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10

Eine Frau wandert durch das Ödland hinauf. Es fällt ein milder Sommerregen, sie wird naß, aber darum kümmert sie sich nicht, sie hat anderes zu denken, sie ist sehr gespannt, ob – es ist Barbro, und keine andere, Barbro, Bredes Tochter. Jawohl, sie darf wohl gespannt sein, sie kann nicht wissen, wie dieses Abenteuer ablaufen wird, aber sie ist von der Frau Lensmann entlassen und ist fort aus dem Dorf. So steht es.

Sie macht einen Bogen um alle Ansiedlungen im Ödland herum, denn sie möchte alle Menschen vermeiden. Jedermann würde ja gleich erraten, wohin sie will, den sie trägt ein Bündel mit Kleidern auf dem Rücken. Jawohl, sie will nach Maaneland und will wieder dort bleiben.

Zehn Monate lang hat sie bei der Frau Lensmann gedient, und das ist keine kurze Zeit, wenn man sie in Tage und Nächte umrechnet, aber wenn man den Zwang und alle die hinausziehenden Gedanken bedenkt, dann ist es eine Ewigkeit. Im Anfang ging alles wirklich gut; Frau Heyerdahl war sehr besorgt um Barbro und gab ihr Schürzen und putzte sie heraus, es war eine Freude, in so schönen Kleidern in den Kaufladen geschickt zu werden. Barbro war ja schon als Kind hier im Dorf gewesen, sie kannte alle Leute von der Zeit her, wo sie hier in die Schule gegangen war und die Jungen geküßt und mit Steinen und Muscheln allerlei Spiele gespielt hatte. Ein paar Monate ging alles gut. Aber dann umsorgte die Frau Heyerdahl sie immer noch mehr, und als die Weihnachtsvergnügungen angingen, wurde Frau Heyerdahl streng. Aber wozu das alles, doch nur um das gute Verhältnis zu stören! Barbro hätte es überhaupt nicht ausgehalten, wenn sie nicht gewisse Nachtstunden für sich gehabt hätte: von zwei Uhr an bis morgens um sechs konnte sie ziemlich sicher sein, und sie gestattete sich manche verstohlene Freuden in diesen Stunden. Aber was für ein Mädchen war denn die Köchin, daß sie Barbro nicht anzeigte? Sie war das ganz gewöhnliche Dienstmädchen und ging selbst unerlaubterweise aus. Die beiden hielten abwechselnd Wache.

Es verging auch eine recht lange Zeit, ehe sie entdeckt wurden. Barbro war keineswegs so leichtsinnig, daß ihr an die Stirne geschrieben gewesen wäre, an ihr sei nichts mehr zu verderben. Verderben? Sie widerstand soviel als nötig war. Wenn ein Bursche sie zum Weihnachtstanz einlud, so sagte sie das erstemal nein, das zweitemal auch, aber das drittemal sagte sie: Ich will sehen, ob ich von zwei bis sechs Uhr kommen kann. Seht, so antwortet ein anständiges Mädchen und macht sich nicht schlechter, als sie ist, und läßt keine Frechheit sehen. Sie war ein Dienstmädchen und diente die ganze Zeit und kannte kein anderes Vergnügen als Ausgelassenheit. Das war auch alles, was sie begehrte. Die Frau Lensmann hielt ihr lange Reden und borgte ihr Bücher, – die Närrin! Barbro bildende Bücher leihen, die in Bergen gewesen war, Zeitungen gelesen und das Theater besucht hatte! Sie war doch nicht Gottes Wort vom Lande!

Aber die Frau Lensmann mußte doch Verdacht geschöpft haben, eines Morgens um drei Uhr steht sie vor der Mägdekammer und ruft: Barbro! – Ja, antwortet die Köchin. – Ist Barbro nicht da? Mach auf! – Die Köchin schließt auf und gibt die zuvor vereinbarte Erklärung, Barbro habe ganz notwendig auf der Stelle nach Hause laufen müssen. – Nach Hause, auf der Stelle? Es ist drei Uhr in der Nacht, sagt Frau Heyerdahl und hält mit ihrer Verwunderung darüber nicht zurück. Am anderen Morgen gab es ein großes Verhör; Brede wurde gerufen, und die Frau Lensmann fragte: ist Barbro heute nacht um drei Uhr bei euch gewesen? – Brede war nicht vorbereitet, aber er sagt sofort ja. – Jawohl um drei Uhr in der Nacht. Wir waren sogar so lange aufgeblieben, weil wir etwas Wichtiges zu besprechen hatten, antwortete Barbros Vater. – Darauf verkündet die Frau Lensmann feierlich: Barbro geht bei Nacht nicht mehr aus! – Nein, gewiß nicht, erwidert Brede. – Solange sie in meinem Hause ist wenigstens nicht. – Nein. Ja, da hörst du's, Barbro, ich habe es dir ja gleich gesagt! spricht der Vater. – Du kannst zuweilen vormittags zu deinen Eltern gehen, bestimmt die Frau Lensmann.

Aber die wachsame Frau Lensmann hat darum ihren Verdacht doch nicht ganz aufgegeben; sie läßt eine Woche verstreichen, dann macht sie um vier Uhr morgens eine Stichprobe. Barbro! rief sie. O, aber diesmal war die Köchin aus, Barbro war daheim, und die Mägdekammer glänzte in Unschuld. Die Frau mußte schnell einen Vorwand erfinden. Hast du die Wäsche gestern abend hereingeholt? – Ja! – Das ist gut, denn es fängt an zu stürmen. Gute Nacht.

Es war übrigens recht lästig für Frau Heyerdahl, sich von ihrem Mann in der Nacht wecken zu lassen und selbst zu den Mädchen hinüber zu tappen, um nachzusehen, ob sie zu Hause seien! Geschehe, was da wolle, sie tat es nicht mehr.

Und wenn nun das Glück sie nicht im Stich gelassen hätte, so hätte es Barbro auf diese Weise das Jahr durch mit ihrer Herrin aushalten können. Aber vor einigen Tagen hatte es einen Krach zwischen ihnen gegeben.

Es war frühmorgens in der Küche. Zuerst hatte sich Barbro ein wenig mit der Köchin gezankt, ja, nicht nur so ganz wenig, sie sprachen lauter und lauter und vergaßen, daß Frau Heyerdahl kommen könnte. Die Köchin hatte sich schlecht benommen und hatte sich außer der Reihe fortgeschlichen, weil es Sonntagsnacht gewesen war. Und womit entschuldigte sie sich? Sagte sie, sie habe fort müssen, um sich von einer teueren Schwester zu verabschieden, die nach Amerika reise? Keine Spur, sie entschuldigte sich gar nicht, sondern behauptete, sie habe diese Sonntagsnacht gut gehabt. – Daß du auch gar keine Ehre und Wahrhaftigkeit im Leibe hast, du Canaille! rief Barbro.

Da stand Frau Heyerdahl unter der Türe.

Sie hatte sich vielleicht ursprünglich nur eine Erklärung für dieses laute Geschrei ausbitten wollen, erwiderte auch noch den Mädchen ihren Morgengruß, aber dann sah sie plötzlich Barbro scharf an, sah Barbros Brusttuch an, beugte sich vor und sah noch näher zu. Das fing an unheimlich zu werden. Und plötzlich stößt Frau Heyerdahl einen Schrei aus und weicht zur Türe zurück. Was in aller Welt ist das? denkt Barbro und schaut an sich herunter. Lieber Gott, nichts als eine Laus! Barbro muß ein wenig lächeln, und da es ihr nicht ungewohnt ist, auch in außerordentlichen Umständen zu wissen, was sie zu tun hat, knipst sie die Laus weg. – Was, auf den Fußboden! schreit die Frau Lensmann. Bist du verrückt! Gleich nimm das Tier auf! – Ja, Barbro beginnt zu suchen und ist wieder rasch gefaßt, sie tut, als ob sie die Laus gefunden hätte, und wirft sie großartig ins Küchenfeuer.

Wo hast du die her? fragt die Frau erregt. – Wo ich die her habe? antwortet Barbro. – Ja, ich will wissen, wo du gewesen bist und sie dir geholt hast. Antworte! – Nun machte Barbro den großen Fehler, daß sie nicht sagte: Im Kaufladen! Das wäre das einzig richtige gewesen. Nein, sie wußte nicht, wo sie die Laus aufgelesen haben könnte, aber sie deutete an, sie habe sie vielleicht durch die Köchin bekommen. Da fuhr die Köchin plötzlich hoch auf: Du von mir! Du bringst es für dich allein fertig, dir Läuse zu holen! – Aber du warst es doch, die heute nacht aus war!

Abermals ein großer Fehler, das hätte sie niemals sagen sollen. Nun hatte die Köchin auch keinen Grund mehr zu schweigen, und alles von den unglückseligen Nächten außer dem Hause kam an den Tag. Frau Heyerdahl ist in höchster Erregung; von der Köchin will sie nichts, ihre Erregung gilt Barbro, dem Mädchen, für das sie eingestanden ist. Und dennoch hätte vielleicht auch jetzt noch alles gerettet werden können, wenn Barbro ihr Haupt gebeugt hätte wie ein Schilfrohr, und zu Boden gesunken wäre und sich hoch und teuer verschworen hätte, es in Zukunft nie mehr zu tun. Aber nein, Frau Heyerdahl mußte schließlich ihr Kindermädchen daran erinnern, was sie alles für sie getan hatte, und da gab Barbro wahrhaftig Antwort, sie trumpfte auf, so dumm war sie. Ja, oder vielleicht war sie auch so klug, vielleicht wollte sie die Sache auf die Spitze treiben, um von da wegzukommen. Frau Heyerdahl sagte: Ich habe dich aus den Klauen des Löwen gerissen. – Was das betrifft, erwiderte Barbro, so wäre es mir ebenso lieb, wenn Ihr es nicht getan hättet. – Ist das der ganze Dank, den ich bekomme? rief Frau Heyerdahl. – Ach, was soll das Gerede! sagte Barbro. Vielleicht wäre ich verurteilt worden, aber mehr als ein paar Monate hätte man mir jedenfalls nicht gegeben, und dann wäre ich die Geschichte los! – Frau Heyerdahl ist einen Augenblick sprachlos, ja eine Weile steht sie nur da, öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Das erste Wort, das sie herausbringt, ist die Kündigung. Ja, ganz wie Ihr wollt, ist alles, was Barbro erwidert.

Während der Tage, die seither verflossen sind, hat sich Barbro bei ihren Eltern aufgehalten. Aber dort konnte sie nicht immer bleiben. O, es ging ihnen nicht schlecht, die Mutter trieb jetzt einen Kaffeeausschank, und es kamen immer viele Leute ins Haus; aber davon konnte Barbro nicht leben, und sie konnte ja auch andere gute Gründe haben, warum sie wieder in eine feste Stellung kommen wollte. So nahm sie also heute einen Sack mit Kleidern auf den Rücken und wanderte das Ödland hinauf. Nun kam es darauf an, ob Axel Ström sie wieder aufnehmen würde! Aber sie hatte am letzten Sonntag das Aufgebot verkünden lassen.

Es regnet, der Weg ist schmutzig, aber Barbro geht weiter. Es wird Abend, und da der Sankt Olafstag noch nicht gewesen ist, wird es nicht dunkel. Arme Barbro, sie schont sich nicht, sie hat eine bestimmte Absicht, sie hat ein Ziel, und so nimmt sie den ersten Kampf auf. Sie hat sich im Grunde niemals geschont, ist niemals träge gewesen, darum ist sie auch ein schönes und feines Geschöpf. Barbro hat eine leichte Auffassungsgabe, gebraucht sie jedoch oftmals zu ihrem eigenen Verderben. Was war auch anderes zu erwarten? Sie hat gelernt, sich von einer Not in die andere zu retten, aber sie hat verschiedene gute Eigenschaften behalten; der Tod eines Kindes ist ihr nichts, aber ein lebendes Kind könnte es gut bei ihr haben. Außerdem hat sie ein sehr musikalisches Ohr, sie klimpert weich und richtig auf der Gitarre und singt mit etwas heiserer Stimme dazu, was angenehm und etwas wehmütig anzuhören ist. Sich selbst schonen? Ho, so wenig, daß sie sich selbst völlig weggeworfen und den Verlust nicht einmal empfunden hatte. Dann und wann weinte sie, und das Herz wollte ihr über dies und jenes in ihrem Leben fast brechen; das gehört dazu, das kommt von den rührenden Liedern, die sie singt, das ist die Poesie und die süße Wonne der Wehmut in ihr, sie hat häufig sich selbst und andere damit angeführt. Hätte sie ihre Gitarre mit sich nehmen können, so hätte sie heute abend Axel etwas vorgeklimpert.

Sie richtet sich so ein, daß sie spät anlangt, und auf Maaneland ist alles still, als sie den Hofraum betritt. Sieh, Axel hat schon in der Nähe des Hauses mit dem Mähen begonnen und wahrhaftig auch schon etwas trockenes Heu eingefahren! Nun überlegt sich Barbro, die alte Oline werde drinnen in der Schlafkammer schlafen und Axel in der Heuscheune, wo sie selbst früher geschlafen hatte. Wie ein Dieb in der Nacht schleicht sie auf die bekannte Tür zu, dann ruft sie leise: Axel! – Was gibt's? antwortet Axel sofort. – Ich bin's nur, sagt Barbro und tritt zu ihm ein. Kannst du mich über Nacht hier behalten?

Axel schaut sie an, er ist etwas langsam, er sitzt in seinen Unterkleidern da und schaut sie an. So, du bist's? sagt er. Wo willst du hin? – Ja, das kommt nun zuerst darauf an, ob du eine Hilfe für die Sommerarbeit brauchst, erwidert sie. – Axel denkt darüber nach und fragt: Bleibst du nicht mehr dort, wo du gewesen bist? – Nein, bei Lensmanns hab ich Schluß gemacht. – Ich könnte recht gut eine Hilfe für die Sommerzeit brauchen, sagt Axel. Aber was soll das heißen, willst du etwa wiederkommen? – Nein, du brauchst dich gar nicht um mich zu kümmern, wehrt Barbro ab. Morgen geh ich weiter, ich geh nach Sellanraa und über die Berge, dort hab ich eine Stelle. – So, du hast dich verdingt? – Ja. – Ich könnte wohl eine Hilfe für den Sommer brauchen, wiederholt Axel.

Barbro ist ganz naß, sie hat Kleider in ihrem Bündel bei sich und muß sich umziehen. Kümmere dich gar nicht darum, daß ich hier bin, sagt Axel und weicht nur ein wenig nach der Tür zurück. Barbro zieht die nassen Kleider aus, und währenddessen sprechen sie miteinander und Axel dreht öfters den Kopf nach ihr um. – Aber jetzt mußt du ein wenig hinausgehen, sagt Barbro. – Hinausgehen? fragt er. Und es war auch wirklich kein Wetter zum Hinausgehen. Er steht da und sieht zu, wie sie immer nackter wird, er kann kein Auge von ihr abwenden; und wie gedankenlos Barbro ist, sie hätte gut immer ein trockenes Stück anlegen können, wenn sie das nasse abzog, aber das tat sie nicht. Ihr Hemd ist ganz dünn und klebt an ihrem Körper, sie knöpft es auf der einen Achsel auf und wendet sich um, sie ist sehr geübt. In diesem Augenblick schweigt Axel bums still, und sieht, daß sie nur einen Griff oder zwei braucht, um das Hemd abzuziehen. Das ist prachtvoll gemacht, denkt er. Und da bleibt sie nun ganz gedankenlos stehen.

Später liegen sie im Heu und unterhalten sich. Jawohl, er brauche eine Hilfe für den Sommer, das sei schon wahr. – Ja, so sagte man mir, stimmt Barbro bei. – Er habe auch in diesem Jahr wieder allein mit dem Mähen und Heumachen anfangen müssen, Barbro könne wohl verstehen, wie ratlos er sei. – Ja, Barbro verstand alles. – Andererseits sei es doch gerade Barbro gewesen, die damals davongelaufen sei und ihn ohne weibliche Hilfe zurückgelassen habe; das könne er nicht vergessen, und die Ringe habe sie auch mitgenommen. Und zu aller Schmach sei auch noch ihre Zeitung immer weiter gekommen, diese Bergensche Zeitung, die er gar nicht loswerden konnte, und er habe sie hinterher noch für ein ganzes Jahr bezahlen müssen. – Das war ja ein schändliches Blatt, sagte Barbro und stellte sich die ganze Zeit auf seine Seite. Aber bei so großer Willfährigkeit konnte auch Axel kein Unmensch sein, er gab zu, daß Barbro Grund gehabt haben könnte, sich auch über ihn zu ärgern, weil er die Aufsicht über die Telegraphenlinie ihrem Vater weggenommen hatte. Übrigens kann dein Vater den Telegraphen wieder haben, ich mache mir nichts daraus, es ist nur Zeitverlust. – Ja, sagte Barbro. – Axel überlegte eine Weile, dann fragte er geradezu: Ja, wie ist das, willst du nur den Sommer über bleiben? – Ach, das soll so werden, wie du es haben willst, entgegnete Barbro. – So, ist das deine aufrichtige Meinung? – Ja, genau was du willst, das will ich auch. Du brauchst nicht mehr an mir zu zweifeln. – So. – Nein. Und ich hab uns auch in der Kirche aufbieten lassen.

So. Das war keine schlimme Kunde. Axel blieb ruhig liegen und überlegte. Wenn es diesmal ernst war und nicht wieder ein schändlicher Verrat, so hatte er die eigene Frau im Hause, und es war ihm für alle Zeit geholfen. – Ich hätte eine Frau von daheim haben können, sagte er. Sie hat geschrieben, sie wolle mich haben. Aber ich hätte ihr die Rückreise von Amerika bezahlen müssen. – Barbro fragt: So, ist sie in Amerika? – Ja, sie ist voriges Jahr hingereist; aber es gefällt ihr nicht dort. – Nein, du mußt dich nicht um sie kümmern! erklärt Barbro. Was würde sonst aus mir? fragt sie und beginnt zu weinen. – Darum hab ich es auch nicht fest mit ihr gemacht, sagt Axel.

Nun wollte Barbro aber auch nicht zurückstehen, sie bekannte, daß sie in Bergen einen Mann hätte haben können, er sei Bierführer bei einer gewaltig großen Brauerei, und ihm sei viel anvertraut. Und er grämt sich gewiß immer noch um mich, sagt Barbro schluchzend. Aber weißt du, wenn zwei Leute soviel miteinander gehabt haben, wie du und ich, Axel, dann kann ich nicht vergessen, wenn du auch längst vergessen hast. – Wer, ich? erwidert Axel. Nein, darum brauchst du nicht zu weinen, ich habe dich niemals vergessen. – So.

Dieses Zugeständnis ist Barbro eine große Hilfe, und sie sagt: Unsinn, was willst du denn das viele Reisegeld ganz von Amerika herüber bezahlen, wenn du es doch nicht nötig hast. – Sie rät ihm von der ganzen Sache ab, es würde zu teuer, und er sei doch nicht dazu gezwungen. Barbro schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, sein Glück selbst zu begründen.

Im Lauf der Nacht werden sie einig. Sie waren einander ja nicht fremd und hatten schon oft alles miteinander besprochen. Auch die notwendige Trauung sollte noch vor dem St. Olafstag und der Heuernte vor sich gehen, sie hatten nicht nötig, sich zu verstellen, und Barbro drängte jetzt selbst am eifrigsten. Axel stieß sich nicht daran, daß Barbro es jetzt so eilig hatte, und es erweckte auch keinen Verdacht in ihm, im Gegenteil, ihre Eile schmeichelte ihm und feuerte ihn an. Jawohl, er war ein Ödlandbewohner, ein wetterfester Mann, er nahm es nicht so genau, war wahrlich nicht überfein, er war zu allerlei genötigt, er sah auf den Nutzen. Dazu kam noch, daß ihm Barbro wieder ganz neu und schön erschien, beinahe reizender als zuvor. Sie war ein frischer Apfel, und er biß hinein. Sie waren ja bereits aufgeboten.

Über die Kindsleiche und die Gerichtsverhandlung schwiegen alle beide.

Dagegen redeten sie von Oline, und wie sie sie loswerden könnten? Ja, sie muß zum Hause hinaus, erklärte Barbro. Wir sind ihr keinen Dank schuldig. Sie ist nichts als ein Klatschweib voller Bosheit. – Aber es erwies sich als sehr schwierig, Oline los zu werden.

Gleich am ersten Morgen, als Barbro zum Vorschein kam, ahnte Oline ihr Schicksal. Ihr wurde sofort schlimm zumute, aber sie verbarg das und nickte und bot Barbro einen Stuhl an. Es war doch auf Maaneland einen Tag nach dem andern gegangen. Axel hatte Wasser und Brennholz herbeigetragen und ihr die schwersten Arbeiten abgenommen, und den Rest hatte Oline fertig gebracht. Im Lauf der Zeit hatte sie sich entschlossen, bis zum Ende ihres Lebens auf der Ansiedlung zu bleiben, aber da kam diese Barbro und machte diesen Plan zunichte.

Wenn eine Kaffeebohne im Hause wäre, so hätte ich dir einen Kaffee gemacht, sagte sie zu Barbro. Willst du noch weiter hinauf in die Berge? – Nein, erwiderte Barbro. – So, du willst nicht weiter hinauf? – Nein. – Nun, mich geht es ja nichts an, sagte Oline. Willst du wieder hinunter? – Nein, auch das nicht, ich bleibe jetzt wieder hier. – So, du willst wieder hier bleiben? – Ja, so wird's wohl kommen.

Oline wartet eine Weile, sie gebraucht ihren alten Kopf, der steckt bereits voller Politik: Ja, sagt sie. Dann kann ich hier loskommen. Das freut mich sehr. – So, ist Axel ein so scharfer Herr gewesen? sagt Barbro im Scherz. – Scharf? Er? Geh doch und treibe nicht deinen Spaß mit einer alten Frau, die nur noch auf die Erlösung wartet. Er, der Axel ist wie ein Vater und eine höhere Fügung für mich gewesen, jeden Tag und jede Stunde, anders kann ich nicht sagen. Aber ich habe nun einmal niemand von den Meinigen hier in der Gegend, ich stehe einsam und verlassen auf anderer Leute Eigentum und habe alle meine Angehörigen auf der andern Seite des Gebirges.

Aber Oline blieb da. Sie war nicht eher als nach der Trauung zu entbehren, und Oline sträubte sich lange, sagte aber endlich ja, sie wolle ihnen die Gefälligkeit erweisen und das Haus hüten und für das Vieh sorgen, während sie getraut würden. Das nahm zwei Tage in Anspruch. Als aber die Neuverheirateten heimkamen, ging Oline doch nicht. Sie verschob es immer wieder, den einen Tag behauptete sie, es sei ihr nicht gut, den andern sah es aus, als ob es regnen wollte. Sie schmeichelte Barbro, es sei jetzt auf Maaneland mit der Kost ganz anders geworden und doch auch Kaffee im Hause! O, Oline scheute vor nichts zurück, sie fragte Barbro bei Dingen um Rat, die sie selbst viel besser wußte. Was meinst du, soll ich die Kühe nach der Reihe melken, wie sie im Stall stehen, oder soll ich Bordelin zuerst nehmen? – Das kannst du halten wie du willst. – Ja, hab ich es nicht gesagt! ruft Oline. Du bist draußen in der Welt unter hohen und vornehmen Leuten gewesen und hast alles gelernt. Mir armen Person ist's nicht so gut gegangen.

Nein, Oline scheute vor nichts zurück, sondern trieb Politik Tag und Nacht. Erzählte sie nicht Barbro, wie sehr gut Freund sie mit ihrem Vater, mit Brede Olsen, sei! Ho, sie habe manche vergnügte Stunde mit ihm verplaudert, er sei so ein netter und freundlicher Mann, der Brede, nie höre man ein unfreundliches Wort aus seinem Munde!

Aber es ging doch nicht auf die Dauer, weder Axel noch Barbro wollte Oline länger im Hause behalten, und Barbro nahm ihr alle Arbeit aus der Hand. Oline beklagte sich nicht, aber sie sagte mit einem gefährlichen Seitenblick auf die Hausfrau und mit leicht verändertem Tone: Ja, ihr seid jetzt große Leute, sagte sie. Der Axel hat letzten Herbst eine Reise in die Stadt gemacht, hast du ihn dort getroffen? Ach nein, du bist ja in Bergen gewesen. Er hatte etwas in der Stadt zu besorgen, er hat eine Mähmaschine und einen Reolpflug gekauft. Was sind die auf Sellanraa gegen euch? Gar nicht zu vergleichen!

Oline versetzte kleine Nadelstiche, allein auch das half nichts, die Herrschaft fürchtete sich nicht vor ihr, Axel sagte ihr eines Tages gerade heraus, daß sie jetzt gehen müsse. – Gehen? fragte Oline. Wie denn? Muß ich kriechen? Sie weigerte sich zu gehen unter dem Vorwand, daß sie nicht recht gesund sei und die Beine nicht rühren könne. Und so schlimm mußte es wirklich gehen: als ihr die Arbeit abgenommen war und sie kein Feld der Tätigkeit mehr hatte, da fiel sie zusammen und wurde tatsächlich krank. Sie schleppte sich noch eine Woche lang herum, Axel schaute sie wütend an, aber Oline blieb aus lauter Bosheit, und zuletzt mußte sie sich zu Bett legen.

Aber nun lag sie keineswegs nur da und wartete auf ihre Erlösung, sie sprach im Gegenteil stundenlang davon, daß sie bald wieder gesund werde. Sie begehrte den Doktor, eine Großartigkeit, die im Ödland völlig unbekannt war. – Den Doktor? sagte Axel fragend. Bist du nicht bei Trost? – Wieso? fragte Oline sanft zurück und verstand rein gar nichts. Ja, sie war ganz sanft und mild und sprach sich so erfreut aus, daß sie niemand zur Last falle, sie könne den Doktor selbst bezahlen. – So, das kannst du? sagte Axel. – So, kann ich es vielleicht nicht? entgegnete Oline. Und außerdem werde ich doch nicht angesichts des Erlösers wie ein Tier hier verenden sollen? – Jetzt mischte sich Barbro ein und fragte unvorsichtigerweise: Was fehlt dir denn? Ich bringe dir doch deine Mahlzeiten. Aber den Kaffee habe ich dir in guter Absicht versagt. – Bist das du, Barbro? fragt Oline und dreht nur die Augen nach ihr hin. Sie ist sehr elend und sieht mit den verdrehten Augen ganz unheimlich aus. Es wird wohl so sein, wie du sagst, Barbro, daß ich von einem winzigen Tröpfchen Kaffee, einem Löffelchen voll Kaffee viel kränker würde. – Wenn du wärest wie ich, so hättest du jetzt an anderes zu denken, als an Kaffee, sagte Barbro. – Habe ich es nicht gesagt? Du hast noch nie eines Menschen Tod gewollt, sondern daß er sich bekehre und lebe. Aber was – was sehe ich? Bist du denn in der Hoffnung, Barbro? – Ich! rief Barbro und fügte wütend hinzu: Du gehörst auf den Mist geworfen mit deinem Mundwerk!

Hier schweigt die Kranke einen Augenblick nachdenklich, und ihr Mund zittert, als ob er durchaus lächeln möchte und doch nicht dürfe. – Ich habe heute Nacht jemand rufen hören, sagt sie. – Sie ist nicht bei sich! flüstert Axel. – Doch, ich bin ganz bei mir. Es war gerade, als ob jemand riefe. Es kam aus dem Wald oder vom Bach her. Es war sonderbar, gerade wie das Schreien eines kleinen Kindes. Ist Barbro hinausgegangen? – Ja, sagte Axel, sie will deine Narrheiten nicht länger mit anhören. – Ich spreche keine Narrheiten, ich bin nicht so von Sinnen, wie ihr meint, sagte Oline. Nein, das ist nicht des Allmächtigen Wunsch und Wille, daß ich jetzt schon mit allem, was ich von Maaneland weiß, zum Thron des Lammes eingehen soll. Ich werde wohl wieder gesund. Aber du sollst mir den Doktor holen, Axel, dann geht es schneller. Was ist das für eine Kuh, die du mir geben willst? – Was für eine Kuh? – Die Kuh, die du mir versprochen hast. Ist es Bordelin? – Du sprichst in den Tag hinein, sagt Axel. – Du weißt, daß du mir eine Kuh versprochen hast, damals, als ich dir das Leben rettete. – Nein, das weiß ich nicht.

Da hebt Oline den Kopf und schaut ihn an. Sie ist ganz kahlköpfig und grau, ihr Kopf sitzt auf einem langen Vogelhals, sie sieht hexenmäßig und fürchterlich aus, Axel fährt zurück und greift rückwärts nach der Türklinke. – So, sagt Oline, du bist von der Sorte! Dann sprechen wir vorerst nicht mehr davon. Ich kann auch ohne die Kuh leben und werde sie nicht mehr in den Mund nehmen. Aber es ist gut, daß du dich genau als der Mann gezeigt hast, der du bist, so weiß ich es für ein andermal.

Aber in der Nacht starb Oline, zu irgendeiner Stunde in der Nacht, jedenfalls war sie bereits kalt, als sie morgens zu ihr hereinkamen.

Die alte Oline, geboren und gestorben ...

Es war weder Axel noch Barbro unlieb, daß sie Oline für immer begraben konnten, sie brauchten jetzt nicht mehr so auf der Hut zu sein, sie konnten vergnügt leben. Barbro klagt wieder über Zahnweh, sonst ist alles gut. Aber dieses ewige wollene Tuch um den Mund, das sie immer wegziehen muß, wenn sie ein Wort reden will, ist keine kleine Plage, und Axel kann das viele Zahnweh nicht begreifen. Er hatte wohl die ganze Zeit her ihre vorsichtige Art zu kauen beobachtet, aber es fehlte ihr doch kein Zahn im Mund. – Hast du dir denn keine neuen Zähne machen lassen? fragt er. – Doch. – Ja, tun die denn auch weh? – Spotte nicht so! erwidert Barbro erzürnt, obgleich er wirklich in gutem Glauben gefragt hatte. Und in ihrer Bitterkeit kommt sie dazu, bessere Auskunft zu geben: Du siehst doch, wie es mit mir steht.

Wie es mit ihr stand? Axel sieht etwas näher zu und bemerkt, daß sie bereits anfängt einen dicken Leib zu bekommen. – Du bist doch nicht in der Hoffnung? fragt er. – Doch, das weißt du wohl, erwidert sie. – Etwas vor den Kopf geschlagen starrt er sie an. In all seiner Langsamkeit sitzt er da und rechnet eine Weile: eine Woche, zwei Wochen, in der dritten Woche. – Weiß ich das? sagt er. – Barbro ist sehr gereizt durch dieses Zwiegespräch und fängt an laut hinauszuweinen, ja gekränkt zu weinen. Du kannst mich nur auch gleich in die Erde graben, dann bist du mich los! ruft sie.

Merkwürdig, was die Weiberleute für Gründe zum Weinen finden können!

Nein, Axel will Barbro durchaus nicht in die Erde graben, er ist ein handfester Mann, der auf den Nutzen sieht; in einem Blumenflor zu waten, dazu hat er keine Lust. – Dann kannst du im Sommer nicht auf dem Feld arbeiten? fragt er. – Was, nicht auf dem Feld arbeiten? erwidert sie entsetzt. Und lieber Gott, worüber ein Frauenzimmer doch plötzlich wieder lächeln kann! Als es Axel auf diese Weise nahm, rieselte ein hysterisches Glücksgefühl durch Barbros Körper, und sie rief: Für zwei werde ich arbeiten! Du wirst sehen, Axel, daß ich alles arbeite, wobei du mich anstellst, und noch viel mehr. Ich will mich abrackern und noch vergnügt dabei sein, wenn du nur zufrieden bist!

Es gab noch mehr Tranen und Lächeln und Zärtlichkeiten. Die beiden waren allein im Ödland, niemand war zu fürchten, offene Türen, Sommerwärme, Fliegengesumm. Sie war so willfährig und hingebend, alles wollte sie genau so wie er.

Nach Sonnenuntergang ist Axel damit beschäftigt, seine Mähmaschine anzuspannen, er will noch ein kleines Stück abmähen für den nächsten Morgen. Barbro kommt hastig herausgelaufen, als ob sie etwas Wichtiges zu besorgen hätte, und sagt: Du, Axel, wie hast du überhaupt daran denken können, dir jemand aus Amerika kommen zu lassen? Sie wäre ja erst bis zum Winter hier gewesen, und was hättest du da noch mit ihr angefangen? – Seht, auf diesen Gedanken war Barbro verfallen, und nun kam sie damit angelaufen, wie wenn das notwendig wäre!

Aber es war keineswegs notwendig, Axel hatte von der ersten Stunde an eingesehen, daß er eine weibliche Hilfe für ein ganzes Jahr gewann, wenn er Barbro wieder zu sich nahm. Dieser Mann schwankt nicht, und er träumt sich nicht zu den Sternen hinauf. Nun hat er die eigene Frau im Hause und kann auch die Telegraphenlinie noch eine Zeitlang behalten. Im Jahre macht das doch viel Geld aus, und das ist ihm sehr willkommen, solange er nicht viel vom Ertrag des Hofes verkaufen kann. Alles geht und fügt sich ineinander, er ist mitten in der Wirklichkeit. Und von Brede, der jetzt sein Schwiegervater ist, erwartet er auf der Telegraphenlinie keinen Überfall mehr.

Das Glück fängt an, Axel mit seinen Gaben zu überschütten.


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