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XVIII

Walter hielt absichtlich March von mir fern. Dafür widmete er mir so viel von seiner karg bemessenen freien Zeit, als er nur konnte. Hätte ich ihm nur dieses Interesse mit einem Gegendienst erwidern können!

Meine guten Tage begannen. Die seinen waren vorbei, denn er war in einer furchtbaren Lage. Er wußte nicht, was mit ihm wurde. Und obwohl die verschiedensten Versuche, durch Moskitostiche infiziert zu werden, bei ihm bisher vollständig versagt hatten, war sein Aussehen nicht viel besser als das meine. Ich sage es nicht nur jetzt, wo es leicht ist, das Vergangene zu deuten. Schon damals, also etwa drei Monate nach Beginn unserer Experimente, zeigten mir seine Züge das Todgeweihte, das Verhangene, das schon jenseits des Faßbaren liegt.

Gerade ein so nüchterner, möglichst präziser Beobachter wie ich konnte mit jedem Tage, an jedem Morgen, an dem ich ihn begrüßte und ihn ins Laboratorium begleitete, (anfangs noch als Zuschauer, da ich viel zu schwach war, um zu arbeiten), wahrnehmen, wie er sich verzehrte.

Was die schwere, in dem teuflischen Klima besonders verheerend wirkende zwölfstündige Arbeit nicht vermocht hatte, das vermochte die Sorge um die Seinen. Seit jenem fragmentarischen, durch seine Rätselhaftigkeit besonders quälenden Telegramm hatte er keine Nachricht mehr von seiner Familie erhalten. Er wartete. Nichts kam an außer wissenschaftlichen Zeitschriften, medizinischen Büchern. Er machte sich die bittersten Vorwürfe, nicht darüber, daß er die Versuche aufgenommen habe, sondern, daß er auf ein Zusammenleben mit den Seinen nicht von vornherein verzichtet und sie nicht schon längst ohne Rücksicht auf sein Glück nach London zu ihren Angehörigen abgeschoben hatte.

War das Meer bewegt, phantasierte er davon, daß sie, auf der Reise hierher begriffen, in einen Taifun hineingeraten könnten, wie sie in der weiteren Umgebung des Perlengolfes nicht selten sind zu dieser Jahreszeit. Bekam er am Monatsende sein Gehalt ausgezahlt, so wußte er nicht, sollte er ihnen die Summe zusenden oder sollte er abwarten, bis er ihre Dispositionen erfuhr.

Carolus hüllte sich in die Reserve eines hohen Beamten. March hielt sich in gemessener Distanz, von wütender Eifersucht auf Walter erfüllt, dabei aber immer voll Respekt gegenüber seinem Range und seinen Qualitäten als Gentleman. An mir ließ March dann seine Unruhe aus, und hätte ich ihn nicht in meiner Art (unter Ausschluß jeder sinnlichen Regung) so sehr liebgewonnen, so wäre ich ungeduldig geworden und hätte ihn zu allen Teufeln gewünscht. Aber meine ganze Selbstbeherrschung war jetzt vonnöten wie nie vorher. Ich befand mich vier Wochen nach dem letzten Rezidiv noch in einem Zustand außerordentlicher Schwäche. Oder soll man es Frieden nennen? Auf jeden Fall war es ein tatenloses Intervall. Mir war so, als würde ich nie wieder die verbissene Arbeitsenergie aufbringen, die mich bis jetzt bei allen meinen Arbeiten begleitet hatte.

In dieses Intervall trat plötzlich eine Persönlichkeit, mit der wir nicht mehr gerechnet hatten und die in mehr als einer Hinsicht einen sehr wichtigen Einfluß ausüben sollte, – die heißersehnte, die liebende und geliebte Gattin, die Frau Walter.

Ich habe bereits gesagt, daß die Bemühungen ihres Gatten, durch Moskitostich zu erkranken, bis jetzt nicht von Erfolg begleitet gewesen waren. Die Sache stand so, daß ich eine sehr schwere, March eine leichte, aber typische Infektion von Y. F. davongetragen hatte, bei Carolus hatten sich ganz leichte Fiebererscheinungen gezeigt, die aber auch anderen Ursprung haben konnten, den Kaplan hatten wir bis jetzt als Reserve betrachtet und noch nicht geimpft, der Magister F. war ausgeschieden, er zeigte sich bei uns nicht mehr und das war schön von ihm. Das Rätsel in unseren Experimenten, mit Fragezeichen gekennzeichnet, war und blieb Walter. Er hatte sich fünfmal von Mücken stechen lassen, die mein Y. F.-Blut in sich hatten und noch viel öfter von anderen, die das Blut noch schwerer, in der Zwischenzeit schon verstorbener Kranker angesaugt hatten. Alles war vergeblich gewesen. Sagen wir, es war sein Glück. Wir beneideten ihn nicht, und ich achtete und bemitleidete ihn.

Nun ist es aber in der Bakteriologie bekannt, daß Experimentaltiere, zum Beispiel Meerschweinchen, solange sie gut genährt und vollblütig sind, einer bestimmten Infektion gegenüber fest sind und ihr standhalten. Sie bleiben trotz Ansteckung munter und gesund. Bringt man sie aber künstlich herunter, dann wirkt eine bisher unschädliche Infektion mit einemmale tödlich. Es gibt Bakterienstämme, die bloß im Winter für die Tiere unheilvoll wirksam sind, im Sommer, wenn die Tiere sich einer erhöhten Lebenskraft erfreuen, aber nicht.

Diese alte Regel, die sich aber nicht an jedem Fall so unabweislich klar und einfach darstellt, sollte sich leider an unserem Walter bestätigen. Und ich, der zum erstenmal in meinem Leben meine Abneigung gegen die »liebenden Herzen« zu überwinden begann, sollte sehen – doch wozu vorgreifen, lassen wir die Tatsachen auch dieses Experimentes für sich sprechen.

Ich sagte schon, eines Tages erschien Frau W. Man hätte nach ihrer kreischenden Stimme zu urteilen, die wir von der Telephonzelle her kannten, eine hochgewachsene, hagere, soldatisch auftretende Frau erwartet. Es erschien aber, ganz unvermutet und das Verbot, in das Krankenhaus zu kommen, naiv übertretend, ein trotz der fortgeschrittenen Schwangerschaft graziöses, zartgliedriges Persönchen, das mit ihrem schönen, ovalen, geistvollen, bleichen Gesicht viel mehr wie ein Mädchen Ende der Zwanzig aussah als eine Frau Mitte Dreißig, die fünf Kinder geboren hatte und das sechste erwartete. Ein prachtvoll geschnittener Kopf, herrliches rotbraunes, natürlich gelocktes Haar, in das sich sehr viel hellere Fäden mischten, man wußte nicht, waren diese helleren Strähnen von der Sonne auf C. ausgebleicht oder waren sie durch die Sorgen ergraut? Sie hatte einen spanischen Schal mit langen Fransen von tief grüner Farbe um sich geschlagen, eng anliegend an der immer noch straff modellierten Büste, lässiger an dem ausladenden Unterkörper, vielleicht, um die Entstellung durch die Mutterschaft zu verbergen. So trat sie, mit ihren Stöckelschuhen auf den Fliesen klappernd, in den Untersuchungsraum und sah sich um. Sie gab ihrem Mann, der leichenblaß und sprachlos vor Staunen war, die Hand, ohne ihre hellen Handschuhe auszuziehen und nickte uns anderen etwas von oben herab zu. Bloß an mir blieben ihre Blicke etwas länger haften. Wie war sie zurückgekommen? Eben pfiff in dem Hafen ein kleines Motorschiff, welches die Küstenschiffahrt besorgte und zugleich ließ ein Auto vor dem Hause sein Signal ertönen, obwohl der unbedeutende Verkehr auf dem Hügel in dieser verlassenen Gegend des Klosters sicherlich kein solches erforderte. Es war der Wagen des Subagenten der Versicherung, von dem ich schon früher berichtet habe. Er wollte wohl der Dame ein verabredetes Zeichen geben, sie möge sich beeilen. Hatten sie damit gerechnet, sie könne den Gatten einfach mit sich nehmen wie einen Hund, den man bei guten Leuten in Pension gegeben hat?

Sie zog, während eine flüchtige Röte, wie sie bei schwangeren Frauen häufig ist, ihr über die vollen straffen Wangen huschte, ihren Gatten in eine Ecke nahe der Telephonzelle. Sie nahm seine beiden bloßen Hände in die ihren, die Handschuhe trugen, wie um ihn festzuhalten und dämpfte ihr allzu lautes Organ zu einem so leisen Ton, daß wir den Inhalt des Gespräches nicht unbedingt verfolgen mußten. Wir wollten es ja auch gar nicht. Sie hätten ebensogut oder besser sich in seinem Zimmer unterhalten können. Aber die Frau schien aufs äußerste gereizt und angespannt, sie wollte keine Sekunde verlieren. Sie redete wie toll auf ihn ein. Im Eifer des Gespräches ließ sie seine Hände los und fuchtelte mit den ihren umher. Die Fransen ihres Schals flatterten, und plötzlich enthüllte sich unter dem Schal ihr schon stark vorgetriebener Leib. Walter war sichtlich betroffen. Seine Frau, ohne sein Wissen, gegen seinen oft ausgesprochenen Willen zurück! Und hier! Hinter dem Kordon! Gegen das Verbot, das alle Einwohner der Stadt bis zu den höchsten Beamten hinauf betraf, (wenngleich sich die meisten nur in ihrem Interesse daran hielten), in das Laboratorium einzudringen! Aber was verfingen solche Argumente bei einer leidenschaftlichen, todesmutigen Frau, die vor nichts zurückscheute! Nun erst recht nicht! Ihre Worte konnte man nicht verstehen. Aber man hörte eine heisere Lache, die sie bisweilen aufschlug und die sie dann, sich ihrer guten Kinderstube erinnernd, vergebens mit einem Hustenanfall zu maskieren trachtete. Dies sprach deutlich genug. Walter, totenblaß, verlor die Fassung. Der Mann, den ich nie fassungslos gesehen hatte, dem ich ein Versagen der Nerven nie zugetraut hätte, hatte plötzlich hinter seiner Brille Tränen!

Die Frau wischte sie ihm mit den Handschuhen fort. Sie sah uns alle an, als wäre sie uns überlegen. War sie es? Sie zog selbst jetzt ihre Handschuhe nicht aus. Und als er, der Ärmste, sich blutrot vor Scham von ihr zurückziehen wollte, zerrte sie ihn mit sich. Wir blickten fort. Carolus verließ das Zimmer. Als Walter sich losriß, rannte sie ihm hemmungslos nach, über den nachschleppenden Schal stolpernd. Vergebens, daß er sich von der Frau zu befreien trachtete, sie zerrte ihn zum Laboratorium hinaus. Aber diesem Mann war keine Frau, und mochte sie noch so männlich sein, gewachsen. Er machte sich ebenso behutsam wie energisch frei von ihr. Er kehrte zu uns zurück und beugte sich über sein Mikroskop. Er sah seine Frau nicht, die neben ihm stand, er hörte sie nicht, die ihm ins Ohr schrie. Er war bei seinem Mikroskop. Eine bloße Geste war es, denn auf der Platte des Apparates befand sich im Augenblick kein Präparat. Aber was lag dem wütenden Weibe daran? Sie wollte ihren Mann zurück. Und dann wollte sie schnell fort mit ihm an der Hand und den Kindern an dem Rockzipfel und mit dem Embryo in ihrem Leibe, fort von der verseuchten Satansinsel, nach London. Nur zurück! Und als er sich wehrte, klatschte sie ihm mit ihren behandschuhten Händen einmal, zweimal ins Gesicht. Die Brille fiel klirrend hinab. Er sagte nichts, strich sich bloß, aschfahl wie er war, mit beiden Händen an den unnatürlich geröteten, hell ziegelfarbenen Wangen herunter. Wir standen wie gelähmt da. Ungehindert verließ das Weib das Laboratorium. March, eben eingetreten, war entgeistert. Walter mußte ihm zweimal den Auftrag geben, irgendein Glas mit Moskitos zu bringen.

Ich faßte mich zuerst und unterstützte, zum erstenmal seit meiner Genesung, die Kameraden bei den Experimenten. Und dies Experiment an Walter gelang. Ein Moskito saugte sich an Dr. Walter fest, und nach viermal vierundzwanzig Stunden post infectionem erkrankte er.


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