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Die meisten Leute werden die Frage nach dem Gefühl entscheiden. Wer an gedrungenen, bodenständigen Wortformen Freude hat, wird sich zweifellos für «Fürsprech» erklären; das Altertümliche, Landschaftliche, Abartige daran stößt ihn nicht, im Gegenteil. Wer dagegen sprachliche Gleichschaltung liebt, um alles in der Welt nicht auffallen möchte durch veraltete oder willkürliche Wortbildungen, durch gelehrte Eigenbrötelei oder hemdsärmliges Naturburschentum, für den kommt einzig «Fürsprecher» in Betracht. Da bleibt man hübsch bei der Regel. Männliche Berufsnamen enden auf -er, das weiß man doch!
Aber man weiß wahrscheinlich nicht, daß sich diese Regel erst in 157 neuer Zeit herausgebildet hat und daß das ältere Deutsch und mit ihm das Schweizerdeutsch die Berufsnamen auf zwei Arten vom Tätigkeitswort ableiten konnte: mit -o (später abgeschwächt zu -e) oder mit -er. So hieß z.B. der Wahrsager im Altsächsischen der wârsago, im Mittelhochdeutschen der wârsage, daneben aber auch schon der wârsager. Und dabei ist es geblieben. Wir kennen heute nur noch Wahrsager. Ehemals aber genügte die Stammsilbe des Tätigkeitswortes mit der Endung -o, dann -e und schließlich ohne Endsilbe. So bei Fürsprech:
althochdeutsch: furisprëcho, mittelhochdeutsch: vürsprëche, älterneuhochdeutsch und schweizerdeutsch: Fürsprech.
Solcher Namen für Berufs- und Amtsleute gab es in alter Zeit viele. Sie haben sich in der Schriftsprache als Ausnahmen, besonders in Familiennamen, häufiger aber in schweizerischen Mundartwörtern erhalten; viele sind untergegangen, indem sie Bildungen auf -er Platz gemacht haben: scultheißo (eigentlich einer, der von Amts wegen andere ihre Schuldigkeit tun heißt), schultheiße, Schultheiß; herizogo (Heerführer, vgl. lat. dux, von ducere), Herzoge, Herzog; steinmezzo, steinmetze, Steinmetz; forasago, vorsage (Prophet), Vorsager; warto, wart, noch vorhanden in Abwart, Tor-, Hütten-, Bahn-, Bannwart, aber meist abgelöst durch Wärter; scenko, schenke, Mundschenk und als Familienname Schenk, daneben Schenker (Schankwirt). Das alte becko, becke, mundartlich und als Familienname Beck, steht neben Bäcker; kempfo, kempfe und, als Familienname Kempf, Kämpf, neben sonstigem Kämpfer. Man vergleiche den Namen Faßbind (Küfer) neben Binder, Schär und Feldscher (Soldatenbarbier) neben Schärer und Scherer, mundartliches Dachdeck neben Dachdecker, Tröösch neben Drescher, Hindersäß und Gerichtssäß neben Beisitzer, altes Gastgeb, Ratgeb neben Gast- und Ratgeber, die Namen Neukomm (neu Gekommener) und Herkomer, Fehr und Fähr neben Fahrer und Ferge, mundartliche Berufsnamen niederer Art wie Schäärischlyff, Chüetrib, Pfanneflick.
Im schweizerdeutschen Sprachgebrauch sind seit dem 14. Jahrhundert Fürsprech und Fürsprecher gleichbedeutend nebeneinander bezeugt. Auch in Gotthelfs Werken findet man beide abwechselnd gebraucht. 158 Aber das ist schweizerische Schriftsprache. Niemand in der Schweiz (wenn er Schweizerdeutsch kann) sagt Fürsprecher, man schreibt nur so. Fürsprech allein ist volkstümlich. Und somit, wenn wir bodenständige Sprache pflegen wollen, hätten wir allen Grund, uns für das alte, bündige «Fürsprech» zu entscheiden, wenn nicht...
(Was nicht? Mit diesen Philologen wird man nie fertig!)
...wenn nicht die Deklination wäre. Wir müssen das schöne alte Wort auch im Satz brauchen können, also deklinieren können. Wie lautet beispielsweise die Mehrzahl? Fürsprechen, Fürspreche oder gar Fürsprecher? Die heutige Mundart (di Fürspräche) weist uns den Weg, und die Sprachgeschichte bestätigt ihn. Fürsprech gehört zur schwachen Biegung, deren Merkmal in der Mehrzahl das -en ist, also Fürsprechen. Wer sich da schwach fühlt, halte sich an ähnliche Beispiele aus der Mundart, deren schriftliche Form unzweifelhaft -en verlangt: die Schultheißen, Gerichtssäßen, die Steinmetzen, die Schenken, die Becken, nach meinem Sprachgefühl auch die Bannwarten. Das bloße Gefühl kann uns allerdings irreleiten: unsrer Mehrzahlform Stärne, Chärne, Esle, Chätzere, Schunde, Frösche u.a. müßte Schriftdeutsches Sternen, Kernen, Eseln, Ketzern, Schmieden, Fröschen entsprechen, was bekanntlich nicht der Fall ist. Aber das lernen unsre Kinder in der Schule. Die Mehrzahl von Fürsprech hingegen kaum. Fragt sich nur, ob wir Großen mundartlich fest genug wurzeln, um «Fürsprechen» durchzusetzen.
In der Einzahl macht nur der Wesfall Schwierigkeiten, weil er uns in der Mundart fehlt. Er sollte «des Fürsprechen» lauten, wie «des Knaben, Fürsten, Bauern» usw. Aber gerade das letzte Beispiel zeigt, wie sich eine starke Form (Bauers) in die schwache Biegungsregel einschleicht und festsetzt. Also wäre auch «Fürsprechs» zu verantworten. Im Wem- und Wenfall werden wir ohnehin nach dem Vorbild von «dem, den Bär, Graf, Held» usw. gehen, Wörter, die von Haus aus ebenfalls der schwachen Biegungsklasse angehören.
Der langen Rede kurzer Sinn: «Fürsprech», an sich eine schöne Bildung und gut schweizerisch, könnte gewagt werden, namentlich in Schriftwerken, die für schweizerische Leser bestimmt sind. Es gehört nur ein wenig Mut und Schneid dazu.