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Die deutsche Sprache, die, wenn’s sein muß, lärmen kann mit Donnerhall, Schwertgeklirr und Wogenprall, sie hat auch ganz liebliche Sächelchen erfunden, um den Kleinen damit Freude zu machen. Wörter wie Korällchen so zierlich und glatt, wie Glasperlchen so glänzend und klar. Mit denen lockt sie sie herein in ihre Schatzkammer:
Du liebes Kind, komm, geh mit mir,
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir.
August Kopisch, der unvergessene Kinderdichter, hat sich in diesem Kinderspielzeug besonders gut ausgekannt. Wie reizend malt er in seinem «Feendudelsack» den ungelernten Tanz der Kleinen:
Die Kinder auf dem Wiesenplan,
Die einten sich zum Kranz
Und trippelten und hüpfelten
Im Ringelreihentanz.
101 Aber auch unser Schweizerdeutsch, oft als rauh verschrien, hat solche lieblichen Wortbildungen. Ein Beispiel ist das «Stigüferli» als Name für die Kapuzinerkresse — in der Gelehrtensprache das «Tropaeolum majus L.» (Das tönt schon anders.) Auch auf die ebenso hoch kletternde Malve habe ich «Stigüferli» anwenden hören. Es mahnt in seiner Ableitung von einem Zeitwort und mit seiner verkleinernden Endung an das «Steibrächerli», das «Höckerli» (Zwergbohne), das «Nasestüpferli» (Kornrade) oder auch an das «Hagschlüüfferli» (Zaunkönig). Doch ist es nicht gleich gebildet wie diese. Es ist die Verkleinerung einer Befehlsform «Stig uuf!» Es gehört also sprachlich in die Gattung des Vergiß-mein-nicht und des «Gang-mir-nach», auch des Stehaufmännchens, unsres Holdertoggelis. Allein das eigenartig Lustige, das Kühne seiner Bildung liegt in der Verkleinerung von «uuf» zu «üferli». Das ist meines Wissens einzigartig. Sonst hängt sich dieses «erli» gern an Zeitwortstämme an: zu «huse» (sparen) bildet man «Huserli» (ein messingenes Tellerchen mit Stacheln zum Ausnutzen des letzten Kerzenstümpchens — wer hat es noch gebraucht?), zu «loufe» das «Löüferli» oder «Löüfterli» (eigentlich ein Schiebfensterchen, das hin und her läuft), zu «chnüpfe» das «Chnüpferli» (um den Hals zu knüpfendes Tüchlein), zu «versueche» das «Versuecherli» (kleine Kostprobe), zu «läcke» das «Läckerli» und zu «duure» das «Duureli» des Kindermäulchens, wenn es sich zum Weinen rüstet. Ein rechtes Kinderwort ist auch das «guldig Nüüteli» sowie der Herr «Niemerli».
Wer in der Kinderstube daheim ist und dem herzigen Geplauder einer Kindermutter zugehört hat, könnte unzählige Kosewörter der Mundart nennen, womit die mütterliche Liebe sich ins Herz der Kleinen einschmeichelt: Härzchäferli, Himmelgüegeli, Chrügelimügeli, Gürgimüsi, Gluschtibueb, Schläckmüüli, Suurnibeli, Chuderluuri, Plouderchrättli usw. Das Lehrerpaar Gfeller auf der Egg hat seinerzeit für Friedlis Band «Lützelflüh» über zweihundert solcher Kinderwörter gesammelt.