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Ein verzwickter Fall, eine verzwickte Geschichte, eine verzwickte Lage, ein verzwicktes Rätsel — ist das Wort nicht ungemein ausdrucksvoll? Müßte nicht jemand, der es zufällig nicht kennte, seinen Sinn gefühlsmäßig erraten? Schon das «ver-» deutet auf ein Aeußerstes, wie etwa in verzweifelt, verrückt, verschroben, verzwatzelt. Noch sprechender wirkt das kurze i, das in der Umklammerung der vier Geräuschlaute z, w, k, t zu ersticken scheint. Das a in «verzwackt» z.B. hat schon mehr Atem. Das erstickende i dagegen gleicht einer Seele in der Not, einem Verstand in der Klemme, wo er nicht aus noch ein weiß; denn da ist dieses abschließende -kt, das wie ein Fallgatter den Ausgang versperrt; erstickt, verstockt, versteckt, vertrackt, verkrampft sind auch solche Wörter mit Fallgatter. Kommt noch hinzu die Vorstellung des Zwickens, der perfiden kleinen Geißelhiebe, mit denen der Geist, der arme Gefangene, in seiner Hilf- und Ratlosigkeit geplagt wird.
37 Und doch hat unser bildliches «verzwickt» mit diesem Zwicken keine oder nur entfernte Verwandtschaft. Es hängt vielmehr mit «Zweck» zusammen, und zwar in dessen sinnlicher Bedeutung von Schusterzweck, d.h. Holznagel, weiterhin Nagel überhaupt, zugespitzter Keil, Bolzen, keilförmiges Stück, wie z.B. der dreieckige Einsatz in Hemden und Strümpfen, wofür wir heute Zwickel sagen. Das Tätigkeitswort zu Zweck: zwicken bedeutet in handwerklichem Sinne mit Zwecken, Nägeln oder Keilen festmachen, festnageln. So heißt es in alter Sprache z.B. Krist wart an das kriuze gezwicket (also angenagelt) oder, bildlich gemeint: Zwei Herzen kanstu verzwicken mit minniclîchen stricken (unlöslich verknüpfen). So konnte auch, im eigentlichen Sinn, eine Türe, ein Fenster, ein Kasten verzwickt werden, d.h. zugenagelt. Und vor einer solchen «verzwickten» Türe steht gleichsam einer, der vor einer verzwickten Frage, einem verzwickten Rätsel, auch einem verzwickten Gesicht, einer verzwickten Aufgabe sich keinen Rat weiß.
Der Schusterzweck, von dem wir ausgegangen sind, findet als zugespitzter Bolzen oder als Eisennagel auch Anwendung in der Schützenscheibe; es ist der «Zweck», auf den der Schütze zielt, der Nagel, den man auf den Kopf trifft (oder auch nicht). Dieser Zweck in der Zielscheibe wird nun bildlich zum eigentlichen Ziel, zum Zweck unseres Handelns, wofern wir zweckmäßig handeln — und nicht etwa bloß an einem Zweckessen teilnehmen.
Etwas anderes ist der Zwick, der das Zwicken selbst oder das Werkzeug zum Zwicken (kurz und beißend schlagen, klemmen, kneifen) bezeichnen kann. Zwick ist der beißende Schlag oder Schmiß, mit dem man (auf Berndeutsch) einen «zum Grind zwickt»; aber auch der zwickende äußerste Teil der Peitschenschnur, die «Schwitze», wie man hochdeutsch sagt. «Die ros wurden mit sporn gezwickt» liest man in Wolframs Parzival, also im Sinn eines stechenden Zwickens. Anders wieder versteht sich das Zwicken im «Augenzwick», einem kurzen Zuklemmen der Augen (wofür auch Zwinken üblich ist, vgl. engl. twinkle), und im Zwicker, der auch (Nasen-) Klemmer heißt und dem franz. pince-nez entspricht.
Dem schriftdeutschen «verzwickt» steht das berndeutsche «verzworgget» 38 gegenüber. Woher kommt dieses vereinsamte Wort? Die Simmentaler Mundart zeigt uns den Weg. Dort gibt es noch heute ein «zwärge» = klemmen, kneifen. «Mueter, är zwirgt mich ging!» klagt ein Kind, oder «Sie hii mich dürhar zworge!» Dieses Zeitwort ist nichts anderes als das mittelhochdeutsche «zwergen» (zwirge, zwarc, gezworgen). In Anlehnung an die Mittelwortform ist ein schwach konjugiertes «zworge», mit verstärktem Stammauslaut «zworgge» und mit der Verkleinerungsendung «zworgle» entstanden: e verzworgleti Boumwürze, es verzworgets Tanngrotzli, e verdräjte, verzworggete Bitz Möntsch.