Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Elftes Kapitel.

Der Leib Christi und die heilige Schrift: doppelt Brot des Himmels / das die gläubige Seele nicht gut entbehren kann.

Der Jünger Jesu spricht.

Wie selig ist doch die andächtige Seele / die mit dir / der du die Lieblichkeit und die Liebe selber bist / Jesus Christus / unser Herr / an deinem Tische ißt! Es wird keine andere Speise ihr vorgesetzt als du / ihr Einziggeliebter / nach dem / als ihrem höchsten Gute / all ihr Sehnen unablässig sich sehnt. Auch für mich wäre es ein Vorgeschmack himmlischer Süßigkeit / in deiner Gegenwart aus der Fülle der innigsten Empfindung weinen und mit der Sünderin / die bei dir Gnade fand / deine Füße mit Tränen benetzen zu können. Aber woher nehme ich diese Andacht / woher die heilige Tränenflut; Wahrhaftig / vor deinem Angesicht und vor deinen heiligen Engeln sollte in meinem Herzen die Liebe glühen / und in meinen Augen glänzen die Tränen der Freude: Denn ich habe dich wahrhaftig gegenwärtig im Sakramente / obgleich unter einer fremden Gestalt verborgen.

Denn dich / wie du bist / in deiner eigenen / göttlichen Klarheit / dich in deinem Licht anzuschauen / das hielten meine Augen nicht aus; die ganze Welt müßte vor dem Glanz deiner Majestät unterliegen. Um also meine Schwachheit zu schonen / verbargst du dich hier unter dem Sakrament. Ich habe aber dennoch dich und bete dich an / den nämlichen / den die Engel im Himmel anbeten; nur habe ich dich noch im Glauben / jene aber schauen dich ohne Schleier von Angesicht zu Angesicht. Ich muß indessen mit dem Licht des Glaubens mich begnügen / muß nach der Wegweisung deines Schimmers vorwärts wallen / bis einst der Tag der ewigen Herrlichkeit anbricht / bis die Schattenbilder der Zeit vorübergegangen sein werden. Ist aber einmal das Vollkommene da / dann hört auch der Gebrauch der Sakramente auf. Sakramente sind Arzneien / und die Seligen bedürfen in dem Lande der Herrlichkeit keiner Arzneien mehr. Sie schauen Gott in seiner Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht und freuen sich vor ihm ohne Ende / sie werden von Klarheit zu Klarheit verwandelt in das Bild der unergründlichen Gottheit / ihr Genuß ist Gottes Wort / das Fleisch geworden ist / das von Anbeginn war und in alle Ewigkeit bleibt.

Wenn ich aber an diese Wunder deiner Liebe auch nur denke / so wird jede Geistesfreude / die dieses Leben mir gewähren kann / mir ekelhaft. Denn bis ich meinen Herrn in seiner Herrlichkeit ohne Hüllen und Schatten werde sehen können / bis dahin halte ich alles / was ich in dieser Welt sehe und höre / für nichts. Du bist mein Zeuge / o mein Gott / daß kein Geschöpf mich trösten / keines mich befriedigen kann / daß nur du / mein Gott / meinen Hunger nach deinem ewigen Genuß stillen / nur du mein ganzes Verlangen sättigen kannst. Zwar ist dies jetzt unmöglich / solange ich dieses Kleid der Sterblichkeit tragen muß. Aber eben deswegen / weil dieses unmöglich ist / so ist ein anderes notwendig / nämlich / ich muß mich zur großen Geduld rüsten / muß mich und all mein Verlangen dir unterwerfen. Denn auch deine Heiligen / die jetzt in deinem Reiche mit dir Freude haben / auch sie mußten in ihrem Erdenleben der Offenbarung deiner Herrlichkeit im stillen Glauben und in großer Geduld entgegenharren. Nun denn / was sie geglaubt haben / das glaube auch ich; was sie mit Zuversicht erwartet haben / das erwarte auch ich; wohin sie endlich gekommen sind / dahin werde durch deine Gnade auch ich endlich kommen / das ist meine Zuversicht: Und bis ich dahin komme / will ich im Glauben wandeln / gestärkt durch die Beispiele meiner Vorgänger / der Heiligen. Überdies habe ich noch einen treuen Spiegel meines Lebens und eine reiche Quelle des Trostes an den heiligen Schriften; und was alles übertrifft / selbst dein Fleisch und Blut ist mir zur Belebung meines Geistes gegeben.

Denn zweierlei Bedürfnisse habe ich hienieden / ohne deren Befriedigung mir dies elende Leben durchaus unerträglich wäre. Hier in diesem Kerker des Leibes bedarf ich Speise und Licht. Nun hast du mir / um meiner Schwachheit zu Hilfe zu kommen / deinen Leib zur Speise gegeben zur Stärkung meiner Seele und meines Leibes / und dein Wort zur Leuchte in dem Dunkel des Lebens. Ohne diese beiden könnte ich nicht wohl leben / denn das Wort Gottes ist das Licht / und dein Sakrament das Lebensbrot für meine Seele. Man kann auch sagen / daß sie die zwei Tische sind / die in der Schatzkammer der Kirche aufgestellt wurden. Einer ist der Tisch des heiligen Altars / auf diesem liegt das heilige Brot / das ist der kostbare Leib Jesu Christi. Der andere ist der Tisch des heiligen Gesetzes / auf diesem liegt die heilige Lehre / die uns im rechten Glauben unterweist und uns bis in das Innerste / hinter den Vorhang / in das Allerheiligste hineinweist. Dank dir / du Licht vom ewigen Lichte / unser Herr Jesus Christus / Dank dir für den Tisch der heiligen Lehre / die du uns durch deine Knechte / die Propheten und Apostel und andere heilige Lehrer / dargereicht hast!

Dank dir auch / du Schöpfer und Erlöser der Menschen / Dank dir / daß du / um der Welt deine Liebe zu beweisen / ein großes Nachtmahl bereitet hast / in welchem uns nicht etwa das Osterlamm des alten Bundes / das nur ein Bild des neuen war / sondern dein Fleisch und Blut zur Speise dargereicht wird / indem du selbst in diesem heiligen Gastmahl alle deine Gläubigen erfreust und du selbst sie alle mit dem Kelch des Heiles tränkst / darin alle Freuden des Paradieses enthalten sind. Auch die heiligen Engel essen mit uns an diesem Mahle / aber ihr Genuß ist lauter Seligkeit und übertrifft an Süßigkeit den unsern.

O wie groß und ehrwürdig ist das Amt der Priester / denen es gegeben ist / den Herrn der Herrlichkeit mit den heiligen Worten zu konsekrieren / mit ihren Lippen zu preisen / mit ihren Händen zu halten / mit ihrem Munde zu genießen und andern zum Genusse darzureichen! O wie rein sollen ihre Hände / ihre Lippen / ihre Herzen sein / da der Urheber aller Reinheit bei ihnen Herberge nehmen will! Aus dem Munde des Priesters soll wahrhaftig kein anderes Wort hervorgehen als ein heiliges und erbauendes!

Sein Auge / das den Leib Christi schaut / soll rein und einfältig sein; rein und aufgehoben zum Himmel die Hände / die den Schöpfer des Himmels und der Erde berühren. Das Wort des Gesetzes paßt dem Geiste nach ganz besonders für unsre Priester: Seid heilig / weil ich / euer Gott und Herr / heilig bin!

Allmächtiger Gott / laß deine Gnade uns zu Hilfe kommen / daß wir Priester in aller Reinheit des Gewissens würdig und voll Andacht nach unserer Pflicht dir dienen können. Und wenn wir die geziemende Stufe des heiligen Wandels noch nicht erreicht haben / so schenk uns die Gnade / daß wir unsre Sünden im Geist der Demut von ganzem Herzen beweinen und dir nach dem ernsten Vorsatz eines guten Willens in Zukunft eifriger dienen mögen. Amen.


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