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VII

Einige Tage später waren Pater Amaro und der Kanonikus Dias zum Mittagessen beim Pfarrer von Cortegaça eingeladen. Letzterer war ein jovialer, sehr wohltätiger Herr, der schon dreißig Jahre in jenem Kirchspiel lebte und für den besten Koch in der ganzen Diözese galt. Alle Geistlichen in der Umgebung kannten sein berühmtes Wildragout. Der Pfarrer feierte seinen Geburtstag, und es waren noch andere Gäste erschienen, Pater Natário und Pater Brito. Pater Natário war ein reizbares, galliges Männchen, dürr und mit tiefliegenden, sehr giftigen Augen; zahllose Blatternarben bedeckten sein Gesicht. Man nannte ihn »das Frettchen«. Er war lebhaft, schlau und überaus neugierig; man rühmte sein klassisches Latein und seine eiserne Logik, fürchtete aber seine böse »Schlangenzunge«. Er lebte in Gemeinschaft mit seinen zwei verwaisten Nichten, die er zärtlich zu lieben behauptete und wegen ihrer Tugend »die zwei Rosen seines Gartens« zu nennen pflegte. Brito war der bornierteste und muskelstärkste Pater der Diözese; er hatte das Aussehen, das Benehmen und die strotzende Lebenskraft eines Bauern der Provinz Beira. Wie ein solcher wußte er gut mit dem Hirtenstab umzugehen, leerte er ganze Eimer Wein bis auf die Nagelprobe, führte er leicht und freudig den Pflug, leistete er treffliche Maurerdienste beim Hausbau. Und in den heißen Mittagspausen im Juni warf er brutal die Mägde auf die Maisstrohhaufen. Der Chorherr, der mit seinen mythologischen Vergleichen immer ins Schwarze traf, nannte ihn »den nemeischen Löwen der nemeische Löwe – Ungeheuer in der Heraklessage.«.

Britos Kopf war von unwahrscheinlicher Größe; das wollige Haar bedeckte seine Stirn bis an die Brauen. Die wettergebräunte Haut wies infolge des Rasierens eine bläuliche Färbung auf, und wenn er auf seine viehische Weise lachte, sah man im Mund ganz weiße Zähnchen, die durch den andauernden Genuß von Maisbrot verkümmert waren.

Als sich die Herren gerade zum Essen hinsetzten, erschien noch in höchster Eile Libaninho. Er war ganz außer Atem, wackelte aufgeregt mit dem Oberkörper und wischte sich den Schweiß von der Glatze.

»Ach, Kinder, entschuldigen Sie mich«, rief er mit fistelnder Stimme. »Ich habe mich ein bißchen verspätet. Als ich an der Kirche Unserer Lieben Frau der Einsiedelei vorüberkam, las Pater Nunes gerade eine Messe. Ach, Kinder, die mußte ich genießen! Und wie hat sie mich mit Trost erfüllt!«

Gertrudes, die alte, üppige Haushälterin des Pfarrers, trat darauf mit einer mächtigen Terrine Hühnersuppe ein, und Libaninho, der um sie herumhüpfte, fing sofort an zu spaßen. »Ah, Gertrudes, liebes Mädchen, ich weiß schon, wen du beglückt hast!« Die alte Dörflerin meckerte ihr gutes Lachen, daß ihr Busen schütterte.

»Was mir dieser Nachmittag nicht alles beschert! …«

»Ach, Mädchen, die Frauen sind wie die Malvasierbirnen: je reifer und rundlicher sie sind, desto lieber schlürft man sie!«

Die Geistlichen brachen in schallendes Gelächter aus und schickten sich zur Mahlzeit an.

Die Speisen waren alle vom Pfarrer selbst zubereitet. Gleich bei der Suppe erhob sich lauter Beifall.

»Ja, famos! So was kann im Himmel nicht besser sein! Herrlich, herrlich!«

Der treffliche Pfarrer erglühte vor stolzer Genugtuung. Er war, wie der Chorherr sagte, »ein gottbegnadeter Künstler«! Sämtliche Kochbücher hatte er studiert; er kannte unzählige Rezepte und erfand selbst welche. »Aus dieser Hirnschale ist schon mancher Leckerbissen hervorgegangen!« pflegte er zu sagen, indem er sich auf den Schädel klopfte. Er ging so sehr in seiner »Kunst« auf, daß sie ihn sogar bis in seine Sonntagspredigten verfolgte. Es kam vor, daß er der gläubigen Gemeinde, die kniend das Gotteswort erwartete, Ratschläge für die Zubereitung geschmorten Kabeljaus oder die beim Schweineschwarzsauer zu verwendenden Gewürze erteilte. So lebte er glücklich mit seiner alten Gertrudes, die ebenfalls einen feinen Gaumen hatte, und mit seinem an vorzüglichen Gemüsen reichen Garten. Sein einziger Ehrgeiz war, eines Tages den Herrn Bischof als Mittagsgast begrüßen zu können!

»Aber Herr Pfarrer!« beschwor er Amaro. »Um Himmels willen, nehmen Sie noch ein bißchen Ragout, bitte! Und diese geröstete Brotrinde in Sauce! … So ist's recht! Nun, wie schmeckt das?« Und mit selbstgefälliger Bescheidenheit: »Ich will mich zwar nicht rühmen, aber das Ragout ist mir heute glänzend gelungen!«

Und es war in der Tat so gut, bestätigte der Kanonikus Dias, daß es den heiligen Antonius in der Wüste in, Versuchung gebracht haben würde! Alle hatten ihre Umhänge abgelegt und die Kragen gelöst. So saßen sie nur in ihren Soutanen da, aßen bedächtig und sprachen wenig. Da am nächsten Tage das Fest der Mutter der Freude war, läuteten die Glocken der benachbarten Kapelle. Der schöne Mittagssonnenschein spielte heiter auf dem Tafelgeschirr, auf den bauchigen blauen Kannen mit dem guten Bairradawein, auf den Schälchen mit rotem spanischem Pfeffer, auf den blanken Schüsselchen mit schwarzen Oliven – und unterdessen schnitt der gute Abt, sich mit hochgezogenen Brauen auf die Lippen beißend, sorgfältig große weiße Scheiben von der Brust des gefüllten Kapauns.

Die Fenster gingen auf den Garten hinaus. Dort sah man zwei mächtige rote Kamelien an der Brustwehr blühen, und jenseits der breiten Kronen der Apfelbäume dehnte sich ein leuchtendes Stück stahlblauen Himmels. Fern knarrte ein Brunnenrad; Wäscherinnen schlugen klatschend ihr Linnen.

Auf der Kommode stand zwischen Folianten ein Kruzifix auf einem Sockel. Der gelbe, mit blutroten Wunden bedeckte Leib des Heilands hob sich traurig von der weißen Wand ab. Ihn flankierten, von gläsernen Glocken geschützt, sympathische Heilige, die liebe Erinnerungen an heiter-fromme Legenden wachriefen, so zum Beispiel an den gutmütigen Riesen Sankt Christopherus, der den Fluß mit dem lächelnden Christkindlein durchschreitet, und das Christkind läßt die Erdkugel in seinem Händchen wie einen Spielball hüpfen. Oder da stand der milde Hirte Sankt Johannes, in ein Schaffell gehüllt, und er hütete seine Herden nicht mit einem Hirtenstab, sondern mit einem Kreuz. Da sah man ferner den guten Himmelspförtner Sankt Petrus; in seiner tönernen Hand hielt er die zwei heiligen Schlüssel, die in die Schlösser der Himmelstür passen. An den Wänden hingen schreiend kolorierte Lithographien, die ebenfalls Heilige darstellten, zum Beispiel den Patriarchen Sankt Joseph, aus dessen Hirtenstab blühend weiße Lilien hervorwachsen, oder den heiligen Georg auf steil sich bäumendem Roß, das dem überwundenen Drachen auf dem Bauch herumtrampelt, oder den gemütlichen heiligen Antonius, der an einem Bach sitzt und lächelnd mit einem Haifisch Zwiesprache hält.

Das Klingen der Weingläser und das Messer- und Gabelgeklapper brachte in den alten Saal mit seiner rauchschwarzen Eichendecke eine ganz ungewohnte festliche Heiterkeit. Und Libaninho schlang und schlang, ab und zu einen Witz reißend.

»Gertrudes, zarte Schilfblüte, reich mir die Prinzeßbohnen! … Guck mich nicht so verliebt an, sonst dreht sich mir das Herz im Leibe herum!«

»Er ist ein verflixter Kerl!« sagte die Alte. »Was dem nur in den Kopf gefahren ist! Vor dreißig Jahren hätte er so mit mir reden müssen, der Wüstling!«

»Ach, Mädchen!« rief er und verdrehte die Augen, »sprich nicht so zu mir! Mir läuft's schon heiß über den Rücken!«

Die Geistlichen erstickten beinahe vor Lachen. Zwei Krüge Wein waren schon geleert.

Pater Brito knöpfte sich die Soutane auf, unter welcher seine grobe, wollene Strickjacke sichtbar wurde. Sie zeigte als Fabrikmarke ein mit blauem Zwirn eingesticktes Herz mit einem Kreuz darauf.

Ein Landstreicher plärrte kläglich viele Vaterunser an der Tür, und während ihm Gertrudes ein halbes Maisbrot in den Rucksack steckte, sprachen die Priester von den Bettlern, die scharenweise die Gemeinden durchzögen.

»Ja, es gibt viel Armut hierzulande, viel Armut!« meinte der Abt. »He, Dias, nehmen Sie noch dieses Stück Flügel!«

»Viel Armut, aber auch viel Faulheit«, urteilte hart der Pater Natário. Er wüßte, daß es auf vielen Gütern an Tagelöhnern fehle. Gleichwohl sähe man baumstarke Taugenichtse vor den Türen Vaterunser winseln. »Lumpengesindel!« faßte er kurz zusammen.

»Nicht doch, Pater Natário, nicht doch!« sagte der Pfarrer. »Es gibt wirklich Armut. Ich kenne hier Familien – Vater, Mutter und fünf Kinder –, die wie die Schweine auf dem bloßen Fußboden schlafen und nichts als Kräuter essen.«

»Ja, was sollen sie auch weiter essen?« rief der Kanonikus Dias. Er hatte soeben den Kapaunflügel abgenagt und leckte sich die Finger ab. »Sollen sie etwa Truthahn essen? … Jedem das Seine!«

Der gute Pfarrer zog die Serviette vom Hals auf den Bauch, lehnte sich behaglich zurück und sagte mit frommer Rührung: »Die Armut ist Gott unserm Herrn wohlgefällig.«

»Ach, Kinder«, rief Libaninho weinerlich, »wenn es nur Arme gäbe, dann hätten wir ja das Himmelreich!«

Pater Amaro sagte ernst: »Es ist nur gut, daß es Leute gibt, die Kapitalien für fromme Stiftungen und Kirchenbauten haben, und …«

»Jeglicher Besitz müßte in der Hand der Kirche sein«, unterbrach ihn Natário feierlich.

Der Kanonikus rülpste laut und fügte hinzu: »Zur Erhöhung des kirchlichen Pompes und zur Verbreitung des Glaubens.«

»Aber die wahre Ursache des Elends«, sagte weise Pater Natário, »ist die große Sittenlosigkeit!«

»Ach, reden wir nicht davon!« wehrte mißvergnügt der Pfarrer ab. »Allein in diesem Kirchspiel gibt es gegenwärtig mehr als ein Dutzend unverheiratete Frauenzimmer, die schwanger herumlaufen! Und, meine Herren, wenn ich sie zu mir rufe und ihnen Vorhaltungen mache, wollen sie vor Lachen bersten!«

»Wenn in meiner Gegend zur Olivenernte Mangel an Arbeitskräften herrscht«, sagte Pater Brito, »kommen die Saisonarbeiter zu uns. Du lieber Gott, da kann man was erleben! Es ist ein Skandal!« Und er erzählte von jenen Saisonarbeitern, die rottenweise umherziehen – Männer und Weiber bunt durcheinander –, um sich für Landarbeit zu verdingen. »Sie paaren sich ganz nach Belieben und sterben im Elend. Immer muß man den Knüppel über ihnen schwingen!«

»Oh! Oh!« stöhnte Libaninho, der verzweifelt die Hände an die Schläfen drückte. »O die Sünde, die in der Welt herrscht! Mir sträuben sich die Haare auf dem Kopf!«

Aber die Gemeinde Santa Catarina war die schlimmste von allen. Sogar die verheirateten Frauen hatten dort jedes Schamgefühl verloren.

»Schlimmer wie die Ziegen«, sagte Pater Natário, seine Weste aufknöpfend.

Und Pater Brito erzählte von einem Fall, der sich in der Gemeinde Amor ereignet hatte: Mädchen von sechzehn und achtzehn Jahren trafen sich regelmäßig in einer Strohscheune und verbrachten dort die Nächte mit jungen Kerlen!

Da konnte der Pater Natário, dem schon längst die Augen glühten und die Zunge locker im Munde saß, nicht mehr an sich halten. Er rekelte sich im Stuhl und sagte langsam, jedes Wort betonend: »Ich weiß nicht, was da unten in deiner Kirchgemeinde passiert, Brito; aber eins ist sicher: das Beispiel kommt von oben … Man hat mir nämlich erzählt, daß du und die Frau des Ortsvorstehers …«

»Lüge!« schrie Brito und wurde kirschrot.

»O Brito! Brito!« sagten die andern mit mildem Tadel.

»Es ist Lüge!« brüllte er.

»Unter uns gesagt, meine Lieben«, flüsterte der Kanonikus, dessen kleine Augen boshaft-vertraulich funkelten, »die Frau hat eine freigebige Hand – wohlverstanden!«

»Alles Lüge!« schrie Brito immer wieder. Und wild auffahrend: »Ich weiß schon, wer das verbreitet: es ist der Majoratsherr von Cumeada. Er ist wütend, weil der Ortsvorsteher bei der Wahl nicht mit ihm gestimmt hat! … Aber so wahr ich hier stehe, ich zerbreche ihm die Knochen!« Mit blutunterlaufenen Augen schüttelte er die Faust. »Ich zerbreche ihm die Knochen!«

»Ach, so schlimm ist es doch nicht!« begütigte Natário.

»Ich zerbreche ihm die Knochen! Keiner soll ihm ganz bleiben!«

»Friedlich, friedlich, kleiner Löwe!« redete ihm Libaninho sanft zu. »Richte dich nicht zugrunde, Söhnchen!«

Die Erinnerung an den einflußreichen Majoratsherrn von Cumeada, der damals auf seiten der Opposition stand und zweihundert Stimmen zur Wahlurne brachte, lenkte das Gespräch auf Wahlen und Wahlepisoden. Alle Anwesenden, mit Ausnahme des Paters Amaro, wußten, »wie man seinen kleinen Abgeordneten schmackhaft machte«, so drückte sich Natário aus. Anekdoten wurden erzählt; ein jeder rühmte sich seiner Schliche und Pfiffe. Der Pater Natário hatte bei der letzten Wahl achtzig Wähler geködert.

»Potztausend!« staunte die Tafelrunde.

»Und wißt ihr wie? Mit einem Wunder!«

»Mit einem Wunder?« riefen die andern.

»Ja, Herrschaften!«

Er hatte sich nämlich mit einem Missionar ins Einvernehmen gesetzt, und am Tage vor der Wahl erhielten die Dorfbewohner Briefe, die aus dem Himmel kamen und von der Jungfrau Maria unterzeichnet waren. Letztere verlangte, daß die Leute ihre Stimme dem Kandidaten der Regierungspartei gäben, und sparte nicht mit Versprechungen der ewigen Seligkeit und – wenn man nicht gehorchte – mit Androhungen furchtbarer Höllenpein. »Reizend, was?«

»Ausgezeichnet!« lachten die Herren.

Nur Amaro schien überrascht zu sein.

»Ach«, sagte der Pfarrer ganz treuherzig, »so etwas könnte ich hier auch brauchen! Das ist besser als im Schweiße seines Angesichts von Tür zu Tür zu laufen.« Und gütig lächelnd fuhr er fort: »Ein Mittel, mit dem man ein klein wenig bei der Wahl erreichen kann, ist auch der Verzicht auf gewisse Kirchenabgaben, die der Pfarrer von den Leuten für seine Person eintreiben darf.«

»Und die Beichte!« ergänzte Pater Natário. »Die Sache geht da zwar durch die Hände der Weiber, aber sie geht sicher. Aus der Beichte kann man großen Nutzen ziehen.«

Pater Amaro hatte erst schweigend zugehört. Dann aber sagte er ernst: »Aber schließlich ist doch die Beichte eine sehr ernste Handlung, und sich ihrer für die Wahlen zu bedienen …«

Pater Natário, dem zwei rote Flecken auf den Wangen brannten und der aufgeregt gestikulierte, ließ sich ein unvorsichtiges Wort entschlüpfen. Er fragte: »Sie nehmen also die Beichte ernst?«

Es gab eine große Überraschung.

»Ob ich die Beichte ernst nehme!« schrie Pater Amaro mit weit aufgerissenen Augen, indem er den Stuhl hinter sich zurückstieß.

»Da hört doch alles auf! Unglaublich!« kam es von verschiedenen Seiten. »O Natário! O Junge!«

Der erregte Pater Natário wollte den Eindruck seiner Rede durch eine Erklärung abschwächen und sagte: »Hört mich doch an, Menschenskinder! Ich meine doch nicht, daß die Beichte ein Spaß ist! Ich bin doch kein Freimaurer, zum Henker! Ich will nur sagen, daß man mittels der Beichte die Leute überreden kann, daß man durch sie erfahren kann, was vorgeht, daß man mit ihr die Herde dahin oder dorthin lenken kann … Und wenn es sich darum handelt, Gott zu dienen, ist sie eine Waffe! Ja, das ist sie: die Absolution ist eine Waffe!«

»Eine Waffe!« riefen alle.

Der Pfarrer protestierte: »O Natário, Sohn! Auf keinen Fall!«

Libaninho hatte sich bekreuzigt und stammelte, er sei so erschrocken, daß ihm die Beine zitterten.

Natário fuhr gereizt fort: »So wollen Sie wohl behaupten, daß ein jeder von uns – nur wegen der Tatsache, daß er Priester ist, daß der Bischof dreimal die Hand auf ihn gelegt und ›Accipe Accipe – Accipe Spiritum Sanctum = (lat.) Empfange den Heiligen Geist.‹ zu ihm gesagt hat – unmittelbar von Gott beauftragt sei, ja Gott selbst sei, um die Sünden zu vergeben?«

»Ganz gewiß!« erscholl es. »Ganz gewiß!«

Und der Kanonikus sagte, während er mit einer Gabel voll Prinzeßbohnen hin und her fuchtelte: »Quorum remiseris peccata, remittuntur eis Quorum remiseris peccata, remittuntur eis – (lat.) Welchen du die Sünden nachlassen wirst, denen sind sie nachgelassen.! So lautet die Formel, Söhnchen! Und die Formel ist alles …«

»Die Beichte ist die eigentliche Quintessenz des Priestertums!« brauste Pater Amaro mit schülerhaften Gesten auf und blickte dabei Natário vernichtend an. »Lesen Sie den heiligen Ignatius! Lesen Sie den heiligen Thomas!«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung!« schrie Libaninho und zappelte auf seinem Stuhl. »Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Pfarrer! Mich ekelt vor dem Gottlosen!«

»Meine Herren!« belferte Natário, wütend über den Widerspruch, »Sie sollen mir auf eins Antwort geben!« Und sich an Amaro wendend: »Sie zum Beispiel haben eben gefrühstückt, haben Ihr geröstetes Brot gegessen, Kaffee getrunken, Ihre Zigarette geraucht … Und nun setzen Sie sich in den Beichtstuhl, haben vielleicht den Schädel voll von Familien- oder Geldsorgen, haben Kopf- oder Bauchweh: Glauben Sie, wenn Sie dann so dasitzen, wirklich, daß Sie Gott sind, der die Sünden vergeben kann?« Diese Logik verblüffte.

Der Kanonikus Dias legte sein Besteck hin, erhob mit komischer Feierlichkeit die Arme und rief: »Hereticus est! Er ist ein Ketzer!«

»Er ist ein Ketzer! Auch ich sage es!« knirschte der Pater Amaro.

Da kam Gertrudes mit einer großen Schüssel Reispudding herein.

»Wir wollen doch lieber nicht von dergleichen Dingen reden«, sagte beschwichtigend der weise Pfarrer. »Nun an den Reis, Herrschaften! – Gertrudes, bring das Portweinfläschchen!«

Natário, über den Tisch gebückt, bombardierte Amaro immer noch mit Beweisgründen.

»Absolution erteilen ist Gnade üben. Gnade ist einzig und allein ein Attribut Gottes: bei keinem Autor werden Sie lesen, daß die Gnade übertragbar sei. Also …«

»Ich wende zweierlei ein …«, schrie Amaro, den Finger streitbar vorstreckend.

»Kinder, Kinder!« fiel ihm der gute Pfarrer betrübt ins Wort. »Hört doch nun endlich mit euren Disputierübungen auf! … Wie kann denn da der Reis schmecken!«

Er schenkte den Portwein ein; um zu beruhigen, schenkte er ganz langsam, mit der herkömmlichen, kennerhaften Vorsicht ein.

»Jahrgang 1815!« sagte er. »Den trinkt man nicht alle Tage.«

Um den Wein gebührend zu genießen, hielten ihn die Experten gegen das Licht und lehnten sich dann in die alten Lederstühle zurück. Man begann sich zuzutrinken. Das erste Prosit galt dem Pfarrer; er murmelte: »Sehr geehrt! … Sehr geehrt!« Die Augen schwammen ihm vor Rührung und Befriedigung.

»Auf Seine Heiligkeit Pius IX.!« rief Libaninho, das Glas schwingend. »Auf den Märtyrer!«

Alle tranken tiefbewegt. Libaninho stimmte alsdann mit seiner Falsettstimme den Hymnus Pius' IX. an; aber der vorsichtige Abt hieß ihn schweigen, denn draußen im Garten beschnitt der Gärtner die Buchsbaumhecken.

Der Nachtisch dauerte lange; man kostete ihn gründlich aus. Natário war ganz zärtlich geworden; er sprach von seinen zwei Nichten, »den beiden Rosen«, und zitierte Vergil, während er die Kastanien in Wein tauchte. Amaro lag lang, die Hände in den Hosentaschen, im Stuhl und betrachtete mit leeren Augen die Bäume im Garten. Unwillkürlich dachte er dabei an Amélia, an ihre Formen; und seufzend ersehnte er ihre Nähe, während Pater Brito, dessen Gesicht vom Weingenuß glühte, die Absicht äußerte, die Republikaner mit Quittenknüppeln zu überzeugen.

»Hoch der Quittenknüppel des Paters Brito!« brüllte Libaninho begeistert.

Aber Natário hatte angefangen, mit dem Kanonikus über Kirchenfragen zu diskutieren, und streitlustig kam er immer wieder auf seine vagen Schlußfolgerungen betreffs der Lehre von der Gnade zurück. Er behauptete, daß ein Mörder, ja ein Vatermörder heiliggesprochen werden könnte, wenn sich an ihm die Gnade offenbart hätte. Er verlor sich in schülerhaften, auswendig gelernten Phrasen, führte Heilige an, deren Lebenswandel einfach skandalös gewesen sei, die schon von Berufs wegen das Laster gekannt, geübt, ja geliebt haben mußten.

»So war zum Beispiel der heilige Ignatius Soldat!« sagte er, die Hände in der Schärpe.

»Soldat?« schrie Libaninho. Und er stand auf, rannte zu Natário und schlang ihm mit kindischer, weinseliger Zärtlichkeit die Arme um den Hals. »Soldat? Und welchen Rang bekleidete er? Was war mein frommer Sankt Ignatius?«

Natário stieß ihn zurück. »Laß mich in Ruhe, Mensch! Er war Sergeant bei den Jägern.«

Ungeheures Gelächter; Libaninho stand da wie ein Verzückter.

»Sergeant bei den Jägern!« sagte er und erhob die Hände in frommer Rührung. »O mein herrlicher Sankt Ignatius! Gesegnet und gepriesen sei er in alle Ewigkeit!«

Der Pfarrer schlug vor, den Kaffee im Freien, in der Weinlaube zu trinken. Es war drei Uhr. Beim Aufstehen schwankten alle ein wenig; sie lachten heiser und rülpsten gewaltig. Nur Amaro war nüchtern geblieben und stand fest auf den Beinen. Er fühlte sich in weicher, elegischer Stimmung.

»Und nun, Kollegen«, sagte der Pfarrer, als er den letzten Schluck Kaffee schlürfte, »ziemt es sich, einen Spaziergang nach dem Gutshof zu machen.«

»Um zu verdauen«, grunzte der Kanonikus, der sich nur mit Mühe von seinem Stuhl erheben konnte. »Also auf zum Landgut des Pfarrers!«

Man schlug den Richtweg über die Barroca ein, eine Art Feldweg. Es war ein sonniger Tag, der Himmel tiefblau. Der Pfad führte durch ein waldiges Tal; zu beiden Seiten dehnte sich stoppeliges Land. In gewissen Abständen hoben sich scharf die Silhouetten der Ölbäume mit ihrem zarten Laubwerk ab. Am Horizont wölbten sich von dunklen Fichten bewachsene Hügel. Schweigen lag über der Landschaft; nur zuweilen hörte man von einem fernen Weg her das Knarren eines Wagens. Langsam stolperten die Geistlichen durch die friedliche, lichttrunkene Natur. Sie warfen sich spaßige Bemerkungen zu und fanden das Leben schön und gut; denn ihre Magen waren voll, und ihre Augen glänzten vom Weingenuß.

Der Kanonikus Dias und der Pfarrer gingen Arm in Arm und hänselten sich gegenseitig. Brito, der neben Amaro ging, schwur, daß er das Blut des verhaßten Majoratsherrn trinken wolle.

»Vorsicht, Kollege Brito, Vorsicht!« sagte Amaro, an seiner Zigarette ziehend.

»Oder soll ich seine Leber fressen?« schnaubte Brito, der wie ein Fuhrknecht schimpfte.

Libaninho marschierte allein hinterher und falsettierte:

»Du kleines braunes Vöglein,
O hüpfe heraus zu mir! …«

Ganz an der Spitze ging Pater Natário; er trug seinen Mantel über dem Arm und ließ ihn am Erdboden hinschleifen. Die Soutane, die hinten offenstand, ließ eine schmierige Weste erkennen. Seine spindeldürren Beine, die aus vielgeflickten wollenen Strümpfen herauswuchsen, bewegten sich im Zickzackkurs, so daß ihr Besitzer häufig an den Brombeersträuchern hängenblieb.

Unterdessen tobte Brito, in Weindunst gehüllt, seinen Rausch aus. Und mit einer weitausholenden Armbewegung, als wollte er die ganze Welt umfassen, brüllte er: »Einen Knüppel möchte ich packen und alles zerhauen, alles, alles!«

Libaninho jammerte hinten:

»Die Flügel sind zerbrochen,
Kannst nun nicht fliegen mehr …«

Plötzlich blieben alle stehen. Der vorangehende Natário schrie wütend:

»Esel! Siehst du denn nicht? … Tölpel!«

Man befand sich an einer Biegung des Richtwegs. Natário war mit einem alten Mann zusammengestoßen, der ein Schaf führte. Beinahe wäre er hingestürzt und drohte ihm nun, in sinnloser Wut die Faust ballend.

»Hochwürden wollen verzeihen«, sagte demütig der Mann.

»Tölpel!« schimpfte Natário sprühenden Auges. »Prügeln möchte ich dich!«

Der Greis hatte stotternd den Hut gezogen, so daß man sein weißes Haar sah; er schien ein Tagelöhner zu sein, in schwerer Fron vorzeitig gealtert, vielleicht ein Großvater. Und in gebückter Haltung, schamrot, drückte er sich an die Hecken, um auf dem engen Pfad die lustigen, vom Wein beschwipsten Herren Geistlichen passieren zu lassen!

 

Amaro wollte sie nicht nach dem Landgut begleiten. Am Ende des Dorfes, wo sich der Weg teilte, nahm er die Straße über Sobros nach Leiria, obwohl ihn der Pfarrer zum Mitkommen überreden wollte.

»Bedenken Sie, daß es eine Meile bis zur Stadt ist!« sagte er. »Ich lasse Ihnen die Stute, anspannen, Kollege!«

»Das fehlte noch, Herr Pfarrer! Meine Beine sind wunderbar in Ordnung!«

Damit hängte er sich lächelnd die Pelerine um und verabschiedete sich, das »Ade!« trällernd.

In der Nähe von Cortegaça führt der Weg an einer Gutsmauer entlang, die mit Moos bewachsen und oben mit glänzenden Flaschenscherben gespickt ist. Als Amaro an das niedrige, rotangestrichene Hoftor kam, stieß er auf eine große scheckige Kuh, die mitten auf dem Wege stand. Er kitzelte sie zum Spaß mit seinem Regenschirm; die Kuh trabte mit schaukelnder Wamme weiter, und als er sich umdrehte, sah er am Hoftor Amélia, die ihn lachend begrüßte.

»Also Sie machen mir das Vieh ängstlich, Herr Pfarrer!«

»Ah, die Kleine! Wie in aller Welt geht das zu?«

»Ich bin mit Dona Maria da Assunção hergekommen. Wollte mal nach dem Gut sehen.«

Neben Amélia legte ein Mädchen Kohlköpfe in einen Korb.

»Das ist also das Gut der Dona Maria?«

Und Amaro trat unter das Hoftor.

Eine breite, schattige Korkeichenallee führte bis zum Hause, das, vom Sonnenlicht überflutet, im Hintergrund sichtbar war.

»Ja, das ist ihr Gut. Unser Gütchen liegt daneben; aber der Eingang dazu ist ebenfalls hier. – Du kannst nun gehen, Joana, spute dich!«

Das Mädchen hob den Korb auf den Kopf, wünschte »Guten Tag« und schlug, sich in den Hüften wiegend, den Weg nach Sobros ein.

»Sapperlot, das scheint ein hübsches Besitztum zu sein«, meinte der Pfarrer.

»Nun sehen Sie sich einmal unser Gütchen an!« sagte Amélia. »Es ist zwar nur ein winziges Fleckchen, aber Sie müssen doch einen Begriff davon bekommen. Hier geht's durch … Wir werden dort hinten Dona Maria treffen, ist's Ihnen recht?«

»Selbstverständlich. Also auf zu Dona Maria!« rief Amaro.

Sie gingen schweigend die Eichenallee entlang. Auf dem Erdboden lagen trockene Blätter, und zwischen den Baumstämmen standen Hortensienbüsche, die infolge heftiger Regengüsse sehr gedrückt und kümmerlich aussahen. Am Ende der Allee erhob sich wuchtig und gedrungen das alte Gutshaus, das nur ein Stockwerk hatte. Längs der Mauer reiften große Kürbisse in der Sonne, und um das verwitterte schwarze Dach flatterten Tauben. Weiter hinten bildete der Orangengarten ein Massiv von dunkelgrünem Laubwerk; ein Ziehbrunnen kreischte seine eintönige Weise.

Ein Junge ging mit einem Zuber Wäsche vorbei.

»Wo ist denn die gnädige Frau hingegangen, João?« fragte Amélia.

»Sie ist im Olivengarten«, sagte der Junge mit leiernder Stimme.

Der Olivengarten lag ziemlich entfernt, ganz am Ende des Gutes. Es gab noch große Pfützen, so daß man ohne Holzpantoffeln nicht gehen konnte.

»Man macht sich ganz schmutzig«, warnte Amélia. »Wollen wir auf Dona Maria verzichten? Wir können ja das Gütchen allein ansehen … Hier, Herr Pfarrer!«

Sie befanden sich vor einer alten, von Klematissträuchern umwucherten Mauer. Amélia öffnete eine grüne Pforte, und über zerfallene Steinstufen gelangten sie auf einen Weg, der von dichten Weinranken überdeckt war. An der Mauer wuchsen immerblühende Rosen; auf der gegenüberliegenden Seite sah man durch die steinernen Pfeiler hindurch, die das Weinspalier und die gewundenen Rebstöcke stützten, eine große, mit gelben Blumen übersäte Wiese im grellen Sonnenschein liegen. Die niedrigen, strohgedeckten Dächer des Weideplatzes hoben sich in der Ferne dunkel vom Himmel ab, und dort stieg ein weißer, feiner Rauch in die blaue Luft.

Amélia blieb jeden Augenblick stehen, um Erklärungen über die Anlage des Gutes zu geben: Da wurde Gerste gesät, dort könnte man die Zwiebelbeete sehen; es sei alles sehr hübsch …

»Ja, Dona Maria da Assunção hält alles schön in Ordnung!«

Amaro hörte sie gesenkten Hauptes, den Blick zur Seite gerichtet, plaudern. In dieser ländlichen Ruhe kam ihm ihre Stimme klangvoller, lieblicher vor. Die frische Luft hatte ihrer Haut eine pikantere Färbung verliehen; ihre Augen leuchteten. Um einige Pfützen zu überspringen, hatte sie das Kleid geschürzt, und das Weiß der Strümpfe verwirrte ihn, als sähe er ihre nackten Beine.

Am Ende des Weinlaubenganges kamen sie auf eine Wiese, die sich an einem Bächlein hinzog. Amélia amüsierte sich köstlich, daß der Pfarrer vor Kröten Angst hatte, und da übertrieb er aus Scherz seine Angst … Ob es hier vielleicht gar Schlangen gäbe? … Und er schmiegte sich an Amélia, indem er das hohe Gras zur Seite drückte.

»Sehen Sie dieses Tal? Nun, dort ist unser Gütchen. Man kommt durch eine Gattertür hinein, sehen Sie? Aber Sie sind ja müde! Sie scheinen kein großer Fußgänger zu sein … Hu, eine Kröte!«

Amaro sprang zur Seite und faßte sie an der Schulter. Sie schob ihn sanft zurück.

»Sie Angsthase! O Sie Angsthase!« lachte sie schelmisch.

Sie sprühte vor Lebenslust und fühlte sich hier ganz in ihrem Element. Es schmeichelte ihr, daß sie mit Sachverständnis von landwirtschaftlichen Dingen und vor allem von »ihrem« Gütchen plaudern konnte … Besitzerstolz!

»Das Gatter ist geschlossen, scheint mir«, sagte Amaro. »So?« machte Amélia. Sie hob ein wenig den Rock und eilte voraus.

»Wahrhaftig, geschlossen! Wie schade!« Und sie rüttelte ungeduldig an den schmalen Latten, die sich zwischen den zwei starken, aus dichtem Brombeergesträuch emportauchenden Türpfosten befanden.

»Das war der Hausverwalter; er hat den Schlüssel abgezogen.«

Sie duckte sich und rief mit lauter, gedehnter Stimme aufs Feld hinaus: »Antonio! Antonio!«

Niemand antwortete.

»Er geht ganz am Ende des Grundstücks!« sagte sie. »Wie dumm! Wenn Sie wollen … da vorn kann man passieren. Da gibt es eine Öffnung im Tal; man nennt sie den ›Ziegensprung‹ und kann durchschlüpfen.« Und an der Brombeerhecke entlang im Schlamme patschend, erzählte sie lachend: »Als ich noch klein war, ging ich niemals durch die Gattertür, ich bin immer hier durchgesprungen. Und wie oft purzelte ich hin, wenn der Boden vom Regen schlüpfrig war! Ich war ein wilder Teufel, ja, ich, wie Sie mich hier vor sich sehen. Kaum zu glauben, Herr Pfarrer, nicht? … Ach, ich werde eben alt!« Und mit blitzenden Zähnen lachte sie ihn an. »Nicht wahr, ich werde alt?«

Er lächelte, kaum imstande zu reden. Die Sonne, die ihm auf den Rücken brannte, machte ihn schlaff; der Wein des Pfarrers tat sein übriges … Ihre Gestalt, ihre Schultern, die gelegentlichen körperlichen Berührungen erfüllten ihn mit immer heftigerem Verlangen.

»Hier ist der ›Ziegensprung‹«, rief Amélia und machte halt.

Es war eine enge Bresche im Tal; das Land auf der andern, tiefer gelegenen Seite war ganz schlammig. Man sah von da aus das Gut der Joaneira. Das ebene Feld dehnte sich bis zum Olivengarten; feines, von weißen Tausendschön durchwirktes Gras bedeckte die Fläche; eine schwarz und weiß gescheckte Kuh weidete darauf; weiter hinten ragten die spitzen Dächer der Meierhöfe empor, um die Schwärme von Sperlingen schwirrten.

»Nun, und jetzt?« fragte Amaro.

»Jetzt heißt's springen!« sagte sie lachend.

»Also los!« rief er.

Er raffte den Mantel und sprang, glitt aber im feuchten Grase aus. Und Amélia, den Oberkörper vornübergeneigt, klatschte lachend in die Hände.

»Und nun adieu, Herr Pfarrer! Ich gehe jetzt zu Dona Maria und bleibe dort. Herauf können Sie nicht springen; durchs Pförtchen können Sie auch nicht: Sie sind also gefangen, gefangen!«

»Aber liebe Amélia, liebes Kind!«

Sie trällerte spottend:

»Ich sitz allein auf der Veranda,
Denn im Gefängnis ist mein Schatz!«

Ihre Ausgelassenheit erregte den Pfarrer, und mit erhobenen Armen rief er heiser: »Springen Sie! Springen Sie!«

Sie spielte die Ängstliche.

»Springen Sie, Kleine!«

»Also gut!« schrie sie plötzlich.

Sie sprang und fiel, ihm mit einem kleinen Aufschrei an die Brust. Amaro wankte, faßte aber sofort wieder festen Fuß, und als er ihren Körper in seinen Armen fühlte, drückte er sie brutal an sich und küßte sie wild auf den Hals.

Amélia riß sich los. Sie stand atemlos, mit glühendem Antlitz vor ihm und zog mit zitternden Händen den wollenen Schal um Kopf und Hals. Amaro sagte: »Liebe kleine Amélia!«

Aber plötzlich raffte sie ihr Kleid und rannte am Talrand entlang. Amaro taumelte wie im Traum hinter ihr her. Als er am Gattertor anlangte, sprach Amélia mit dem Hausverwalter, der mit dem Schlüssel erschienen war.

Immer am Bach entlanggehend, überschritten sie die Wiese, um darauf in den Weinlaubengang einzubiegen. Amélia und der Verwalter gingen plaudernd voran; Amaro folgte gesenkten Hauptes; ihm war sehr elend zumute. Vor dem Hause blieb Amélia stehen; sie nestelte nervös an ihrem Schal und sagte: »Antonio, zeigen Sie dem Herrn Pfarrer das Hoftor. – Guten Tag, Herr Pfarrer!«

Damit eilte sie über den nassen Erdboden nach dem hinteren Teil des Gutes, wo sich der Olivengarten befand. Dort saß noch immer Dona Maria auf einem Stein und unterhielt sich mit dem Onkel Patrício. Eine Anzahl Frauen schlug mit großen Stöcken in die Zweige der Olivenbäume.

»Nun, was ist denn los, närrisches Ding? Wo kommst du denn hergerannt? Ei, ei, wie verrückt!«

»Ach, ich bin so gelaufen!« sagte Amélia erhitzt und außer Atem.

Sie setzte sich neben die Alte und rührte sich nicht. Die Hände waren ihr in den Schoß gesunken, sie atmete schwer und starrte mit halbgeöffnetem Mund wie versunken vor sich hin. Ihr ganzes Wesen war ein einziger Gedanke: Er liebt mich! Er liebt mich!

 

Sie war schon längst in den Pater Amaro verliebt, und manchmal, wenn sie allein in ihrem Stübchen saß, zitterte sie bei dem Gedanken, er könnte in ihren Augen das Geständnis ihrer Liebe lesen! Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft, kaum daß sie ihn von unten nach dem Frühstück rufen hörte, durchschauerte sie eine unerklärliche Wonne, und sie fing an, wie ein Singvogel zu zwitschern. Dann sah sie ihn bedrückt. Warum? Sie kannte seine Vergangenheit nicht und glaubte, er sei wie der Mönch von Evora aus Liebeskummer Geistlicher geworden. Da idealisierte sie ihn: sie erblickte in ihm eine feine, zarte Natur; sie meinte, von seiner anmutigen Person, seinem bleichen Gesicht ginge eine Art Faszination aus. Sie wünschte sich ihn zum Beichtiger. Wie schön müßte es sein, wenn sie vor ihm am Beichtstuhl kniete, ihm in die schwarzen Augen blickte und seine weiche Stimme vom Paradiese reden hörte! Sie fand seine frischen roten Lippen reizend und wurde bleich bei dem Gedanken, sie könnte ihn in seiner langen schwarzen Soutane umarmen! Wenn Amaro ausgegangen war, stieg sie in sein Zimmer hinab, küßte sein Kopfkissen, sammelte die kurzen Haare, die in den Zähnen seines Kammes hängengeblieben waren. Ihre Wangen erglühten, wenn sie ihn klingeln hörte.

Wenn Amaro beim Kanonikus Dias speiste, war sie den ganzen Tag reizbar; sie zankte mit der Ruça, sprach sogar manchmal schlecht von Amaro, der ein Griesgram und so jung sei, daß man keinen Respekt vor ihm haben könne. Wenn er von einem neuen weiblichen Beichtkind erzählte, schmollte sie in kindlicher Eifersucht. Ihre alte Frömmigkeit lebte wieder auf, von sentimentaler Inbrunst erhitzt; Amélia empfand eine beinahe physische Liebe für die Kirche: sie wünschte den Altar, die Orgel, das Meßbuch, die Heiligen, den Himmel mit langen, leisen Küssen zu bedecken, denn all dies unterschied sie kaum von Amaro, schien ihr in engem Zusammenhang mit seiner Person zu stehen. Sie las in seinem Meßbuch und dachte dabei an ihn, als sei er ihr ganz persönlicher Privatgott. Und Amaro ahnte nicht, wenn er leidenschaftlich erregt in seinem Zimmer auf und ab schritt, daß sie über ihm lauschte, daß sich ihr Herzschlag seinen Schritten anpaßte, daß sie heiß ihr Kopfkissen umschlang und daß sie im Geiste seine Lippen küßte!

 

Der Tag neigte sich, als Dona Maria und Amélia nach der Stadt zurückkehrten. Amélia ging schweigend ein wenig voraus, mit einer Rute den kleinen Esel antreibend, während Dona Maria mit dem Gutsknecht plauderte, der den langen Koppelstrick in der Hand hielt. Als sie an der Kathedrale vorbeikamen, wurde gerade das Ave-Maria geläutet, und die betende Amélia konnte den Blick nicht von dem grandiosen Bauwerk wenden, das nur dazu errichtet war, damit er darin zelebrierte! Ihr fielen die Sonntage ein, wo sie ihn, beim feierlichen Klang der Glocken, vom Hochaltar aus den Segen hatte erteilen sehen. Und alle neigten sich vor ihm, sogar die Damen des Majorats von Carreiro, sogar die Frau Baronin von Via Clara und die stolze Frau des Zivilgouverneurs mit ihrer Hakennase! Sie knickten unter seinen erhobenen Fingern zusammen, und auch sie fanden sicherlich die schwarzen Augen des jungen Priesters hübsch! Und das war er, er, der sie vorhin mit seinen Armen umfangen hatte! Noch fühlte sie auf dem Hals den Druck seiner heißen Küsse, und wie eine Flamme durchraste lodernde Leidenschaft ihr ganzes Sein. Sie ließ das Leitseil des Esels los, preßte die Hände gegen die Brust und schloß die Augen. Und ihre ganze Seele ging auf in dem Gebet: »O schmerzensreiche Jungfrau, meine Schutzheilige! Laß ihn mich lieben!«

Auf dem getäfelten Vorplatz der Kirche spazierten plaudernd Geistliche. In der gegenüberliegenden Apotheke brannte schon Licht; die großen Flaschen glänzten, und hinter der Waage bewegte sich majestätisch das perlenbestickte Käppchen des Apothekers Carlos.


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