Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Zwölftes Kapitel.

Wie man in der Geduld und im Kampf gegen das Böse bestehen kann.

Mein Gott und Herr / Geduld ist mir / soweit ich sehe / ein unentbehrlich Ding; denn dies Leben hat soviel Widriges / daß man ohne Geduld wohl nicht durchkommen kann. Wenn ich auch alles tue / was ich tun kann / um Frieden und Ruhe in meinem Herzen zu erhalten / so kann es denn doch nicht anders sein: es gibt immer etwas Unangenehmes / das ich leiden / etwas Böses / dagegen ich streiten muß.

So ist es / mein Sohn! Aber das ist auch nicht mein Wille / daß du nach einem solchen Frieden trachtest / der dir in Hinsicht auf alle Versuchungen und Leiden einen Freiheitsbrief mitbrächte. Vielmehr sollst du glauben / erst dann auf der rechten Bahn des Friedens zu wandeln / wenn du durch allerlei Drangsale geläutert und durch viele widrige Erfahrungen bewährt sein wirst. Wenn du sagst / du könntest nicht so viel leiden / so sage mir / wie wirst du denn einst das große Reinigungsfeuer aushalten können? Von zwei Übeln muß man doch immer das geringere wählen. Damit du also nicht den Strafen der Ewigkeit anheimfallest / so übe dich darin / daß du die Leiden dieser Zeit im Aufblick zu Gott und für die Sache Gottes gleichmütig ertragen lernst. Und dann / glaubst du denn / daß die Menschen / die nach dem Geist der Welt leben / nichts oder nur wenig zu leiden haben? Frage bei denen nach / die den feinsten Sinn für die Freuden der Welt haben / und sie werden es dir anders sagen.

Aber / denkst du / sie haben doch auch viele Freuden zu genießen und leben im Grunde doch nur nach ihrem eigenen Willen / und eben deswegen halten sie ihre Drangsale nicht für sonderlich groß. Sei es / hätten sie auch alles / was sie wollten / sage mir / wie lange / glaubst du denn / wird dies ihr elendes Paradies auf Erden dauern? Sieh / die hier alles im Überfluß besitzen / wie Rauch vergehen sie / und sie werden die Freuden / die sie hier genossen haben / nicht einmal mehr im Traum der Einbildungskraft wieder genießen können. Aber auch hier / solange dieses Leben währt / können sie nirgend wahre Ruhe finden; denn Bitterkeit / Furcht und Überdruß mischen sich in alle ihre Freuden. Und eben das / worin sie Freude suchen / bringt ihnen oft eine reiche Ernte von Schmerz und Strafe ein. Das eben ist das Gesetz der Gerechtigkeit: Weil sie wider die Ordnung der törichten Freude nachlaufen / so können sie diesen ungeordneten Trieb nach Freude nicht ohne das peinliche Gefühl von Scham und Schmerz befriedigen. O wie kurz und trügerisch / voll Unordnung und Schande sind doch diese Vergnügungen alle! Aber da die Menschen der Verblendung und dem Rausche hingegeben sind / so sehen sie mit sehenden Augen nicht. Wie vernunftlose Tiere vergraben sie sich in den hinfälligen Freuden dieses kurzen Lebens und finden in diesem Lebensgenuß den Tod der Seele. Also nicht deiner blinden Begierde mußt du blind nacheilen / lieber Sohn! Wende dich vielmehr weg von all dem / zu dem dein tierischer Wille dich hinzieht. Suche deine Freude im Herrn / und er wird dir geben / was dein Herz verlangt.

Denn wenn du wahre Freude finden und überfließende Tröstung von mir erhalten willst / so fasse Mut / alle Lust der Welt zu verschmähen und alle niederen Freuden daranzugeben. Darin wirst du Segen finden / dafür wird dir eine reiche Quelle des innern Trostes geöffnet werden. Und je mehr du den Trost / den die Geschöpfe dir anbieten / verschmähen lernst / desto süßer und inniger wird die Fülle des Trostes sein / den du in mir finden wirst. Aber anfangs wird es dich manchen heißen Kampf kosten / und du wirst durch manche finstere Stunde dich hindurchschlagen müssen / bis du dahin gelangst. Entgegensetzen wird sich dir die tiefgewurzelte Gewohnheit / aber sie wird durch eine neue / bessere Angewöhnung überwunden werden. Empören wird dagegen sich das Fleisch / aber diese Empörung wird durch den siegenden Eifer des Geistes wieder gestillt werden. Reizen wird dich die alte Schlange und durch ihre Reizungen deinen Kampf noch heißer machen / aber das Gebet wird sie verscheuchen / und eine nützliche Beschäftigung wird ihr Tür und Tor verriegeln.


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