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Unser Gedicht hat beim Uebergange aus dem Heidenthum ins Christenthum wie alle deutsche epische Dichtung gelitten. Doch ist das Heidnische mit schonender Hand getilgt und ein selbst oft noch halb heidnisch oder doch rabbinisch-jüdisch gefärbtes Christenthum so sparsam aufgetragen, daß es fast nur bei der Herleitung des Riesengeschlechts von Kain und seinem Brudermord zu Tage tritt oder wenn dem Vertrauen heidnischer Helden auf ihre eigene Stärke, die sich noch in den Gilpreden kund giebt, ein christliches Gottvertrauen untergeschoben oder an die Seite gestellt wird. Das sind aber die einzigen Beschädigungen nicht, die das Gedicht erfahren hat. Abgesehen davon, daß die in vielen Stellen ganz unlesbar gewordene Handschrift es nur lückenhaft überliefert, ist es auch stark und wie es scheint von mehr als Einer Hand interpoliert. So rührt die schon besprochene Episode von Freaware schwerlich von dem ersten Dichter her, der bei Beowulfs Aufenthalt an Hrodgars Hofe ihrer nicht gedenkt. Noch schlimmer ist es, daß Redactionsfehler begangen sind und schwer Vereinbares nebeneinander geduldet wurde, wie auch Müllenhoff 427 einen Widerspruch in Beowulfs Beweggründen zum letzten Kampfe aufdeckte, der einmal aus reinem Heldensinn, ein andermal gezwungen und zur Abwehr unternommen sein soll. Noch andere verspricht er Ztschr. XI., 280. 294 künftig aufzudecken. So verrathen auch einige Stellen, nach Ettmüllers Bemerkung S. 177, daß der alte Häuptling, der nach XXXI, 20, ff. die Schätze seines vom Kampf hinweggerafften Geschlechts in der Erde birgt, Ein Wesen war mit dem Drachen, der sie später hütet, was auf eine heidnische Anschauung zurückweist, die der christliche Ueberarbeiter nicht gänzlich ausgemerzt hat. Aber Mängel dieser Art finden sich auch in den Nibelungen und in der Gudrun; zum Glück treten sie hier wie dort nicht so stark hervor, daß der Genuß dadurch verkümmert würde. Wie jedes echte Epos aus dem Glauben und der Geschichte des Volks erwächst, so zeigt auch der Beowulf mythische neben historischen Bestandtheilen, wenn gleich letztere sich selten mit der urkundlichen Geschichte berühren. Die mythischen treten in der Einleitung und den drei Haupttheilen des Gedichts hervor; die historischen mehr in den Zwischenerzählungen, von denen zweie jedoch, die von Brecka und Sigmund, gleichfalls mythischen Character tragen. In den mythischen ist der Held mit halbgöttlicher Kraft ausgerüstet; die geschichtlichen gehen über menschliches Maß nicht hinaus. Aber noch belebt dieß Gedicht kein romantischer Hauch, die Minne verschönt es nicht, selbst die Gattenliebe verbleicht in Ingeld vor dem Gefühl der Rache. Wenn schon in den Eddischen Helgiliedern die Thränen der verwaisten Gattin den verklärten Helden aus Walhalls Wonnen herniederziehen, wenn im Tristan die Minne in ganzer Pracht erblüht ist und die psychologisch tiefe Schilderung der unwiderstehlichen Gewalt der Liebe selbst den sittlich verstimmten Leser bezaubert und entzückt, so muß dagegen der Beowulf im Nachtheil erscheinen, der nur die Liebe zu Kindern und Geschwistern kennt, nur die süßen Bande des Bluts, nur die geheiligte Macht der Sippe. Hier ist noch Alles angeboren, Alles ursprüngliche Natur: freie Wahl und Selbstbestimmung, wie sie Freundschaft und Liebe fordern, tritt höchstens in Gilpreden und Erbotworten und im Verhältniss des Dienstmanns zu dem Gefolgsherrn hervor und auch hier nicht immer entschieden; wenigstens ist Wiglafs Treue zu seinem Lehnsherrn Beowulf zugleich in der Sippe gegründet; nur Hrodgar fühlt sich zuletzt 26, 63 von der Neigung zu dem scheidenden Beowulf so ergriffen,
Daß nach dem herzlieben Helden geheimes Verlangen Widers Blut ihn brannte. |
Und doch liegt in dieser alterthümlichen Einfachheit der Motive zugleich die unvergängliche Schönheit des Gedichts: je tiefer sie in der Natur gegründet sind, je sicherer und stärker ergreifen sie uns. Neben dieser Einfachheit setzt die Kunst in Erstaunen, womit die vielen anziehenden Episoden eingeflochten sind, von welchen einige oben näher besprochen wurden. Sie sind meistens von rührender Wirkung, nur die Schwimmfahrt mit Brecka von erhabener gleich der schaurigen Beschreibung der Moorgegend. Vor Allem empfiehlt uns den Beowulf die lebendige Schilderung des deutschen Heldenlebens, das noch in selbwachsener Eigenthümlichkeit prangt, das noch keine Convenienz, keine ritterliche Courtoisie der reinen Menschlichkeit entfremdet hat. Diese Vorzüge werden es dem späten Geschlechte empfehlen, das ohne der Milde christlicher Gesinnung oder den Vortheilen moderner Cultur zu entsagen, doch in der Rückkehr zu ursprünglicher Einfalt und Aufrichtigkeit der Sitte und Gesinnung, wie sie nach Tacitus unser Gedicht am lebendigsten schildert, von romantischer Schwärmerei und französischer Leichtfertigkeit genesen soll. Nicht zum Erstenmal empfinde ich es als ein Unglück, daß Lessing keins unserer altdeutschen Gedichte wie den Beowulf oder Walther und Hildegunde kennen gelernt hat, die, so herrliche Frauen sie uns auch vorführen, doch den Mann noch höher stellen als die Frau. Er, der uns durch einen Philotas, ein Drama ohne andere Liehe als die der Pflicht und Ehre, zu mannhafter Tüchtigkeit zurückzuführen unternahm, würde diese Epen des ältern strengern Stils, wenn er ihre Auferstehung erlebt hätte, als mit den besten Werken des classischen Alterthums aus gleichem Geiste geboren begrüßt, ja ihnen vielleicht wie dem Shakespeare vor den Tragikern darin noch einen Vorzug eingeräumt haben, daß sie unserm deutschen Sinn und Gemüth näher und inniger verwandt sind.