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Eines Tages legte Inger wieder Mundvorrat in ihren Kalbfellsack und sagte: Jetzt mach ich wieder einen kurzen Besuch bei meinen Leuten. – So, sagte Isak. – Ja, ich muß nur einiges mit ihnen besprechen.
Isak ging nicht zugleich mit ihr hinaus, sondern zögerte noch lange in der Gamme. Als er endlich auf die Schwelle trat und gar nicht neugierig tat, aber voll banger Ahnungen war, verschwand Inger gerade am Waldesrand. Hm. Kommst du wieder? konnte er nicht unterlassen, ihr nachzurufen. – Nicht wiederkommen! erwiderte sie. Ich glaube, du spottest. – So.
Dann war er wieder allein. Ach ja, Herrgott im Himmel! Mit seinen Arbeitskräften und seiner Arbeitslust konnte er nicht nur in der Gamme aus und ein gehen und sich nur selbst im Wege sein, da fing er an zu arbeiten; er zweigte seine Baumstämme ab und hieb sie auf zwei Seiten flach. Bis zum Abend schaffte er daran, dann melkte er die Ziegen und legte sich schlafen.
Öde und stille war's in der Gamme, dumpfes Schweigen schlug ihm entgegen vom Lehmboden und von den Torfwänden. Aber das Spinnrad und die Kartätschen waren an ihrem Platz, und die Perlen an ihrem Faden lagen wohlverwahrt in einem Beutel unter dem Dach. Inger hatte nichts mitgenommen. Isak war jedoch so unendlich dumm, daß er sich in der hellen Sommernacht vor der Dunkelheit fürchtete und bald dies, bald das an den Fensterscheiben vorbeischleichen sah. Als es nach der Helligkeit draußen ungefähr zwei Uhr sein mochte, stand er lieber wieder auf und aß sein Frühstück. Er kochte eine ungeheuere Schüssel Grütze, gleich für den ganzen Tag, damit er nicht noch mehr Zeit aufs Kochen verwenden müßte. Bis zum Abend brach er zur Erweiterung des Kartoffelackers Neuland um.
Drei Tage lang behaute er abwechslungsweise Baumstämme und brach Land um, am nächsten Tag kam dann wohl Inger. Es wäre nicht zuviel, wenn er bei ihrer Ankunft Fische für sie bereit hätte, dachte er; aber er wollte sich nicht auf den Weg machen und ihr geradeswegs übers Gebirge entgegengehen, deshalb machte er einen Umweg nach dem Fischplatz. Dabei kam er in unbekannte Gegenden des Gebirges, da waren nun graue Felsen und braunes Geröll, ganz schwere Steine, die aus Blei oder Kupfer sein konnten. Vieles konnte in diesen Steinen enthalten sein, vielleicht Silber und Gold; er verstand sich jedoch nicht darauf, und so konnte es ihm einerlei sein. Er kam an das Fischwasser; die Fische bissen bei dem schnakenvollen Wetter in dieser Nacht gut an, es gab wieder eine schwere Menge Salme und Forellen, und Inger würde aufschauen. Als er bei Tagesanbruch auf demselben Umweg, auf dem er hergekommen war, wieder zurückging, nahm er ein paar Stücke von dem Geröll mit, sie waren braun mit dunkelblauen Flecken darin und gewaltig schwer.
Inger war nicht gekommen und kam auch nicht. Nun war es schon der vierte Tag. Er melkte die Ziegen wie damals, wo er noch allein mit ihnen gewesen war und niemand anderen zu dieser Arbeit hatte, dann ging er zur Geröllhalde und trug große Haufen zu einer Mauer passender Steine auf den Hofplatz. Er hatte wahrlich vielerlei Arbeit.
Am fünften Abend ging er mit leisem Mißtrauen im Herzen zu Bett, im übrigen waren ja aber das Spinnrad und die Kartätschen noch da und auch die Perlen. Dieselbe Öde in der Hütte und nirgends ein Laut! Das wurden lange Stunden, und als er endlich eine Art Schritt draußen vernahm, dachte er, das sei nur etwas, was er sich einbilde. Ach ja, Herrgott im Himmel! sagte er in seiner Verlassenheit, und solche Worte sprach Isak nicht, wenn er sie nicht wirklich meinte. Jetzt hörte er die Schritte aufs neue, und kurz nachher sah er etwas am Fenster vorbeigleiten, was es nun auch sein mochte, aber etwas mit Hörnern war es, leibhaftig! Er sprang auf und zum Hause hinaus, und da sah er etwas! Gott oder Teufel! murmelte er, und so etwas sagte Isak nicht, ohne daß er sich dazu gezwungen fühlte. Er sah eine Kuh, Inger und eine Kuh, die im Stalle verschwanden.
Wenn er nun nicht Inger im Stall noch leise mit der Kuh hätte reden hören, hätte er wahrlich seinen Augen nicht getraut, aber er hörte sie, und im selben Augenblick stieg ihm eine böse Ahnung auf: Himmel! Natürlich war sie eine ausgezeichnete, verteufelte Frau, aber zu viel war zu viel. Spinnrad und Kartätsche, das mochte hingehen, die Perlen waren bedenklich vornehm, aber auch die mochten hingehen. Aber eine Kuh, vielleicht auf einem Weg oder auf der Weide eines Bauern gefunden, die von dem Besitzer vermißt wurde und nach der man forschen würde!
Jetzt trat Inger wieder aus dem Stall und sagte stolz lächelnd: Ich habe nur meine Kuh mitgebracht! – So, erwiderte er. – Es dauerte so lange, weil ich nicht rascher mit ihr übers Gebirge konnte; sie ist trächtig. – Hast du eine Kuh mitgebracht? sagte er. – Ja, antwortete sie, und war vom Reichtum dieser Erde bis zum Zerspringen erfüllt. Oder meinst du, ich lüge dich an? sagte sie. Isak fürchtete das Schlimmste, hielt sich aber im Zaum und sagte nur: Komm jetzt herein und iß etwas.
Hast du die Kuh gesehen? Ist sie nicht schön? – Prächtig. Woher hast du sie? fragte er so gleichgültig als er konnte. – Sie heißt Goldhorn. Was willst du mit der Mauer, die du da aufgeführt hast? Du schindest dich noch zu Tode, ja das tust du. Ach, komm und sieh dir die Kuh an!
Sie gingen hinaus, Isak war in Unterkleidern, aber das tat nichts. Sie betrachteten die Kuh unendlich genau und von allen Seiten, den Kopf, das Euter, das Kreuz, die Lenden; rot und weiß, gut gebaut.
Isak sagte vorsichtig: Für wie alt hältst du sie? – Halten? entgegnete Inger. Sie ist ganz genau, aufs Tüpfelchen genau im vierten Sommer. Ich habe sie selbst aufgezogen, und alle sagten damals, es sei das netteste Kalb, das sie von ihrer Kindheit an gesehen hätten. Was meinst du, haben wir Futter für sie?
Isak fing an, das zu glauben, was er gerne glauben wollte, und erklärte: Was das Futter betrifft, so werden wir genug für sie haben.
Dann gingen sie hinein und aßen und tranken und legten sich zur Ruhe. Aber sie redeten noch lange von der Kuh, von dem großen Ereignis. Ja, aber ist es nicht eine schöne Kuh? Jetzt bekommt sie das zweite Kalb. Sie heißt Goldhorn. Schläfst du, Isak? – Nein. – Und denk dir, sie hat mich sofort wieder erkannt und ist mir gestern wie ein Lamm gefolgt. Wir haben heute nacht eine Weile auf dem Gebirge ausgeruht. – So. – Wir müssen sie aber den ganzen Sommer auf der Weide anbinden, sonst reißt sie aus, denn Kuh ist Kuh. – Wo ist sie vorher gewesen? fragte Isak schließlich. – Bei meinen Leuten, die haben sie versorgt. Sie wollten sie nicht hergeben, und die Kinder weinten, als ich sie mitnahm.
War es möglich, daß Inger so herrlich lügen konnte? Sie sprach natürlich die Wahrheit, und die Kuh gehörte ihr. Nun wurde es großartig und behaglich auf dem Hofe, bald gab es nichts mehr, was noch fehlte! O diese Inger, er liebte sie, und sie liebte ihn wieder, sie waren genügsam, sie lebten im Zeitalter des Holzlöffels und hatten es gut. Wir wollen schlafen! dachten sie. Und dann schliefen sie. Bei Morgengrauen erwachten sie zum nächsten Tag; es gab wohl allerlei, mit dem man sich abplagen mußte, jawohl, Kampf und Freude, wie das Leben eben ist.
Da waren nun zum Beispiel diese Balken. Sollte er versuchen, sie aufzulegen? Isak hatte sich wohl umgesehen, als er im Dorfe war, und sich die Bauart ausgedacht, er konnte eine Eckfuge aushauen. Und mußte er es nicht durchaus tun? Jetzt waren Schafe auf den Hof gekommen, eine Kuh war gekommen, der Ziegen waren es viele geworden und würden immer mehr werden, der Viehstand sprengte den einen Raum der Gamme, er mußte einen Ausweg finden. Am besten war es, er fing gleich an, so lange die Kartoffeln blühten und die Heuernte noch nicht begonnen hatte; Inger mußte da und dort mit Hand anlegen.
In der Nacht erwacht Isak und steht auf. Inger schläft, fest und tief schläft sie nach ihrer Wanderung. Er geht wieder in den Stall. Jetzt redet er die Kuh ja nicht so an, daß es in widerliche Schmeicheleien übergeht, aber er tätschelt sie freundlich und untersucht sie aufs neue nach allen Richtungen, ob sie nicht irgendein Merkmal, ein Zeichen von einem fremden Eigentümer habe. Aber er findet kein Zeichen und geht erleichtert fort.
Da liegt das Bauholz. Er fängt an, es auseinander zu rollen, es in einem Viereck auf die Mauer zu heben, ein großes Viereck für die Stube und ein kleines Viereck für die Kammer. Es war sehr unterhaltend und nahm ihn so in Anspruch, daß er darüber die Zeit vergaß. Jetzt rauchte es aus dem Dachloch der Gamme, Inger trat heraus und meldete, das Frühstück sei fertig. Und was hast du denn hier vor? fragte sie. – Bist du aufgestanden? erwiderte Isak.
Seht, dieser Isak, er tat sehr geheimnisvoll, aber es gefiel ihm gut, daß sie fragte und neugierig war und ein Wesen aus seinem Vorhaben machte. Als er gegessen hatte, blieb er noch ziemlich lange in der Gamme sitzen, ehe er wieder hinausging. Worauf wartete er?
Nein, ich bleibe hier sitzen! sagte er schließlich und stand auf. Und ich habe doch so viel zu tun! sagte er. – Baust du ein Haus? fragte sie. Kannst du nicht antworten? – Er antwortete aus Gnade, ja er fühlte sich außerordentlich groß, weil er ein Haus baute und dem Ganzen vorstand, deshalb antwortete er: Du siehst doch wohl, daß ich baue. – So. Ja, ja. – Kann ich denn anders? sagte er. Du kommst wahrhaftig mit einer ganzen Kuh daher, und da muß ich doch einen Stall für sie haben.
Arme Inger, sie war nicht so unmenschlich klug wie er, wie Isak, der Herr der Schöpfung. Und es war, ehe sie ihn kennen lernte, ehe sie seine Art zu sprechen verstand. Inger sagte: Aber du wirst doch nicht am Ende einen Stall bauen? – So, sagte er. – Du führst mich wohl an, denn es wäre ja viel besser, du bautest ein Haus. – So, meinst du das? erwiderte er und sah sie mit verstellt ausdrucksloser Miene an, ja, als ob ihm bei ihrer Frage erst ein Licht aufginge.– Ja, dann können die Tiere die Gamme bekommen. – Er überlegte und sagte dann: Ich glaube wirklich, so wird es am besten sein! – Da siehst du, sagte die siegende Inger, ich bin auch nicht so ganz auf den Kopf gefallen. – Nein. Und was meinst du zu einer Kammer neben der Stube? – Eine Kammer? Dann wäre es bei uns wie bei anderen Leuten. Ja, wenn uns das widerfahren würde.
Und es widerfuhr ihnen. Isak baute und hieb Eckfugen aus; er legte die Balken im Viereck, und zugleich mauerte er eine Feuerstelle aus dazu passenden Steinen; aber diese letzte Arbeit gelang ihm am wenigsten, und er war zuzeiten recht unzufrieden mit sich. Als die Heuernte begann, muß er von seinem Bauwerk heruntersteigen, um weitum in den Halden das Gras zu mähen; danach trug er das Heu in ungeheueren Lasten nach Hause.
An einem Regentag sagte Isak, er müsse hinunter ins Dorf.
Was willst du dort? fragte Inger. – Ich weiß es selbst nicht genau, antwortete er.
Er ging, war zwei volle Tage abwesend und brachte dann einen Kochherd angeschleppt – der Prahm kam durch den Wald dahergesegelt mit einem Kochherd auf dem Rücken.
Du bist nicht wie ein Mensch gegen dich selbst, sagte Inger. Nun riß Isak die Feuerstelle, die sich in dem neuen Haus so schlecht ausnahm, wieder ein und stellte den Herd an ihren Platz. Nicht alle Leute haben einen Kochherd, sagte Inger, und nun haben wir einen! sagte sie.
Die Heuernte ging ihren Gang, Isak brachte Heu in Massen heim, denn Waldgras ist leider nicht dasselbe wie Wiesengras, sondern viel geringer. Nun konnte er bloß an Regentagen an seinem Haus bauen, da ging es langsam vorwärts, und im August, als Isak alles Heu unter dem Felsenhang wohl geborgen hatte, war das neue Haus erst halb gebaut.
Im September sagte Isak zu Inger: So geht es nicht, ich glaube, du mußt hinunter ins Dorf gehen und mir einen Mann zur Hilfe holen. Inger aber war in der letzten Zeit etwas schweratmig geworden und konnte nicht mehr so schnell laufen, doch machte sie sich selbstverständlich fertig, seinen Auftrag auszurichten.
Aber indessen hatte der Mann es sich anders überlegt, er wurde wieder hoffärtig und wollte alles allein machen. Es ist nicht der Mühe wert, die Leute darum anzugehen, sagte er, ich bringe es schon allein fertig. – Nein, du kannst es nicht schaffen, versetzte Inger. – Doch, hilf mir nur mit den Balken.
Als der Oktober herangekommen war, sagte Inger: Ich kann nicht mehr! Das war nun sehr schlimm. Die Dachbalken sollten und mußten aufgesetzt werden, damit das Haus gedeckt wurde, ehe die Herbstregen einsetzten, es war höchste Zeit. Was hatte Inger nur? Sie wurde doch nicht krank?
Wohl bereitete sie ab und zu noch Ziegenkäse, sonst aber leistete sie nichts mehr, als die Kuh Goldhorn auf der Weide viele Male am Tage an einen andern Platz anzubinden. – Bring einen großen Korb oder eine Kiste oder so etwas mit, wenn du wieder ins Dorf gehst, hatte Inger gesagt. – Was willst du damit? fragte Isak. – Ich brauche es, antwortete sie nur.
Isak zog die Dachbalken an Seilen hinauf, und Inger schob mit einer Hand nach; es war, als helfe es schon, wenn sie nur dabei war. Allmählich ging es doch vorwärts, es war ja kein sehr hohes Dach, aber die Balken waren abenteuerlich groß und dick für das kleine Haus.
Das gute Herbstwetter hielt sich einigermaßen, Inger hackte alle Kartoffeln allein heraus, und Isak bekam das Haus unter Dach, ehe der Regen endgültig einsetzte. Die Ziegen waren jetzt schon nachts bei den Menschen in der Hütte drinnen, auch das ging, alles ging. Die Menschen klagten nicht darüber. Isak machte sich wieder zu einem seiner Gänge ins Dorf fertig. Du solltest für mich einen großen Korb oder eine Kiste mitbringen, sagte Inger wieder, und es klang wie ein demütiger Wunsch. – Ich habe mir einige Fenster mit Glasscheiben bestellt, die ich holen muß, erwiderte Isak. Und ich habe auch zwei angestrichene Türen bestellt, fügte er überlegen hinzu. – Nun ja, dann muß der Korb eben warten. – Was willst du mit dem? – Was ich damit will? Ja, hast du denn keine Augen im Kopf?
In tiefe Gedanken versunken, ging Isak seines Wegs dahin, und als er nach zwei Tagen zurückkam, brachte er nicht allein ein Fenster, eine Tür zur Wohnstube und eine Tür zur Schlafkammer mit, sondern über die Brust herunter hing ihm auch die Kiste für Inger, und in der Kiste waren verschiedene Eßwaren.
Inger sagte: Wenn du dich nur nicht eines Tages noch zu Tode abschleppst! – Hoho, zu Tode! Isak war so unendlich weit davon entfernt, sich zu Tode zu schleppen, daß er aus seiner Tasche eine Arzneiflasche mit Naphtha zog und sie Inger mit der Ermahnung übergab, recht tüchtig davon zu trinken, damit sie wieder gesund werde. Und da waren nun die Fenster und die angestrichenen Türen, mit denen er großtun konnte, und er machte sich auch gleich daran, sie einzusetzen. Ach, diese kleinen Türen, und gebraucht waren sie auch schon, aber gemalt waren sie hübsch mit weißen und roten Farben, die schmückten die Stuben wie Bilder an den Wänden.
Jetzt zogen sie in das neue Haus ein, und der Viehbestand wurde in der ganzen Gamme verteilt. Zu der Kuh wurde ein Mutterschaf mit seinen Lämmern hineingestellt, damit sie es nicht gar so einsam hätte.
Die Leute auf dem Ödland hatten es nun weit gebracht, wunderbar weit!