Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Vierzehntes Kapitel.

Die geheimen Gerichte Gottes.

Herr / deine Gerichte donnern furchtbar über meinem Haupte / mit Furcht und Zittern zermalmst du all mein Gebein / und tiefer Schrecken liegt auf meiner Seele. Ich steh und staune und denke den schauerlichen Gedanken: In deinem Auge sind auch die Himmel nicht rein. Wenn du in den Engeln Sünde gefunden hast und die Engel nicht schontest / was wird mit mir geschehen? Sterne sind vom Himmel gefallen / und ich / Staub der Erde / wie wag ich zu hoffen? Menschen / deren Handlungen den Schein des Guten hatten / fielen in den Abgrund des Bösen / und die das Brot der Engel aßen / sah ich mit den Trebern der Schweine ihre Lust befriedigen.

So steht denn keine Heiligkeit fest / wenn du / Herr / deine Hand zurückziehst. So rettet denn keine Weisheit / wenn du nicht regierst. So hilft denn keine Stärke / wenn du nicht schützest. So dauert denn keine Keuschheit / wenn du sie nicht bewahrst. So nützt denn keine eigene Wachsamkeit / wenn dein heiliges Auge nicht wacht. Denn wenn deine Hand uns losläßt / so fallen wir ins Wasser und gehen unter; wenn aber deine Hand uns anfaßt / so kommen wir wieder ans Land und leben. Unsere Tritte schwanken hin und her / aber du befestigst sie. Unsere Herzen sind lau und werden kalt / aber du zündest sie wieder an.

O wie kann ich gering und niedrig genug von mir denken? Wie für gar nichts muß ich es achten / wenn ich etwas Gutes an mir zu haben scheine! Wie tief muß ich mich versenken in den Abgrund deiner Gerichte / o Herr / indem ich an mir nichts anderes finde als nichts und nichts? O eine unermessene Last liegt auf mir / ein unüberschiffbares Meer vor mir! Wie finde ich in mir überall nichts anderes als in allem nichts! Wo sollte doch die eitle Ehre noch eine Falte finden / hinter der sie sich versteckte? Wo sollte noch ein vorgefaßtes Vertrauen auf eigene Tugend in mir Platz finden können? Verschlungen / verschlungen ist alle eitle Ehre in dem Abgrund deiner Gerichte über mir.

Gott / was ist alles Fleisch vor deinem Angesicht? Wird auch ein Gefäß aus Ton sich rühmen gegen den / der es gebildet hat? Wie sollte eitles Ruhmgeschwätz ein Herz noch in die Höhe heben können / das die Wahrheit einmal tief genug unter Gott gebeugt hat? O den die Wahrheit sich unterwürfig gemacht hat / den kann die ganze Welt nicht mehr zum Stolz erheben. Wer seine ganze Hoffnung auf Gott gegründet hat / den werden die Lobsprüche einer ganzen Welt nicht mehr bewegen können. Denn sieh / auch die da reden / sind alle nichts / verschwinden mit dem Schall ihrer Worte; aber die Wahrheit des Herrn / die bleibt ewig.


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