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Jetzt, wo die alte «Schaal» an der Metzgergasse vor dem Abbruch steht und ihr merkwürdiger Name für kurze Zeit noch einmal auflebt, sei auch der Herkunft des Wortes gedacht.
Auf deutschem Sprachgebiet außer der Schweiz ist es so gut wie unbekannt. Bei uns hat es eine lange Vergangenheit. Die Belege gehen bis ins frühe 14. Jahrhundert zurück. Aus einer Basler Metzgerordnung von 1365 wird die Stelle angeführt: «Item daß man enkein finnig fleisch... in der schale sol feil han noch da verkoufen.» Gemeint ist also eine Fleischschaal oder Fleischbank. Es gab daneben auch Fisch-, Brot- und Lederschaalen. Nach H. Türler standen an der Gerechtigkeitsgasse in Bern bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Brotschaal und eine «niedere Fleischschaal», nach deren Abbruch eben die neue, jetzt zum Verschwinden verurteilte Schaal an der Kram- und Metzgergasse erstellt wurde (1468). Den Namen «Brod-Schol» liest man noch heute an einem Haus am Luzerner Weinmarkt.
Größeren Eindruck als die Schaal selber machte auf uns Kinder die Geschichte vom «Schaaltier», einem Gespenst, das in Gestalt eines geschundenen Kalbes (ähnlich wie das Spalentier in Basel) umgehen sollte und mit dessen nachgeahmtem Gebrüll man uns das Gruseln beibrachte. (Worüber Näheres und Ergötzliches in Tavels «Jä gäll, so geit’s!»)
48 Das Wort muß aus italienischen See- und Handelshäfen zu uns gelangt sein, wobei sich das anlautende sc- von scala in sch- verwandelte, wie beispielsweise auch in scatola (Schachtel), scaramuccio (Scharmützel) und ähnlich in squadrone (Schwadron). Scala aber bedeutete nicht nur, wie heute, Treppe, Leiter, sondern auch, als wesentlicher Bestandteil eines Hafenplatzes, den Seehafen selbst, wie denn die Redensart fare scala gebraucht wurde wie pigliare porto, d.h. im Hafen anlegen, landen. Von der Landungstreppe und dem dazugehörenden Verkaufsplatz (scala di conmercio) scheint sich das Wort auch auf die Verkaufsstände und -bänke ausgedehnt zu haben und in diesem Sinne bei uns heimisch geworden zu sein. Nebenbei: die berühmte Scala in Mailand ist eigentlich das Teatro della scala, das wie mehrere italienische Kirchen auch (Santa Maria und San Francesco della scala) ihren Namen von der in die Augen fallenden Freitreppe erhalten hat.
Einige Häuser unterhalb der «Schaal» an der Metzgergasse in Bern, auch an der Schattseite, stand ehemals das «Brätterhus», wie wir Knaben es nannten, obgleich auf einer großen dunkelroten Tafel «Bräterhaus» angeschrieben stand. Wir wußten natürlich nicht, daß «Bräter» (mit langem ä zu sprechen) in älterem Sprachgebrauch auch Garkoch, Inhaber einer Garküche, wo gebratenes Fleisch und andere warme Speisen feil waren, bedeutete; noch weniger, daß mit Bräter auch der Bratspieß oder Bratenwender gemeint sein konnte. Vielleicht war der Name des «Bräterhus» ursprünglich als Gasthaus zum Bratenwender verstanden worden. Daß jedenfalls eine «Bräterei» (rôtisserie) gemeint war, bezeugte der unter dem Laubenbogen ebenfalls zu lesende französische Name «Rôtillon». Ein solches Wort hat es zwar im guten Französisch nie gegeben, wohl aber ein altfranzösisches rostel, roteil (Roost), wovon rôtillon eine mundartliche Ableitung sein mochte.
Die Etymologie des Wortes beunruhigte uns Knaben nicht. Was uns aber ungeheuer beunruhigte, war der schlechte Ruf, in dem das Bräterhus stand und der unsere unreife Phantasie mit schaurigen Ahnungen erfüllte.