Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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IV. Buch

Von dem Sakramente des Altars. Eine erbauende Ermunterung zur heiligen Kommunion.

Erstes Kapitel.

Von der Ehrfurcht / mit der wir uns dem Tische des Herrn nahen und Christum empfangen sollen.

Freundliche Einladung aus dem Munde unseres Herrn.

Kommet alle / die ihr mühselig und beladen seid / zu mir / und ich werde euch erquicken / spricht der Herr. Das Brot / das ich geben werde / das ist mein Fleisch / welches ich für das Leben der Welt hingeben werde. Nehmt hin und esset / das ist mein Leib / der für euch wird hingegeben werden; dies tut zu meinem Gedächtnis. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt / der bleibt in mir / und ich in ihm. Die Worte / die ich zu euch geredet habe / sind Geist und Leben.

Empfindungen des Christen im Nachdenken über die freundliche Einladung seines Herrn / ein schöner Wettstreit zwischen Demut und Vertrauen.

Diese Worte sind deine Worte / ewige Wahrheit / Jesus Christus / obgleich deine Zunge sie nicht zu einer Zeit ausgesprochen / noch die heilige Schrift in einer Stelle sie zusammengefaßt hat. Weil sie aber dennoch deine Worte und Wahrheit sind / so muß ich sie aus deinem Munde mit allem Dank annehmen und mit aller Treue bewahren. Diese Worte sind dein / denn du hast sie einst gesprochen. Sie sind aber auch mein / denn du hast sie zu meinem Heil ausgesprochen. Willig nehme ich sie aus deinem Munde / damit sie tiefer in meine Seele eindringen. Es ist in diesen Worten soviel Lieblichkeit / Milde und Liebe / daß sie mit sanfter Gewalt mich zu dir hinziehen. Aber meine eigenen Sünden schrecken mich / und mein unreines Gewissen schlägt mich zurück / indem ich diesen großen Geheimnissen mich nahen will. Die Freundlichkeit deiner Einladung lockt mich zu dir / aber die große Bürde meiner Sünden drängt mich wieder zurück.

Es ist ein Gebot deiner Liebe / daß ich mit Zuversicht zu dir hinzutreten soll / wenn ich an dir und an deinem Reiche teilhaben will; daß ich von dem Brot der Unsterblichkeit essen soll / wenn ich ewiges Leben / ewige Herrlichkeit erlangen will. Du sprichst: Kommet alle zu mir / alle / die ihr mühselig und beladen seid / und ich will euch erquicken. O ein teures / freundliches und liebliches Wort im Ohre des Sünders / daß du / mein Herr und Gott / einen Armen und Dürftigen zu dir einladest / daß er von deinem Fleische esse und von deinem Blute trinke. Aber was bin ich / o mein Herr / daß ich es wagen darf / dir zu nahen? Sieh / die Himmel der Himmel fassen dich nicht / und du sprichst: Kommet zu mir alle!

Was willst du denn mit dieser so milden Herablassung / mit dieser so freundlichen Einladung? Wie will ich es wagen / zu dir zu kommen / da ich nichts Gutes in mir finde / das mir Mut macht / vor dir zu erscheinen? Wie werde ich dich in meine Hütte hereinführen dürfen / da ich dein Angesicht voll Gnade und Liebe so oft mit meinem Undank entheiligt habe? Engel und Erzengel haben Ehrfurcht vor dir / und du sprichst: Kommt alle zu mir! Wenn nicht du selbst das sagtest / wenn es nicht dein Wort wäre / wer würde es glauben? Und wenn es nicht dein Gebot wäre / daß wir zu dir kommen sollen / wer würde es wagen / dir zu nahen?

Sieh / Noah / der gerechte Mann / baute hundert Jahre an seiner Arche / damit er und wenige mit ihm könnten gerettet werden / und ich / wie werde ich in einer Stunde mein Gemüt in die rechte Fassung bringen und dem Baumeister der Welt eine würdige Wohnstätte in mir bereiten können? Moses / dein großer Knecht und dein besonderer Freund / ließ die Bundeslade aus einem Holz herstellen / das der Verwesung am kräftigsten widersteht / und mit dem reinsten Golde überziehen  / um die Tafeln des Gesetzes hineinzulegen; und ich / ein verwesliches Geschöpf / wie soll ich es wagen / dich / den Gesetzgeber selbst / dich / das Leben des Lebens / in mein Herz aufzunehmen? Salomo / der weiseste der Könige Israels / baute sieben Jahre lang an einem prächtigen Tempel zur Ehre deines Namens / feierte das Fest der Tempelweihe ganze acht Tage / opferte tausend Friedensopfer und ließ die Bundeslade unter Trompetenschall und Jubelgesang an zubereiteter Stätte mit allem nur zu ersinnenden Kriegsgepränge einsetzen; und ich / eines der ärmsten und elendsten Menschenkinder / wie darf ich es wagen / dich in mein Haus einzuführen / da ich kaum eine halbe Stunde in ungestörter Andacht zubringen kann! O daß ich in meinem ganzen Leben auch nur eine einzige halbe Stunde dir allein in voller Andacht des Herzens geweiht hätte!

O mein Gott / was und wieviel haben diese deine treuen Diener unternommen / um dir zu gefallen! Und wie gering ist alles / was ich tu! Wie kurz ist die Zeit / auf die sich meine Vorbereitung zur Kommunion beschränkt! Selten bin ich ganz in mir gesammelt / noch seltener bleibe ich auch nur eine kurze Weile in mir gesammelt / ohne die zerstreuenden Gedanken wieder Eingang finden zu lassen. Und doch sollte in deiner heilsamen Gegenwart kein ungeziemender Gedanke in meinem Innersten sich regen / kein Geschöpf deine Stelle in meinem Herzen einnehmen; denn es ist nicht etwa ein Engel / es ist der Herr der Engel / den ich in mir beherbergen will.

Es ist wahrhaftig ein großer Abstand zwischen der Bundeslade und all ihren Heiligtümern und deinem reinsten Leibe und seinen unaussprechlichen Kräften; ein großer Unterschied zwischen jenen Bundesopfern / die nur ein Vorbild der Zukunft sein konnten / und dem wahren Opfer deines Leibes / das den Sinn aller Opfer der Vorzeit lebendig darstellt und vollkommen erfüllt.

Wie kommt es denn aber / daß deine Gegenwart / die überall die höchste Ehrfurcht einflößen sollte / mein kaltes Herz nicht in Flammen setzt? Warum bereite ich nicht mit mehr Eifer mich vor / dein heiliges Mahl zu genießen / nachdem jene alten heiligen Stammväter und Propheten und Könige und Fürsten mit ihrem ganzen Volke in der öffentlichen Verehrung deines Namens soviel Andacht bewiesen haben?

Tanzte doch der König David im Feuer der heiligen Empfindung vor der Bundeslade her / indem die Wohltaten / die seine Väter von Gott / dem Herrn / empfangen hatten / ihm vor Augen schwebten / und der Dank der Seele in all seine Glieder sich ergoß; er ließ allerlei Musikinstrumente verfertigen / verfaßte selbst geistliche Lieder / ließ sie öffentlich und mit festlicher Freude singen / sang selbst mit und spielte oft auf der Harfe / wie der heilige Geist es ihm ins Herz gab; lehrte das Volk Israel seinen Gott mit ganzer Seele preisen und dessen Größe wie mit einem Munde alle Tage in Dank- und Lobgebeten kundtun. Wenn nun schon damals im Anblick der Bundeslade die Flamme der Andacht so mächtig sich regte / und das Lob Gottes so stark sich ergoß: welche Ehrfurcht und Andacht muß jetzt mich und das gesamte Christenvolk beseelen im Anblick des Sakraments und beim Genuß des heiligen Leibes unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi!

Viele laufen zu vielen Orten hin und her / um die Gebeine der Heiligen zu besuchen / und geraten in große Verwunderung / wenn sie von deren Taten erzählen hören / die prächtigen Kirchengebäude anschauen und die in Seide und Gold eingefaßten Reliquien der Heiligen küssen. Und sieh / du mein Gott / du / der Heilige aller Heiligen / du / der Schöpfer aller Menschen und der Herr aller Engel / du bist hier auf dem Altar zugegen. Jenem Laufen und Sehen unterläuft doch auch viel Neugierde / es reizt uns das Ungesehene / und am Ende haben wir nicht viel Nutzen davon / besonders / wenn es nur ein leichtsinniges Hinundherrennen ist / das die Seele kalt und ohne zermalmende Herzensreue läßt. In dem Sakramente des Altars aber bist du selbst / du mein Gott und ein wahrer Mensch / Jesus Christus / mit all deiner Gnadenfülle zugegen. Wer dich würdig und mit wahrer Andacht in sein Herz aufnimmt / der erntet häufige Früchte des ewigen Heils ein. Dazu aber treibt den Christen nicht Neugier / nicht Leichtsinn / nicht Sinnlichkeit / sondern lebendiger Glaube / feste Zuversicht und ungefälschte Liebe / die Fülle der Andacht.

Unsichtbarer Schöpfer der Welt / wie wunderbar handelt deine Liebe mit uns! Wie lieblich und voll Gnade gehst du mit deinen Auserwählten um / indem du selbst im Sakramente ihnen zur Speise dich dargibst und mit ihnen dich vereinigst! Dies übersteigt wahrhaftig alle Begriffe / die der menschliche Verstand sich machen kann / dies zieht die Herzen der Frommen mit besonderer Kraft zu dir / dies entzündet ihr ganzes Verlangen nach dir. Denn sie / deine wahren / treuen Freunde / die in ihrem ganzen Leben nur die fortschreitende Heiligung ihres Sinnes und Wandels zu ihrem Augenmerk machen / gehen nie leer von deinem Tisch zurück / sondern empfangen daselbst neue himmlische Kräfte zur Andacht und zur Liebe der Tugend.

O wie ist die Gnadenfülle / die uns durch dies Sakrament mitgeteilt wird / so wunderbar und geheimnisvoll! Nur die gläubigen Freunde Jesu Christi kennen sie / aber die Ungläubigen und Sklaven der Sünde können sie nicht erfahren. In diesem Sakrament wird uns neue Geisteskraft mitgeteilt / der verlorene Tugendsinn ergänzt und die Schönheit der Seele / die durch die Sünde verunstaltet ward / wieder hergestellt. Und diese Gnade erreicht manchmal ein so großes Maß / und die Andacht / die daraus entsteht / ein solches Übermaß / daß nicht nur der Geist / sondern auch die Hülle des Geistes / der schwächliche Leib / neue Kraft empfängt.

Indessen ist es eine beweinenswürdige Sache / daß wir gar so lau und nachlässig sind / daß kein lebendigeres Verlangen / Christum zu empfangen / uns zu ihm hintreibt; da doch die ganze Hoffnung aller / die da selig werden / und ihr ganzes Verdienst auf ihm beruht. Denn er ist unsere Heiligung und Erlösung / er die Trostquelle für die Pilger / er der ewige Genuß für die Heiligen. Traurig genug / daß so viele dies heilsame Geheimnis so wenig beachten / ein Geheimnis / das die Freude des Himmels und das Heil der Welt ausmacht. Wahrhaftig / es gehört eine unbegreifliche Blindheit und Verhärtung des menschlichen Gemütes dazu / daß wir für dies unaussprechlich liebliche Geschenk nicht mehr Gefühl und Achtung haben und selbst aus dem täglichen Gebrauch / den wir davon machen / unachtsamer und gefühlloser dafür werden.

Denn würde dieses heiligste Sakrament nur an einem Orte und von einem Priester der Welt geweiht  / mit welchem Sehnen würden nicht die Menschen nach diesem Ort und zu diesem Priester eilen / damit sie an den göttlichen Geheimnissen Anteil nehmen könnten! Nun aber sind viele Priester angeordnet / und Christus wird an vielen Orten geopfert / damit die Gnade und Liebe Gottes desto helleuchtender sich offenbaren möge / je öfter und an je mehr Orten die heilige Kommunion gefeiert wird. Ich danke dir / unsterblicher Hirt / Jesus Christus / voll Liebe und Güte / ich danke dir / daß du uns arme und wie im Elende schmachtenden Pilger mit deinem kostbaren Leib und Blut erquickst und noch dazu so freundlich uns einladest: Kommet zu mir alle / die ihr mühselig und beladen seid / ich will euch erquicken!


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