Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII

Ich habe an Beten und Kreuzeschlagen niemals tief geglaubt. Wo das Ultramikroskop, wo die Mikrobenkultur, wo die pathologische Physiologie auf der Höhe stehen, dort spielt die überlieferte Religion meist keine entscheidende Rolle. Traurig, aber wahr. Tragisch, aber Tatsache.

Die Wissenschaft ist das auf dem voraussetzungslosen Tatsachenmaterial aufgebaute Evidente. Erst im Kontakt mit dem Lebenden erweist sich die experimentelle Naturwissenschaft. In dem Gebiete, das mich und einen Walter und einen Carolus interessierte, in der experimentellen Pathologie, wird sie evident durch die Vivisektion am Menschen und am Tier. Systematisches Experiment – sonst nichts. Das allein kommt ins Protokoll. Die Hilfe für die leidende Menschheit kommt dabei auch zu Ehren. Voran aber geht die Wissenschaft.

Kann man Wissenschaft trotz allem mit positivem Glauben verbinden? Der weltberühmte Gründer des pathologischen Institutes, in dem ich gearbeitet habe, er konnte es, der Mann mit der gewaltigen, aber geglätteten Stirne, mit den Querfalten über der Nasenwurzel, mit dem durchdringenden und dennoch demütigen Blick. Er war ein das ganze medizinische Gebäude seiner Zeit erschütternder und grandios neu aufbauender Forscher – und zugleich ein frommer Katholik. Revolutionär, blutig und human in einem. Pasteur.

In dem Pasteurschen Institut, aber erst lange nach seinem Tode, lernte ich den hohen Militärarzt kennen, der jetzt in seiner Tropenuniform, einen vorne geöffneten, khakifarbenen Regenmantel darüber, aus seiner Kabine hervorsteigt und sich offenbar anschickt, uns zu untersuchen. Ich sehe ihm offen in das sonderbare, in die Länge gezogene, ausgeleierte, faltige Gesicht, aber er sieht mich nur flüchtig von der Seite an. Ich kenne dich, auch wenn du mich nicht kennst, Carolus.

Der gute Mann ist niemals ein Beobachter von Rang gewesen. Er war Statistiker, er war der Mann der breiten Literaturnachweise, ein wandelndes Lexikon der gesamten Bakteriologie, Pathologie, Seuchenkunde und Hygiene. Folianten wälzen, Protokolle durchstudieren, mit statistischen Zahlen »operieren«, graphische Kurven über Inkubation und Seuchenbekämpfung zusammenstellen, das war es, wobei das Herz des Militärarztes Carolus aufging; hier hat er sich seine Sporen verdient. Oberstabsarzt war er damals, Generalarzt ist er jetzt. Sein Wissen muß stupend sein, denn alles wollte er erkunden.

Aber Hand anlegen wollte er nicht und wollte nicht heran an das lebendige Fleisch. Auch im großen Kriege wird er sich mit derlei Statistiken beschäftigt, von seinem Büro aus wird er Vorkehrungen getroffen haben, die uns an der Front und an den Seuchenorten Rußlands oder Kleinasiens meist zu spät kamen, denn nicht um Wissenschaft ging es, sondern um Handeln, um Wagnisse und Beweise durch die praktische Wirksamkeit. An keiner Front war er, das sehe ich, denn er hat zwar eine Menge Auszeichnungsbändchen an der linken Brustseite, aber die Frontauszeichnungen fehlen.

Sein Gesichtsausdruck ist noch trüber als zur Zeit, da er mein Arbeitskollege war am pathologischen Institut. Auch er muß wenigstens vier Wochen auf dem Galeerenschiff hausen, auch er wird wohl diese Reise nicht gar zu gern, sondern nur pflichtgemäß auf höheres Kommando unternommen haben.

Für den Verbrechertransport würde man aber kaum einen Mann wie ihn, der im Generalsrang steht, bemüht haben. Dafür würde ein Assistenzarzt im Unterleutnantsrang völlig genügen. So hat Generalarzt Carolus eine andere Mission? Vielleicht soll er statt eines Walter, der sich so sehr um die Sache bemüht hat, die bakteriologische Erforschung des gelben Fiebers übernehmen.

Meinen Segen hat er, der Gute. Ich lasse dich in Frieden! Laß denn auch du uns in Frieden! Wozu uns arme Ritter untersuchen: hungrig und müde sind wir, das ist unsere ganze Krankheit, die einzige, die hier heilbar ist. Gib uns Futter zum Essen, einen Winkel zum Schlafen! Was soll unsere Untersuchung? Knusprig und kerngesund sollen wir im Hafen von C. abgeliefert werden. Aber wozu? Wir sind doch nur Futter für das gelbe Fieber.

Die Seuche ist frisch aufgeflammt. Von tausend Ankömmlingen, die in eine Gelbfieberregion kommen, wie beispielsweise zu den Erdarbeiten in den Sümpfen am Panamakanal bei der südamerikanischen Stadt Colon, sind nach einem Zeitraum von sechs Monaten nur noch die Hälfe am Leben geblieben. Wir sind aber nicht einmal solche ungebrochene »Ankömmlinge«. Wir sind minderwertiges Material, wir sind angebrochen.

Kommt einer ahnungslos aus dem gemäßigten Klima in die sumpfigen, überhitzten, von täglichen Regengüssen durchschauerten Inseln und Gestade, die sommers und winters unverändert eine Durchschnittstemperatur von mindestens sechsundzwanzig Grad R. haben, Tage und Nächte ohne Wechsel, in diese Tropenlandschaften, welche die höchste Niederschlagsmenge der Erde, nämlich drei Meter Niederschlagshöhe, auf sich niederprasseln lassen müssen, – ja, tritt etwa einer von Bord des Schiffes »Mimosa« auf den Boden von C, in dieses wie ein Dampfbad unerträglich schwüle Gelände, und ist die Möglichkeit der Ansteckung überhaupt gegeben – (und wo wäre das nicht im Umkreis der ganzen Seuchengegend?) – dann kann man hundert auf eins wetten, daß das gelbe Fieber von dem armen Sünder so gründlich Notiz nehmen wird, daß nach Ablauf zweier Wochen von dem dummen Jungen nur noch der amtliche Totenschein und ein Klumpen verfaultes Fleisch und die Knöpfe an seiner Sträflingshose übrig bleiben werden.

Einen Mann wie mich macht diese Tatsache nicht schlaflos. In Lebensgefahr war ich bei tausend Experimenten. Denn niemand beschäftigt sich ohne Gefahr für sein liebes Leben mit den gefährlichsten Keimen, welche die bakteriologische Wissenschaft isoliert hat: Pest, Starrkrampf, Tuberkulose, Rotz, Cholera.

Man muß alles wagen. Man muß mit allem rechnen. Man muß allem gewachsen sein.

Sorgenvoll blickt der große Militärarzt Carolus vor sich hin. Die Azetylenlampe über seinem kahlen Kopf flackert, zischt und riecht übel.

Geht es hinter seiner hohen, aber nicht sehr gewölbten Gelehrtenstirn ebenso hell zu wie vor ihr? Der gute Mann blickt auf das immer weiter sich entfernende Gestade hin und setzt seine goldbestickte Uniformkappe auf. Vorhin hatte er den Tropenhelm aufgesetzt bei der Überfahrt. Aber jetzt ist er im Dienst, und man soll Kotau machen vor den Generalsstreifen. Oder friert ihn nur? Was bewegt deinen Sinn? Hat dein Nachdenken einen Erfolg gehabt, bist du dem Erreger des Gelbfiebers auf der Spur?

Mein Jugendfreund Walter, von dem ich schon sprach, hat sich mit dieser Seuche beschäftigt. Er hat es zustande gebracht, Meerschweinchen mit einem Serum, das er von drüben zugeschickt bekommen hatte, zu impfen, und zwar mit Erfolg.

Man muß wissen, was Serum bedeutet. Das Serum ist ja nur ein wenig abgestandenes, geronnenes, geklärtes Menschenblut. Tierblut. Es ist klar wie Wasser oder leicht gelblich, wie Kognak mit Wasser gemischt. Das Brutale, das Trübe des Blutes haftet ihm nicht an. Unter dem Mikroskop ist das normale Serum frei von sichtbaren, färbbaren, züchtbaren Lebewesen, von Keimen. Gut. Aber spritzt man das kranke Serum unter Anwendung der äußersten Sauberkeit Meerschweinchen in die Blutbahn, dann erkranken sie, an ihren inneren Organen zeigen sich ähnliche Wirkungen, wie sie der Keim des gelben Fiebers »in Wirklichkeit«, das heißt, in der Natur und am Menschen hervorbringt, und diese Seuche pflanzt sich in unveränderter Stärke von einem Meerschweinchen auf das ändere fort auf dem direktesten Wege. Von einem sterbenden Tier läßt sich das Blut auf ein gesundes übertragen und die geheimnisvolle Krankheit mit ihm. Könnte es nicht auch einen Menschen zwischendurch treffen? Gewiß, wenn ein Mensch den übermenschlichen Mut besäße, sich in seine Blutbahn einen Tropfen kranken Meerschweinchenblutes oder gar Menschenblutes einspritzen zu lassen.

Aber zu diesem experimentum crucis, wie man es nennt, kam es nicht im pathologischen Institut. Walter mußte vorzeitig seinen Arbeitsplatz räumen, seine Experimente waren noch im Anfang, die Abteilungsleiter glaubten ihm nichts, weil die zwingenden, evidenten Beweise noch fehlten. Vielleicht konnten ja denn auch wirklich exakte Beweise nur im Heimatlande der Seuche und nicht viele tausend Kilometer weit vom Schuß geliefert werden. Walter, der jung verheiratet war, trug alles mit Stoizismus, ja mit Humor.

Vielleicht ist er »seiner« Seuche gefolgt, ist mit Frau und Kind nach den Tropen, möglicherweise gar nach C, ausgewandert, als Militärarzt zu besonderer Verwendung, wie es im Amtsstil heißt.

Noch ist das Blatt, auf dem die wissenschaftlich absolut unangreifbaren Tatsachen über das gelbe Fieber verzeichnet sind, jungfräulich weiß. Ja, es ist leer.

Theorien gibt es massenhaft, Experimente sind unzählbar gemacht.

Gewißheit gibt es aber nicht. Niemand kennt den Erreger.

Wüßte man wenigstens, wie sich der unsichtbare Keim des Gelbfiebers verbreitet, wo er haust und wie er wandert – viel wäre gewonnen. Niemand weiß, auf welchem Wege die Seuche sich verbreitet, von Mensch zu Mensch, oder von Mensch zu Tier und zurück. Man weiß zwar ebensowenig, wie man den Kranken rettet. Laßt ihn zugrunde gehen! Aber zum mindesten in Zukunft alle Gesunden vor dem gelben Fieber schützen – das wäre die Aufgabe, der bis jetzt kein Mensch gewachsen war.

Und dieser alte Herr mit dem langen, schmalen Gesicht, das einem sechsstöckigen Haus mit nur zwei Fenstern Straßenfront gleicht, er mit den überlangen, schläfrigen Augenlidern, den hängenden Ohrläppchen, die mit Haaren bewachsen sind wie ein alter Olivenstamm mit rauhen, grauen Flechten, dieser fahle Mann, dessen müde Augen nicht einmal das Licht des Azetylenscheinwerfers ohne Blinzeln vertragen, soll er der Natur hinter ihre Geheimnisse kommen?

Er soll sich doch lieber Ruhe gönnen und auch uns. Aber daran denkt er nicht. Er läßt sich ein Tischchen bringen, ein ausgedientes Pokertischchen, das, leicht gebaut, von den Vibrationen der angestrengt arbeitenden Schiffsmaschine erschüttert wird. Auch ein bequemer Stuhl wird ihm von seinen dienstbaren Geistern hingestellt, und er setzt sich in aller Bequemlichkeit hin, die langen, geraden Spinnenbeine in den schlotternden Beinkleidern vor sich hin streckend und den Mantel darüber deckend.

Uns sieht er kaum an. So geringschätzig habe ich in früheren Tagen nicht einmal meine Experimentalobjekte, die Hunde, Katzen, Ratten, Meerschweinchen und Kaninchen betrachtet, von den weißen Mäusen ganz zu schweigen.

Er läßt seine Augen in die Weite schweifen.

Lazurfarben erheben sich am Rande des Horizontes, von den ersten Strahlen des aufgehenden kupferfarbenen Mondes magisch umflossen, die Kuppen sanft gewellter, unbewaldeter Höhen, vegetationslose Höhen im Winde an der Küste des Ozeans.

Auf seinen Knien, auf dem Mantel zwischen den dürren Knochen hält er ein umfangreiches Protokoll, in dessen Blättern sich der Nachtwind fängt. Es weht eine leichte, salzgetränkte Brise von Osten her. Oder ist es Westen? Es ist nachts. Man hat die Orientierung verloren.

Das Protokoll, unsere Generalliste, in der wir mit allem Um und Auf verzeichnet stehen, mit der Herkunft, den Vorstrafen, der Prozeßgeschichte, den persönlichen Beurteilungen von Seite der Gefängnisdirektoren und Strafanstaltsgeistlichen raschelt im kühlen Winde.

Der Generalarzt steckt sich nachdenklich eine Zigarre ins Gesicht. Die Nacht ist schön. Er kann den Blick nicht von der Perlenkette einer bogenartig gruppierten Lichteransammlung – (offenbar ist es eine kleine Küstenstadt) – abwenden.

Die Asche der Zigarre fällt wie Streusand über das Protokoll. Aber diese Schrift braucht keinen löschenden Sand, die Züge sind längst trocken.

Endlich sind die Lichter der Stadt wieder im Halbdämmer der wolkenlosen, aber etwas nebligen Mondnacht untergetaucht, die Rauchfahne aus dem schrägen Schlot fliegt niedrig über unseren Häuptern, Funken glühen sekundenlang in ihr nach, und die Sterne schimmern matt hindurch.

Der Hunger wird schärfer. Sollten wir die ganze Nacht hier draußen verbringen, die Sterne betrachten, die einem gesättigten Gemüte schöne Erquickung bringen mögen, aber nicht einem verhungerten Magen, einem überreizten Nervensystem? Das Murren unter den Sträflingen wird lauter, die Leute wollen in ihre Schlafräume, zu ihrer Abendausspeisung. Aber es hilft nichts. Methodisch geht der Arzt seinen Weg. Um seine Objekte, um ihre Stimmungen, Beschwerden und Schmerzen kümmert er sich wenig. Endlich ist er zum Beginnen entschlossen. Energisch verlangt er von seinen dienstbaren Geistern Gummihandschuhe. Man bringt sie ihm schnell aus dem Schiffslazarett. Er bläst sie auf, er prüft sie sehr genau. Sie müssen dicht halten. Er will uns nicht mit bloßer Hand berühren. Fürchtet er Ansteckung so sehr? Aber so tadellos sie sind, sie genügen nicht, er verlangt noch ein Becken mit desinfizierendem Sublimatwasser, das, bis an den Rand gefüllt, bei den träge schlingernden Bewegungen des Schiffes überschwappt.

Aber nun, werter Herr Carolus, kein Fackeln mehr, frisch ans Werk! Auf Sie warten an hundert Menschen, müde zum Sterben, gierig wie Hunde, denen man, um das Experiment des exakten Kohlehydrat-Stoffwechsels zu machen, zwölf bis vierzehn Tage lang nichts zu fressen gegeben hat. Wir bitten ergebenst um Eile! Worauf wollen Sie uns untersuchen? Unter uns künftigen Strafkolonisten kann gewiß mancherlei Ansteckungsstoff sein. Zwar keine Cholera, keine Pest, kein Bauchtyphus, wie alle die schönen Erfindungen des allmächtigen Weltschöpfers heißen. Aber Geschlechtskrankheiten? Vielleicht. Oder Aussatz, Lepra? Ein Teil der Strafgefangenen kommt aus den Tropen, es sind Farbige, es könnte also auch Lepra an einem der Menschen haften. Wer weiß das bei einer so vielgestaltigen, mystischen Krankheit? Aber dazu braucht es ein Mikroskop, um den Erreger dieser Krankheit, den Hansenschen Bazillus, nachzuweisen, und der Gedanke an eine solche minutiöse Untersuchung unter offenem Himmel, ohne Färbemaßnahmen, ohne gutes Licht, oben an Deck eines fahrenden Dampfers, nachts, ist grotesk.

Aber ganz so grotesk ist dieser Gedanke nicht. Die Haut über meinem linken Handgelenk ist durch die Handfessel aufgeschürft worden. Weiß ich, wer mich im Gedränge bei dem Transport gestreift hat? Die Haut an dieser Stelle ist besonders ansteckungsempfänglich.

Der Hunger wird stärker und bitterer, er ist aus dem Magen in das Kreuz hinabgestiegen, ich fühle ihn als Schmerz auch zwischen den Schulterblättern, es würgt mich vorne im Halse, es pocht in den Schläfen, es krampft sich zwischen den Fingern zusammen. Es ekelt mich vor Hunger, so intensiv empfinde ich ihn jetzt. Ich zittere innerlich vor Wut, ich möchte durch Aufstampfen meinen Groll entladen. Was soll ich unter diesen gemeinen Kerlen? Sind es meinesgleichen? Was soll ich unter der Hand dieses stupidesten aller stupiden Medizinalbürokraten? Monumentaler Ochse! Ich möchte aufstampfen, mich losreißen. Ich kann dieses endlose Warten nicht mehr ertragen. Nicht mehr! Aber – was bleibt mir? Stille sein, Zähne zusammenbeißen. Immer noch ist dieser Stubengelehrte sich über die idiotischeste Untersuchungsmethode nicht im klaren, er blättert in den Papieren, die ganz unnütz sind, er befeuchtet beim Umblättern seine Fingerspitzen höchst unappetitlich mit Speichel von seinen gespitzten, dummen, schmalen Lippen und schlägt nervös Seite um Seite um. Aber mein Herr, weg mit den Händen, was soll das blödsinnige Getue, nicht unser Vorleben und unsere Verbrechen und Irrtümer sollen untersucht werden, sondern wir selbst, wenn es schon sein muß, und zwar sofort in drei Teufels Namen, du Vieh! Siehst du uns denn nicht, einen erbärmlichen Haufen abgezehrter, müder, ausgehungerter Teufel!

Immer noch eine Verzögerung. Er streift zwar die Handschuhe über, aber die Sublimatlösung ist ihm zu schwach. Er läßt noch eine Sublimatpille kommen und in der Flüssigkeit auflösen. So liebt er sein Leben! Hätte ich doch das meine nur ein Tausendstel so ernst genommen! Niemals wäre ich zu seinem Objekt hinabgesunken! Der Kerl da mit dem Gesicht wie ein faltiges, gelbsüchtiges Kinder-Hinterteil, der weiß es ja nicht, was es heißt, einen ganzen Tag und eine ganze Nacht im Viehwaggon auf den harten Bohlen zu verbringen, einen ganzen heißen Tag im glühenden Sonnenbrand auf freiem Platze durchzuschwitzen, die Nase voll von dem Unrat der Kameraden und seinem eigenen! Weiß denn jemals ein Mensch in Freiheit, was es heißt, sich nur nach dem Lebensminimum zu sehnen, wie man es doch dem lieben Vieh, der dummen Kreatur zubilligt! Aber! Billigt man es ihm zu? Habe ich es getan? Was war mir eine Kreatur? Das gleiche, was ich ihm jetzt bin, dem Generalarzt Carolus, der seine überlangen Augenlider hebt und seinen eiskalten, sachlichen Blick auf mich richtet, – der ich diesen Blick nicht ertrage.


 << zurück weiter >>