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VIII.
Nach dem Siege

Goulaine hat für Tammuz eine große Ueberraschung aufgespart: bei einem runden Fenster, in der Höhe des zweiten Stockes, ist eine Art Kaiserloge eingerichtet.

Von dort, durch ein schwarzes Gitter verborgen, betrachtet der junge Mann mit den vier Gynandres schweigend die fünfzig Doppelsofas, auf denen sich Schatten zu bewegen scheinen: das Gemurmel von Worten und Küssen steigt empor und entzückt das Ohr des Seelenarztes.

– Ihre Einbildungskraft ist durch die Inszenierung gepackt, ihre Sinne können der doppelten Wirkung nicht widerstehen, welche die Pflanze des van Helmont und der Liebeswein ausüben.

– Zumal ich den Wein verstärkt habe, sagte Stella.

– O Weib, immer mußt du übertreiben und den Willen, dem man dienen soll, überschreiten!

– Ein Vorwurf in diesem Augenblick ist hart. Was bedeutet es Ihnen, wenn die Umarmungen zu lebhaft werden.

– Es bedeutet viel für die Gynandres, daß sie beim Erwachen müde und nicht wundgerieben, geliebkost und nicht verletzt sind.

– Oh, sagte Lilith, Sie, der Seelenarzt, Sie fürchten die Heftigkeit, wenn die Begierde herrscht? Wie oft sagt die eine Lesbierin zur andern: »Tue mir weh!«

– Sie haben bei einem Werk der Vernunft und der Tugend geholfen: müssen Sie die Wirkungen, die allein es entschuldigen, schädigen?

– Ein Werk der Vernunft und der Tugend? fragte Rose, den von naher Wollust bewegten Halbschatten betrachtend.

Tammuz sprach hart:

– Auch Sie versuchen in der Stunde, da nichts helfen kann, wenn ich Böses getan habe, mir Zweifel ins Gesicht zu schleudern? Nein, Rose, das Gefühl, das von einer Frau flackert, erschreckt meinen heiteren Willen nicht: ich habe ein Werk des Lichtes getan! Ich kam her ohne einen andern Plan, als die Leidenschaft zu studieren; durch das größte Problem, das sie entstehen läßt, gefesselt, habe ich den Zauber und nicht den Angriff von Lesbos ertragen. Ich habe Lesbos erlebt, um es zu begreifen; ich habe es verführt, um es zu besiegen. Ich mache diese falsche Leidenschaft durch mein Ansehen zur Lüge: wenn ich jetzt auf der Stelle fortgehe, könnte ich sagen, Lesbos ist tot, ich habe es durch einen Kuß getötet! Daß Sie hier neben mir sitzen, beweist die Heilung ebenso, wie sie dort unten alsbald der Beischlaf beweisen wird.

– Tammuz, täuschen Sie sich nicht, sagte Lilith; Sie spalten wie ein idealer Bug die schweren Wogen des Archipels, aber Ihr Kielwasser wird vergehen. Sie wissen es sehr wohl: Ihr Stolz allein hat gesiegt, aber nicht die Norm. Um Lesbos zu retten, müßten Sie bleiben!

– Ja, riefen die drei Gynandres.

– Eine Antwort, die jede Erörterung abschneidet: ich besitze nicht mehr als die zweihundert Franken für meine Rückkehr nach Bordighera.

– Mein Vermögen, Tammuz, gehört Ihnen, sagte Rose.

– Und unsere drei!

– Sie gehorchen diesem dummen Vorurteil: ein Wesen lieben und es leiden lassen. Jemanden bewundern und ihn nicht vor Leiden bewahren: welche Schmach! Ist das Gold, das eine Familie der rechten Tochter vermacht, nicht ebenso sauber wie das, was dem Sohne zufällt? Da es keine andern Reichen gibt als die geistig Armen, ist die Frau dazu verdammt, entweder einen Dummkopf zu lieben oder den leiden zu lassen, den sie liebt … Nein, was einen Mann entehrt, ist seine Faulheit, nicht die Hilfe, die er empfängt. Wenn ich Schriftsteller oder Künstler wäre, würde ich es annehmen, wenn man mir den Aufenthalt, die Reise, die Modelle oder die Bücher für mein Werk anböte, denn ich würde dieses Werk, wenn es eine Zeichnung, geben, wenn es eine Dichtung, widmen. Da ich aber nicht schaffe, habe ich dieses Recht nicht.

– Absurd!

– Und Sie reisen?

– Mit dem Morgenschnellzug.

Rose von Faventine stand auf.

– Freund, nach diesem Wort bleibe ich nicht länger: jede Minute würde mich weich machen. Wozu? Ade, Tammuz, möge Ihnen das Leben günstig sein! Nachdem Sie so viel Herzen bewegt haben, möge auch Ihr Herz endlich bewegt werden! Möge der Bezauberer bezaubert werden, das ist der Wunsch meines »Auf Wiedersehen!«

– Rose, wenn ich wählen könnte, ich sage es, aufrichtig, hätte ich Sie gewählt: köstlich sind Sie, und dazu noch Jungfrau! Ihre Zukunft wird meine Gedanken immer beschäftigen und mich mit Traurigkeit erfüllen. Wenn ich Sie wenigstens aus Lesbos retten könnte!

– Ich schwöre Ihnen, nicht zu fallen, bevor Tammuz nicht selbst fällt!

Sie drückten einander lange die Hand; dann ging Rose.

– Auch ich, sagte Stella, werde das Beispiel des Chevaliers nachahmen. Durch die Angabe, daß Ihre Abreise in einigen Stunden erfolgt, haben Sie eine Strömung von Angst erregt. Ade, Tammuz! Denken Sie zuweilen an Ihre Schwester, die keine Insel hat, auf der sie sich berauschen kann; die mit einem gleichgiltigen Auge sowohl Lesbos wie Kythera betrachtet, aber mit einem so zärtlichen Auge ihren Bruder Tammuz, daß sie mit ihm Incest begehen könnte.

Mit Lucia und Lilith zurückgeblieben, verdüsterte Tammuz sich.

– Ich habe noch eine wichtige Sorge: was macht Nergal?

– Er hat den Saal im selben Augenblick wie wir verlassen: ich werde ihn in irgend einer Ecke ärgerlich oder eingeschlafen entdecken, sagte Lucia und ging.

– Lilith, Sie waren meine erste Zärtlichkeit: keine Gynandre ging Ihnen in meinem Herzen voran, keine wird Sie daraus verjagen.

Ein trauriger und nervöser Kuß erfüllte sie mit Bedauern, in dem sich Seele und Körper mischten.

Lilith ging.

Nergal kam.

– Ihnen, Nergal, vermache ich meine Erfahrungen, sprach Tammuz; Ihr Genie wird sie der Oeffentlichkeit und der Nachwelt darbieten. Ich habe Ihnen alles gesagt, selbst meine geheimsten Eindrücke: Sie besitzen die Wahrheit über Lesbos, das heißt, den Nachweis, daß dieses verkehrte Ideal nicht existiert. Tun Sie Ihre Pflicht als Romancier, wie ich meine Pflicht als Gefühlsmensch getan habe, bei der mein Name mich wie ein Schicksal verpflichtete … Dulden Sie nicht, daß die unsauberen Philister oder die abgewiesenen Lebemänner Ihnen, dem Kenner der Sitten, die wahre Schilderung untersagen, welche die durch ihre wirkliche Schande schon genug besudelte Menschheit von einem unheilvollen Laster reinwäscht. Sagen Sie vor allem, daß die Dummheit und die Untreue der Gatten, die Roheit der Liebhaber, die Geilheit der lüsternen Greise die wahren Ursachen sind, daß eine Frau fällt und sich nicht wieder erhebt; zeigen Sie den Herzog, den General, die ehrenwertesten Leute in ihrer Rolle als eifrige Kuppler der weiblichen Sodomie … Versäumen Sie nicht, zu betonen, daß eine Sippschaft von Journalisten dieses Laster zynisch ausbeutet und so diesem Wahn eine künstliche aber proselytische Existenz schafft. Dumas fils hat, ein Verbrecher, ohne es zu wissen, der ausgehaltenen Mätresse ein soziales Dasein gegeben: zerstören Sie die Redensart von Lesbos, bevor sie sich im Gehirn der Pariser festgesetzt hat. Durch Sie wird mein Mühen nicht ganz unfruchtbar bleiben … Jetzt nehme ich Abschied: ich kehre in die Welt der Gedanken und der Vergangenheit zurück. Ich habe auf dem Gebiet der Seele die Kraft bewiesen, den Bogen des Odysseus zu spannen: ich kehre zurück zu meiner Einsamkeit und meinen geliebten Büchern. Als einziger Zeuge dessen, was ich getan habe, erinnern Sie sich, den gesehen zu haben, der die Liebe liebt.

– Ja, mit dem Herzen und dem Geist, ja, Tammuz, mit dem rechten Namen Tammuz heißt chaldäisch der Gott der Liebe., rief Nergal erregt.

Allein geblieben, ganz seinem Gedanken als Seelenarzt hingegeben, betrachtet Tammuz unsichtbar lange die Dunkelheit, in der sich fünfzig Paare lieben, in der fünfzig Frauen zur Norm zurückgekehrt sind.

Schließlich erscheint alles unbeweglich, erschöpft. Von draußen dringt ein beginnender und fahler Tag herein.

Er kniet nieder und spricht sein Morgengebet.

»Gedanke, der die Seelen und die Welten bewegt, erhabene Liebe, bist du mit mir zufrieden? Habe ich die Mission, die ich übernahm, erfüllt?« …

In dem Schweigen erhebt sich eine Stimme, stark, langsam, wie die Stimme eines Unsichtbaren; während etwas Morgenröte den Phallus trifft, ruft diese mystische Stimme aus:

Tammuz führt zurück zum verzeihenden Eros
die edlen Scharen der Sappho, die schied.


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