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XIX

»Der Herr Kanonikus? Ich möchte ihn sprechen. Schnell!«

Das Dienstmädchen zeigte auf die Studierstube und rannte die Treppe hinauf, um Dona Josefa zu erzählen, daß der Herr Pfarrer gekommen sei, um mit dem Herrn Kanonikus zu sprechen. Er sehe ganz verstört aus; es müsse sicher ein Unglück geschehen sein!

Amaro riß die Tür des Studierzimmers auf, schlug sie heftig zu und rief, ohne den Kollegen erst zu begrüßen: »Das Mädchen ist schwanger!«

Der Kanonikus, der gerade schrieb, fiel wie vom Donner gerührt in den Stuhl zurück. »Was sagen Sie?«

»Schwanger!«

Es folgte ein langes Schweigen, das nur durch das Knarren des Fußbodens unterbrochen wurde; denn der Pfarrer rannte mit aufgeregten Schritten zwischen dem Fenster und dem Bücherregal hin und her.

»Sind Sie Ihrer Sache auch sicher?« fragte der entsetzte Kanonikus.

»Absolut sicher! Das Weib war schon vor einigen Tagen mißtrauisch. Sie weinte nur immerzu … Aber jetzt ist es sicher … Die Weiber wissen Bescheid, sie täuschen sich nicht. Alle Anzeichen sind da … Was soll ich nun tun, Meister?«

»Scheußliche Sache, Donnerwetter!« Weiter konnte der Kanonikus, der fassungslos vor sich hin starrte, nichts sagen.

»Stellen Sie sich den Skandal vor, den das gibt! Die Mutter, die Nachbarschaft … Und wenn der Verdacht auf mich fällt! … Ich bin verloren … Ich will gar nichts mehr wissen, ich fliehe!«

Der Kanonikus kratzte sich blöde den Hals; wie ein Rüssel hingen seine Lippen herab. Er stellte sich das Geschrei im Hause vor, die Nacht der Niederkunft, die Joaneira ewig in Tränen … Mit seiner Ruhe war es für immer vorbei …

»Aber so sagen Sie doch etwas!« schrie Amaro in Verzweiflung. »Was meinen Sie denn? Haben Sie denn nicht eine Idee? … Ich weiß nichts! Ich bin wie blödsinnig! Ich bin fertig!«

»Da haben Sie nun die Folgen, mein lieber Kollege!«

»Gehen Sie zum Teufel, Mensch! Keine Moralpredigten! … Natürlich war es eine Eselei … Adieu, es ist aus!«

»Aber was wollen Sie denn?« fragte der Kanonikus. »Sie wollen doch sicher nicht, daß man dem Mädchen irgendeine Droge eingibt, die es ruiniert …«

Amaro zuckte die Achseln; er war ärgerlich über diese unsinnige Idee. Der Meister machte offenbar Umschweife …

»Ja, was wollen Sie also?« wiederholte der Kanonikus mit hohler Stimme. Es klang, als spräche ein Bauchredner.

»Was ich will? Ich will, daß es keinen Skandal gibt! Was soll ich denn sonst wollen!«

»Im wievielten Monat ist sie?«

»Im wievielten Monat? Es ist jetzt … einen Monat …«

»Also muß man sie verheiraten!« explodierte der Kanonikus. »Sie muß den Schreiber heiraten!«

Pater Amaro fuhr in freudiger Überraschung in die Höhe. »Zum Teufel, Sie haben recht! Das ist eine blendende Idee!«

Der Kanonikus bestätigte mit ernstem Kopfnicken, daß es eine »blendende Idee« sei.

»Also heiraten! Solange es Zeit ist! Pater est quem nuptiae demonstrant … Wer mit ihr verheiratet ist, ist der Vater.«

Da öffnete sich die Tür, und die blauen Brillengläser nebst dem schwarzen Kopfputz der Dona Josefa wurden sichtbar. Sie hatte es vor Neugier oben in der Küche nicht mehr aushalten können; darum war sie auf den Spitzen ihrer Pantoffeln herabgeschlichen und hatte das Ohr an das Schlüsselloch des Studierzimmers gepreßt. Aber da war nichts zu hören: der dicke Friesvorhang im Innern der Stube war zugezogen, und außerdem übertönten einige Fuhrleute, die auf der Straße Holz abluden, die Stimmen der Redenden. So entschloß sich die gute Dame, einzutreten und »dem Herrn Pfarrer guten Tag zu sagen«.

Aber vergeblich funkelten hinter der dunklen Brille ihre Luchsäuglein, um etwas aus dem feisten Gesicht des Bruders oder den bleichen Zügen Amaros zu lesen. Die beiden Priester waren undurchdringlich wie zwei verhängte Fenster. Der Pfarrer sprach sogar leichthin über den Rheumatismus des Chorherrn und erwähnte, daß von einer Heirat des Generalsekretärs gemunkelt werde … Nach einer kleinen Pause stand er auf und erzählte noch, daß er heute wunderbare Schweinsohren zu Mittag gegessen habe. Dona Josefa war schwer enttäuscht, als Amaro sich empfahl und noch zwischen Portiere und Tür dem Kanonikus zurief: »Also auf heute abend bei der Joaneira, Meister, nicht wahr?«

»Auf heute abend, adieu!«

Der Kanonikus fuhr mit ernstem Gesicht in seiner Schreibarbeit fort.

Da konnte sich Dona Josefa nicht mehr beherrschen, und nachdem sie ein paarmal in ihren Pantoffeln um den Bruder herumgeschlurft war, stieß sie heraus: »Etwas Neues?«

»Eine große Neuigkeit, Schwester!« sagte der Kanonikus, während er an der Spitze seiner Feder zupfte. »König Johann VI. ist gestorben!«

»Flegel!« zischte sie und drehte sich auf ihren Pantoffeln, verfolgt von dem grausamen Gekicher des Bruders.

Am Abend waren die Freunde und Freundinnen wie üblich bei der Joaneira zu Gast. Amélia hämmerte, den Tod im Herzen, den »Walzer der zwei Welten« herunter, während unter ihr, im Zimmer der Joaneira, die beiden Geistlichen sich im Flüsterton berieten. Sie saßen, die Zigaretten zwischen den Zähnen, dicht beieinander; zu ihren Häupten hing an der Wand das düstere Gemälde, auf dem der unheimliche Mönch seine krallenförmige Hand über den Totenschädel streckt. – Vor allem galt es, João Eduardo, der aus Leiria verschwunden war, aufzufinden. Die Dionísia mußte mit ihrer Spürnase in allen Winkeln der Stadt herumschnüffeln und die Höhle ausfindig machen, in die sich »die Bestie« verkrochen hatte. Amélia mußte ihm schreiben, und zwar bald, sofort, denn die Zeit drängte … Nur ein paar einfache Worte: Sie wisse jetzt, daß er das Opfer einer Intrige sei, daß er niemals ihre Neigung verloren habe, daß sie ihm Genugtuung schulde, er solle zu ihr kommen … Wenn der Bursche zauderte – was, wie der Kanonikus versicherte, kaum zu befürchten war –, könnte ihm Hoffnung auf die bewußte Anstellung in der Zivilregierung gemacht werden. Die Anstellung würde man leicht mit Hilfe des Doktors Godinho erreichen, der ja Wachs in den Händen seiner Frau sei. Und diese gehorchte dem Pater Silvério wie eine Sklavin …

»Aber der Natário«, sagte Amaro, »der Natário, der doch den Schreiber tödlich haßt! Was wird er zu dieser Revolution sagen?«

»Mensch!« rief der Kanonikus und schlug sich dabei derb auf den Schenkel. »Daß ich das vergessen konnte! Wissen Sie denn nicht, was dem armen Natário zugestoßen ist? …«

Amaro wußte nichts.

»Er hat sich ein Bein gebrochen! Ist vom Pferd gestürzt!«

»Wann?«

»Heute morgen. Ich erfuhr es eben erst. Schon immer hatte ich ihm gesagt: ›Mann, dieses Tier wird Ihnen eins auswischen!‹ Und siehe da, es hat ihm eins ausgewischt, und ordentlich! Nun heißt es für den Leichtsinn büßen … Und das hatte ich vergessen! Die Damen oben wissen noch gar nichts davon.«

Ein großes Wehklagen erhob sich, als die Damen es erfuhren. Amélia klappte das Klavier zu. Alle sprachen von Heilmitteln, die sie ihm schicken wollten; unzählige Dinge wurden angeführt: Binden, Charpie, eine Salbe der Nonnen von Alcobaça, eine halbe Flasche von dem Likör, den die Mönche in der Wildnis bei Córdoba herstellen, und so weiter. Natürlich mußte man sich auch der Hilfe des Himmels versichern, und jede der Betschwestern machte sich erbötig, ihren Einfluß bei ihrem Spezialheiligen aufzuwenden. Dona Maria da Assunção wollte den heiligen Eleutherius, mit dem sie neuerdings auf besonders vertrautem Fuße stand, in Bewegung setzen; Dona Josefa Dias versprach, die Heilige Jungfrau der Heimsuchung für den Fall zu interessieren; Dona Joaquina Gansoso sagte für den heiligen Joachim gut.

»Und unser Fräulein?« fragte der Kanonikus Amélia.

»Ich? …«

Sie erblaßte; unsägliche Trauer erfüllte ihre Seele. Was konnte sie nützen? Hatte sie mit ihrer sündigen Liebe sich nicht die Freundschaft der schmerzensreichen Jungfrau verscherzt? – Daß sie nicht auch mit ihrem Einfluß im Himmel dazu beitragen konnte, das Bein des Paters Natário zu heilen, traf sie furchtbar hart, war vielleicht die empfindlichste Strafe, die ihr zuteil wurde, seit sie den Pater Amaro liebte.

Als sie einige Tage darauf ins Glöcknerhaus kam, enthüllte ihr Amaro den Plan des Meisters. Er ging dabei methodisch, schrittweise vor. Zuerst teilte er ihr mit, daß der Kanonikus alles wisse …

»Er weiß es als Beichtgeheimnis«, fügte er hinzu, um sie zu beruhigen. »Außerdem haben er und deine Mutter ein langes Sündenregister … Aber es bleibt alles in der Familie …« Dann ergriff er ihre Hand und blickte ihr gerührt in die Augen, als schmerzten ihn schon im voraus die Kummertränen, die sie nun vergießen würde.

»Und nun höre mich an, Liebling. Nimm dir das, was ich jetzt sagen werde, nicht gar zu sehr zu Herzen. Es ist notwendig; unsere Rettung hängt davon ab …«

Aber schon bei den ersten Worten, die auf eine Heirat mit dem Schreiber anspielten, fuhr sie empört auf: »Niemals!« schrie sie. »Eher sterbe ich!«

Wie? Er hatte sie in diesen Zustand versetzt, und nun wollte er sich ihrer entledigen, sie einem anderen zuschanzen? War sie etwa ein Lappen, den man benutzt und nachher einem Bettler hinwirft? Nachdem sie jenen Mann aus dem Hause gewiesen, sollte sie sich nun demütigen, ihn rufen und sich ihm an den Hals werfen? … O nein! Sie hatte auch ihren Stolz! Sklaven kann man verschachern; aber so etwas gibt es nur in Brasilien!

Dann wurde sie sentimental! Ah! Er liebte sie nicht mehr, war ihrer überdrüssig! Wie unglücklich, wie elend war sie doch! – Sie warf sich mit dem Gesicht aufs Bett und brach in herzzerreißendes Weinen aus.

»Schweig doch nur, Mädchen!« sagte Amaro in gelinder Verzweiflung und schüttelte ihren Arm. »Man hört dich ja auf der Straße!«

»Was kümmert mich das! Mögen sie es hören! Ich werde es auf die Straße hinausschreien, daß ich in diesem Zustand bin, daß es der Pater Amaro war und daß er mich jetzt im Stich lassen will! …«

Amaro wurde aschgrau vor Wut; am liebsten hätte er auf das Mädchen losgeschlagen.

Aber er nahm sich zusammen, und mit einer Stimme, die unter seiner äußerlich erzwungenen Ruhe zitterte, sagte er: »Du bist außer dir, Liebling … Sag, kann ich dich heiraten? Nein! Was willst du also? Bedenke den Skandal, wenn man deinen Zustand bemerkt … wenn du das Kind zu Hause zur Welt bringst! … Dann bist du verloren, für immer verloren! Und ich, wenn es herauskommt, bin auch erledigt; ich werde vom Amt suspendiert; man macht mir vielleicht den Prozeß … Wovon soll ich dann leben? Willst du, daß ich verhungere?«

Er wurde förmlich gerührt bei dem Gedanken an das Elend und die Entbehrungen, die ihm als entlassenem Geistlichen drohten. – Ach, sie liebte ihn eben nicht, und nachdem er so zärtlich und liebevoll mit ihr gewesen, wolle sie ihm nun seine Liebe mit Schande und Unglück belohnen …

»Nein, nein!« schluchzte Amélia und umklammerte leidenschaftlich seinen Hals.

So saßen sie Brust an Brust auf dem Bettrand, von derselben zitternden Rührung beseelt. Amélias Tränen tropften auf Amaros Schulter, und dieser, ebenfalls mit feuchten Augen, biß sich auf die Lippen.

Dann löste er sich sanft aus ihren Armen, wischte sich die Tränen aus den Augen und sagte: »Liebling, es ist ein großes Unglück, das uns widerfährt; aber es muß wohl so sein. Wenn du leidest, ich leide noch viel mehr! … Dich verheiratet sehen müssen, mit einem anderen leben … Doch reden wir nicht davon … Das Schicksal will es so, Gott schickt es!«

Sie saß ganz vernichtet da, von heftigem Schluchzen geschüttelt. So war also die Strafe gekommen; die Heilige Jungfrau nahm ihre Rache. Oh, sie hatte es gefühlt, daß sich tief im Schoße des Himmels ein vielgestaltiges Unheil vorbereitete. Nun war es da, schlimmer als die Flammen des Fegefeuers! Sie mußte sich von Amaro, dem Heißgeliebten, trennen und zu dem andern, dem Exkommunizierten, ziehen! Wie sollte sie jemals wieder der göttlichen Gnade teilhaftig werden, wenn sie mit einem Menschen lebte und schlief, den das Kirchengesetz, der Papst, die ganze Welt und der Himmel als verflucht ansahen? … Der sollte ihr Gatte sein und vielleicht der Vater andrer Kinder werden … O Heilige Jungfrau, deine Strafe ist zu hart!

»Aber, Amaro, wie kann ich mich denn mit dem Menschen verheiraten, wenn er exkommuniziert ist?«

Amaro beeilte sich, sie durch allerlei spitzfindige Gründe zu beruhigen. Nur keine Übertreibung! … Wirklich exkommuniziert sei der Bursche ja gar nicht … Natário und der Kanonikus hätten die Kirchengesetze und die Bullen schlecht interpretiert … Einen Priester zu schlagen, der nicht im Ornat ist, sei nicht – wie gewisse Autoren sagen – ipso facto ein Grund zur Ausstoßung aus der Kirche … Und dieser Meinung sei auch er, Amaro … Schlimmstenfalls könne die Exkommunikation von ihm genommen werden.

»Du verstehst doch … Das heilige Konzil von Trient hat, wie du weißt, gesagt: Wir können binden und lösen. Der junge Mann wurde exkommuniziert? … Gut! Erklären wir also die Exkommunikation für ungültig! Dann ist er so rein wie vorher. Nein, darüber mach dir keine Sorge!«

»Aber wovon sollen wir denn leben, da er doch sein Amt verloren hat?«

»Laß mich nur ausreden … Ein Amt wird ihm besorgt. Der Kanonikus nimmt sich der Sache an. Es ist schon alles ausgemacht, Kind!«

Amélia antwortete nicht; sie war zu traurig und gebrochen. Zwei Tränen zitterten auf ihren Wangen und wollten nicht herabrollen.

»Sag einmal: Deine Mutter ahnt nichts?«

»Nein, bis jetzt hat sie noch nichts gemerkt«, sagte sie mit einem schweren Seufzer.

Darauf schwiegen beide. Das Mädchen wischte sich die Tränen von den Wangen und suchte sich zu sammeln, denn sie wollte fortgehen. Er ließ düster den Kopf hängen und trommelte mit den Füßen auf dem Boden. Die schönen Vormittage von ehedem, wo es hier nur Küsse und leises Gekicher gab, tauchten vor seinem Geiste auf. Wie war alles so anders geworden! Sogar das Wetter war trübe und melancholisch: ein regnerischer Spätsommertag.

»Sieht man mir's an, daß ich geweint habe?« fragte Amélia, als sie vor dem Spiegel ihr Haar ordnete.

»Nein. Willst du gehen?«

»Mama erwartet mich …«

Sie küßten sich traurig, und sie ging.

In dieser Zeit spionierte die Dionísia in der Stadt herum, um João Eduardo aufzustöbern. Besonders seitdem sie wußte, daß der Kanonikus an der »Fahndung« interessiert war, entfaltete sie eine fieberhafte Tätigkeit. Jeden Abend schlich sie sich vorsichtig zu Amaro, um ihm Bericht zu erstatten. Sie hatte schon herausbekommen, daß der Schreiber zuerst bei seinem Vetter, dem Apotheker, in Alcobaca gewesen war. Dann war er nach Lissabon gegangen. Dort hatte er auf Grund eines Empfehlungsschreibens des Doktors Gouveia bei einem Anwalt Beschäftigung gefunden. Aber unglücklicherweise war sein Arbeitgeber schon nach einigen Tagen einem Schlaganfall erlegen, und seit dieser Zeit verlor sich die Spur João Eduardos im dunkeln, im Chaos der Hauptstadt. Es gab ja eine Person, die seine Wohnung und seine jetzigen Lebensverhältnisse kennen mußte: das war der Schriftsetzer Gustavo. Aber leider hatte dieser nach einem Zusammenstoß mit Agostinho die Redaktion des »Distrikts« verlassen und war nun verschwunden. Niemand wußte, wohin er gegangen war. Um das Unglück vollzumachen, konnte auch die Mutter Gustavos keinen Aufschluß geben, denn sie war gestorben.

»Herrschaften!« sagte der Kanonikus, als Amaro ihm dies alles erzählt hatte. »Herrschaften, in dieser Geschichte stirbt ja alles! Das ist ein wahres Massensterben!«

»Sie scherzen, Meister«, tadelte Amaro, »aber die Sache ist ernst. Ein Mensch in Lissabon ist wie eine Nadel im Stroh. Es ist ein Verhängnis!«

Als er die Zeit verrinnen sah, schrieb er in seiner Not an die Tante und bat sie, in ganz Lissabon »nach einem gewissen João Eduardo Barbosa Nachforschungen anzustellen …« Er erhielt als Antwort ein drei Seiten langes, fast unleserliches Geschmier, in dem sie sich bitter über ihren João beklagte. Dieser mache ihr das Leben zur Hölle, denn er betränke sich dermaßen mit Genever, daß kein Gast im Hause bliebe. Aber sie sei jetzt schon ruhiger: es gebe Tage, an denen der arme João bei der Seele seiner Mutter schwöre, daß er fortan nichts als Sodawasser trinken wolle. Was jenen João Eduardo anlange, so habe sie in der Nachbarschaft herumgehorcht und auch Senhor Palma, einen Beamten im Ministerium für öffentliche Arbeiten, gefragt, der doch alle Leute kenne; aber auch der habe nichts erreicht. Gewiß, es gebe einen Joaquim Eduardo, der ein Kurzwarengeschäft in ihrem Stadtviertel betreibe … Und wenn es sich um diesen handle, wolle sie gern einmal hingehen, denn er sei ein ordentlicher Mensch …

»Quatsch! Albernes Gerede!« unterbrach ihn ungeduldig der Kanonikus.

Dieser entschloß sich dann zu schreiben. Von Pater Amaro gedrängt – der ihm immer wieder klarmachte, wie sehr der Kanonikus selbst und die Joaneira unter dem Skandal zu leiden haben würden –, bewilligte er sogar die für die polizeilichen Nachforschungen zu bezahlende Summe. Die Antwort ließ auf sich warten, aber endlich kam sie und eröffnete glänzende Perspektiven! Der geschickte Polizeikommissar Mendes hatte João Eduardo entdeckt! Er wußte bloß nicht, wo er wohnte; nur in einem Café hatte er ihn gesehen; aber Freund Mendes versprach, in zwei oder drei Tagen die verlangten Auskünfte zu beschaffen.

Groß war jedoch die Verzweiflung der beiden Priester, als nach ein paar Tagen der Freund des Kanonikus schrieb, daß alles vergeblich gewesen sei, denn das Individuum, das der geschickte Polizist Mendes – auf eine unvollkommene Beschreibung hin – in einem Café der unteren Stadt für João Eduardo gehalten hatte, entpuppte sich als ein Bursche aus Santo Tirso, der in der Hauptstadt weilte, um seine Wahl als Abgeordneter zu betreiben … Und dafür hatte man drei Libras Libra – Ursprünglich spanisches und portugiesisches Handelsgewicht, später auch Währungseinheit. und siebzehn Tostões an Spesen bezahlt!

»Siebzehn Teufel!« schnaubte der Kanonikus, indem er sich wütend an Amaro wandte. »Und wenn wir das Fazit ziehen, waren Sie es, der bei der Geschichte das Vergnügen hatte, während ich meine Gesundheit ruiniere und mir obendrein den Geldbeutel schröpfen lasse!«

Amaro, der vom Kanonikus abhing, schluckte mit eingezogenem Kopf diese bittere Pille. Aber Gott sei Dank war noch nicht alles verloren! Dionísia war noch immer eifrig auf der Suche.

 

Amélia nahm diese Mitteilungen verzweifelt entgegen. Nachdem die ersten Tränen geweint waren, kam es ihr erst richtig zum Bewußtsein, in welch hoffnungsloser, furchtbarer Lage sie sich befand. Was stand ihr bevor? Bei ihrem unseligen Körper mit der schlanken Taille und den schmalen Hüften konnte sie in zwei oder drei Monaten ihren Zustand nicht mehr verbergen. Was sollte sie dann tun? Aus dem Hause fliehen, wie die Tochter von Onkel Storch nach Lissabon gehen, sich im oberen Stadtteil von englischen Matrosen prügeln lassen? Oder sollte sie dulden, daß ihr, wie der Joaninha Gomes, die das Liebchen des Paters Abílio gewesen war, von Soldaten tote Ratten ins Gesicht geschleudert würden? Nein. Also mußte sie heiraten …

Dann würde sie – das kam ja oft genug vor – nach sieben Monaten ein Kind gebären; und es würde vor der Kirche, vor dem Gesetz und vor Gott als eheliches Kind gelten … Und ihr Kind hätte einen Papa, würde eine gute Erziehung genießen und nicht als Bastard mit scheelen Augen angesehen werden …

Nachdem ihr Pater Amaro bei seinem Eid versichert hatte, daß der Schreiber nicht richtig exkommuniziert sei und daß eine Exkommunikation mit Hilfe einiger Gebete rückgängig gemacht werden könne, waren ihre frommen Skrupel wie eine erlöschende Kohlenglut erstickt. Schließlich mußte sie ja zugeben, daß alle Verfehlungen des Schreibers nur in seiner Liebe und Eifersucht ihren Grund hatten: nur aus Liebesverdruß hatte er den Artikel geschrieben und in blinder Wut den Herrn Pfarrer geschlagen, den er für den Räuber seines Glücks hielt … Ah, sie verzieh ihm diese Roheit nicht! Aber wie war er gestraft worden! Ohne Amt, ohne Heim, ohne Frau irrte er in Lissabon umher, ein Elender, ein Verschollener! Nicht einmal die Polizei konnte ihn finden! Und alles für sie. Armer Junge! Eigentlich war er gar nicht häßlich … Die Leute redeten über seine Gottlosigkeit; aber sie hatte ihn doch immer sehr aufmerksam bei der Messe gesehen; und jede Nacht richtete er ein besonderes Gebet an den heiligen Johannes. Sie hatte ihm dieses Gebet, das auf eine vorgedruckte Karte gestickt war, eines Tages geschenkt …

Wenn er bei der Zivilregierung angestellt wurde, konnten sie ein Häuschen mieten und ein Dienstmädchen halten … Ja, warum sollten sie nicht glücklich werden? Er war kein Kneipengänger und auch sonst solide. Sie war sicher, daß sie ihn beherrschen, ihm ihren Geschmack und ihre frommen Gewohnheiten aufzwingen könnte. Und wie hübsch würde es sein, wenn sie am Sonntagmorgen vor aller Welt zur Messe ginge, in aller Ehrbarkeit, den Gatten am Arm, von allen gegrüßt! Dann würde sie ihr Kind spazierenfahren, das in seinem Spitzenhäubchen und dem großen, fransenbesetzten Mantel so prächtig aussehen müßte! Wer weiß, ob der Himmel und die Heilige Jungfrau ihr nicht verziehen, wenn sie sähen, wie sie ihr Bübchen liebte und ihren Mann zärtlich betreute! Ach, sie würde alles tun, um ihre himmlische Freundin zu versöhnen, damit diese wieder freundlich auf sie herabblickte, immer bereit, ihre Schmerzen zu stillen und sie vor Unglück zu behüten! Vielleicht würde sie ihr sogar im Paradies ein strahlendes Nestchen bereiten!

So sann sie stundenlang vor sich hin, wenn sie über ihre Näharbeit gebückt dasaß. So träumte sie sogar auf dem Wege zum Glöcknerhaus. Und nachdem sie einen Augenblick bei Totó zugebracht hatte, die jetzt, vom schleichenden Fieber zermürbt, sehr ruhig dalag, stieg sie zum Zimmer hinauf. Ihre erste Frage war: »Nun, etwas Neues?«

Amaro runzelte die Stirn und brummte: »Die Dionísia ist am Werk … Warum? Hast du's so eilig?«

»Ja, ich habe es sehr eilig«, antwortete sie ernst, »denn auf mich fällt die Schande.«

Er schwieg; und die Küsse, die er ihr gab, atmeten soviel Haß wie Liebe. O dieses Weib, das sich so leicht damit abfand, mit einem andern als ihm schlafen zu müssen!

 

Seitdem Amaro merkte, daß sich Amélia mit dem Gedanken an jene verhaßte Ehe aussöhnte, quälte ihn die Eifersucht. Nun, da sie nicht mehr weinte, ärgerte ihn das; es erbitterte ihn, daß sie nicht die gemeinsame Schande der Rehabilitation vorzog, die sie mit ihrer Verheiratung erkaufte. Fast hätte er es lieber gesehen, wenn sie sich auch weiterhin unter Weinen und Jammern gegen seinen Plan gesträubt hätte, das wäre wenigstens ein Beweis ihrer Liebe gewesen, der seiner Eitelkeit schmeichelte. Aber daß sie jetzt an die Verbindung mit dem Schreiber ohne Widerwillen, ohne jede Geste des Schreckens dachte, empörte ihn wie ein schnöder Verrat. Ihm kam sogar der Gedanke, daß ihr dieser Wechsel im Grunde gar nicht so unwillkommen sei. João Eduardo war doch ein kräftiger Mann von sechsundzwanzig Jahren; dazu trug er einen schönen Schnurrbart. Amélia würde in des Schreibers Armen dieselbe Wollust empfinden wie in den seinen … Wenn João Eduardo ein schwächlicher, rheumatischer Greis wäre … wer weiß, ob Amélia dieselbe resignierte Fügsamkeit zeigen würde! Da wünschte er in seiner kleinlich-gehässigen Pfaffenseele, daß der Schreiber nicht wieder zum Vorschein käme: dann würde dem Mädchen »die Suppe versalzen«. So kam es, daß er manchmal, wenn die Dionísia zur Berichterstattung erschien, mit einem bösen Lächeln sagte: »Hetzen Sie sich nicht so sehr ab! Der Mann kommt nicht wieder. Lassen Sie nur … Es lohnt sich nicht, Ihre Lunge zu überanstrengen …«

Aber die Dionísia hatte eine kräftige Lunge, und eines Abends meldete sie triumphierend, daß sie dem Mann auf der Spur sei! Endlich hatte sie den Schriftsetzer Gustavo gesehen, als er das Speisehaus von Onkel Osório betrat. Morgen würde sie mit ihm sprechen, und da würde sie alles erfahren …

Das war eine bittere Stunde für Amaro. Jene Heirat, die er im ersten Schrecken so heiß herbeigesehnt hatte, erschien ihm jetzt, wo sie sicher bevorstand, als die Katastrophe seines Lebens …

Er verlor Amélia für immer … Der Mann, den er vertrieben, ausgelöscht hatte, da tauchte er infolge einer boshaften Schicksalsverkettung wieder auf und entführte ihm die Geliebte als rechtmäßige Gattin. Die Idee, daß der Schreiber sie in seinen Armen halten, sie – gleich ihm – heiß küssen und Amélia dabei »O João!« stammeln würde, wie sie jetzt »Amaro!« rief, erregte seine Wut. Und doch kam er nicht um diese Heirat herum; alle wollten sie: Amélia, der Kanonikus, sogar die Dionísia mit ihrem käuflichen Eifer!

Was nützte es ihm, daß heißes Blut in seinen Adern pulsierte und die starke Leidenschaft eines gesunden Körpers in ihm glühte? Nun hieß es, dem Mädchen Lebewohl sagen. Er mußte zusehen, wie sie am Arm des »anderen«, des Gatten, davonging; und sie würden nach Hause gehen, um mit dem Kind zu scherzen, das sein Kind war! Er aber mußte mit gekreuzten Armen der Vernichtung seines Glücks zuschauen, mußte sich dabei sogar zu einem Lächeln zwingen. Und mußte wieder allein leben, ewig allein … und im Brevier lesen! … Ah, wären doch die Zeiten wieder da, wo man einen Menschen auf Grund einer Denunziation als Ketzer töten konnte! … Könnte man doch das Rad der Zeit um zweihundert Jahre zurückdrehen! Da würde der Herr João Eduardo schon merken, was es heißt, einen Priester zu verhöhnen und die Dona Amélia zu heiraten …

Diese absurde Idee, aus fieberhafter Erregung geboren, nahm so vollständig von seinem Denken und Fühlen Besitz, daß er sogar öfters in der Nacht lebhaft davon träumte. Lachend erzählte er dann den Traum den Damen: Es war in einer engen Straße, in die die Sonne ihre glühenden Strahlen sandte. Die hohen, mit Metallplatten beschlagenen Haustüren standen auf; unter ihnen drängte sich das niedere Volk mit gereckten Hälsen. Auf den Balkonen standen reichgekleidete Fidalgos Fidalgo – Angehöriger des niederen Adels. und drehten ihre kecken Schnurrbärte; aller Augen leuchteten in frommem Fanatismus. Und in der Mitte der Straße bewegte sich langsam die Prozession des Autodafés, begleitet vom dumpfen Raunen des Volkes und dem Totengeläute, das von allen Kirchtürmen der Stadt furchteinflößend herabwimmerte. Voran schritten die halbnackten Geißler. Die weiße Kapuze über das Antlitz gezogen, zerfleischten sie sich die blutstarrenden Rücken, während sie dabei das Miserere Miserere – Miserere mei, Deus ... = (lat.) Erbarme dich meiner, o Gott ... 50. Psalm, der vornehmlich bei katholischen Beerdigungen gesungen wird. heulten. Auf einem Esel ritt João Eduardo in starrem, dumpfem Entsetzen; seine Beine hingen schlotternd herab. Auf sein Hemd hatte man viele blutrote Teufel gemalt, und auf der Brust trug er ein Schild, auf dem geschrieben stand: »Ich, bin ein Ketzer!« Hinter ihm folgte ein teuflisch grinsender Scherge des Ketzergerichts und stachelte wild mit einem spitzen Stock den Esel zur Eile an. Neben João schritt mit hocherhobenem Kruzifix ein Pater, der ihm Ermahnungen zur Reue in die Ohren schrie. Und er, Amaro, ging auf der andern Seite und sang das Requiem. In der einen Hand hielt er das geöffnete Brevier, mit der anderen segnete er die alten Freundinnen aus der Rua da Misericórdia, die sich bückten, um den Saum seines Chorhemds zu küssen. Manchmal wandte er sich um, um sich an dem unheimlichen Pomp zu weiden, und da sah er den langen Zug der geistlichen Ritterorden: hier schritt ein dickbäuchiger Edelmann mit rotem, gedunsenem Gesicht, da ein bleicher Schwärmer mit schrecklichem Schnurrbart und fanatisch glühenden Augen. Jeder trug in einer Hand eine brennende Fackel, in der anderen den Hut, dessen schwarze Feder am Boden schleifte. Die Helme der Arkebusiere Arkebusier – Mit Arkebuse (einer Art Armbrust) ausgerüsteter Fußsoldat. funkelten; ein heiliger Zorn verzerrte die verhungerten Gesichter des Pöbels. So wand sich die Prozession durch die enge, krumme Straße, während Choräle erklangen, das Geschrei der Fanatiker die Luft zerriß, die Glocken schauerlich klagten und zahllose Waffen klirrten. Die ganze Stadt stand im Bann des schrecklichen Schauspiels. Endlich näherte sich der Zug der aus Ziegelsteinen errichteten Plattform, auf der schon der Scheiterhaufen rauchte …

Groß war seine Ernüchterung, wenn ihn am Morgen die Haushälterin, die warmes Wasser zum Rasieren brachte, aus solch herrlichen Träumen von kirchlicher Macht und Glorie riß …

Heute war der Tag, an dem man von Senhor João Eduardo hören und ihm schreiben mußte! … Für elf Uhr hatte sich Amaro mit Amélia verabredet, und als er schlecht gelaunt die Tür zuwarf, waren seine ersten Worte: »Der Mensch ist wieder da … Wenigstens haben wir seinen intimen Freund, den Schriftsetzer, und der weiß, wo die Bestie haust …«

Amélia, die sich in einem Zustand großer Niedergeschlagenheit und Angst befand, rief: »Gott sei Dank! So hört diese Qual endlich auf!«

Amaro sagte mit bitterem Lächeln: »Das freut dich, nicht wahr?«

»Soll ich etwa nicht froh darüber sein, wo mich die Furcht verzehrt? …«

Amaro machte eine ärgerliche Bewegung. Furcht! Keine üble Heuchelei! Furcht … wovor? Hatte sie nicht eine Mutter, die sie vergötterte und ihr in allem nachgab? … Sie wollte eben heiraten … Wollte den anderen! … Diese flüchtige Ergötzung am Vormittag paßte ihr nicht mehr. Die Sache sollte bequemer sein … zu Hause! Bildete sich das Mädchen etwa ein, es könne ihn, einen dreißigjährigen Mann, der eine vierjährige Beichtpraxis hinter sich hatte, täuschen? Oh, er durchschaute sie … Sie war wie die anderen; es mußte einmal ein andrer Mann sein.

Amélia erbleichte unter diesen Vorwürfen, antwortete aber nicht. Wütend über ihr Schweigen brauste Amaro auf: »Du schweigst? Natürlich … Was kannst du auch sagen? Es ist ja die reine Wahrheit! Nach meinen Opfern … Nach allem, was ich für dich gelitten habe … Ein andrer kommt daher! Platz für den andern!«

Sie fuhr empor und stampfte verzweifelt mit dem Fuß. »Du hast es selbst gewollt, Amaro!«

»Freilich! Glaubst du etwa, ich hätte Lust, mich um deinetwillen zu ruinieren? Natürlich habe ich es gewollt! …« Und indem er sie mit unsäglicher Verachtung von oben herab ansah: »Aber du schämst dich nicht, deine Freude zu zeigen; du kannst es kaum erwarten, zu dem andern zu gehen! … Weißt du, was du bist? Eine schamlose Dirne bist du …«

Sie wurde kreideweiß, und ohne ein Wort zu erwidern, griff sie nach ihrem Umhang, um zu gehen.

»Wohin willst du? Sieh mir ins Gesicht! Du bist eine Dirne … Das muß ich dir sagen. Du bist toll danach, mit dem andern zu schlafen …«

»Nun gut, es ist aus! Ich bin toll danach!« sagte sie.

Außer sich vor Wut, schlug ihr Amaro ins Gesicht.

»Töte mich nicht!« schrie sie. »Und dein Kind!«

Da wurde er verwirrt und fing an zu zittern. Dieses Wort, der Gedanke an sein Kind, wühlte sein Inneres auf, ließ Mitleid und verzweifelte Liebe in seinem Herzen erneut emporwallen. Er stürzte sich auf Amélia und umschlang sie, als wollte er sie in seinen Armen ersticken, sie in seiner Brust begraben, um sie auf ewig mit sich zu vereinigen. Dabei küßte er wie ein Rasender ihr Gesicht und ihr Haar.

»Verzeih!« keuchte er heiser. »Verzeih mir, liebe kleine Amélia! Ich bin ja wahnsinnig!«

Amélia schluchzte und weinte, ihr ganzer Körper bebte … Und dann sah das Zimmer des Glöckners einen Liebestaumel, dem das Gefühl von der Heiligkeit der Mutterschaft eine besonders zärtliche Note verlieh. Immer wieder loderte die Begierde empor, immer hitziger warfen sie sich einander in die Arme. Sie vergaßen die Zeit, und erst als unten in der Küche die Krücke des Onkels Esguelhas klapperte, entschloß sich Amélia, aus dem Bett zu springen.

Während sie sich in aller Eile vor dem Spiegelscherben, der an der Wand hing, zurechtmachte, stand Amaro neben ihr und sah ihr melancholisch zu. Hier kämmte sie ihr Haar, bald würde er es nicht mehr sehen. Mit einem tiefen Seufzer sagte er: »So werden unsere guten Tage also bald vorüber sein, Amélia. Du willst es ja so haben … Wirst du auch manchmal an diese schöne Zeit zurückdenken? …«

»Sprich nicht so!« rief sie mit tränenden Augen.

Und indem sie sich ihm, wie einst in glücklichen Zeiten, an die Brust warf, murmelte sie: »Ich werde immer die gleiche für dich bleiben … Selbst wenn ich verheiratet bin!«

Amaro ergriff leidenschaftlich ihre Hände.

»Du schwörst es?«

»Ich schwöre!«

»Auf die heilige Hostie?«

»Ich schwöre es auf die heilige Hostie! Ich schwöre es bei der Heiligen Jungfrau!«

»Immer, wenn die Gelegenheit es gestattet?«

»Immer!«

»O Liebling! Süße kleine Amélia! Nicht für eine Königin würde ich dich tauschen!«

Sie ging. Der Pfarrer, der das Bett ein wenig in Ordnung brachte, hörte sie unten ruhig mit dem Onkel Esguelhas reden. Und er dachte bei sich, daß sie ein großartiges Weib sei, das selbst den Teufel täuschen könne. Der einfältige Schreiber würde an ihr eine harte Nuß zu knacken bekommen!

 

Jener »Pakt«, wie es der Pater Amaro nannte, erschien beiden als eine so unwiderrufliche Sache, daß sie schon ruhig über alle möglichen Einzelheiten sprachen. Die Heirat mit dem Schreiber betrachteten sie als eine jener von der Gesellschaft diktierten Notwendigkeiten, die die freiheitliebenden Seelen zu ersticken drohen, aus denen aber die Natur, gleich einem feinen, unwiderstehlichen Gas, durch die geringste Spalte einen Ausweg findet. Vor Gott dem Herrn war der wahre Gatte Amélias der Herr Pfarrer: er war der Gatte ihrer Seele, für den die süßesten Küsse, der intimste Gehorsam, die wirklich gewollte Hingabe vorbehalten blieb; der andere verfügte nur über den »Leichnam« … Zuweilen schmiedeten sie sogar schon Pläne betreffs ihrer geheimen Korrespondenz, der zu vereinbarenden Treffpunkte und so weiter.

Amélia war wieder, wie in den ersten Zeiten, ganz feurige Leidenschaft. Vor der Gewißheit, daß in einigen Wochen die Heirat »alles weiß wie Schnee« machen würde, schwand sogar ihre Angst vor der Rache des Himmels. Und die Ohrfeige, die ihr Amaro gegeben hatte, erschien ihr jetzt wie ein Peitschenhieb, durch den ein säumiges Pferd angetrieben wird: es schüttelt sich, wiehert laut und stürmt aufs neue mutig vorwärts.

Amaro freute sich. Manchmal freilich bereitete ihm der Gedanke, daß Amélia nun bald Tag und Nacht mit jenem Menschen zusammen sein würde, einiges Unbehagen … Aber andrerseits, welche Entschädigungen winkten ihm! Alle Gefahren wie böse Geister, die ein Zauberer beschworen, verschwanden … und der Genuß um so raffinierter! Dann hörte die schreckliche Verantwortlichkeit der Verführung auf, und er hatte seine ungetrübte Freude am Weibe!

Der Pfarrer drängte die Dionísia, daß sie nun endlich mit ihrer langwierigen Kampagne zum Ziele käme. Aber die gute Frau nahm sich Zeit: sicherlich wollte sie mit ihrem schleppenden Verfahren nur mehr Geld herausschlagen.

Jedenfalls hatte sie bis jetzt den Schriftsetzer noch nicht gefunden, aber sie hielt ihn immer in Bereitschaft und tat geheimnisvoll wie die Zwerge in Ritterromanzen, die das Geheimnis des wunderbaren Turmes kennen, in dem der verzauberte Prinz weilt.

»Mein Lieber«, sagte der Kanonikus, »die Sache kommt mir verdächtig vor! Nun ist sie schon seit zwei Monaten auf der Suche nach dem Schuft … Mensch, Schreiber gibt es genug … Besorgen Sie einen andern!«

Aber als er eines Abends zu Pater Amaro kam, um etwas Zu verschnaufen, erschien die Dionísia. Schon von der Türe des Eßzimmers aus, wo die beiden Geistlichen Kaffee tranken, rief sie: »Na endlich!«

»Nun, Dionísia?«

Das Weib jedoch beeilte sich gar nicht; sie nahm sogar die Herren gestatteten doch, denn sie sei ganz kreuzlahm! umständlich auf einem Stuhl Platz … Ach, der Herr Kanonikus könne sich keine Vorstellung davon machen, was sie alles habe unternehmen müssen … Dieser vermaledeite Schreiber erinnere sie immer an eine Geschichte, die man ihr als kleines Mädchen erzählt habe: Ein Hirsch war immer in Sicht der Jäger, die wie wahnsinnig auf ihn Jagd machten, ihn aber nie einholten. Solch eine Hetzjagd hatte auch sie hinter sich! … Aber endlich hatte sie ihn erwischt … Und richtig erwischt, wahrhaftig!

»Machen Sie Schluß!« herrschte sie der Kanonikus an.

»Also da haben Sie es«, sagte sie, »nichts!«

Die beiden Priester sahen sie verdutzt an.

»Wieso nichts, Weib?«

»Nichts. Der Mann ist nach Brasilien ausgerückt.«

Gustavo hatte von João Eduardo zwei Briefe erhalten. Im ersten teilte er ihm seine Adresse mit – Poço do Borratém – und kündigte seinen Entschluß an, nach Brasilien auszuwandern. Im zweiten schrieb er, daß er eine andere Wohnung genommen habe, machte aber darüber keine näheren Angaben. Wohl aber erklärte er, daß er mit dem nächsten Postschiff nach Rio de Janeiro fahren werde. Woher er das Geld dazu hatte und welches seine Hoffnungen waren, verschwieg er. Alles war unbestimmt und geheimnisvoll. Seitdem – es mochte einen Monat her sein – hatte er nicht wieder geschrieben, woraus der Schriftsetzer schloß, daß er zu dieser Stunde auf dem Ozean sei … »Aber wir werden ihn rächen!« hatte Gustavo zur Dionísia gesagt.

Der Kanonikus rührte schweigend seinen Kaffee um.

»Was sagen Sie dazu, Meister?« rief Amaro, der sehr bleich geworden war.

»Ich finde das sehr nett.«

»Der Teufel hole die Weiber!« zischte Amaro. »Und die Hölle verschlinge sie!«

»Amen«, sagte ernst der Kanonikus.


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