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VII

Die Motorbarkasse ist wieder gelandet. Die Gäste sind ausgestiegen, und jetzt setzt das stahlgraue Boot wie im Sprunge ab, fliegt, wie ein Insekt auf dem Wasser gleitend, durch die ziemlich frei gewordene Fläche des Hafens nach Norden in die Gegend des Hydroplanhangars, eines riesigen mit Blechplatten gedeckten Schuppens, auf dessen Dach sich die Abendsonne in Bronzetönen bricht.

Das Meer wird tief dunkelblau mit einem unbestimmten, schillernden Stich ins Violette. Unser Schiff, die »Mimosa», steht weit draußen im Meer wie ein Haus. Ein bräunlicher, in den oberen Partien schon durchsichtiger, sich baumkronenartig verbreiternder Rauch steigt senkrecht aus dem kurzen Schlot empor. Das Abendlicht ist noch stark. Es verfinstert jeden Gegenstand. Wenn es jetzt schräg über uns und unsere Habseligkeiten fällt, auf den Schmutz und Unrat in der Nähe, auf die blitzenden Bajonette und Patronengurte der Wachen, auf die Häuserfassaden, den Kirchturm, auf die verstaubten Baumkronen, auf die nassen Stufen der Hafenmole und endlich auf die leicht bewegte, friedliche, starken Tangduft aushauchende See, da erscheint alles in einer Art unnatürlicher Wirklichkeit, grell, nie dagewesen, traumhaft nah und überdeutlich, das Stumpfe glimmt wie Samt, das Glatte glitzert wie Straß.

Mein Nachbar rüstet zum Abschied von der festen Erde. Er packt nicht ohne eine Art Stolz seine Siebensachen noch einmal aus und ein. Sauber gewaschene, vielleicht sogar etwas parfümierte, aber schon zerschlissene Wäsche, einige Stück Seife, ein Fläschchen Haarwasser, eine Tube Nagellack (!) und das sonderbarste: einen kleinen, verschrammten Kasten mit einer Eisenkurbel rechts: ein Kindergrammophon und dazu, zwischen die Wäschestücke gelegt, eine geringe Anzahl kleiner, billiger Platten, wie sie zu einem solchen Miniaturgrammophon gehören. Eine davon ist zu seinem großen Leidwesen zerbrochen. Wie rührend, wenn der große, starke Junge die Stücke zusammensetzen will und dann sichtlich schweren Herzens schwankt, ob er sie zu dem anderen Dreck und Abfall werfen soll oder ob er sie aufbewahren und in die neue Existenz mit hinüberretten soll. Nein, er kann sich von dem nutzlosen Zeug nicht trennen, er umwickelt die Fragmente mit Seidenpapier, das als Umhüllung für die nahrhaften Herrlichkeiten der Freßpakete gedient hat. Ich helfe ihm mit. Ob ich will oder nicht. Wir sind ja ein Paar. Man glaubt nicht, wie sehr die kleinste Bewegung eines an Freiheit gewöhnten Menschen gehindert wird, wenn ein anderer daran hängt, wenn man nichts allein unternehmen kann. Schon jetzt graut es mir bei dem Gedanken, wie wir zu zweit das Schiff erklimmen sollen, der freien Verfügung über unsere Arme beraubt.

Es wird kühl nach der wolkenlosen Glut des langen Tages. Gegen Westen steigen um das sinkende Gestirn einige an den Rändern flammende, kupferfarbene Wolken empor. In der Hafenstadt leuchten jetzt besonders grell die kalkweißen, kleinen, würfelförmigen Häuschen auf, die bis jetzt im Schatten gelegen sind. Oder haben wir einfach nicht auf sie geachtet? Jetzt bleibt der Sonnenglanz bis zuletzt an den Wänden der Häuser hängen.

Unten, weit ab von hier am Strande öffnet sich die riesige Tür des Hangars wie eine Scheunentür vor dem Erntewagen. Langsam schiebt sich' ein großer, zweiflügeliger Hydroplan hervor. Er wiegt sich auf seinen polsterförmigen, schieferfarbenen Schwimmkörpern, die flachen Flügel einmal rechts, einmal links in das bunt schillernde Meer tauchend. Jetzt ist, selbst die Musik der Kapelle übertönend, wie Maschinengewehrgeknatter, nur nicht so taktförmig, das scharfe Klopfen der angelassenen Flugzeugmotore zu hören, und der Hydroplan schießt zischend, milchweißes Wasser in breiter Wasserwoge vor sich hertreibend, in den offenen Hafen hinaus, jetzt erhebt er sich, einen langen, dunkelblauen Schatten unter sich lassend, in die Luft, strebt mit den schräg nach aufwärts gerichteten Tragflächen nach oben in die Abendwolken, schwankt dann wie ein verwundeter Fregattenvogel, richtet sich auf, schwankt von neuem, torkelt von einer Seite wie betrunken nach der andern und nun trudelt er schief in einer steilen Kurve hinab und planscht plump wieder ins Wasser zurück. Hätte er nicht unten bleiben können? Welch unnützes Manöver! Aber eine gute Zerstreuung in der Monotonie des Wartens.

Keiner schwätzt mehr in unserer kleinen Gruppe, keiner schreit.

Es wird empfindlich kühl. Mein Nachbar, zu Tode erschöpft von den Mühen des Tages, hockt sich still wieder auf den Boden hin. Er bringt sein Hab und Gut wieder in Unordnung, wühlt aus den Tiefen seines Sackes einen gestrickten Schal heraus, den er sich mit solcher Wut um den Hals windet, als wolle er sich erwürgen. Aber es ist nicht Lebensüberdruß, nur Frost. Er klappert mit den Zähnen wie ein Kind nach einem zu langen und zu kalten Bad und sieht mich intensiv an, als wolle er mich mit seinen blaugrauen Augen fressen. Aber er spricht nicht. Sein Blick geht mir durch und durch. Würde er mich berühren, könnte ich ihn fortscheuchen. Gegen diesen Blick bin ich wehrlos. Ich merke, daß ich erröte. Er wendet seinen Blick nicht von mir. Der Hydroplan hat sich wieder erhoben, er plant offenbar einen Nachtflug. Er sieht nicht hin. Die Musik spielt ein Potpourri aus »Boheme«. Er hört nicht hin. Er schweigt und sieht mich an. Liebe? Nein! Genug davon! Ich drehe nur den Kopf, als wenn mich etwas im Nacken kratze. Eine so prosaische Gebärde als Antwort auf sein »liebendes Herz«. Das nicht! Am wenigsten von allen. Er versteht mich, obwohl ich nicht spreche. Endlich läßt er von mir ab mit seinem stumm werbenden Blick. Er lächelt und zeigt seine hübschen, niedrigen, perlglänzenden Zähne.

So ist es gut. Lasse mich, und ich lasse dich. Ich wende den Kopf ab. Gut.


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