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Der Geistliche besuchte uns manchmal am Spätnachmittag, berichtete die Neuigkeiten aus der Stadt und lud uns schließlich zu einem Spiel Karten ein, Puff-Puff, wenn ich es recht verstand. Er war sehr besorgt um unsere Gesundheit und unsere Stimmung, aber wir nicht so sehr um die seine. Wir lauschten scheinbar andächtig seinen Reden, bald machte sich aber der eine und dann der andere wieder fort an seine Arbeit. Was blieb ihm übrig? Er verabschiedete sich in seiner stillen, höflichen, undurchsichtigen Art, wie sie ältliche Priester öfters an sich haben. Er störte uns nicht, denn eine kurze Unterbrechung war angesichts der zwar leerlaufenden, trotzdem aber sehr angespannten Tätigkeit im drückend heißen, nach allen Scheußlichkeiten der Welt duftenden Laboratorium in dieser unbeschreiblichen feuchten Glut nur nützlich.
Weniger zartfühlend benahm sich ein anderer Besucher, der den Doktor dieser Tage aufsuchte. Es war ein Agent, der sich Generalagent nannte, aber nur Subagent der verschiedenen Schiffahrtslinien war, die alle heiligen Zeiten einmal einen schiffbrüchigen Kahn hier anlegten, wie es die »Mimosa« war. Außerdem hatte er die Vertretung einiger großen nordamerikanischer Lebensversicherungsgesellschaften inne und hatte sich durch allerhand mehr oder weniger legale Geschäfte (natürlich mit den Verbrechern hier oder gegen sie) ein nicht unbedeutendes Vermögen gemacht.
Der Subagent erschien in geschäftlicher Mission. Er ließ sich nicht abschrecken, das Laboratorium zu betreten. Jedermann kannte ihn, mußte ihn doch kennen! Er hatte keine Angst, da er das Y. F. bereits vor drei Jahren bei einer gewaltigen Seuchenwelle, gegen welche die jetzige nur ein Kinderspiel war, überstanden hatte und seitdem nicht von hier gewichen war: Entfernt man sich nämlich von dem Boden des Y. F.-Ortes, erlischt die Immunität und die heitere Komödie kann von neuem beginnen. Aber vor dieser Gefahr war der geschniegelte, mit einer Brillantnadel, goldenen Manschettenknöpfen und ähnlichen Herrlichkeiten geschmückte Kavalier geschützt. Er war ein Ritter im Tropenhelm ohne Furcht und Tadel, denn er setzte sich für eine bedrohte, beleidigte, gefährdete Dame ein. Und diese Dame war keine Witwe, ihre Kinder waren keine Waisen, sondern es war Frau Doktor Walter selbst, die ihn, wenn er es auch in seiner vornehmen Art leugnete, als Sendboten der Versöhnung hierhergesandt hatte. In dem Schnabel einen Palmenzweig des Friedens tragend, leider aber gleichzeitig einen Giftpfeil unter dem linken Fittich verbergend, wenn ich so sagen darf. Der Palmenzweig bestand darin, daß der gute Mann die Grüße der sehnsuchtsvollen Frau und Gattin überbrachte. Das war keine überraschende Neuigkeit angesichts der Situation, die den Mann nun schon bald zwei Monate in Quarantäne hielt und noch unabsehbare Zeit andauern konnte. Darüber war man sich denn auch schnell einig, und Walter bekomplimentierte den im wahrsten Sinne öligen, kleinen Gentleman bald zur Tür hinaus.
Aber schon hinter der Glastüre des Laboratoriums schnellte der Subagent seinen Giftpfeil vor. Es war die Versicherungspolice, die der tüchtige Subagent im Namen seiner Gesellschaft formell kündigte. Walter hatte sich nämlich als vorsorglicher Familienvater für seine Frau und seine fünf Kinder im Ablebensfalle mit fünfzigtausend amerikanischen Dollars versichert, zu besonders günstigen, ausnahmsweise niedrigen Prämiensätzen, wie der Subagent übersprudelnd behauptete.
Nun, die fällige Prämie war doch nicht etwa unbezahlt geblieben? Gewiß nicht, gab der Subagent zu. Ja, was denn sonst? Wir haben Eile, sagte Walter mit einem Anflug von Ungeduld. Kein Wunder, wenn ein Versuch im Gange war, der auf Zeit eingestellt war und den man, wenn der richtige Augenblick nicht wahrgenommen wurde, nächsten Tages wiederholen mußte. Der Subagent verbeugte sich. Er hatte die Tür ins Laboratorium nicht geschlossen, er blieb zwischen Tür und Angel. Er wollte nicht gehen, denn er war erst am Beginn seiner Mission. Die Versicherungsgesellschaft könne dieses Risiko nicht eingehen, sagte er ernst wie ein Psalmodist und wies durch die Korridorfenster auf den Hof des Hauses, wo gerade eine Y. F.-Leiche, in ein weißes Laken eingeschlagen, in die im Souterrain gelegenen Sektionsräume transportiert wurde.
Walter verstand. Nein, ich verstehe nicht, sagte er aber, ich dächte, das übliche Risiko bei einem Arzt in einer Seuchengegend einzugehen, sei Sache der Gesellschaft und in den Paragraphen inbegriffen. Ja, aber knapp nur das übliche, antwortete der Subagent. Wenn ein Mensch sich in einem Lederkajak die Niagarafälle hinabschaukeln läßt, wird meine Versicherungsgesellschaft eventuell, eventuell, auch dieses Risiko eingehen, aber sie muß es vorher wissen und wird die Prämie dementsprechend hoch einsetzen. Alles andere wäre wirtschaftlicher Selbstmord und kann keinem geschäftlichen Unternehmen zugemutet werden. Daß Sie sich monatelang direkt dem Y. F., der gefährlichsten Ansteckung wie mit Willen und Absicht aussetzen würden, war der Gesellschaft nicht bekannt, als die Gesellschaft durch mich die Unterschrift unter dieses Dokument setzte, sagte er pathetisch, auf seinen Wisch hinweisend, den er unter seiner bocksartig riechenden Achsel trug. Schön! Ich werde mich danach richten, antwortete Walter und verbeugte sich. Dem Subagenten blieb nichts anderes übrig als endlich zu gehen. Die Wachen vor dem Lazarettportal grüßten ihn sehr ehrerbietig und standen stramm, denn er hatte, um in die isolierten Räume der Forschung eindringen zu können, mit dem Geld nicht gespart. Er war »ein schöner Mann«, ein Mischling und wie viele seiner Rasse von großem gesellschaftlichen Ehrgeiz geplagt. Was waren uns seine Schönheit, seine Rasse, sein Ehrgeiz, sein Geschäft? Trotzdem war Walters Gesicht sehr verdüstert. Aber er schwieg und arbeitete weiter.