Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

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zäntum

Nicht centum, wie Gotthelf mit Humor und großartiger Unbekümmertheit um alles Sprachgeschichtliche schreibt, und auch nicht z’änetum, wie Rudolf v. Tavel schreibt, der sich doch aufs Berndeutsche verstand wie kein zweiter Stadtberner, sondern zäntum, auch zäntume. Alten Bernern ist das Wort noch wohlvertraut, aber den jüngeren fängt es an zu entschwinden oder ist schon entschwunden. Vielleicht verstehen sie nicht einmal den Witz des alten Ineichen, des ersten luzernischen Mundartdichters: ’s ist zentume öppis, nur i mym Gäldseckel ist nüüd: allenthalben ist etwas (nämlich Schlimmes), nur in meinem Geldsäckel ist nichts.

Warum sterben solche Wörter aus?

Weil ihre Lautform und besonders ihre Buchstabenform die Herkunft verdecken, unserm Wurzelgefühl nicht nachhelfen. Bei zäntum mag auch der störende Anklang an lat. centum: hundert, dazu beitragen, daß man dem Wort mißtraut, etwas Mißgeartetes vermutet, mit dem man sich lächerlich machen könnte — und da läßt man es lieber fahren. Schriebe man der Herkunft entsprechend z’äntum oder z’Änd-um, oder spräche und schriebe man wie die Basler: zänd-ane, so würde die Zusammensetzung schon etwas klarer. Noch besser wird dem Verständnis nachgeholfen, wenn man in altem Schweizerdeutsch liest: z’änt der Welt ume: bis zu Ende der Welt herum. Der Kern des Wortes ist also: zu Ende, mundartlich zänd, zusammengezogen wie zwäg (zu Weg), zhuus (Haus), zmitts (Mitte), zrings (Ring), zschuel (Schule), ztratz (Trotz), zleid (Leid), z’Fade schlah, z’Tod falle, z’Hudlen u z’Fätze verschlah; vgl. hochdeutsche Verbindungen wie zuweilen (Weile), zufolge (Folge), zurecht (Recht), zurück (Rücken), zufrieden (Friede) und mit verkürztem zu: zwar (aus ze wâre = in Wahrheit). Zäntum heißt also: bis ans Ende herum, örtlich gedacht, somit = überall, allenthalben.

An dieser Herkunft ist gar kein Zweifel, denn z’end kommt in zahlreichen Verbindungen mit Umstandswörtern vor: zänd-ab, zänd-ane, zänd-ufe, zänd-use. Der Obersachse, der das -nd wie der Emmentaler 79 auch als -ng ausspricht, sagt (mit adverbialem s, wie in unsrem mitts) zengs und zengst (das -t wie in unsrem anderst neben anders), zengst-naus, zengst-nunter; der Bayer hingegen zenz (aus z’ends), z.B. zenz-fuet (bis ans Ende fort), zenz-nah, zenz-ummi usw.

Das -t in unsrem zäntum ist eine nicht seltene Verhärtung des Auslautkonsonanten, die bei b, d, g im Mittelhochdeutschen allgemein war; wir sagen ja auch äntlech, früntlech usw., ferner wägg (weg, fort) neben Wäg, abb neben ab, sprichwörtlich: e guete Chrump isch nit ump, neben: e chrumbe oder chrumme Rügge usw.

Zäntum ist gebildet wie zringum, das auch mit adverbialem s vorkommt: zringsum und andere Erweiterungen aufweist: zringelum, zringsetum, deringsetum (den R.) und deringetsum.


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