Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Zehntes Kapitel.

Danke Gott für die Gnade Gottes!

Warum willst du Ruhe haben / da du doch zur Arbeit geboren bist? Halte stets mehr auf Leiden als auf Tröstungen dich gefaßt. Denn wo wäre auch unter denen / die in der Welt leben / der Mensch zu finden / der nicht immer gern Tröstungen und Freuden des Geistes genießen möchte / wenn er sie einmal genossen hätte und immer genießen könnte! Die Tröstungen / die wir vom Geist her / der sie genießt / geistlich nennen / übertreffen ohne Widerrede alle Freuden der Welt und alle Wollüste des Fleisches. Denn alle Freuden der Welt sind entweder unedel oder wenigstens eitel; die geistlichen Freuden aber / sie allein sind zugleich edel und eigentliche Freuden / weil sie von Gott in reine Seelen gesenkt und aus Tugend geboren werden. Aber diese göttlichen Freuden / diese himmlischen Tröstungen stehen nicht immer uns so zu Gebote / daß wir sie genießen könnten / so oft wir wollen. Denn auf einmal schlägt wieder die Stunde der Versuchung / und sie bleibt nie lange aus. Was aber der göttlichen Heimsuchung am meisten Tür und Tor verriegelt / das ist die falsche Freiheit des Gemütes und das große Vertrauen auf sich selbst. Gott tut wohl / wenn er die Gnade der himmlischen Tröstungen sendet; aber der Mensch tut nicht wohl / wenn er Gott nicht für alle Gaben dankt und sie durch Dank gleichsam wieder zurückgibt / ohne etwas davon für sich zu behalten. Und eben deshalb können die Gnaden Gottes nicht ungehindert in uns einfließen / weil wir gegen den / der die Gnaden sendet / undankbar sind und nicht alles / was uns gegeben wird / in die Quelle / aus der es geflossen ist / zurückfließen lassen. Denn es ist ein Gesetz der göttlichen Haushaltung: Wer für die Gnade würdig zu danken weiß / der empfängt immer neue Gnade; und es wird dem Stolzen abgenommen / was dem Demütigen zugelegt wird.

Ich will durchaus keine himmlische Tröstung haben / die mir den Sinn der Buße aus dem Herzen nähme. Ich möchte selbst die Gabe der Beschaulichkeit nicht haben / wenn sie mich um die Demut brächte. O es ist nicht alles / was hoch ist / auch heilig; nicht alles / was lieblich scheint / auch gut; nicht alles / wonach die Menschen sich sehnen / auch rein; nicht alles / was den Menschen gefällt / auch Gott wohlgefällig. Gern empfange ich eine Gnade / die mich demütiger / wachsamer / vorsichtiger macht und bereitwilliger / mich selbst zu verlassen. Wer durch die Gnade / die ihm die Güte geschenkt / verständig / und durch die Gnade / die ihm die Zucht wieder entzogen hat / weise geworden ist / der wird es nicht wagen wollen / sich etwas Gutes zuzuschreiben / sondern lieber bekennen / daß er arm und nackt sei. Gib Gott / was Gottes ist / und dir / was dein ist; das heißt / danke Gott für die Gnade / die du empfangen / und lege dir allein die Schuld bei in Hinsicht auf das / was dir nicht wieder gegeben ward / und lerne fühlen / daß du durch die Schuld / die auf dir liegt / weiter kein andres Recht erworben hast / als gestraft zu werden.

Setze dich gern an die unterste Stelle / und es wird die oberste dir angewiesen werden. Denn das Oberste hat ohne das Unterste keinen festen Boden / auf dem es ruhe. Waren doch die Heiligen / die vor den Augen Gottes die Größten sind / in ihren eigenen Augen die Geringsten / und je höher sie Gott zu sich erhebt / desto tiefer sinken sie vor ihm in ihr Nichts hinab. Ausgefüllt mit himmlischer Wahrheit und Herrlichkeit / haben sie in sich kein leeres Plätzchen für eitle Begierden nach eitler Ehre. Tiefgegründet und wohlbefestigt in ihrem Gott / können sie von keiner Hoffart mehr in die Höhe gehoben werden; weil sie alles Gute / das sie empfangen haben / Gott allein zuschreiben / Gott allein die Ehre geben / so suchen sie eben darum nicht die Ehre / welche Menschen von Menschen nehmen. Sie wollen keine andere Ehre als jene / die von Gott allein kommt / wollen nichts anderes / als daß Gott in ihnen und in allen Heiligen über alles andere gelobt werde; und dies ist das eine Ziel / nach dem sie allezeit streben. Sei also dankbar auch für das geringste Gut / und der Dank für das Geringste wird dich würdig machen / Größeres zu empfangen. Laß die geringste Gabe dir so lieb sein / als wäre sie die höchste; und was andere verachten / das sei dir als eine besondere Gabe besonders wert. Denn wenn du auf die Würde dessen siehst / der dir die Gabe darreicht / so ist keine Gabe gering / kein Geschenk unbedeutend. Es ist nichts gering / was der Allerhöchste darreicht. Sei es auch / daß dir Strafen und Schläge zugeteilt werden / auch diese mußt du als ein wertvolles Geschenk annehmen. Denn alles / was er über uns kommen läßt / wird in seiner Hand uns zum Segen. Wer die Gnade Gottes bewahren und für immer behalten will / der sei dankbar / wenn sie bei ihm einkehrt; geduldig / wenn sie sich zurückzieht; eifrig im Gebet / daß sie wiederkomme; demütig und vorsichtig / daß sie nicht wieder von ihm weiche.


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