonnen, aus welchem Grunde er es wohl getan haben mochte, er hatte alles miteinander um den einfachen Dank getan, es war nicht zu begreifen. Inger hatte in Drontheim mit ihm gesprochen, war aber dadurch nicht klüger geworden. Alle andern in der Gemeinde sind ihm ganz einerlei, ausgenommen wir, er. klärte Inger. – Hat er das gesagt? – Ja, er ist wütend auf die Gemeinde hier. Und er werde es ihr schon noch zeigen! sagte er. – So. – Und sie würden es schon noch bereuen, daß sie ihn verloren hätten, sagte er.
Jetzt kamen sie aus dem Wald heraus, und da lag Sellanraa vor ihnen. Es waren mehr Gebäude als früher, die Häuser waren hübsch angestrichen; Inger kannte sich nicht mehr aus und hielt jäh an: Du willst doch nicht sagen, daß das da – daß das da bei uns ist! rief sie aus.
Die kleine Leopoldine erwachte endlich und richtete sich auf. Sie war ganz ausgeruht, wurde heruntergehoben, durfte zu Fuß gehen! Gehen wir dorthin? fragte sie. – Ja, ist es nicht schön?
Drüben am Haus bewegten sich kleine Gestalten; das waren Eleseus und Sivert, die Ausguck hielten, nun kamen sie dahergelaufen. Inger schien plötzlich erkältet zu sein, sie hatte heftigen Husten und Schnupfen. Ja, die Erkältung zog ihr sogar in die Augen, sie standen voll Wasser. Man erkältet sich so leicht an Bord, ganz nasse Augen bekommt man vor lauter Schnupfen.
Aber als die kleinen Burschen näher herankamen, hielten sie mitten in ihrem Lauf inne und starrten nur noch. Wie ihre Mutter aussah, das hatten sie vergessen, und ihre kleine Schwester hatten sie ja noch nie gesehen. Aber der Vater– ihn erkannten sie erst wieder, als er ganz nahe herangekommen war. Er hatte sich seinen großen Bart abgeschnitten.