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VII

Dieses Hündchen, so unschuldig es an sich war, wurde zur Quelle neuer Konflikte. Das Heulen, von dem ich eben gesprochen hatte, muß ein Ausdruck seines Entsetzens vor mir gewesen sein. Und dieses Entsetzen ist bei dem denkenden und empfindenden (wenn auch ganz anders als der Mensch denkenden und empfindenden) Tier nicht ganz unbegründet gewesen. Denn das Hündchen, vor einigen Wochen auf rätselhafte Weise in Verlust geraten, war von meiner Frau und dem jungen Arzt unerwarteterweise in den Kellerräumen der Klinik in einem Tierkäfig aus starkem Eisendraht aufgefunden worden. Von dort hatten sie es befreit, der Hausdiener der Klinik war mit Herzenslust bei der Befreiung behilflich gewesen. Behilflich sein war nun einmal seine Beschäftigung und ebenso freundlich lächelnd hätte er den Peking auf das Sektionsbrett geschnallt. Wie war es aber dorthin gekommen? Pekings – reinrassige, teure Hunde sind doch ein besseres Leben gewöhnt! Ich will mich nicht besser machen als ich bin. Ich hatte es eines Tages dorthin gelockt, und es hatte es bloß dem Umstand, daß Hunde zu meinen jetzigen Experimenten nicht gut brauchbar waren, zu verdanken, daß es bis jetzt in dunklen Kellertiefen wenigstens sein miserables Leben gefristet hatte.

Meine Stieftochter hing an der kleinen Bestie. Warum wachte sie nicht über ihr? Gern überließ sie die unbequeme Wartung und Pflege anderen, zum Beispiel der auch hier sich gerne aufopfernden Mutter. Welche Verwirrung, als Lilly plötzlich verschwunden gewesen war. Das niedliche Lärvchen meiner (echt) blonden, schlanken Stieftochter von Tränen verschwollen, und diese Unruhe, das Einrücken von Anzeigen auf Anzeigen in die Zeitungen, das Umherspähen auf der Straße, sobald ein dem verschwundenen Lillychen ähnliches Hundetier die Straße überquerte! Und dabei wissen, wo des Rätsels Lösung ist! Ich spinne das nicht aus. Es war nur ein Scherz. Ich habe ihn bezahlen müssen. Denn von diesem Tage an wurde der Haß des jungen, niedlichen Dings gegen mich so fanatisch, daß es intelligent, also mit allem Spürsinn und Raffinement und weiblicher Tücke vorgehen konnte und schließlich und endlich habe ich es zum Teil meiner Stieftochter und ihrem späteren Manne, dem jungen Arzt, zuzuschreiben, daß die Staatsanwaltschaft sofort nach dem Hinscheiden meiner Gattin mir nachsetzte. Dazu gehörte freilich keine besondere »weibliche Tücke«. Es lag alles nur zu sehr auf der Hand.

Nach außen änderte sich nach dieser Episode nichts. Höchstens, daß ich die beiden Schwestern M. satt bekam. Sie leider nicht mich. Auf ihre Einkünfte und auf meine Mannesliebe wollten sie nicht verzichten, sie blieben im teuren Hotel auf meine Kosten wohnen. Die eingeschriebenen oder durch Expreßboten gesandten Briefe mit unbezahlten Rechnungen mehrten sich, nirgends war man vor den beiden Megären sicher. Schließlich versuchten sie, mich durch Liebe und Verzweiflung zu ködern. Aber ich wußte, was dies bedeutete und zog mich rechtzeitig in den Kreis meiner Familie zurück. Rechtzeitig?

Meine Frau, bis dahin schon recht sparsam, wurde jetzt durch die ewigen tückischen Einflüsterungen ihrer Tochter mißtrauisch und mehr als geizig. Kaum, daß sie die Ausgaben unseres kostspielig geführten Haushaltes mit drei Dienstboten zur vertraglich festgesetzten Hälfte auf sich nahm. Sie verrechnete sich stets zu ihren Gunsten. Zuschüsse aus der Privatschatulle waren aus ihr durch keinerlei Methoden herauszupressen. Dagegen scheute sie keine Opfer, um die Tochter, die sich prompt mit dem jungen Arzt verlobt hatte, mehr als standesgemäß auszustatten. Es machte ihr eine rührselige Freude, das Brautpaar in den Besitz eines schönen, acht Zimmer enthaltenden Landhauses zu setzen und alles mit dem kostspieligsten Mobiliar einzurichten. Der junge Mann, der außer der niedlichen Blondine die gut eingerichtete Klinik und noch dazu die Villa im vornehmen Garten-Vorort bekam, war zu beneiden.

Er hatte Erfolg. Ich habe den Erfolg Zeit meines Lebens respektiert, wo immer ich ihn sah. Meine Sympathie für den jungen Arzt, für dieses »liebende Herz« auf Aktien, stieß aber nicht auf Gegenliebe. Wenn wir zu viert beisammensaßen, er und seine Frau, ich und meine Frau, herrschte nach ein paar Phrasen eisiges Schweigen. Über meine Experimente zuckte er die Achseln. Den Fleckfiebererreger hätte ich nicht »heraus«, wie er sich ausdrückte, und den Scharlacherreger ebensowenig.

Meine Frau wollte mir mit ihrer hündischen Zärtlichkeit über alles, was mir in der letzten Zeit quer gegangen war, hinweghelfen. Ich aber kam nicht einmal dazu, mich offen auszusprechen. Ihre ganze Liebe war ein Mißverständnis – und so grotesk es klingt, auch hier verrechnete sie sich stets zu ihren Gunsten. Sie lebte offen und ehrlich, mich aber zwang sie zu dauernder Unwahrheit, die mir bald zum Ekel wurde. Ich lüge nicht. Es wurde mir über.

Lüge über Lüge in bezug auf die Anrufe und persönlichen Besuche der ungeduldigen, unverschämten Geldgeber. Nichts aber über das Mißlingen meiner Experimente, das um so quälender war, als ich erfuhr, daß mein Studienkollege, der schon erwähnte Walter, sich mit dem gleichen Gegenstand wie ich beschäftigte und daß er wenigstens in Teilexperimenten viel glücklicher war als ich. Kam er mir zuvor?

Der Drang nach Betäubung, nach Rausch in irgend einer Form wuchs mit jedem Tag. Man mußte mir den inneren Zusammenbruch anmerken, aber sowohl mein Vater, der mich neuerlich wieder mit seinen langweiligen Besuchen behelligte, als meine Frau, die mich mit ihrer labbrigen Großmutterliebe, die ihr wie Speichel aus dem Munde floß, belästigte – keiner wollte etwas von meinen eigentlichen Schmerzen wissen.

Was ich im Grunde meiner Seele ersehnte, konnten weder er noch sie mir geben, aber lindern hätten sie mein Leiden mit einer einzigen Medizin können, der Urmedizin, Geld.

Mein Vater ließ sich herbei, mir ein Geburtstagsgeschenk in der Höhe von ein paar Tausendern in bar zu machen, einen Tropfen auf einen heißen Stein; meine Frau ging (ihrer Ansicht nach) noch durchtriebener vor, sie zeigte mir die Abschrift ihres Testaments, das sie am Vorabend der Hochzeit meiner Stieftochter gemacht hatte, und in dem ich zum Universalerben eingesetzt war. Die Tochter war also auf Pflichtteil gesetzt, und ich war es, an dem sie hing. Mehr denn je. Nun ja, das wußte ich schon. Aber das Zusammensein gestaltete sich trotzdem immer widerwärtiger.

Ich kann nicht einmal sagen, ob es natürlicher gewesen wäre, wenn wir, das heißt ich, ein von krankhaften Trieben gepeinigter, ganz ohne Grundlage, ohne Hoffnung und Glauben lebender Mann, und sie, eine alternde, kokette, nur im Leiden sich leben fühlende Frau, – ich sage, ich weiß nicht, ob es überhaupt noch eine natürliche Lösung für diese Verwicklungen hätte geben können. Vielleicht hätte ich aber doch zuletzt unter dem Zwang der Tatsachen einen Ausweg gefunden, hätte ich einen Freund gehabt, eine verstandesstarke und doch nicht verzweifelnde, mir vertrauende und mit mir wirklich vertraute Menschenseele, einen Mann, zu dem ich hätte aufblicken können vielleicht Walter. Aber dieser hatte jetzt in dem Institut selbst Schwierigkeiten trotz seiner glänzenden Leistungen und hervorragenden Qualitäten und mußte froh sein, wenn es ihm gelang, wenigstens mit seiner letzten Arbeit fertig zu werden. Demi sein Platz, sein Arbeitstisch waren (der Raum im Institut ist bekanntlich sehr beschränkt) vergeben an einen Militärarzt, der vom Ministerium befohlen war, dem Oberstabsarzt Carolus, einer komischen Nummer, von der ich noch viel zu erzählen habe.

Ich arbeitete wieder – oder besser gesagt immer noch – im Institut und meine liebe Gattin wagte keinen Widerspruch mehr. Daß ich weiter dort arbeiten durfte (und Arbeit blieb mein letzter Trost), verdanke ich nicht mir und meinen Leistungen, sondern nur dem Einfluß meines Vaters, der von Jahr zu Jahr zunahm, wobei die Geistlichkeit ihm immer Sekundantendienste leistete, wie auch er sie ihr leistete. Nicht der erste und nicht der letzte Anarchist und Atheist, der mit der Kirche in vollster Eintracht, nach außen hin wenigstens, lebt.

Wie konnte ich daher erwarten, daß er von innen her, mit seiner ganzen Persönlichkeit mir beistehen würde, als ich, im Vorgefühl des Kommenden, den Gedanken einer Ehescheidung zum erstenmal erwog? Ich weiß gar nicht mehr, wie dieser Gedanke in unsere formelle und überhöfliche Unterhaltung kam. Aber als ich ihn aussprach, hatte ich das Empfinden, auf diesem Wege könnte ich mich und meine Frau retten. Er aber starrte mich entgeistert an. Er hörte mich nicht einmal zu Ende an, die Sache war für ihn erledigt, bevor sie diskutiert war. Scheidung, Wiederverheiratung waren unmöglich. Katholische Ehen werden nur getrennt, das kanonische Recht kennt keine Scheidung.

Er warnte mich sogar, meiner Frau den Vorschlag einer Scheidung zu machen. Aber der Gedanke mußte unbewußt schon zu tief Wurzeln geschlagen haben, denn ich tat es trotzdem. Neue Tränenausbrüche bei der alten Dame, neue Verzweiflungsszenen und das fürchterlichste von allem, neue Glücksorgien bei ihr, die nur im hündischen Leiden die letzte Befriedigung fand und die nie genug getreten werden konnte. Und ich? Ich mit ihr.

Wir reisten nach dem Süden und kamen genauso zurück, wie wir gegangen waren. Was war ihr mein Glück? Hat sie überhaupt jemals mich verstanden, das heißt, hat ein so abnormes Subjekt wie ich sich einem so abnormen Subjekt wie ihr sich jemals bis ins letzte verständlich machen können?

Mich beschäftigte jetzt der Versuch, aus den Kulturen der Scharlachstreptokokken die zweierlei Gifte abzusondern. Nun ist schon die einwandfreie Isolierung eines Giftstoffes oder Toxins in kristallischer Form eine außerordentlich schwierige Aufgabe, die bis jetzt nur noch in relativ wenigen Fällen einwandfrei geglückt ist. Wieviel schwieriger mußte es sein, die Giftstoffe in einen Teil, der auf Rechnung der bekannten Streptokokken kam, zu scheiden und in einen zweiten Teil, der auf Rechnung des unbekannten Scharlachvirus kam. Solche Aufgaben erforderten übermenschlichen Fleiß, große Opfer an Geld und Zeit. Vor allem fehlte es mir an Zeit. Ich wollte am Laboratoriumstisch leben, meine Frau wollte etwas anderes. Von meinen Geldsorgen wollte sie nicht reden hören, sie hatte ja übergenug Geld. Die Ehe, so brüchig sie war, fraß viel Zeit. Je weniger ich meine Frau liebte, desto mehr gierte sie nach Beweisen von Aufmerksamkeit. Und sparte radikal. Wer begreift das nicht? Sie liebte mich und fürchtete mich. Ein auf die Dauer unerträglicher Zustand.


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