Otto von Greyerz
Sprachpillen
Otto von Greyerz

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Düüri Landjeger

Sonderbar, daß man auf den Gedanken kommen konnte, flachgepreßte längliche Würste mit Landjägern zu vergleichen. Landjäger — ich spreche nicht von sportlich gedrillten Stadtpolizisten der Gegenwart — richtige Landjäger sahen nie besonders dürr aus. Im Gegenteil, ihr Embonpoint war typisch und bildete den beliebten Ausgangspunkt ergötzlicher Witze und Neckereien. «Dürre Landjäger» muß ein Irrtum sein.

Es ist auch einer. Mir wurde dieser Irrtum klar, als mir ein Appenzellerfreund, den ich besuchte, ein paar Würste zeigte, die ihm eine Verwandte aus seinem Heimatort gebracht hatte — sie sahen aber anders aus als die bei uns bekannten «dürren Landjäger» — und erklärend bemerkte: «Wäscht, das ischt näbes Bodestendigs; das sind lanntige Wörscht». Ich wußte zuerst nicht recht, was ich aus dem Wort machen sollte, ob land-tige oder lang-tige oder noch etwas anderes, aber ein Zusammenhang mit unsern «dürren Landjägern» dämmerte mir doch schon. Später fand ich in Toblers Appenzellischem Sprachschatz, daß «teges Fläsch» oder kurz «Teges» im Appenzellischen dürres oder geräuchertes Fleisch bedeutet, daß man da von «lang tegne» oder «hert tegne» Würsten redet und solche geräucherte Würste auch «Langtige», «Langteger» oder «düüri Lantiger» nennt.

Da waren sie also, die dürren Landjäger! Weiteres Suchen ergab, daß man auch anderwärts, z.B. im Toggenburg, in Baselland und im Aargau «tiges Fleisch», sogar «tiges Holz» im Sinne von dürrem, geräuchertem Fleisch, dürrem oder doch getrocknetem Holz kennt, im Gegensatz zu grünem Fleisch oder Holz. Franz Xaver Herzog, in seinem «Samiklaus unterm Nußbaum», redet davon, wie sich irgendein widerspenstiger Balz durch ein paar «Tigerwürste» werde zur Unterschrift überreden lassen. Auch im Bayrischen ist «digen» nicht unbekannt im Sinne von «gselcht» (geräuchert). Das Wörterbuch von Schmeller kennt «digne Wurst», «tigen oder gselcht 10 Fleisch», sogar, aus älterer Sprache, «digen weinper» (getrocknete Weinbeeren).

Dieses «digen» oder «tige» ist nichts anderes als das neuhochdeutsche «gediegen», Mittelform von gedeihen, dessen Grundform Leihen so gut wie ausgestorben ist. Aus der Bedeutung austrocknen, zusammendrängen muß sich im Partizip die von fest, dicht, gehaltvoll, echt entwickelt haben; gediegene Kenntnisse: gründliche, solide Kenntnisse, wie gediegenes Gold: durch und durch echtes Gold.

Aber nun lanntige? Am wahrscheinlichsten ist die Erklärung aus «lang tige»; das kann sowohl heißen: lang gediegen, also lang getrocknet, geräuchert, als auch (wie sich aus dem Namen «lange Appenzeller Wurst» ergibt) lang und gediegen. Doch auch landtige (im Lande gediegen oder, richtiger, im Lande gediehen — gewachsen, geworden) ist nicht zu verwerfen. Für diese Erklärung spricht eine Stelle in unserm Chronisten Valerius Anshelm (3,162), wo von einem «lantdiechinen groben, grawen Rock» die Rede ist, den ein geistlicher Würdenträger vor Gericht gegen seinen Ornat eintauschen muß. Damit ist doch wohl ein im Lande gewobener, schlichter Rock gemeint. Die Lautform «diechinen» mit ch anstatt g könnte als fränkischer Einschlag in der Mundart Anshelms, der aus dem schwäbischen Rottweil stammte, erklärlich sein.

Um die Lebensgeschichte des Wortes kurz zusammenzufassen: Im Appenzell und anderswo gab es «lang tege Wörscht», d.h. lang geräucherte, die man auch kurz «Langtige» nannte, wie man etwa kurz «Gschwellti» für geschwellte Erdäpfel sagt. Aus «Langtige» machte der (hierin nicht gerade witzige) Volkswitz «Langtiger», so daß nun auch «Tigerwürscht» entstehen konnte. Da der Sinn von «tige» oder «Tiger» verloren gegangen war, glaubte man das Wort durch «dürr» erläutern zu müssen und sagte «dürre Lantiger», deutete aber die Landtiger zu «Landjeger» um. Dies war durch die altmundartliche Aussprache von «Jeger» als «ieger» mit dem Ton auf i erleichtert (vgl. iez, en iedere, Heriemer). Daß Langtiger als Landtiger verstanden werden konnte, wird besser begreiflich, wenn man weiß, daß aus berndeutschem längwilig, längtwilig ein läntwilig entstanden ist.


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