Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Sprache ist ein weibliches Wesen. Sie hat ein hartes Köpfchen. Was sie nicht will, das will sie nicht, und wenn man nach Gründen fragt, so sagt sie: Darum! Punkt.
Wäre sie kein weibliches Wesen, sondern ein logisches System, so müßten z.B. die persönlichen Fürwörter alle ihre Nominativ- und ihre Akkusativform haben. Haben sie das?
Ich — mich, du — dich, er — ihn, wir — uns, ihr — euch sind deutlich geschieden; aber «sie» (in Einzahl und Mehrzahl) lautet im Akkusativ wie im Nominativ gleich. Nur die mundartliche, aber selten gewordene Form «sija», berndeutsch «seije» (Me mueß seije frage!), herstammend aus der althochdeutschen Akkusativform «sia», hat noch die einstige Unterscheidung erhalten; denn sie kommt nur im Akkusativ vor und nur an betonter Stelle.
Merkwürdiger noch ist der Fall des sächlichen «es». Die deutsche Gemeinsprache braucht dieses Wörtlein nur unbetont. Warum? Fragt die Sprache, vielleicht weiß sie es. Dem Schweizer dagegen ist die betonte Aussprache «ääs» (mit langem ä) ganz geläufig: 104 ääs het’s gseit, nid ig; so geläufig, daß selbst ein sprachlich so tadelloser Dichter wie Conrad Ferdinand Meyer sich in seinen Gedichten mehrmals ein betontes «es» erlaubt. So in «Fülle»:
Das Herz, auch es bedarf des Überflusses...
und im «Toten Kind» (zweimal nacheinander):
Es hat den Garten sich zum Freund gemacht,
Dann welkten es und er im Herbste sacht,
Die Sonne ging, und es und er entschlief...
Schaut man sich weiter um, so begegnet man dieser Freiheit auch etwa bei andern oberdeutschen Dichtern. Der Österreicher Gabriel Seidl läßt im «Hans Euler» den Helden von seinem Vaterland sagen:
Für es hab ich gestritten,
für es schlug ich ihn tot.
Und ähnlich bei Fr. Rückert, obgleich fränkischer Herkunft:
Für es trag ich samt andrer Last
Auch dieser Kränkung Schmerz.
Aber nun das «ihns». Gesetzt man rede von einer Verlobung; dann fragt wohl einer: Hat eigentlich sie ihn genommen oder er sie? Im Schweizerdeutschen, wo das weibliche Geschlecht sich so oft mit dem geschlechtslosen «äs» begnügen muß, lautet das: Het eigetlech äs ihn welle oder — und nun kommt die Merkwürdigkeit: man sagt nicht «är ääs», sondern «är ihns».
Was ist es mit diesem grammatisch ungeheuerlichen «ihns»? Gotthelf braucht es unbedenklich; aber es ist ohne Zweifel viel älter. Es steht z.B. in einer Predigt des Zürcher Pfarrers Ulrich von 1727: «Ich hasse dieses Laster, ich detestiere ihns in den Abgrund der Hölle.» Offenbar hat die Mundart ein Bedürfnis gehabt, dem Akkusativ von «äs» noch eine ausdrücklichere, vollere Akkusativform zu geben, und was tut sie? Sie nimmt «ihn» zu Hilfe und hängt «es» daran: aus «ihn es» wird «ihns», und damit steht der Akkusativ außer Zweifel. Ein Gewaltsstreich, einzig in seiner Art. Oder ist vielleicht das bayrische «ihnare» (aus ihnen 105 ihre?) auch so ein verzweifelter Versuch, durch Verkuppelung zweier Fürwörter ein neues, deutlicheres unmißverständlich zu machen? Der Wiener hat damit erreicht, «Ihna» (Einzahl) von «Ihnare» (Mehrzahl) zu unterscheiden: Ihna Tochter, aber Ihnare Töchter.
O, es wären noch andere Launen und Ungereimtheiten aufzuzählen, die sich nur aus dem eigensinnigen, bald närrischen, bald mutterwitzigen Wuschelkopf der Sprache erklären und somit vernünftig nicht erklären lassalen. Da wären z.B. die fragenden Fürwörter: wer, was. Warum haben sie keine Mehrzahl? Warum hat nur das Wer einen Dativ, das Was hingegen nicht? Warum muß ich sagen: von was kommt diese Krankheit? Warum dieser falsche Akkusativ nach «von» als Ersatz für den fehlenden Dativ? Warum kann ich das «was» in «etwas» nicht deklinieren und muß sagen: mit etwas, von etwas, wegen etwas? Aber auch da hat das ungrammatische Köpfchen der Mundart sich mit einem frechen Handstreich zu helfen gewußt: wie wir sagen «mit öpperem» (aus: et-wer-em), so leisten wir uns auch ein «mit öppisem» (et-was-em)! Und tust du’s nicht willig, so brauch ich Gewalt, heißt es bei dieser Hexe.
Darum nochmals: die Sprache ist ein weibliches Wesen, kein System. Was sie nicht will, das will sie nicht, und was sie will, das will sie — und sie bringt es fertig.