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So nennt Paul Ilg die junge Heldin seines gleichnamigen Romans. Sie hat ihr Leben daran gesetzt, ihren Vater, den Chevalier de Fargues, aus der Bastille zu befreien. Darum heißt sie im Volksmund «la fille de la Bastille» — das Mädchen der Bastille. Aber ist das richtig übersetzt? Die Bastille hat einen Gouverneur, einen Beichtiger, einen Arzt, sie hat vor allem Gefangene, 129 Insassen, Wächter usw., das sind der Gouverneur, der Arzt, der Beichtiger der Bastille, das sind die Gefangenen der Bastille usw. Aber kann es auch ein Mädchen der Bastille geben? Kann ein Mädchen, darum, weil es sich verkleidet in die Bastille schleicht, um den Vater zu suchen, «das Mädchen der Bastille» heißen? Wenn wir von einem Mädchen der Gräfin oder einer Frau X hören, so kann es das Kammermädchen, vielleicht auch ein Töchterchen der Gräfin oder der Frau X sein — aber was sollen wir aus einem Mädchen der Bastille machen? Hat der Verfasser des Romans nicht einen Mißgriff getan, indem er das «de la Bastille» mit einem Genitiv übersetzte? Hat er nicht übersehen, daß «de la Bastille» sowohl «der Bastille» als «von der Bastille» bedeuten kann, und daß im vorliegenden Fall nur «von der Bastille» dem Sinn entspricht?
«La pucelle d’Orléans» ist nicht die «Jungfrau Orléans’», sondern die Jungfrau von Orléans oder, wie Schiller eines seiner Gedichte überschreibt: das Mädchen von Orléans; damit ist nicht etwa die Herkunft gemeint — das wäre Dom Rémy — sondern die Stadt, durch deren Einnahme das Mädchen zur Volksheldin geworden ist. Friedrich Halms Fechter von Ravenna ist nicht der Fechter Ravennas; er heißt «von Ravenna», weil seine Mutter Thusnelda ihn dort im Kerker geboren hat. Es gibt Titel von Büchern und Gedichten genug, die uns einen Bedeutungsunterschied zwischen Genitivfügung und Fügung mit «von» erkennen lassen. Die «Bettlerin vom Pont des Arts» ist nicht die Bettlerin des Pont des Arts, der «Einsame vom Berge» ist nicht der Einsame des Berges, das «Lied von den Glocke» ist nicht das Lied der Glocke, die «Unschuld vom Lande» ist nicht die Unschuld des Landes, die «Geschichte vom General Suter» (ein Schauspiel) ist keineswegs die Geschichte des Generals Suter. Wohl gibt es Fälle, wo im Deutschen beide Fügungen ziemlich gleichwertig sind: der «Glöckner von Notre Dame» ist wirklich der Glöckner der «Notre Dame», die «Frau vom Hause» ist nicht viel anderes als die Frau des Hauses, dagegen etwas anderes als die «Hausfrau»; die «letzten Zehn vom vierten Regiment» könnten auch die letzten Zehn des 130 vierten Regiments heißen; aber «Träume der Wüste» (von Boßhart) sind nicht Träume von der Wüste, denn es sind Sagen und Märchen, die gleichsam die Wüste selbst geträumt hat, und Briefe von meinem Vater (die er geschrieben hat) sind nicht notwendig auch Briefe des Vaters (die ihm gehören). Manchmal unterscheidet sich der eigentliche vom redensartlichen Sinn: das Ende vom Liede heißt redensartlich etwas anderes als das Ende des Liedes. So sagt man als Redensart immer: der Anfang vom Ende und nicht der Anfang des Endes.
Nun glaube man ja nicht, daß der literarische Sprachgebrauch in der Unterscheidung der beiden Fügungen sicher und tadellos sei. Schriftsteller, die eine Umgangssprache sprechen oder eine Mundart, sind mehr als andere geneigt, die Umschreibung des Genitivs mit «von» zu gebrauchen. Das läßt sich weit zurückverfolgen. Fangen wir nur bei Albrecht Haller an, der sich sein Leben lang um reines Deutsch bemüht hat und dennoch, ganz mundartlich «im Joch vom Aberglauben», «Gebieter von dem Winde», «beim Licht von der Vernunft», «würdig von Weihrauch und Altar» schreibt und (in seinem Roman «Fabius und Cato»): «Ich sehe den Untergang von unserem Vaterlande». Die Klassiker, namentlich die süddeutschen, leisten sich solche Freiheiten auch. Bei Wieland findet man allein im Oberon «der Feind von seinem Hause», «an der goldnen Lehne von seinem Stuhle», «dem Sohn und Erben von meinem guten Herrn», anderswo auch «am Räuber von einem so teuren Leben» und «Freunde, von denen schon der Anblick weise macht». Goethe schreibt im Tasso «das Ziel von seinem besten Wunsch» und in dem Gedicht «An Luna» redet er den Mond als «Schwester von dem ersten Licht» an, während zum Beispiel die gleiche Anrede in einem Mondlied von Hermann Burte lautet: «Holder Dieb des ersten Lichtes.» Und Grillparzer, der Österreicher...
Doch genug der Beispiele. Sie mahnen uns, nicht päpstlicher sein zu wollen als der Papst und die Schriftsprache nicht durch grammatische Orthodoxie gegen alles Volkstümliche abzusperren. Alle deutschen Mundarten und Umgangssprachen zeigen nämlich eine deutliche Abneigung gegen Genitivformen und -fügungen und 131 umgehen sie deshalb durch Umschreibung mit «von». Das weiß der gutgeschulte Schweizer Schriftsteller und fällt nun leicht, aus übertriebener Gewissenhaftigkeit, in den entgegengesetzten Fehler, daß er krampfhaft Genitive setzt, wo das «von» gut und recht wäre. So hat unlängst eine Lehrerzeitung an einem behördlichen Erlaß Kritik geübt, weil da von «Handarbeiten vom letzten Jahr» die Rede war. Gewiß mit Unrecht; denn es handelte sich um Handarbeiten, die vom letzten Jahre stammen und von da her gesammelt worden sind. Es liegt eine Vorstellung von Geschichte, von langsam gereifter Arbeit, von zeitlicher Entfernung in diesem «von», was dem kalt-logischen «Handarbeiten des letzten Jahres» abgeht. Der «Teekessel von der Urgroßmutter» sagt in diesem Sinne auch mehr als der «Teekessel der Urgroßmutter».
Und so sagt auch das «Mädchen von der Bastille» mehr als das «Mädchen der Bastille».