Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Der Sünder achte sich nicht des Trostes und der Gnade wert / er fühle vielmehr / daß er nichts als Strafe und Züchtigungen verdient habe.

Mein Herr / ich bin deines Trostes / deiner göttlichen Heimsuchung nicht wert! Und wenn du mich noch so lang in meinem Elend ohne Trost schmachten ließest / so müßt ich doch bekennen / daß du nach Gerechtigkeit handeltest. Denn könnte ich auch Tränen der Reue vergießen / soviel als Wassertropfen im Weltmeer sind / so wäre ich doch deiner Tröstung unwert. Geißel und Strafe / das ist es eigentlich / was ich verdient habe / weil ich deine Liebe so oft undankbar beleidigt / viele und große Fehltritte getan habe. Also wenn ich die Vernunft / nicht die Einbildung in mir entscheiden lasse / so darf ich mich auch des geringsten Trostes nicht würdig achten. Aber du / mein Gott / reich an Güte und Erbarmung / du willst ja nicht / daß die Werke deiner Hände zugrunde gehen sollen; du willst vielmehr den ganzen Reichtum deiner Güte an uns Sündern / als an so vielen Gefäßen deiner Barmherzigkeit / offenbar machen / und deswegen sendest du deinem Knechte ohne all sein Verdienst und über alle Begriffe des menschlichen Verstandes hinaus Trost und Erquickung in sein Herz. Denn wenn du eine Seele tröstest / so ist es etwas ganz anderes / als wenn Menschen mit Menschenworten einander trösten wollen.

Mein Herr / was habe ich denn getan / daß du mir himmlische Tröstungen zu kosten gabst? Ich weiß nichts Gutes / das ich getan hätte / ich weiß vielmehr / daß ich von jeher geneigt und schnell bereit zum Bösen / und träg und unbeholfen zum Guten war. So ist es / und ich kann die Wahrheit nicht verleugnen. Käme auch ein anderes Wort aus meinem Munde / so stündest du wider mich auf / und ich hätte niemand / der mich wider deine Anklage rechtfertigen könnte. Was habe ich für alle meine Sünden anders verdient als die Hölle / das ewige Feuer? Wahrhaftig / ich bekenne es / daß ich nichts als Schmach und Hohn verdient habe und daß ich der Stelle unter deinen andächtigen Freunden unwert bin. Und obgleich meine Natur sich dagegen sträubt und es nicht hören mag / so muß ich doch wider mich und für die Wahrheit reden / muß meine Sünden bekennen / muß mich selbst anklagen / damit ich würdiger werde / Gnade und Erbarmung bei dir zu finden.

Was soll ich sagen / ich voll Schuld und Schmach? Ich finde kein Wort als dies einzige: Gesündigt / gesündigt habe ich / erbarme dich meiner / verzeih mir! Laß mich eine Weile / laß mich über mein Elend klagen / ehe man mich hineinlegt in das finstere Grab / bedeckt mit Todesschatten. Was forderst du denn von einem Sünder / der nichts als Schuld und Elend in sich hat? Das forderst du vor allem / daß er mit zerschlagenem Herzen und voll Reue sich vor dir um seiner Sünden willen erniedrige / tief vor dir sich beuge. In diesem tiefen Beugen seiner Seele / in dieser Herzensreue wird die Hoffnung der Sündenvergebung geboren / wird das zerrüttete Gewissen mit sich und mit Gott wieder ausgesöhnt / wird die verlorene Gnade wieder gefunden / wird das Geschöpf vor dem kommenden Gericht in Schutz genommen. Da begegnen Gott und die reuige Seele einander und treffen zusammen im heiligen Kusse der Freundschaft.

Diese Demut / diese Herzensreue des Sünders ist dir / o mein Gott / ein angenehmes Opfer / ein Wohlgeruch vor dir / lieblicher als aller Duft des angezündeten Weihrauchs: Diese Herzensreue ist die wohlriechende Salbe / die einst eine Sünderin über deine Füße gießen durfte / weil du ein demütiges und reuevolles Herz nicht verschmähen konntest. Hier im demütigen und reuevollen Herzen / hier ist die Freistätte vor dem Grimm des Feindes. Hier wird wieder ergänzt / hier abgewaschen / was die Sünde zerrüttet und befleckt hat.


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