Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Neuntes Kapitel.

Was es sagen will / durchaus trostlos sein.

Den menschlichen Trost verschmähen / wenn man einen bessern / den göttlichen / hat / das ist nichts Großes. Aber das ist groß / das ist recht groß / den menschlichen und den göttlichen Trost entbehren zu können und um der göttlichen Ehre willen gern mit seinem Herzen wie ein Vertriebener aus dem Lande alles Trostes umherzuirren / sich selbst in keinem Ding zu suchen und nirgends auf eigene Verdienste oder Vorteile Anspruch zu machen. Was ist es denn Großes / beim sanften Wehen der kommenden Gnade freudig und andächtig zu sein? Diese Stunde möchten alle gern haben. Das ist eine gar liebliche Fahrt durch dieses Leben / wenn einen die Gnade Gottes sanft dahin trägt! Was Wunder / daß der keine Bürde fühlt / den der Allmächtige auf seinen Händen trägt / den der höchste Führer überall hindurchführt!

Wir behalten uns gern etwas zurück / an dem unser Herz noch Trost finden kann / und seiner selbst entkleidet der Mensch sich am unliebsten. Laurentius / der heilige Blutzeuge / hat die Welt überwunden / weil er wie sein Priester alles / was die Welt Reizendes hatte / verschmähen konnte. Außerdem konnte er aus Liebe zu Christus mit gelassenem Mut es ertragen / daß sein Freund / der Papst Sixtus / den er innig lieb hatte / von ihm getrennt wurde. Es hat also in ihm die Liebe gegen Gott über alle Liebe gegen irgendeinen Menschen gesiegt / und das Wohlgefallen Gottes mehr bei ihm gegolten als aller Menschentrost. So mußt denn auch du einen Freund / der dir noch so lieb und noch so unentbehrlich sein mag / verlassen können / um Gott allein in Liebe anzuhängen. Auch soll es dir keine tiefe Wunde schlagen / wenn dein Freund dich verläßt; denn du weißt ja / daß die Stunde nicht ausbleibt / wo wir alle einander verlassen müssen.

Oh / es muß der Mensch lang und viel mit sich selbst im Kampf liegen / bis er es lernt / sich ganz zu überwinden und ganz mit all seiner Liebe Gott allein sich zu ergeben und ihm allein anzuhängen. Wenn der Mensch noch an sich selber hängt / so neigt er sich bald wieder abwärts und sucht Menschentrost. Wer aber einmal seinem Herrn Jesus Christus von ganzem Herzen und mit allem Ernste in den Tugenden des christlichen Lebens nachzuringen gelernt hat / dem ist es nicht mehr um Trost und süße Empfindungen zu tun. Er will viel lieber starke Prüfungen aushalten und scheut um Christi willen keine Arbeit mehr / auch die schwerste nicht.

Wenn dir also ein himmlischer Trost von Gott in die Seele gegeben wird / so nimm ihn dankbar an und sieh in ihm nicht den Lohn deiner Verdienste / sondern die lautere / unverdiente Gabe Gottes. Achte dich deswegen nicht für besser / freue dich auch nicht zu viel darüber und laß keine eitle Anmaßung in dein Herz kommen. Vielmehr soll die Gabe Gottes dich demütiger / behutsamer und in allen deinen Handlungen nur noch vorsichtiger machen. Denn die Stunde des Trostes ist bald vorüber / und es kommt wieder eine Stunde der Versuchung hinterher. Und wenn dann die Tröstung vorüber ist / so mußt du den Mut nicht sinken lassen / sondern in Demut und Geduld warten können / bis das Licht des Himmels dein Auge wieder heimsucht; denn Gott ist mächtig genug / dir wieder eine Tröstung zu senden / und zwar in größerm Maße. Dieser Wechsel von Tröstungen und Versuchungen ist nichts Neues denen / die in den Führungen Gottes wohl bewandert sind. Denn die großen Heiligen und die alten Propheten hatten eben diesen Wechsel auch an sich erfahren.

Einer von ihnen sprach im Übermaß der Gnade: Ich hab es gesagt in der Fülle der Freude / in alle Ewigkeit wank ich nicht. Was er aber in sich erfahren / als er das Gefühl der Gnade verloren hatte / beschreibt er bald darauf: Du wandtest dein Angesicht von mir / da ward ich verwirrt. Doch verlor er den Mut nicht / sondern schrie nur um so eindringlicher zum Herrn: Zu dir / mein Herr / will ich schreien / zu meinem Gott will ich flehen. Darauf ward ihm die Frucht seines Gebetes zuteil / und er bezeugt es selbst / daß er Erhörung gefunden hat: Der Herr hat mich erhört / hat meiner sich erbarmt / der Herr hat mir Hilfe gesandt. Aber worin besteht diese Hilfen Du hast / spricht er / meine Klagen in Jubel verwandelt und mich mit Freude umgürtet. Wenn der Herr mit großen Heiligen es so gehalten hat / so dürfen wir Schwachen und Armen den Mut nicht sinken lassen / wenn wir bald im Zustand des Eifers und bald im Zustand des Frostes uns befinden; denn der Geist kommt und geht nach seinem heiligen Wohlgefallen. Deshalb heißt es bei Iob: Du suchst am Morgen ihn heim und prüfst ihn / ehe er es denkt.

Worauf kann ich also meine Hoffnung und worauf muß ich meine Zuversicht anders bauen / als allein auf die große Barmherzigkeit Gottes und allein auf die Gnade / die von oben kommt. Denn sieh / selbst gute Menschen / Brüder voll Andacht und Liebe / oder heilige Bücher oder schöne Abhandlungen oder liebliche / geistvolle Gesänge / soviel sie sonst helfen mögen / halfen mir im Grunde doch wenig und sind selbst ohne Geschmack für mich / wenn ich / ohne himmlische Gnade und mir selbst überlassen / in meiner Armut dahinliege. In dieser Not gibt es kein besseres Rettungsmittel / als geduldig zu sein und im Ergreifen des göttlichen Willens seinen eigenen zu verleugnen.

Ich habe noch keinen Menschen gefunden / der so andächtig und gottselig gewesen wäre / daß er nie in sich eine Abnahme des Eifers gespürt oder ein Zurücktreten der Gnade erfahren hätte. Kein Heiliger war so hoch verzückt / keiner so hell erleuchtet / daß er nicht vor oder nach seiner Verzückung oder Erleuchtung in eine Versuchung gefallen wäre. Denn wer für das Reich Gottes noch nicht durch irgend ein Probefeuer hindurchgegangen ist / der ist es nicht wert / zur hohen Anschauung Gottes zugelassen zu werden. Immer kann man die vorangehende Prüfung als einen Vorboten der nachfolgenden Tröstung ansehen. Denn nur denen / deren Treue sich durch mancherlei Versuchungen bewährt hat / wird die himmlische Tröstung verheißen. Wer überwunden haben wird / sagt die Schrift / dem will ich vom Baume des Lebens zu essen geben.

Auch wird uns die göttliche Tröstung in diesem Leben nur zu dem Zweck gegeben / damit wir dadurch neue Stärke zu neuen Leiden bekommen. Oft auch folgt der Tröstung wieder eine Versuchung auf dem Fuße nach / damit der Mensch des Guten wegen nicht so leicht sich überhebe. Noch ist das Fleisch nicht tot / noch schläft Satan nicht / deswegen mußt du unablässig dich auf den Kampf rüsten; denn es gibt Feinde genug zur Linken und zur Rechten / die nicht müde werden / auf deinen Untergang zu lauern.


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