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In der Schweiz, und wohl auch anderswo, hört man das «vorlieb» häufig mit dem Ton auf «vor» sprechen, also wie in vorgestern, vormals, vorlängst, vorlaut. In diesen Wörtern hat aber das «vor» seinen ihm eigenen Sinn von «zeitlich vorausgehend». In «vorlieb» dagegen, das noch heute die Nebenform «fürlieb» aufweist, steckt jener Sinn von Stellvertretung, Ersatz oder Gleichsetzung, der allein dem «für» zukommt; so wenn wir sagen: für jemand einspringen (d.h. an seiner Statt), Gnade für Recht ergehen lasten (statt Recht), einen Tadel nicht für übel nehmen (nicht als übel) oder in der mundartlichen Wendung Nüt für unguet! (als ungut). Die Redensart «mit etwas vorliebnehmen» bedeutet also: etwas so aufnehmen, wie wenn es einem lieb wäre, besonders in Fällen, wo das Dargebotene als ungenügend, mangelhaft oder unerwünscht erscheinen könnte. Es ist also begreiflich, daß dieses «vorlieb» (für lieb) nicht auf «vor», sondern auf «lieb» betont werden muß. So ist auch «fürwahr» entstanden.
Nun lehrt uns die Sprachgeschichte, daß «vor» und «für» gleichen Ursprungs sind und in älterer Zeit gleichbedeutend gebraucht werden konnten. Man konnte gerade so gut Fürkauf wie Vorkauf sagen, Fürbild wie Vorbild, Fürhaben wie Vorhaben, fürtrefflich wie vortrefflich, wie man noch heute nebeneinander sagt fürerst und vorerst, Fürwitz und Vorwitz (vorauseilender, voreiliger Verstand). In andern Fällen sind deutliche oder feine Bedeutungsunterschiede fühlbar: Fürwort ist nicht Vorwort, Fürsprache nicht Vorsprache, Fürsorge (für jemand) nicht Vorsorge (auf Kommendes), mundartliches fürfahre (continuer) nicht Vorfahre (devancer en voiture). Ganz den zeitlichen Sinn von «vor» hat das «für» in dem Adverb «für und für» erhalten, das hauptsächlich in der Bibelsprache fortdauert.
Unsicher war von Anfang an und ist noch die Betonung von «fürbaß», entstanden aus «für» = vor, vorwärts und «baß» = besser, mehr; das Ganze also = besser vorwärts, entsprechend 103 unserm mundartlichen «bas ufe, bas abe, bas hindere, bas zuehe» usw. Logisch wäre der Nachdruck auf «für», aber vorgeschrieben wird er auf «baß». In der klassischen und neueren Dichtung findet man beides.
Den Süddeutschen und ganz besonders den Schweizer erkennt man an der falschen Betonung von «sofort, sogleich, sodann, alsdann, zugleich, zuweilen, bisweilen», die er alle auf der ersten Silbe statt auf der zweiten betont. Warum? Weil sie ihm nicht aus der Mundart, sondern aus der Büchersprache, also durchs Auge bekannt sind und er sie nach seiner allgemeinen Gewohnheit, Zusammensetzungen auf dem ersten Bestandteil zu betonen, ausspricht. In den Versdramen des lebenden Schweizer Dramatikers Liehburg z.B. findet man «sofort» regelmäßig mit dem Ton auf «so» verwendet.